Heilige Kühe und GoGo-Girls

Reisezeit: Januar - Juli 2004  |  von Ralf Knochner

uttaranchal: am rande erzählt

das wunder von almora
mir war mein superduper mp3cd-player zu boden gefallen. nicht fest, denn im letzten moment habe ich noch die hand darunter bekommen, aber immerhin. bei nächster gelegenheit habe ich natürlich gleich ausprobiert, ob noch alles passt. der ersten erleichterung folgte die ernüchterung. ja, bis zu ungefähr einem drittel der cd spielt er alles problemlos, dann bleibt er abrupt stehen! hiiiiiilllllffffeeee!!!!!! ohne musik, meine ganzen cd's nur noch bis lied 30 oder 40 hörbar!!! ok ralf, gaaaanz ruhig, es gibt sicher eine lösung. wir sind zwar in indien, auf 1900 m in einer absoluten kleinstadt ..... huhuhuhuuuuuuu, schluchz. nachdem die ersten tränen getrocknet waren, machte ich mich auf den weg durch die stadt und der erste laden, den ich betrat, war ein computershop. ich dachte, dass die leute hier vielleicht jemanden kennen, der sowas reparieren kann. und da sah ich ihn .... nein, nicht gott .... den ladenbesitzer ... er reparierte gerade ein handy. wer sowas kann, der kann auch andere sachen. tatsächlich, er konnte. gemeinsam machten wir den player auf und der fehler war genau der, den er vorher schon beschrieben hatte: der laser hatte sich ein wenig verschoben. die schrauben waren absolut minimini, aber er hatte das werkzeug. na was soll ich sagen, das denkmal hat er abgelehnt, mein geld natürlich nicht. ich bin ihm zu ewigem dank verpflichtet.

der retter in der not.

der retter in der not.

der einzigartige mr. shah

mr. shah.

mr. shah.

mr. shah, eigentümer und manager des kailash-hotels in almora, 85 jahre alt. zum glück bin ich dort nicht abgestiegen, denn die räume sollen zwar interessant dekoriert, aber schmutzig sein, wie auch die gemeinsamen toiletten. aya, eine israelin (s. voriges Kapitel), ist deswegen zwei tage dort nicht aufs klo gegangen.
aber er ist schon ein original. er spricht gut englisch und unterhält sich gerne mit seinen gästen. von ihm habe ich zum ersten mal etwas von "madwa" gehört, dem schwarzen getreide aus dieser gegend, dass sehr gesund sein soll. und er erzählt auch gern von seiner zeit in der kongresspartei. einmal stellte er indira ghandi die frage, warum die korruption und die bestechlichkeit in indien solche ausmaße angenommen hätten. sie gab ihm 100 rs und bat ihn, die frage zu vergessen ..... hehehehe ..... ne, spaß beiseite, das war meine antwort. was er dazu weiter erzählt hat, habe ich nicht ganz verstanden und wir wurden sowieso unterbrochen.
ein weiteres merkmal des hotels - und damit von herrn shah - sind zum einen die langen wartezeiten bei bestellungen und vor allem aber die schwankende menge der darauf folgenden lieferung. so kann eine halbe kanne tee entweder 6 tassen ergeben oder 2, aber er besteht in jedem fall darauf, dass das eine halbe kanne ist. ich habe auch mal einen tee bestellt und nach einer halben stunde zum ersten mal nachgefragt. "ja, ja ... kommt gleich" und dann hat er weitererzählt. nach einer weiteren halben stunde habe ich erneut - äußerst höflich - nachgefragt, worauf er antwortet: "ich habe erwartet, dass sie nachfragen werden". großer lacher am tisch und ich dachte so bei mir: "na prima und ich habe einen tee erwartet". er erklärt dann, seine frau hätte gerade im moment meiner bestellung mit den abendgebeten begonnen und das dauere nun mal. was will man da noch sagen?

meine israelischen freunde fürchteten schon die zeit der schlussrechnung, denn auch damit nimmt es mr. shah angeblich nicht so genau, aber immer zu seinem vorteil. sie wurden enttäuscht. er drückte ihnen einen stift und einen block in die hand und bat sie, ihre rechnung selbst zu schreiben.
ja, das ist mr. shah.

ich mache mich unbeliebt
1. ich bin ein netter mensch (meistens wenigstens) und denke auch an andere
2. ich bin mobil
3. mir ist manchmal langweilig
4. tja, und wenn letzteres der fall ist, dann schnappe ich mir mein motorrad und fahre vor ort die unterkünfte ab. daraus mache ich dann eine liste, vielleicht sogar eine kleine karte, um alles zusammen an die herausgeber eines reiseführers zu schicken. die nächsten besucher werden es dann einfacher haben.

genau das habe ich auch in kasar devi gemacht. die besitzer der unterkünfte sind meistens hocherfreut und freundlich, wenn auch manche nicht immer verstehen, was ich da eigentlich genau mache (wobei ich das vorher schon versuche zu erklären). sind alle zimmer belegt, versuche ich mit einem der bewohner zu sprechen. auch hier sind die meisten sehr freundlich, einige bedanken sich sogar und laden mich auf einen tee ein.

in einem kleinen ort spricht sich das anscheinend recht schnell herum und schon am selben nachmittag spricht mich ein engländer an. lange dreadlocks bis zum arsch und ein wenig abgefuckt angezogen, ein überbleibsel aus der hippizeit und das hier meine ich noch nicht böse. aber er ist offensichtlich böse auf mich und fragt mit aggressivem unterton, ob ich für den lonely planet arbeite. ich anworte wahrheitgemäß mit "nein, aber ich mache was ähnliches". ich solle mir doch überlegen kasar devi auszulassen, denn sonst würden die ganzen backpacker kommen und hier alles verderben. man könne an anderen orten sehen was passiert.

ja, da hat er irgendwie nicht ganz unrecht und ich kann einen kurzen anflug von symphatie nicht verdrängen. aber er kann eigentlich unmöglich die horden junger israelis übersehen haben - es ist also sowieso zu spät. aber auch grundsätzlich stellen sich mindestens zwei fragen:
a) spricht er in seinem eigenen interesse oder im interesse der anwohner? und
b) sind rucksackreisende schlechtere menschen als er?
die antwort auf frage b) ist fast obsolet: nein, natürlich nicht, vielleicht sogar unter bestimmten gesichtspunkten im gegenteil und das bringt mich prompt zu a). gerade hier in dieser abgelegenen gegend sind arbeitsplätze dünn gesät, industrie gibt es nicht. der tourismus ist, neben all seinen schädlichen auswirkungen, für manche familien eine gute, vielleicht sogar die einzige möglichkeit geld zu verdienen. das sollten insbesondere menschen aus reichen ländern verstehen, die zwar gerne die besserwissenden mahner spielen, aber ansonsten nicht nur in ihren eigenen ländern weit schlimmeres für geld anstellen. zumal können die anwohner der orte auch selbst entscheiden und sind nicht deshalb schon dümmer, nur weil sie in einem entwicklungsland wohnen. fast überall wo ich angefragt habe wurde an- oder ausgebaut. das ist doch schon mal eine antwort. für die meisten einheimischen gilt: ein guter tourist bleibt eine weile und gibt ein wenig geld aus, ein sehr guter tourist bleibt nicht ganz so lange, gibt aber noch mehr geld aus.
ich komme also zu dem schluss, dass der gute mann da vor mir mehrheitlich seine eigenen interessen vertritt. er sucht ruhe und ein billiges leben mit seinem westlichen geld, vergisst aber dabei, dass auch er nur tourist ist. ich habe ihm versucht zu erklären, dass mit menschen wie ihm die erste veränderung in einem ort beginnt und er, wenn er wirklich eine kultur, einen ort schützen will, selber auch nicht hingehen sollte. er hat mich aber nicht ausreden lassen und meinte "leute wie ich wären das ende jeden ortes"! abgesehen davon, dass ich glaube übleres als mich gesehen zu haben, war das nicht gerade die feine englische art. aber das schlimmste war, dass er wutentbrannt abgezogen ist und ich nicht mehr antworten konnte. das war wirklich gemein und macht mich böse:

da sitzt man also in indien und muss sich von jemandem beleidigen lassen, dessen vermutlich größter beitrag für eine sozialgemeinschaft ist nicht in ihr zu leben.
der typ erinnert mich an die traurigen gestalten in großstädten, die irgendwann ungefragt in der u- oder straßenbahn aufstehen und ihre ansprache mit "guten tag meine damen und herren" beginnen.
ich hätte ihn aber auch fragen können, ob schlechter geschmack in kleidungsfragen in irgendeiner art schutz bietet gegen die unwägbarkeiten des lebens.

gut, genug davon, er hört es ja sowieso nicht mehr. und schlussendlich bin ich ja auch nicht nachtragend, eeeehrlich. am nächsten tag hätte ich ihn trotz allem freundlich gegrüßt. leider habe ich ihn nicht mehr wiedergesehen ..... vielleicht ist er gleich weitergezogen ...... wahrscheinlicher ist aber, dass er stark bedröhnt in irgendeiner höhle lag, mit sabber am kinn, aber glücklich lächelnd .....

mohan's cafe
ein sehr gut gelegenes cafe in kasar devi mit allem, was touristen ab und an brauchen. internet, telefon, frisches brot, kuchen und viele importierte lebensmittel. ich habe - huhuhuschluchz, ich gestehe unter tränen - ein glaß nutella gekauft. sooo, und abgesehen davon gibt es sogar eine bücherei, ja wirklich ...... toll! essen gibt es auch, unter anderem echte italienische nudeln. die innenausstattung gehört zum geschackvollsten, was ich bisher in indien gesehen habe (der standard ist diesbezüglich aber sehr, sehr niedrig) ..... super!
aber wir wären nicht in indien, wäre da nicht ein haken - die wartezeit.
als ich mohan's cafe das erste mal betreten habe, war es die zeit des abendessens und ich setzte mich an einen tisch und wartete. ich wartete. einige angestellte gingen an mir vorbei und schauten mich fragend an. mmmmhh, was mag man wohl wollen, wenn man zu dieser zeit ein lokal betritt? diese frage scheint so schillernd und abgründig, dass man sie jeden tag aufs neue ausloten muss. vielleicht die speisekarte? sie wird offenbar in sicherem gewahrsam gehalten und bis man sie daraus geborgen hat - das dauert. nein, sie ist gar nicht versteckt - es gibt keine .... zumindest keine gedruckte ..... die ganzen geriche stehen vorne neben der eingangstür an der wand. gut, da hätte ich auch darauf können kommen, gibt es öfters in indien, aber nicht mit der einrichtung und in der preisklasse. auch hätte einer der angestellten was sagen können. na gut, schwamm drüber. ich bestelle also nudeln und was zu trinken. kein problem, kommt gleich. und prompt stand nach einer guten halben stunde mein getränk auf meinem tisch. nach knapp über zwei stunden (was habe ich eigentlich die ganze zeit gemacht?) hing mir mein magen in den knien und ich kauerte über dem tisch wie ein mongole über der feuerstelle. gerade wollte ich aufstehen und mal "zärtlich" nachfragen, da kam der ober mit den nudeln. ich könnte schwören, er hat hinter der türe solange damit gewartet, bis er mich hat aufstehen sehen. die nudeln waren allerdings spitze, aber nach der zeit hätte ich auch trocken brot mit genuss verschlungen. zuerst dachte ich, das wäre eine ausnahme gewesen, aber anderen ging es genauso und ich war noch zweimal dort - genau das gleiche spiel, auch mit dem ober. ich habe manchen tourist gesehen, der versucht hat, dem sehr netten besitzer verständlich zu machen, dass das essen ein wenig schneller kommen muss, aber hinter dem freundlichen lächeln des besitzers steht der schlichte gedanke: das hier ist indien. mit der hektik des westlichen kapitalismus wollen wir nichts zu tun haben. wir leisten widerstand!

müsli
ich bestelle müsli zum preis von 40 rs (das ist für indische verhältnisse schon recht teuer, aber außer touristen isst wahrscheinlich niemand müsli und an diesem tag wollte ich mir mal was anderes gönnen):

kellner: mit milch oder mit joghurt?
ich: mit milch.

das müsli wird gebracht, es mundet. die rechnung folgt später, aber ich habe ein verständnisproblem:

ich: warum steht auf der rechnung "müsli 40 rs" und "milch 10 rs"? wird die milch extra berechnet?
kellner: ja.
ich: das sehe ich, aber warum? da könnte man ja gleich "müsli mit milch für 50 rs" hinschreiben.
kellner: das würde aber vielleicht zu teuer wirken.
ich: das kommt doch aufs gleiche raus.
kellner: aber müsli ist teuer!
ich: mir geht es ja auch nicht um den preis, aber müsli kann doch nicht trocken gegessen werden.
kellner: aber wenn sie müsli in einem geschäft kaufen, dann ist auch keine milch dabei.
ich: stimmt, aber dies ist ein restaurant.
kellner: aber müsli ist teuer.
.........

© Ralf Knochner, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
. := Auf einer Enfield Bullet durch den Norden Indiens := . . Den zweiten Teil der Reise findet ihr in der Rubrik Südostasien/Laos unter "Dauerlächeln und Bombenstimmung - der Fortsetzungsroman in Südostasien". Bis jetzt ist erst der Teil über Laos fertig, Kambodscha folgt noch.
Details:
Aufbruch: Januar 2004
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 18.07.2004
Reiseziele: Indien
Jaipur
Udaipur
Jaisalmer
Leh
Der Autor
 
Ralf Knochner berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Ralf sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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