MITTENDRIN IN AFRIKA

Reisezeit: Juni 2007  |  von Uwe Decker

Einmal im Leben

Parque National des Volcans, 13. Juni 2007

Jeden Morgen vollzieht sich im morgendlichen Nebel der Virunga Vulkanberge ein merkwürdiges Schauspiel. Ein paar Dutzend westlich aussehende Besucher versammeln sich dort, werden in Gruppen eingeteilt und schwärmen, begleitet von ein paar Einheimischen aus, wandern, kriechen und klettern durch üppige Vegetation und dichte Bambuswälder, schauen sich dann etwa eine Stunde lang ein paar zottelige Wesen an und wenn sie, zerstochen von Moskitos und zerkratzt von dornigem Gestrüpp ziemlich k.o. in ihre Hotels zurückkehren, werden sie erzählen, dass dieses eines ihrer bewegendsten Erlebnisse überhaupt gewesen wäre. Am Nachmittag des 13. Juni 2007 werde auch ich zu diesen komischen Gestalten gehören. Aber der Reihe nach.

Um 5.30 Uhr sitze ich bereits am gedeckten Frühstückstisch. Besondere Tage erfordern besondere Aufstehzeiten. Und heute ist ein besonders besonderer Tag, auf den ich schon lange hingefiebert habe: wenn nichts schief geht werde ich in einigen Stunden einigen der letzten, stark vom Aussterben bedrohten Berggorillas dieser Erde gegenüberstehen, von denen es nur noch ca. 700 gibt und die nur noch hier, am Fuße der Vulkanberge im Dreiländereck Uganda, Ruanda und Kongo leben.

Um 6 Uhr kommt Francis, mein Fahrer. Um den Transport zum Hauptquartier des Nationalparks muss man sich als Einzelreisender selbst kümmern, dafür entfallen die horrenden Gebühren der Pauschalveranstalter für entsprechende Pakete. Ist sowieso schon alles teuer genug. Die 12 Kilometer bis Kinigi waren früher beschwerlich und nur mit 4x4 zu bewältigen. Seit neuestem ist die Straße asphaltiert und die Fahrt ist kurz.

Wir sind nicht die ersten, trinken einen Kaffee und sehen wie immer mehr Touris eintreffen, überwiegend Amis, oft in schicken Jeeps mit schicker Wanderausrüstung. Da kann ich nicht mithalten, meine Stiefel und Hose sind von Aldi, erst kürzlich erworben, erfüllen aber ihren Zweck auch bestens.

Die Guides werden noch gebrieft,

dann nehmen sie vor Schildern mit dem Namen der Gorillafamilien Aufstellung, und der Manager vom Ganzen geht durch die Reihen der Touris und weist jedem eine Family zu. Ich bin einigermaßen überrascht. Es sind statt wie erwartet fünf, an Menschen gewöhnte derzeit sogar sieben Familien zu besuchen. Des Rätsels Lösung: eine der ansässigen Gruppen, die Groupe Treize, Gruppe 13, ist zu weit weg gewandert. Eine andere Gruppe hat sich gespalten, d.h. ein Silberrücken hat mit ein paar Weibchen eine eigene Familie gegründet, und zwei sind aus dem Kongo herübergekommen.

Ich werde der Hirwa Gruppe zugewiesen, mit mir sieben andere Touris, alles Amis. Unser Führer ist Francois, ein lustiger untersetzter Typ.

Zunächst geht es mit den Fahrzeugen zum Ausgangspunkt des Tracks, auf Wegen, von denen man kaum glauben sollte, dass die motorisiert zu bewältigen wären. Für meinen Pickup mit Allrad sind sie es zu guter Letzt auch nicht, Richard muss aufgeben und ich steige in einen dieser schicken Jeeps um.

Dann geht es zu Fuß über Wiesen und Äcker nach oben, dorthin wo der Bambuswald anfängt. Bevor wir ihn betreten, gibt uns Francois einige Verhaltensmaßregeln. Die wichtigste: der Abstand zu den Gorillas muss mindestens 7 Meter betragen. Ok, das wissen nun wir Besucher, aber wissen das auch die Gorillas ?

Francois gibt die ungefähre Zeit bis zum Auffinden der Gorillas mit eineinhalb Stunden an. Späher sind vorausgeeilt, um uns besser leiten zu können und stehen mit Francois in Sprechfunkverbindung. Einige Träger sind noch dabei, die die Rucksäcke derjenigen tragen, die sich beim Marsch nicht damit belasten wollen. Außerdem werden alle Tracks von bewaffneten Soldaten begleitet, zum Schutz beim eventuellen Zusammentreffen mit Wilderern oder wilden Tieren, oder auch mit Leuten wie der Interahamwe, die sich immer noch vereinzelt in den Wäldern verstecken. Der Kongo ist nicht weit und dort treibt sich allerlei Gesindel herum.

Wir marschieren durch manchmal dichten, manchmal lichten Bambuswald stetig bergauf. Während der Pausen erzählt uns Francois allerlei zu den Gorillas, deren Verhaltensweisen, ihren Gewohnheiten. Es dauert ca. 1 Jahr, bis sich die Gorillas an die einzelnen Guides gewöhnt haben. Man fängt an mit zehn Minuten langen Besuchen und verlängert stetig die Aufenthaltszeiten. Dabei lernen die Guides auch die Gorillasprache und -gestik, können sich mit ihnen verständigen oder wissen zumindest, über was sich die Gorillas "unterhalten". Francois zeigt uns auch, was die Gorillas fressen. Ihre Lieblingsspeise ist Sellerie (zumindest darin unterscheide ich mich von ihnen ...). Und z.B. wie sie Blätter von Pflanzen mit spitzen Dornen lösen, um sich nicht dabei zu verletzen. Schließlich stopft er sich auch alles in den Mund und verschlingt es. Francois, unser erster (Beinah-)Gorilla.

Der Marsch durch den Bambuswald ist ideal getimt. Nicht zu lang, um nicht zu erschöpft zu sein, wenn man auf die Gorillas trifft, nicht zu kurz um eine gewisse Spannung aufzubauen zu können, wann denn nun der Moment des Zusammentreffens kommen wird.

Nach tatsächlich etwa 90 Minuten müssen wir die Rucksäcke zurücklassen und dürfen nur mit Fotoapparat "bewaffnet" weiter. Ich bin zu dem Zeitpunkt der Letzte in der Gruppe und wundere mich, dass die anderen weiter vorne stehen bleiben.

Nie werde ich diesen Moment vergessen. Ich schaue mich um und sehe ein schwarzes Etwas schräg neben mir, ein Gorilla-Weibchen, sieht im ersten Moment wie ausgestopft aus. Wir hocken uns nieder und sehen hinter ihr den Boss der Truppe. Die Hirwa-Gruppe besteht aus 10 Mitgliedern, Muninja heißt der Silberrücken. Er ist 25 Jahre alt, ca. 1,85 Meter groß und 200 Kilo schwer. Weiterhin gibt es 5 Weibchen und 4 Babies, eines gerade 2 Wochen alt. Sie hocken in recht dichtem Unterholz, drei Weibchen sind zunächst nicht sichtbar. Die Babies sind drollig und spielen die ganze Zeit herum, machen Kletterübungen, allein, zu zweit, plumpsen manchmal ins weiche Moos, rollen Früchte vor sich her und betrachten uns komische Wesen mit großen, neugíerigen Augen. Klar, dass sie in diesen Momenten nicht an die 7-Meter-Regel denken. Auch wir nicht, und irgendwann scheint es Muninja an der Zeit, zu zeigen wer hier der Boss ist. Er springt auf und kommt auf uns zu gestürzt um kurz vorher abzudrehen. Ich schieße noch kurz ein Foto von dem "Angriff" und ducke mich dann hinter der Dame vor mir. Soll die doch besser seine Wut zu spüren bekommen als ich.

© Uwe Decker, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
- im Afrika der Großen Seen - 23 Tage allein durch Kenia, Uganda, Ruanda, Kongo
Details:
Aufbruch: 02.06.2007
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 26.06.2007
Reiseziele: Ruanda
Kenia
Uganda
Kongo / Demokratische Republik Kongo
Der Autor
 
Uwe Decker berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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