Le tour de Bénin

Reisezeit: Juli - Oktober 2007  |  von Julian Schwartzkopff

30.Juli - 5.August: Zweite Woche

Meine Zweite Woche in Benin ist nun zu Ende gegangen und langsam habe ich das Gefühl, mich richtig gut eingelebt zu haben. Besonders meine Gastfamilie ist einfach toll und kümmert sich rührend um mich. Am Besten fange ich an, indem ich mein Leben in der Familie Akplogan beschreibe.

Sie besteht im Kern aus zwei Personen: Pierre, meinem Gastvater, und Armel, seinem Sohn. Sie sind Kriegsflüchtlinge. Ursprünglich Beniner, sind sie vor dem Bürgerkrieg in der Cote d'Ivoire geflohen und haben alles verloren, was sie dort hatten. Der Eindruck, den ich anfangs hatte, hat getäuscht. Wohlhabend ist die Familie sicher nicht. Auch die Dusche ist kaputt, ich wasche mich jeden Morgen mit einem Eimer Wasser. Die beiden haben unzählige Brüder, Cousins, Onkel und Vettern, die regelmäßig am Abend vorbeikommen. Ich kann mir die ganzen Gesichter schon nicht mehr merken, und dass hier jeder "grand frère" genannt zu werden scheint, macht die Sache auch nicht einfacher.

Armel hat nach eigenen Angaben 5 (!) Freundinnen und hätte gerne noch 5 (!) mehr. Der Angeber. Außerdem arbeitet er gerne hart, ob in der Schule oder als Entlader beim Hafen von Cotonou. Ob da wohl ein Zusammenhang zwischen seinen Arbeitsdrang und Beziehungsverhalten besteht? Ich könnte es mir vorstellen, mir ist ja manchmal eine Freundin schon zuviel... Wie dem auch sei, er will einmal Zollbeamter oder Unternehmer werden, die verdienen am Besten. Das ist im Übrigen nichts Ungewöhnliches hier. Wenn man in Armut lebt, dreht sich nun einmal alles ums Geld. Wir verstehen uns sehr gut, er kocht ausgezeichnet und wir gucken abends immer fern und quatschen.

Armel und ich am Strand (schon mit neuer Frisur)

Armel und ich am Strand (schon mit neuer Frisur)

Pierre war früher Physiklehrer, jetzt ist er arbeitslos. Er plant, ein Händler zu werden, also gebrauchte Autos von Deutschland zur Elfenbeinküste zu schicken. Einer seiner Brüder ist schon im Business. Er betont immer, dass er mir alle Ecken von Benin zeigen würde, wenn er die Mittel dazu hätte. Er ist sehr stolz. Zaccharie (der Mann von Arlette, der aufmerksame Leser erinnert sich) hat mich neulich zur Seite genommen und mir nahegelegt, dass ich vielleicht ein Paar Lebensmittel einkaufen könnte, um ihn zu entlasten. Den Gedanken hatte ich auch schon gehabt. Ich finde es ohnehin krass, dass ich hier kostenlos wohnen darf, ich wäre ja auch bereit gewesen, etwas für den Monat zu bezahlen. Aber nein, dass würde Pierre nie zulassen. Schon, dass ich dann Lebensmittel eingekauft habe (Butter, Reis, Trockenmilch, Tee, Tomaten, etc.), war ihm sichtlich unangenehm. Ich habe versucht, mich rauszureden: Ich würde ja soviel Essen, deswegen sei es nur gerecht, dass ich auch etwas beitrage. Das hat ihn zwar sichtlich nicht überzeugt, aber mittlerweile ist er glaube ich trotzdem ganz dankbar. Ich will nun echt keine Last für die Familie sein.

Apropos Essen: Hier esse ich selbstverständlich echt afrikanisch, also meistens mit den Fingern. Das ist nur Gewöhnungssache, gar nicht so eklig wie man vielleicht denkt. Es steht auch immer eine Schüssel zum Händewaschen mit auf dem Tisch. Man muss allerdings aufpassen, nie mit der linken Hand in eine Gemeinschaftsschüssel zu greifen. Die ist nämlich für etwas ganz anderes vorgesehen. Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: In Cotonou benutzen die meisten Leute Klopapier. Aber auf dem Lande ist es wohl durchaus noch üblich, sich mit der Hand und-so-weiter... Wie auch immer, DIE Spezialität der beninischen Küche sind Pâtes. Das sind keine Nudeln, sondern eine Art Mehlkuchen oder Mehlpudding auf der Basis von Mais- oder Maniokmehl und Wasser. Optional können noch andere Zutaten beigemischt werden. Man kann sich eine typische Pâte wie einen festen, trüb-weißen Wackelpudding mit etwas mehligem Geschmack vorstellen. Reis oder gegrillte Bananen werden auch oft als Beilage gegessen. Dazu gibt es Soße, oft mit Tomaten, und eigentlich immer mit totem Tier oder Fisch. Ganz wichtig: Hauptsache scharf! Ich esse gerne scharf und habe mich bis jetzt noch von nichts abschrecken lassen, das mir vorgesetzt wurde. Unzählige Trainingsstunden in asiatischen Fast-Food Restaurants haben sich ausgezahlt.

Am Strand gibt oft es eine besondere Leckerei, die kühles Getränk und fruchtiger Snack in einem ist: Kokosnuss. Der Verkäufer hackt dabei zuerst beeindruckend routiniert mit einer rasiermesserscharfen Machete Typ Ruanda-Genozid den "Deckel" der Kokosnuss ab, so dass ein kleines Trinkloch entsteht. Jetzt wird der Saft ausgetrunken. (Nein, es handelt sich nicht um Kokosmilch. Diese entsteht, wenn der Saft mit püriertem Fleisch der Kokosnuss vermengt wird.) Dann wird mit zwei, drei gekonnten Schlägen die Kokosnuss der Länge nach gespalten, so dass man das Fruchtfleisch essen kann. Toll.

Diese Woche bei der Arbeit ist im Prinzip so verlaufen wie die Letzte. Ich habe an Meetings teilgenommen und mit Leuten geredet. Ich habe auch die Feindstiftung besucht. Das CAO hat nämlich eine Projektkooperation mit der Konrad Adenauer-Siftung: Die Sendung "Entre Nous". Das ist im Prinip eine Doku-Reihe über soziale Probleme und aktuelle Themen. Unter den strengen Augen Konrad Adenauers (ein sehr bedrohliches Bild hing an der Wand) haben wir also über die Themen der nächsten Sendungen diskutiert. Außerdem sieht es tatsächlich so aus, als ob ich nächste Woche Marino mit seinem Mikrokreditprogramm ins Terrain begleiten kann. Ich freue mich schon, endlich mal raus aus der drögen Stadt.

Die Mittwoch hatte ich frei. Der 1.August ist nämlich der beninische Independence Day. Ich habe den Tag mit Arlette, Zaccharias, Armel und Christian (noch einem anderen Freund) verbracht. Erst haben wir uns die Militärparaden im Fernsehen angeschaut. Die beninischen Würdenträger fahren übrigens alle Mercedes. Am Anfang marschierten Delegationen einiger Gastländer wie Frankreich oder Ghana. Deutschland war leider nicht dabei. Dann zeigte der benische Staat alles was er hat. Ordinäre Streitkräften wie Marine und Heer, dabei unzählige Unterabteilungen derselben, Zollbeamte, die Polizei mit all ihren Spezialeinheiten, die Feuerwehr, Delegationen von Militärschulen und Pfadfindern marschierten über eineinhalb Stunden lang an den wachsamen Augen Yayi Bonis (Monsieur le Président) vorbei, der immer etwas unbeholfen salutierte. Am Ende gab es dann noch zivile Paraden, z.B. für Moskitonetzhersteller. Auf mich wirkte das alles etas bemüht. Abschlossen wurde das ganze von einem riesigen, gelben, tanzenden Huhn. Das sei ein Fantom, wurde mir bierernst erklärt. Einen Kommentar über die Beine des "Fantoms", die aus dem Kostüm guckten, habe ich mir verbissen. Der Glaube an den Voodoo ist hier noch sehr stark und wird unbekümmert von Moslems wie Christen praktiziert. Der Monotheismus wird hier eher als unverbindliche Richtlinie empfunden. Wieder einmal bekam ich die beninische Gastfreundschaft mit voller Wucht zu spüren. Ich wurde geradezu vollgestopft mit Essen, am Ende gab es sogar Frisch geschnittene Ananas.

Nachher sind wir dann noch an den Strand gefahren, haben da ein bisschen rumgesessen und Kekse gegessen. Wir wollten Fotos im Meer machen, so vom Typ Wellen umspielen sanft die Knöchel, aber das Wasser wollte und wollte nicht kommen. Wir sind also immer weiter rein und haben ein paar Fotos gemacht. Dann war das Wasser aber plötzlich wieder da und umspielte ziemlich unsanft meine Hüfte. Mein Fotoapparat landete im Wasser und verschwand sofort in den Wogen. Mince. Nächste Woche werde ich mir einen neuen Apparat kaufen und dann nachträglich ganz viele Fotos reinstellen, versprochen. Jedenfalls haben wir das also gutes Omen gedeutet. Die Meeresgöttin hat ein Opfer gefordert, anstelle eines Menschenlebens. Vorige Woche sind nämlich wieder zwei Leute ertrunken, das Meer hier ist ziemlich gefährlich. Nach dieser Interpretation hat mein Fotoapparat also jemandem das Leben gerettet - vielleicht sogar mir! Juhu! Ähem, ja...

Das Wochenende war reichlich actiongeladen. Am Samstag hat mich Pierre zu einer beninischen Beerdigung mitgenommen. Ich gehe dort hin, das Bild einer typischen deutschen Beerdigung im Kopf, und wollte meinen Augen nicht trauen. Die Messe war schon rammelvoll, die Feierlichkeiten danach noch mehr. Solche Feste scheinen oft ein willkommener Anlass zu sein, die Verwandten wiederzusehen und sich auszutauschen. Die gesamte Großfamilie von sicherlich 400 Leuten war zusammengekommen! Dazu war das ganze noch sehr farbenprächtig, da jede Unterfamilie ihre eigene Gewandung hat - fast wie eine Uniform. Meine Familie trug eine meiner Meinung nach äußerst hässliche Kombination aus Neongrün, Neongelb und Pink. Ein ganzes Stadtviertel, ausgestattet mit dutzenden Tischen und hunderten Stühlen wurde okkupiert. Es gab jede Menge Musik, und mehre Gruppen zogen mit Percussion-Instrumenten und einem Bild der verstorbenen durch die Reihen, um Geld für die Finanzierung der Feier einzusammeln. Es gab reichlich zu Essen und Trinken. Genau genommen gab es vier Gänge. Mir wurde erklärt, das sei das Entrée, dies das Défensiv, jenes das Hors d'oevre. Meinem europäischen Gaumen kam das aber eher vor wie vier Hauptgänge. Ich dachte, ich müsse platzen. Nur, damit hier kein falsches Bild entsteht: Die Feierlichkeiten dauern meist eine ganze Woche, in der anfangs gebetet und getrauert wird. Ich habe nur die Festlichkeiten mitbekommen. Und es wird auch nur dermaßen gefeiert, wenn ein alter Mensch stirbt. Der vorzeitige Tod eines Verwandten ist kein Anlass für ein Fest.

Weil die Familien hier so groß sind, gibt es ständig Feste. Direkt danach war ich auf einer Feier anlässlich der Priesterweihe eines Verwandten, wo es genauso bunt und laut und auch kulinarisch ähnlich zuging. Nächsten Samstag werde ich zu einer Feier mitgenommen, wo eine Familie die andere offiziell um Erlaubnis bittet, ihren Sohn mit deren Tochter zu verheiraten. Bei diesen Festen handelt es sich jedoch auch um einen sozialen Zwang, den nicht alle Beniner als angenehm empfinden. Ich habe z.B. mit Marino vom CAO gesprochen und der hat seine Hochzeit im kleinen Rahmen gefeiert, genauso wie die Beerdigung seiner Schwester vor vier Jahren. Verwandte halten ihn deshalb für arm und man redet hinter seinem Rücken darüber, weil diese Feste auch ein bisschen da sind, um zu zeigen, was man hat. Das ist ihm aber egal.

Ich ende mit einem abrupten Cliffhanger: Mir ist etwas wirklich Schreckliches passiert, was aber leider erst im folgenden Kapitel seinen Platz hat. Bis nächste Woche dann.

© Julian Schwartzkopff, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Von Juli bis Oktober 2007 mache ich ein Praktikum bei der afrikanischen NGO Centre Afrika Obota (CAO). Das ist das erste Mal Afrika für mich, abgesehen von einer einwöchigen Clubreise nach Tunesien... Hier werde ich von meinen Erfahrungen berichten.
Details:
Aufbruch: 23.07.2007
Dauer: 3 Monate
Heimkehr: 22.10.2007
Reiseziele: Benin
Togo
Der Autor
 
Julian Schwartzkopff berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.