Tunesien 2017: Wie Hitler mir half

Reisezeit: Dezember 2016 - Januar 2017  |  von Alfred Fuchs

Eine Provinzstadt revoltiert

Quasi adoptiert

Am nächsten Morgen werde ich wieder auf die Wache gebeten, warte wieder.
Zwischendurch will ich einen Rest von Geld wechseln und Frühstück kaufen.
Ein Passant macht einen vernünftigen Deal.
Wieder warte ich, schließlich bittet man mich, nach Thelept mitzufahren, wo anscheinend die Kriminalpolizei ihr Büro hat.

Im dortigen Vernehmungszimmer saß wieder zitternd der junge Mann in Handschellen.
Sein rechtes Auge blau und geschwollen, an der Stirn einen frischen Verband, das hatte er am Vorabend noch nicht, meiner Erinnerung nach.
Neben ihm anscheinend seine Mutter, in Tränen aufgelöst.

Es gelang uns, die Daten von der Dashcam auf den Polizei-PC zu überspielen, indem wir die Speicherkarte in das Smartphone eines Polizisten einlegten und dieses dann per USB-Kabel an den PC ansteckten.
Die Polizisten umringen den PC und studieren das Video.

Ein junger Mann befragt mich auf englisch und es wird ein detailliertes Protokoll aufgenommen.
Immer wieder sagt er: "Don't worry! Everything will be all right!"
Er erklärt mir später, dass er gar kein Polizist sei.
Sondern Lkw-Fahrer, der aber englisch spricht und dolmetscht.

Langsam fügt sich ein Mosaik zusammen.
Der junge Mann in Handschellen hatte auch ein Auto überfallen, und zwar den Mann, der mir das Geld wechselte, deshalb war der zufällig dort gewesen.
Dabei hörte er, dass sie da einen Ausländer haben und nicht recht wissen, was sie mit ihm tun sollen.
Also ruft er seinen Freund an, ob er nicht beim Übersetzen helfen könne.
So lernte ich Wael kennen.

Die beiden bringen mich nach der Einvernahme zurück nach Feriana.

Auf dem Markt wird noch ein wenig eingekauft und er erzählt mir, dass die Leute schon über den nächtlichen Vorfall reden. Ich bin Stadtgespräch.
Dann durch enge Gassen in sein Zuhause, ein schmuckes Häuschen mit einem Zitronenbaum vor der Tür.
Ich treffe seine Mutter, die in der Küche schon angerichtet hat.

Wir fangen an, uns zu unterhalten.
Warum hat die Polizei den Krawallen nur zugeschaut?
Ich erfahre, dass im Jahr zuvor bei einer Verfolgungsjagd ein Polizist tödlich verunglückt sei, und nun sagt man sich wohl, das sei es einfach nicht wert.

Mehrere seiner Schwestern leben im Ausland, eine habe eine Tee-Handel in Florida.
Ich darf die Empfehlung hier weitergeben: http://www.secretsoftea.com.

Ich bin noch immer verblüfft über so viel Gastfreundschaft, frage ihn, wie ich dazu komme.
Seine Erklärung ist einfach: "Das ist Islam!"
Die anderen, die Kämpfer, die Terroristen, die Leute umbringen, hätten gar kein Recht, den Islam für sich zu beanspruchen, das vertritt er ziemlich leidenschaftlich.

Dann darf ich mich entspannen.
In einem kleinen Nebenwohnzimmer stehen drei Sofas an der Wand.
Wer mich kennt, weiß, dass das eine magische Anziehungskraft auf mich ausübt.
Also lege ich mich nieder, studiere noch kurz den Haus-Koran, den ich aber, da arabisch, nicht lesen kann, und mache dann ein Nickerchen.

Nach ein paar Stunden kommt die Polizei vorbei und bittet uns, mit zurück nach Thelept zu kommen, da man Fingerabdrücke im Inneren des Autos sichern wolle.
Noch hat man aber die Gauner nicht gefasst.

Wir fahren anschließend wieder zurück nach Feriana, weil ich nun unbedingt bei der Gastfamilie übernachten muss, Wohnmobil hin oder her.

Morgen werde man meine Sachen bereits haben.
Das sei eine kleine Stadt, wo jeder jeden kenne.
"Und wenn die Polizei sie nicht findet, ich finde sie."

An einer Tankstelle steckt der Besitzer seinen Kopf durchs Seiten-Fenster.
Er spricht mich an, in deutsch: "Mein Herr, haben Sie gestern das Problem gehabt?"
Jaja.
"Sie müssen Ihre Botschaft verständigen."
Mache ich.
"Wissen Sie, diese Leute sind nicht von hier."
Das verstehe ich nicht.
Man erklärt mir nun, diese Jugendlichen seien vom Land zugezogen, wo sie keine Zukunft mehr hatten, nachdem nach der Revolution die Unterstützungen gestrichen worden seien.
Und hier gebe es auch nur Probleme mit ihnen.

Wir fahren weiter zu einem anderen Freund, einem "good guy", der eine Garage hat, die er zur Verfügung stellt, damit meinem Auto auch wirklich nichts passiert.
Man eröffnete mir, dass er ein großer Freund von Hitler sei, weil der doch die vielen bösen Juden umgebrachte habe, die den Moslems Jerusalem weggenommen haben.
Und weil Hitler nun ja doch auch Österreicher war, ist er ein Freund aller Österreicher und somit auch mein Freund.

Huh!
Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass Adolf einmal zu irgend etwas nütze sein würde.
Ich erwähnte die Roma und Millionen Russen, aber es war irgendwie nicht der passende Moment für Geschichte-Unterricht. Schließlich empfahl ich ihm, sein Idol noch gründlicher zu studieren und beließ es dabei.

Am Abend setzen wir uns noch ins Internet-Cafe seines Bruders. Ich kann die Fährverbindungen prüfen und es stellt sich heraus, dass ich die Rückreise nicht verschieben muss, wenn ich bis zum Abend des nächsten Tages in Tunis bin.
Sightseeing in Tunis und Umgebung fällt zwar aus, aber ich bin irgendwie ohnehin nicht mehr in der Stimmung dafür.
Und die Botschaft informiere ich auch über den Vorfall, sie antwortet auch prompt ein paar Stunden später.
Auf keinen Fall darf ich für die Internetnutzung etwas bezahlen, so hartnäckig ich es auch versuche.
Ich stehe kurz vor der Adoption, kommt mir vor.

Übermütigerweise wandern wir dann noch an den Platz, wo ich ausgeraubt wurde.
Die geklauten Handys kann man doch eigentlich nur wegwerfen, alles gesichert.
Es ist ein wenig bizarr, aber es wird noch skurriler:
"Hier rechts wohnt übrigens der Großvater von einem der Täter."
Ja, in dieser Stadt kennt man einander.

Spät abends erhalte ich die Information, dass Waels Freunde auch den Bürgermeister schon informiert haben, der werde die Polizei, wenn nötig, schon antreiben.
Andererseits bekommt die Sache auch wieder eine pessimistische Wendung:
Es soll sich herausgestellt haben, dass der Vater eines der Täter selber bei der Polizei arbeite.
Was das alles wirklich bedeutet, ist für mich nicht mehr durchschaubar.

Herberge

Herberge

Gastmahl

Gastmahl

Polizeistation

Polizeistation

© Alfred Fuchs, 2017
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mit dem Wohnmobil in die Sahara. Dann ein Zwischenfall. Erst dadurch lerne ich das Land wirklich kennen.
Details:
Aufbruch: 29.12.2016
Dauer: 11 Tage
Heimkehr: 08.01.2017
Reiseziele: Tunesien
Der Autor
 
Alfred Fuchs berichtet seit 7 Jahren auf umdiewelt.