Sahara - Grenzfahrten zwischen den Welten

Reisezeit: November 2001 - Februar 2002  |  von Angelika Gutsche

Die Tuaregstadt Agadez

In Agadez erwartet uns das kleine, saubere Hotel "Telwar" mit heißer Dusche und einem Bett mit weißen Laken. Agadez besteht aus auf Sand gebauten, ebenerdigen Lehmhäusern, dazwischen neben der berühmten, im 12. Jahrhundert erbauten, alten Moschee von Agadez, die ein typisches Beispiel der sudanesischen Lehmarchitektur ist, der Sultans-Palast und der Palast von Kaocen, in dem heute das Hotel de l'Air untergebracht ist. Als Frankreich in den Jahren 1959/60 am grünen Tisch die Grenzen von Algerien, Mali und Niger festlegte, wandte sich der Sultan von Agadez zusammen mit Oberhäuptern verschiedener Tuareggemeinschaften schriftlich an General de Gaulle mit der Bitte um einen eigenen Sahara-Staat. Dieses Schreiben erreichte nie seinen Adressaten, sondern wurde von Mitgliedern des französischen Kabinetts an den damaligen Staatschef der Republik Niger, Diori Hamani, zurückgeschickt, der daraufhin den Sultan von Agadez verhaften und im Gefängnis sterben ließ.

Wir besuchen den Großen Markt und drängeln uns durch die Verkaufsbuden. Hier gibt es alles, was das Tuareg-Herz begehrt: Kamelsättel, Satteltaschen, Sandalen, Messer und Schmuck. Das berühmte "Kreuz von Agadez" erstehen wir bei Mohammed, dem Silberschmied, der uns stolz deutsche Zeitungsausschnitte zeigt, auf denen er im Historischen Museum Speyer bei der Demonstration seines Handwerks abgebildet ist. Mohammed hat auch schon in München ausgestellt und möchte das im nächsten Sommer wieder tun. Verschiedene Tuareg-Kreuze stehen zur Auswahl: unter anderem das Kreuz von Gall, das Kreuz von Tahoua, das Kreuz von Bilma. An der Form und den Details der Schmuckstücke ist ersichtlich, aus welcher Gegend der Träger stammt. Neben diesen Kreuzen hält Mohammed auch wunderschöne Halsketten, Halsreifen, Armbänder, Ohrringe und Broschen aus echtem Sterlingssilber feil.

Auf dem Kamelmarkt werden auch Zeburinder mit ihren riesigen langgeschwungenen Hörnern, Esel, Ziegen und Schafe zum Kauf angeboten. Rex, der hier große Aufmerksamkeit erregt, geben wir im Tausch gegen die gebotenen zwei Kamele nicht her! Es wird viel gebettelt und in Ermangelung von Kleingeld, das einem hier systematisch vorenthalten wird, fallen die Almosen häufig höher aus als angebracht. Auch im Hotel sind "cadeau" begehrt. Eine Hausdame klärt mich, während sie das Zimmer reinigt, über Probleme auf, die das Frausein hier mit sich bringt: Verhütungsmittel seien zwar zu bekommen, aber sehr teuer. Ein großes Problem stelle die Versorgung mit Hygieneartikeln dar. Falls sie überhaupt angeboten würden, dann zu unerschwinglichen Preisen. Das kann ich mir gut vorstellen, denn auch wir haben schon die Geschäftstüchtigkeit der Tuareg, die zuweilen in Geldgier ausartet, zu spüren bekommen.

Bei Vollmond, mit Blick auf die alte Moschee, umweht von einem angenehm kühlen Lufthauch, nehmen wir ein passables Abendessen, Kuskus mit Lamm, serviert von einem entzückenden jungen Targi, auf der Terrasse des Hotels de l'Air ein. Auf dem Rückweg zum Hotel verirren wir uns in der Dunkelheit in einem Gewirr von Gassen. Es gibt keine elektrische Straßenbeleuchtung, nur in den Innenhöfen der Häuser brennen kleine Petroleumfunzeln. An den Ecken stehen dunkle Gestalten, die in den flackernden Lichtscheinen unheimlich und gefährlich wirken. Ich habe das Gefühl, wir entfernen uns immer mehr vom Zentrum und die Gassen und Hinterhöfe werden immer dunkler. Rex als Begleiter ist ein echter Schutz. Als Hellmut einen älteren Mann anspricht und nach unserem Hotel fragt, dieser sich sogleich anbietet, uns dorthin zu bringen, die Ecken und Gassen dann noch dunkler werden, bekomme ich wirklich Angst. Wie einfach wäre es, uns jetzt von hinten eins überzuziehen! Aber der Alte erweist sich als rettender Engel. Er liefert uns sicher vor dem Eingang zum Hotel ab und freut sich sichtlich über das vor lauter Erleichterung sehr üppig ausgefallene Trinkgeld. Dass Agadez kein ganz ungefährliches Pflaster ist, erfahren wir einige Wochen später. Eine Touristin wurde auf offener Straße gezwungen, ihren Geländewagen anzuhalten, auszusteigen und die Autoschlüssel abzugeben. Unterstrichen wird diese Forderung durch Schüsse in den Boden. Ein typischer Fall von car-jacking. Wurden früher Karawanen überfallen und beraubt, so müssen eben heute ab und an ein paar Touristen daran glauben.

Agadez ist staubig und schmutzig und voller Gegensätze. Es gibt nur eine geteerte Straße, Abwässer und Afalll landen auf der Straße. Kinder suchen auf den Müllkippen nach noch Verwertbaren. Auf den Straßen fahren neben den Kamelen und den mit Emigranten überladenen LKWs feinste Luxuskarossen. Die Läden bestehen aus einfachen Bretterbuden, drinnen werden neben allen Artikeln des täglichen Bedarfs modernste HiFi-Geräte und Computer angeboten. Wohlhabende Targi, die in großen Häusern wohnen und in deren Wohnzimmern modernste Kommunikationstechnik benutzt wird, haben in den Innenhöfen Zelte aufgeschlagen und ziehen es vor, abends mit ihren Familien dort am Lagerfeuer zu sitzen. Die unverschleierten und attraktiven Frauen wirken selbstbewusst. Es gibt gut ausgestattete Safari-Unternehmen, daneben werden auf Matten sitzende Kinder in Koranschulen unterrichtet.

Straße in Agadez, im Hintergrund die Moschee

Straße in Agadez, im Hintergrund die Moschee

Zeburind am Markt von Agadez

Zeburind am Markt von Agadez

© Angelika Gutsche, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Auf den Spuren der Tuareg durch die Sahara: eine Abenteuerreise durch Algerien, den Niger und Mali.
Details:
Aufbruch: 05.11.2001
Dauer: 3 Monate
Heimkehr: 10.02.2002
Reiseziele: Algerien
Niger
Mali
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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