Mosambik und Malawi

Reisezeit: Juli - September 2008  |  von Peter Kiefer

Noch'n Bier - Quissico (Zavala)

Der Bus nach Norden ist auf halb sechs in der Frühe terminiert, trifft aber vor »Fatima's« erst eine gute Stunde später ein. Die Backpacker-Gemeinde ist aufbruchbereit, sie fahren alle an den Strand nach Tofo, auch da gibt's ein »Fatima's«. Wir dagegen werden in Quissico aussteigen, einer kleinen Provinzstadt, von der wir lediglich die Information besitzen, dass man eine schöne Aussicht auf eine Lagune hat und dass es dort in einiger Entfernung einen Campingplatz gibt.

Vom Palmwein beseelte Frau tanzt zu den Klängen einer Marimba

Vom Palmwein beseelte Frau tanzt zu den Klängen einer Marimba

Ehe der Bus Maputo ganz verlässt, macht er an einer der großen Sammelstellen Halt. Alle zuvor noch wahllos gestapelten Rucksäcke werden jetzt neu verstaut, Einheimische steigen zu, Straßenhändler strecken ihre Arme herein, bieten Getränke an, Hemden, Obst, Taschenlampen, Selbstgebackenes, tausend Kleinigkeiten. Es wird merklich enger im Bus, die Backpacker, durchweg aus Europa und den USA, wappnen sich reihum mit Kopfhörern, jeder versucht krampfhaft zu schlafen. Viel versäumt man tatsächlich nicht, denn vorläufig bestimmen Buschland und ein paar gesichtslose Ansiedlungen das Bild. Auffällig sind allenfalls die mit glänzenden Reklamelogos bemalten Hausfassaden. Der Deal ist: Ihr spart Verputz und Farbe, das erledigen wir, dafür strahlt nun alles mit unserem Namen. Es sind vor allem die Namen konkurrierender Mobilfunkanbieter. Kaum jemand könnte sich einen Festnetzanschluss leisten, aber eine Telefonkarte gibt es umgerechnet schon für weit weniger als einen Euro. Telefonieren ist fast zum Volkssport geworden. Allmählich verändert sich die Szenerie, wird abwechslungsreicher, kleine Märkte mit ihrem Angebot an Früchten und Gemüse tauchen auf. Bei jedem Stopp des Busses ist dieser binnen Sekunden von Händlern umzingelt, sie sind ein genauer Indikator für das, was in einer Gegend angebaut wird. Plastikbeutel, die an aufgestellten Astgabeln baumeln, signalisieren, dass man hier Cashew-Nüsse kaufen kann. In Mosambik, behaupten die Leute, gäbe es die besten auf der Welt. Sie sind vergleichsweise teuer, schmecken aber gut. Jemand, dem wir später welche davon anbieten, schüttelt nur den Kopf. Nein, sagt er, die würden überhaupt nichts taugen, man sollte lieber noch bis zum Dezember warten, dann seien sie richtig. Mehr und mehr Kokos- und Fächerpalmen, erste Rundhütten, die Palmen verdichten sich zu kleinen Wäldern. Quissico, von den Einheimischen meist Zavala genannt, ist dann allerdings nicht viel mehr als ein staubiges Nest mit einem schäbigen und lauten Hotel. Wir wollen, nachdem wir uns ein Zimmer angesehen haben, bestenfalls noch einen Kaffee hier trinken. Der lässt jedoch auf sich warten, weil kein kochendes Wasser vorhanden ist. Das kommt uns letztlich zupass, denn an der Bar taucht ein Weißer auf, ich habe einen positiven Verdacht und frage ihn, ob er wüsste, wie man zu jenem Campingplatz kommt. Oh, meint er, mein Stiefbruder ist zufällig der Eigentümer und ich kann euch nachher mitnehmen, wenn ich zurückfahre. Als er dann wiederkommt - er heißt Dennis - ist Leonard bei ihm, der Bruder. Beide sind Südafrikaner. Leonard ist untersetzt, kahlköpfig, hat eine Boxernase. Fast im Eiltempo schleppt er uns zu dem kleinen Markt der Stadt, wo wir ein paar Lebensmittel einkaufen, und dann fahren wir gemeinsam zu seinem Camp »Praia e Sol«, Strand und Sonne. Die Straße dorthin ist nicht breiter als der Pickup, auf dessen Ladefläche wir sitzen, und sie verdient kaum ihren Namen. Aber was gehen uns Herz und Sinne auf, als wir durch diese Landschaft fahren, vorbei an kleinen Plantagen mit Mais, Bananen, Kokospalmen, Cashewbäumen, Orangen, Tangerinen und vielem mehr, vorbei auch an Weilern, runden Hütten aus Lehmziegeln und Stroh, idyllisch eingefriedet, an grüßenden Menschen, ihrem breiten Lächeln, den bunten Frauen und den Kindern, die zu Leonards aufgedrehter Musikanlage Tanzbewegungen vollführen, schließlich entlang des schilfbewachsenen Ufers einer Lagune, auf der winzige Fischerboote fahren, und über die an einer schmalen Stelle eine eiserne Brücke führt. Der Sand wird immer tiefer, an einer Stelle ist er mit Kokosschalen gepflastert, schließlich erreichen wir den Campingplatz. Er breitet sich auf dem Rücken einer Düne aus. Für jedes Zelt, oder was man sonst mit hierher bringt, ist zwischen Bäumen und Büschen eine Stelle freigekehrt, daneben stehen jedes Mal ein Pavillon, ein Waschbecken, ein gemauerter Grill und davor ist ein hölzernes Schild mit dem Namen eines in Mosambik beheimateten Volksstammes angebracht. Auf unserem steht "Chidawo". Elektrisches Licht ist nicht vorhanden, Toiletten und Duschen sind ein Stück entfernt und es erfordert etwas Orientierungssinn sie in einer fast mondlosen Nacht zu finden. Auf ihrem Scheitel, ehe die Düne steil zum Strand hin abfällt, ist Leonard zu Hause. Wie soll man ihn beschreiben? Was einem auch zu ihm einfällt, er ist zugleich ein wenig das Gegenteil. Seine Kokainsucht, erzählt er uns, sei er vor ein paar Wochen los geworden, dafür ist er kaum einmal ohne Bierdose in der Hand anzutreffen, aus einer eingedrückten, mit einem zweiten Loch versehenen Bierdose raucht er Gras. Er war mal Boxer gewesen, dann war er DJ und gerade vor seiner angepeilten Hochzeit, die dieser Tage hätte stattfinden sollen, sei er von seiner Braut verlassen worden. Er ist ein widersprüchlicher Typ, aus nächster Nähe sicher schwer auszuhalten, dennoch großzügig, leicht zugänglich und voller Idealismus. Philip kümmert sich hier um ihn, er ist das (schwarze) Mädchen für alles, besorgt wie eine Mutter. Dennis, sein Stiefbruder, arbeitet in Zentralmosambik für ein Bohrprojekt, ist jünger als Leonard, kaum weniger genusssüchtig, aber kontrollierter und sicher verlässlicher. Er verbringt hier seine freien Tage und ist auf seiner weiten Herfahrt von einem jungen Simbabwer begleitet worden, einem der vielen, die vor der Diktatur in ihrem Land geflohen sind. Jarus heißt er und er erzählt Gruselgeschichten von Mugabe und Konsorten, Als ich ihm erzähle, dass man in einer Demokratie, die er sich wünscht, den Präsidenten öffentlich und unangefochten und in aller Schärfe kritisieren kann und niemand einem dieses Recht streitig machen darf, verrät seine erstaunte Miene, dass ihm das doch ein wenig zu weit geht. Karin und ich - beide immer angesprochen mit "you guys" - sind von Anfang an nicht einfach zahlende Gäste, sondern werden überall mit einbezogen. An diesem Abend wird Fleisch über dem offenen Feuer gegrillt. Leonard und Dennis pumpen sich mit großen Mengen Bier voll, rauchen ein paar Pfeifen und sind jetzt in der Stimmung sich ins Auto zu setzen und zum Strand hinunterzujagen. Karin und ich stehen anschließend mit Philip in Leonards Hütte und Philip nimmt jede der herumstehenden Bierflaschen in die Hand, sieht nach, wie viel noch an Inhalt verblieben ist, er will uns demonstrieren, dass Leonard regelmäßig den Überblick verliert. Und wo ist das gegrillte Fleisch? Niemand hat bis jetzt davon gegessen. Philip führt uns in die Küche, das Fleisch und der gewürzte Maisbrei, den er dazu gekocht hat - "pap" sagen die Südafrikaner dazu, "massa" die Mosambikaner -, sind noch unangerührt. Wir halten ein kurzes und unentschlossenes Mahl im Stehen. Am darauf folgenden Morgen sind Leonard und Dennis fast munterer als wir. Eine Fahrt zurück in die Stadt, ein paar Einkäufe, und weil das mit dem Kaffee schon wieder zum Problem zu werden droht (und weil wir anpassungsfähig sind), trinken wir mit den beiden erst mal ein kaltes Bier. Auf dem Weg zurück ein Halt vor einem prächtigen Baobab, dessen Stamm an einer Seite versehrt ist. Die Leute, auf deren Grundstück er steht, hatten versucht ihn abzubrennen. Leonard, der Naturschützer, hat ihn dadurch gerettet, dass er versprach gelegentlich mit seinen Gästen zu kommen und dann einen kleinen Geldschein dazulassen. Der Palmwein, den sie uns hier anbieten, schmeckt tranig-sauer. Leonard ist nicht der Einzige, der sich in dieser Umgebung eine Zukunft erträumt. Nils, dänischer Abstammung, hat eine Rosenfarm in Swasiland. Auf seinem hiesigen Grundstück direkt an der Lagune ist er im Augenblick mit dem Bau kleiner Chalets beschäftigt. Auch zu ihm sollen bald Touristen kommen. Als wir ihn kurz besuchen, schweißt er gerade eine Dusche zurecht. Er geht akkurat zu Werke, fast so, als müsse er das Gesellenstück eines Klempners liefern, spricht von seinen Plänen, etwa der Installation von Windspiralen in der Lagune zur Energieerzeugung, scheint ehrgeizig. Leonard hat ihn zu seinem Partner erklärt, bestimmt nicht ohne Eigennutz. Aber auch Leonard hat anderen etwas zu bieten. Er fährt uns zu einer Süßwasserquelle, die er angezapft hat und mit deren Wasser er verschiedene Haushalte versorgt. Er betreibt auch ein paar kleine Salinenpfannen, die nur wenige Meter neben dieser Quelle vom Meerwasser versorgt werden (jetzt sind sie leer). Dann düsen wir ein Stück den menschenleeren Strand entlang und besuchen Verona und Casper. Zunächst glaube ich, dass sie eine Farm betreiben, denn gleich am Eingang sind mit geradezu romantischer Akkuratesse Gemüsebeete angelegt, werden junge Bäume kultiviert. Aber der Eindruck täuscht, denn auch die etwas geschwätzige Verona und der stille, wohl ein bisschen versoffene Casper wollen eine Lodge aufbauen. Vieles ist noch Improvisation, muss es wohl auch sein, denn die beiden sind zusammen mit ihrer Tochter erst seit einem halben Jahr hier, sie wollen demnächst sogar wieder umziehen, Nomaden. In gewisser Weise auch Flüchtlinge. Davongelaufen sind sie vor dem gewalttätigen Alltag der südafrikanischen Städte, in diesem Fall Durbans, wo Casper als Polizist gearbeitet hat, Verona ebenfalls, sie war Verkehrspolizistin. Sie reden ihre Zukunft in Mosambik mit vielen inbrünstigen Worten herbei. Ein "Braai" wird zubereitet, Lieblingsbeschäftigung der Südafrikaner, Fleisch, Geflügel und Würste werden auf den Grill gelegt, brutzeln - und verschwinden wie am Abend zuvor nach einer Weile sang- und klanglos in der Küche. Als ich mich danach erkundige, erklärt Verona (wiederum wortreich), dass man nach ausreichendem Biergenuss sicher irgendwann das Bedürfnis habe zu essen und sich dann bedienen könne. Aber sie traut wohl ihrer Begründung nicht ganz und stellt mir kurz darauf ein Tablett auf den Schoß mit Huhn und etwas Drumherum und letzten Endes bin ich der Einzige, der an diesem Nachmittag etwas zu essen bekommt. Verona schenkt uns auch noch eine Flasche mit frisch gepresstem Kokosöl und lässt es sich, einmal über Küche und Kochen ins Schwadronieren geraten, nicht ausreden uns noch ein Glas mit Mango-Chutney zu schenken: Kriegt ihr nur bei dem und dem Inder und ich hab ja noch ein zweites Glas. Damit werden unsere Rucksäcke zwei Kilo mehr wiegen, macht aber nichts. Ich erkundige mich, was es hier für Tiere gibt, frage Casper. Er formt mit seinen Händen einen Kreis und sagt: Ungefähr so dicke Pythonschlangen, aber die seien bloß an jungen Ziegen und dergleichen interessiert. Und Paviane, zu Hunderten. Die tummelten sich da drüben in dem Wäldchen, das sich über den Hügel breitet. Sie seien allerdings sehr scheu. Der Tag endet - trunken. Erinnern kann ich mich jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, nur noch daran, dass wir - war's nicht Nils, der auch irgendwann kam und dann am Steuer saß? - durch den Urwald gebrettert sind, die Stimmung ziemlich ausgelassen war, dass wir zum Beispiel an einem Fußballplatz vorbeikamen, der keiner mehr ist, weil irgendein Verwaltungsorgan ein Häuschen genau auf den Mittelkreis gebaut hat, dass wir, nachdem wir wieder in unserem "Chidawo" angelangt waren, mit Leonard sicherheitshalber noch ein Bier tranken und dass dabei sein Hund Jack mit Nils' Hund Vasco kurzzeitig in Streit geriet, dabei meine Bierdose umgestoßen wurde und ich inzwischen pappsatt von diesem Tag (nicht von Veronas Braai) in meinen Schlafsack kroch bzw. kriechen wollte, dass das aber nicht so leicht war, weil die Milchstraße allein zu wenig Licht spendet und die Batterie der Taschenlampe so gut wie aufgebraucht, eine Kerze längst vom Wind ausgeblasen war und das Zelt ganz flach und schmal und so gut wie unauffindbar ist, auch wenn man daneben steht, egal, ich hab's irgendwann geschafft und wache am Morgen wieder mit dem Konzert der Vögel auf. Sie sind der Grund, warum ich das Aufstehen gerne ein wenig hinauszögere (es ist ja gerade mal halb sechs in der Frühe). Leonard und Dennis hupen schon bald wieder, wir können mitfahren in die Stadt. Dieses Mal kriegen wir sogar einen Kaffee, einen schlechten wie immer zum Einrühren, aber wir brauchen ihn jetzt. Kaum dass wir dann wieder zurück sind, eilen wir hinunter zu dem gelben Sandstrand, der endlos zu sein scheint und an dem, abgesehen von einer Anglerin und eben Karin und mir, weit und breit kein Mensch zu sehen ist. Karin ist auf Muschelsuche, ich bringe ein bisschen was zu Papier, ein kleiner Krebs beäugt mich dabei, verschwindet in seiner Behausung, kommt immer wieder hervor, ich bin ein Ungeheuer. Um die Mittagszeit tauchen am Horizont prustende Wale auf und etwas später kommt Leonard wieder angebraust und sagt, dass zwei Töpfe mit Fleisch bereit stünden - er ist auch ein leidenschaftlicher Koch. Wir lassen uns noch Zeit, ehe wir die Düne wieder zu ihm hinaufsteigen. Einige Leute aus der Bauverwaltung sind dort eingetroffen, vielleicht der Grund, warum er dieses Essen zubereitet hat, denn er will sie, erzählt er uns, davon überzeugen, dass es im Gegensatz zu gängigen Richtlinien besser ist anstatt mit Beton mit den vorhandenen Naturmaterialien zu bauen. Er will immer das Gute, das Verträgliche, aber dann versinkt auch dieser Tag für ihn irgendwann im Qualm einer Bierdosenpfeife und dem begeisterten Bericht über einen Erweckungsprediger. Leonard, ein Gottsucher, ab morgen wird er drei Tage fasten, sagt er. Dennis hat sich schon bald nach Einbruch der Dunkelheit schlafen gelegt: Er wird in aller Frühe zurück nach Tete fahren, ein Weg von ungefähr fünfzehnhundert Kilometern auf zum Teil abenteuerlich schlechten Straßen. Wir werden »Praia e Sol« ebenfalls verlassen und uns in nördlicher Richtung weiter die Küste entlang bewegen.

© Peter Kiefer, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nach sieben langen Jahren haben wir endlich wieder eine große Reise gemacht, haben wieder einmal das Gefühl genossen on the road zu sein und hatten eine Vielzahl anregender Begegnungen. Vor allem Mosambik hat uns bestätigt, dass Afrika wohl der freundlichste Kontinent auf dem Globus ist.
Details:
Aufbruch: Juli 2008
Dauer: circa 9 Wochen
Heimkehr: September 2008
Reiseziele: Südafrika
Mosambik
Malawi
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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