Heilige Kühe und GoGo-Girls

Reisezeit: Januar - Juli 2004  |  von Ralf Knochner

himachal pradesh: am rande erzählt


das geschenk
bücher sind in indien unter reisenden sowas wie eine zweitwährung. da ich noch ein deutsches buch habe (böll) versuche ich deutsche anzusprechen um mit ihnen zu tauschen. das pärchen aus berlin hatte ich gerade entdeckt, es stellt sich aber raus, dass er gerade erst mit dem flieger angekommen war. bücher hatten sie keine zu tauschen, aber er hatte aus dem flugzeug einen "spiegel" mitgenommen, eine woche alt. "ruhig bleiben ralf und die begeisterung nicht offen zeigen, das treibt den preis hoch." aber sie schenken mir das gute stück, ich bedanke mich artig und laufe mit meiner beute geradewegs in mein zimmer, wo ich darüber herfalle wie hitler über polen. in zwei stunden bin ich durch und komme mir vor wie ein süchtiger, der seinen ganzen stoffvorrat auf einmal aufgebraucht hat.

jungenkampf in rampur
da sitze ich also mit meiner melone auf den stufen eines geschäftes in rampur und esse. wie immer werde ich dabei von einem halben dutzend inder angestarrt. daran gewöhnt man sich. drei kinder kommen zu mir und halten mir schüsseln vor die augen. in den schüsseln liegt unter öl (?) ein wenig kleingeld. sie sagen was in hindi, aber ich verstehe sie nicht. da ich kindern prinzipiell kein geld gebe, biete ich ihnen jeweils ein stück melone an, das wollen sie aber nicht. na gut, dann gibt es eben nichts. nach ein paar minuten des wartens geben sie auf und gehen die stufen zum geschäft hoch. ich weiß nicht genau was sie dort wollten, ich glaube ein wenig wasser. gerade als sie das geschäft wieder verlassen schaue ich zufällig hoch. der junge, mit vielleicht zehn der älteste der geschwister, geht als letztes aus dem geschäft. kurz bevor er die erste stufe betritt, stellt ihm ein anderer junge, der offensichtlich in dem geschäft arbeitet, ein bein. ersterer fällt die treppe runter, scheint sich aber nicht verletzt zu haben. der andere steht oben auf den stufen und grinst abfällig. ich überlege mir, ob ich dem kleinen arschloch da oben eine scheuern soll oder ob sich vielleicht jemand anderes findet, der das macht. als gast in diesem land möchte ich mir ungern anmaßen für ein wenig gerechtigkeit zu sorgen. ich bin noch am überlegen, als das opfer die treppen raufrennt und der kampf beginnt. wem ich die daumen drücke ist klar. gerade als mein favorit die oberhand gewinnt werden die beiden getrennt. schade.

so ist das leider in indien. der eine junge ist offenkundig arm, der andere ein bisschen wohlhabender. deshalb kann er sich solche sachen rausnehmen ohne angst vor bestrafung haben zu müssen. manchmal ist indien zum kotzen.

was haben wir gelacht
diese nacht habe ich mein zimmer mit einem israeli geteilt, der gebeten wurde den schlafsaal wegen der ankunft einer schulklasse zu verlassen. freundlich wie ich nun mal bin habe ich ihm das zweite bett im zimmer angeboten. gut gelaunt komme ich früh morgens aus meinem zimmer in sarahan.die sonne scheint und ich gehe runter in richtung büro des managers. ein paar unbekannte männer warten dort. ich geselle mich zu ihnen. ein mann in meinem alter, ich hatte ihn wie gesagt noch nie vorher gesehen, fragte: "and .... did the israeli give some enjoyment to you in the night?" (kurz die vulgärübersetzung: hast du mit dem israeli in der nacht ein wenig spaß gehabt?). ich bin, das kann jeder bestätigen der mich kennt, nicht prüde, aber das geht dann doch ein wenig weit, zumindest in der früh um halb sieben. ich frage noch mal nach in der hoffnung mich verhört zu haben. nein, er wiederholt den satz nochmal und grinst dazu blöd. ich weiß nicht mehr genau was ich ihm gesagt habe, aber höflich war es nicht. schließlich hat er sich davongetrollt. ein verhaltenstherapeutisches seminar mit dem titel "wie verhalte ich mich gegenüber fremden menschen", wäre das nicht ein vielversprechender erster schritt du depp.
die indische gesellschaft ist manchmal schon ein wenig arg sexualisiert, aber nicht so wie unsere. bei uns muss man sich von plakaten mit nackten menschen belästigen lassen und fast alle produkte werden über die sexschiene angeboten. in indien existiert sex in der öffentlichkeit so nicht, aber unterschwellig ist es vermutlich thema nummer eins. offenkundig haben auch zehn jahre in indien diesbezüglich nicht viel verändert. noch immer vermuten manche inder hinter jedem westler ein sexmonster, das immerzu an das gleiche denkt. nebenbei bemerkt, bin ich nicht der einzige mit diesen erfahrungen. insbesondere alleinreisende frauen können ein lied darüber singen.

der koch vom indian coffee house
chitkul, indian coffee house. der koch und teilhaber ist nepali. er spricht recht gut englisch und nachdem er auch noch gut kocht, unterhalte ich mich täglich einige male mit ihm. er ist ein wenig jünger als ich, in den endzwanzigern. eines tages erzählt er mir ein wenig aus seinem leben.
er ist in indien geboren und seine eltern kamen kurz davor aus nepal um arbeit zu suchen (nepal ist quasi der arme bruder indiens). in shimla (einem bekannten berg- und erholungsort) kamen sie unter. der vater fand arbeit für damals zwölf rupien am tag, das wären heute vielleicht fünfzig, also immer noch erbärmlich wenig. das musste reichen für die siebenköpfige familie. mit dreizehn fing er dann an zu arbeiten um die familie zu unterstützen. das heißt nicht, dass er geld nach hause brachte, sondern das er auszog, sich arbeit suchte und somit nicht den eltern zur last fiel. er arbeitete bis er ca. neunzehn war in verschiedenen lokalen, räumte tische ab und wusch geschirr. danach versuchte er sein glück in goa, fand aber zuerst keine arbeit. als sein geld aufgebraucht war und er schon einige tage auf der straße schlief, fand er schließlich einen job als kellner. nach einem monat schmiss der besitzer in ohne bezahlung raus. danach bettelte er sich nach shimla zurück und fand arbeit als waldarbeiter. den arbeitsplatz verließ er nach drei jahren, als ihm seine mutter ein wenig kochen beigebracht hatte. er fand verschiedene kurze anstellungen als koch und landete schließlich zuerst in sangla und dann hier in chitkul. dies ist seine erste stelle, an der er genug geld verdient um seinen eltern was zu schicken. das an sich ist vermutlich eine typische geschichte für viele arme leute in indien. aber durch seine geschichte zog sich etwas anderes wie ein roter faden: wo immer er auch war, die inder haben ihn immer wie den letzten dreck behandelt. als nepali ist er sozusagen mit der untersten kaste gleichgestellt. wenn man indien mit offenen augen bereist, dann wird man immer wieder auf schwer arbeitende nepalis treffen, die für inder schuften. auch hier in den bergen himachals und uttaranchals sieht man immer wieder nepalis als straßenbauarbeiter und das sind wirklich elendige jobs.
auch hier im restaurant passiert regelmäßig das gleiche. inder der reicheren mittelklasse kommen in bussen oder jeeps, bestellen was zu essen oder zu trinken und fangen nach fünf minuten das mosern an. spätestens nach zwanzig minuten fangen dann manche an ihn zu beschimpfen und lassen ihn seinen status spüren. aber hier ist er ja auch teilhaber und - das habe ich mit eigenen augen gesehen - er genießt es diese inder dann einfach rauszuschmeißen. seine kleine private rache für die vielen jahre. ich kanns ihm nicht verdenken.

aucktong guest house

ahhh, meine wohnstatt in kalpa. super zimmer für einen fairen preis und eine nette familie. nachdem ich jetzt soviel negatives über indien erzählt habe, wollte ich mit was positivem schließen.
wenn man ein wenig länger in einem gästehaus mit familienanschluss wohnt, dann wird man unwillkürlich teil der familie und diese familie ist wirklich symphatisch. die anwesende tochter macht bald ihren doktor in geschichte, die jüngere tochter - die ich nur von fotos kenne - studiert auch, die mutter schmeißt mit hilfe der tochter das haus und den haushalt, der vater überwacht den bau des neuen hotels, der sohn macht - wie in indien üblich - nicht viel, spielt aber snooker und computer und die oma trägt ihren stuhl aus der sonne in den schatten oder umgekehrt und gießt die blumen. drei generationen und viel spaß. besonders mutter und tochter sind echt witzig drauf. als ich mich keuchend die treppe raufgeschleppt hatte, meinte die tochter das wäre kostenlos und gut für meine fitness. die frage nach einer dusche wurde mit "kalte duschen gibt es soviel sie wollen" beantwortet. als einmal die tante zu besuch war, wurde die ernsthaftigkeit des vaters zum thema: "ja, lachen tut er nur wenn er alleine ist". wer hier um den zimmerpreis feilschen will hat pech gehabt. der standardspruch des vaters lautet: "die zimmer kosten seit vierzehn jahren das gleiche und werden auch noch die nächsten zehn jahre das gleiche kosten". gut zu wissen. schwester und bruder streiten sich ab und an, der hund fällt über hosenbeine her und die mutter lacht mit blitzenden augen wenn ich mal wieder mein geschirr selbst zum abwasch bringe. und wenn ich wieder zuhause bin, dann werde ich auch mal "shakshuka" kochen, ein israelisches gericht, das yoram und aya hier für uns kochen durften.

© Ralf Knochner, 2004
Du bist hier : Startseite Asien Indien am rande erzählt
Die Reise
 
Worum geht's?:
. := Auf einer Enfield Bullet durch den Norden Indiens := . . Den zweiten Teil der Reise findet ihr in der Rubrik Südostasien/Laos unter "Dauerlächeln und Bombenstimmung - der Fortsetzungsroman in Südostasien". Bis jetzt ist erst der Teil über Laos fertig, Kambodscha folgt noch.
Details:
Aufbruch: Januar 2004
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 18.07.2004
Reiseziele: Indien
Jaipur
Udaipur
Jaisalmer
Leh
Der Autor
 
Ralf Knochner berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Ralf sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
Bild des Autors