Madagaskar - Jenseits von Afrika

Reisezeit: Oktober 2008  |  von Sarah Paulus

Von Mahambo nach Tana

Tag 20
24.10.2008, Freitag, 450km

Um 06:00 Uhr steht Monsieur le Patron nebst Auto verabredungsgemäß bereit. Wie es denn wäre, wenn er uns wenigstens nach Tamatave fahren würde, gegen Bezahlung. Das ginge auf keinen Fall. Stattdessen zeigt er Bilder von seiner Finca in Frankreich und berichtet wortreich von Charity Projekten. Dieser Idiot. Rolf sitzt hinten und gibt sich erst gar nicht den Anschein nett sein zu wollen. Richtig so. Dafür zählt er die vor uns liegenden Kilometer zusammen. Er kommt auf rd. 350km. Die Daumenregel sagt 2 Stunden für 100km. Also 7 Stunden bis Tana. Zusätzlich eine Stunde Puffer für das Umsteigen in Tamatave. Das müßte doch eigentlich klappen.

Gegen 07:00 Uhr werden wir in Fenerive ausgesetzt. Monsieur Infidèle erklärt noch kurz die Informationstafel am Busstand und verschwindet.

Le Patron, kurz vor dem Verschwinden

Le Patron, kurz vor dem Verschwinden

Man muß wissen, ein Taxi Brousse fährt erst dann los, wenn alle Plätze verkauft sind. Insgesamt 14, um genau zu sein. Na, ahnt der Leser schon etwas? Nö? Na dann weiter. Es stehen einige Taxis herum, nur eins hat zwei Vorbuchungen. Inklusive uns ergibt das ganze 4 Plätze. Wir beschließen zu warten, mimen auf cool und werden doch unruhig, als bis 07.30 Uhr keine weiteren Mitreisewilligen auftauchen. Das geht so nicht weiter. Also kaufen wir die restlichen 10 Plätze auf. Unter der Maßgabe, daß Non-Stop bis Tamatave durchgefahren wird, Preis AIR 60.000. Wow, ein echter Touristenpreis. Die spüren unseren Zeitdruck. Es hat wieder angefangen zu regnen.

Los geht's. Das mit dem Non-Stop klappt natürlich nicht. So werden jede Menge Leute nebst Gepäck ein- und ausgeladen. Noch dazu müssen wir warten. Eine komplexe Brücke-über-Fluß-Baustelle verhindert ein zügiges Vorankommen. Erst als eine Planierraupe riesige Sandmatschhaufen am anderen Flußufer geebnet hat, können wir gefahrlos übersetzen und erreichen Tamatave nach schlappen 100km gegen 10:00 Uhr.

Über sieben Brücken...

Über sieben Brücken...

Fast geschafft

Fast geschafft

Toamasina - oder Tamatave auf französich - muß man unbedingt erlebt haben. Hier befindet sich der einzige natürliche Hafen auf der Ostseite Madagaskars. Er ist gleichzeitig der wichtigste des Landes. Auch die bedeutendste Ölraffinerie befindet sich hier. So ist die Stadt nicht wirklich schön, dafür sind die Straßen übervoll mit Menschen. Vor allem der Taxi Brousse-Stand quillt förmlich über. Wir sind sofort umringt von einer riesigen Menschentraube. Schleppern, die uns nach Tana fahren wollen.

Etwa 30 Minuten lang versuchen wir die Plage abzuschütteln. Mehr oder minder erfolglos. Selbst das Entfernen vom Busstand bringt nichts. Mindestens 10 Schlepper bleiben eng an uns dran. Wir setzen uns vor einen Laden und können die Straße nicht sehen, da die Jungs direkt vor uns stehen bleiben und permanent ihre Dienste anbieten. Plötzlich schiebt sich ein Taxi-Brousse dazwischen. Man sei bis auf drei Plätze voll. Wir sollten doch einzusteigen, damit endlich losgefahren werden könne. Toute de suite? Toute de suite!

Na gut. Wir lassen uns von so viel Hartnäckigkeit blenden. Denn die Guten fahren natürlich nicht sofort los, sondern erstmal zu einer Art Sammelplatz hinter dem Broussebahnhof. Umständlich werden unsere Tickets ausgestellt. Das dauert schon mal 30 Minuten und soll uns AIR 40.000 kosten.

Unser Taxi Brousse

Unser Taxi Brousse

Tja, dann müsse man doch noch auf weitere Fahrgäste warten. Zwei Stunden später fahren wir dann endlich los. Nur doch noch nicht ganz. Irgendwo müßten noch zwei Mitreisende aufgesammelt werden. Und da passiert das nächste Malheur. Der Fahrer kommt mit dem Gesetz in Schwierigkeiten. Genau weiß keiner worum es geht. Egal. Die zwei Polizisten am Straßenrand dafür um so genauer. Ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung? In Madagaskar? Ist so etwas überhaupt möglich? Kaum zu glauben. Die polizeiliche Klärung benötigt eine geschlagene Stunde. Und wir haben Tamatave noch immer nicht verlassen.

Fahrer und Staatsgewalt

Fahrer und Staatsgewalt

Doch dann ist es geschafft. Wir brettern hoffnungsvoll an schweren LKWs vorbei und erklimmen röchelnd die ersten kleineren Hügel. Erst später geht es ja richtig auf zur Hochebene. Wieder steigen Menschen ein und aus. Wieder dauert es ein jedes Mal unbeschreiblich lange. Die Zeit läuft und läuft. Plötzlich wird mein Rolf ganz blaß. Er hat erneut die Strecke vermessen und festgestellt, daß wir heute nicht 350km sondern 450km Entfernung zu überbrücken haben. Irgendwie seien ihm in den Morgenstunden die zusätzlichen 100km nicht untergekommen. Also verlängert sich die Fahrtzeit auf 9 Stunden. Wir staunen uns erschrocken an. Es folgt ein wildes Hin- und Hergerechne. Ankunft so um 17:00 Uhr? Falls alles gut geht. Das würde ja auch noch okay sein.

Dann säuft die Karre ab. Der Motor blubbert hilflos. This is the end, my friend. Mitten im Nichts. Der Himmel weint in Strömen. Etliche Versuche später und mit menschlicher Schubkraft krächzt der Bus dann doch wieder voran, eine tiefdunkle Abgaswolke hinter sich lassend. Erst zwei Stunden später erreichen wir Brickaville, ein kleines Durchgangsdorf mit diversen Läden und Hotelys am Straßenrand. Es ist 15:00 Uhr. Pause. Was? Ja doch, Mittagspause. Wie, richtig Pause mit Essen und so? Ja, alle verschwinden wie auf Kommando und lunchen unbekümmert drauflos.

Krisensitzung mit THB und Zigarette. Es reicht. So geht es nicht weiter. Wenn wir nichts unternehmen, kommen wir heute nicht mehr ans Ziel. Also was tun? Die Straße ist recht gut befahrenen. Vielleicht nimmt uns jemand mit. Uns Hitchhiker. Die erste Ansprache schlägt fehl. Man beäugt mein Äußeres von oben bis unten: Nach den Strapazen der letzten Tage stehe ich ziemlich abgerissen und schmuddelig vor ihnen, die qualmende Zigarette in der rechten Hand, eine halbvolle THB in der linken. Man sei schon voll. Ach. Ich deute an, daß wir auch richtig gut bezahlen würden und sehe ein kurzes Aufflackern in den Augen. Aber nein, der Wagen scheint wirklich voll zu sein. Hilfsweise werden wir an das gegenüberliegende Hotely verwiesen. Dort könne man bestimmt ein Auto auftreiben. Fehlanzeige. Die zahnlosen Betreiber stehen völlig im Wald. Also zurück an die Straße und Daumen raus. Das nächste Auto hält. Zwei Chinesen schauen uns fragend an. Ich klemme mein THB hinter den Rücken und erkläre flehend den Notfall. Chinesisch gehört zwar nicht zu meinem Wortschatz, die Antwort lautet aber unzweifelhaft: Bien sûr Madame. Madame? Meint er mich? In diesem Zustand? Sofort rennt Rolf zu unserem Schleich-Brousse, steigt diesem aufs Dach und holt die Rucksäcke. Diese landen im Chinamobil, der Motor wird gestartet und eine rasante Weiterfahrt beginnt. Wir sitzen überglücklich hinter Vater und Sohn und können die Reise plötzlich wieder genießen.

Die Rettung

Die Rettung

Der Rest ist schnell erzählt: Das gute Auto übersteht die Anstiege röchel- und problemfrei. Überholmanöver sind zwar mindestens genauso spannend wie vorher, aber irgendwie auch notwendig. So kommen wir nun schnell voran. Es regnet, es ist neblig, es wird dunkel. Geschlagene sechs Stunden später kommen wir gegen 21:00 Uhr in Tana an und umarmen die beiden Chinesen aufs herzlichste. Wir werden unser Fugzeug erreichen! Ganz sicher, das hätten wir mit dem blöden Kleinbus nicht geschafft.

Zurück in der Heimat verfluchen wir den Patron und sein Hotel La Pirogue. Und zum Gedenken an unsere Retter gehen wir erstmals seit vielen Jahren chinesisch essen.

Adieu Madagaskar. Merci Beaucoup.

© Sarah Paulus, 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
20 Tage auf der viertgrößten Insel der Welt.
Details:
Aufbruch: 04.10.2008
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 24.10.2008
Reiseziele: Madagaskar
Der Autor
 
Sarah Paulus berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.