Heilige Kühe und GoGo-Girls

Reisezeit: Januar - Juli 2004  |  von Ralf Knochner

himachal pradesh: die letzten wochen in himachal pradesh

hindustan-tibetian-highway.

hindustan-tibetian-highway.

gerade aufgewacht .... die stille hat mich geweckt ..... hmmmm. ich bin immer noch in spiti und hier ist es so still, das es fast schon wieder komisch ist. ruhe kann schon irritieren, wenn laerm der normalfall ist. ich habe auch keine ahnung wie spaet es ist, die batterie meiner uhr ist schon lange floeten gegangen. aber die sonne scheint schon und es ist mal wieder stromausfall. vielleicht wird lohsang bald zaghaft an die tuere klopfen und fragen was ich zum fruehstueck will. lohsang ist die schwester von doorjei, dem besitzer des "dolma guest house" im ort sichling. beide unheimlich nett, freundlich, hilfsbereit und buddhisten. spiti ist voll von ihnen (wobei spiti eher leer und nicht voll ist, was bewohner betrifft) und bietet neben menschen und kultur besonders zwei dinge: eine grandiose landschaft und abenteuer, ja, abenteuer, zumindest fuer mich und einige andere.

auf dem weg nach nako (hindustan-tibetian-highway).

auf dem weg nach nako (hindustan-tibetian-highway).

als ich kalpa verlasse, meine ich zu wissen was mich erwartet ... eine strasse durch eine faszinierende landschaft, zumindest stand das so im reisefuehrer. aber etwas zu lesen und etwas zu erleben sind natuerlich zwei verschiedene dinge. hier langsam zu fahren ist nicht schwer .... die landschaft ist naemlich schlichtweg wahnsinn; und um das nochmal zu betonen : "W A H N S I N N". ich bin mir dessen bewusst, dass man von einem hinreichend gebildeten menschen eine bessere, ausfuehrlichere beschreibung erwarten kann, aber hier fehlen mir die worte und ich glaube mein vorrat an gigantismen ist schon fast aufgebraucht. die strasse windet sich hoeher und hoeher, immer an einem rauschenden fluss entlang, die luft ist klar und die aussicht reicht weit. ich hoere natuerlich wieder musik. "porcupine tree" heisst die gruppe und mir kommt die stilrichtung wie eine mischung aus "barclay james harvest" und "pink floyd" vor, also lange stuecke, hymnisch und schoene melodien. das in verbindung mit dem majestaetischen anblick der umgebung, die warme sonne auf meiner haut, der fahrtwind .... ich glaube ich habe fuer einen kurzen augenblick vor glueck geweint.

nako mit see.

nako mit see.

das dorf nako - auch bekannt fuer seinen kleinen see - ist die einzige uebernachtungsstelle auf der strecke. ein kleines doerfchen, zumindest aus touristischer sicht wunderhuebsch, aber im winter moechte ich ganz bestimmt nicht dort wohnen (sonst vermutlich eher auch nicht). grosse auswahl bei der unterkunft gibt es nicht und als ich gerade zu meinem erkundungsspaziergang aufbrechen will, begegne ich bekannten gesichtern aus sarahan. fuer den abend, nach der besichtigungstour, verabreden wir uns in der dorfkneipe. wir spielen ein kartenspiel names "chinese poker" und der betrunkene dorfidiot kann nicht aufhoeren mich knieend anzubeten. die ganze szene haette durchaus was komisches, wenn da nicht die sorge waere angekotzt zu werden.

arbeiten am erdrutsch (der stein rechts ueber der maschine kracht spaeter runter).

arbeiten am erdrutsch (der stein rechts ueber der maschine kracht spaeter runter).

am mittag des naechsten tages mache ich mich auf den weg, komme aber nicht weit. die strasse hinter nako ist bekannt und gefuerchtet fuer ihre erdrutsche und ausgerechnet an diesem morgen war es soweit. ich geselle mich zu einer kleinen schlange von jeeps und schaue bei den beschwerlichen arbeiten zu. ich hatte schon fruehmorgens einen furchtbar lauten knall gehoert und an sprengungen fuer strassenbauarbeiten gedacht, aber jetzt sehe ich was den laerm verursacht: der bagger schiebt schwere gesteinsbrocken von der strasse in eine schlucht und auf ihrem hunderte von metern langen weg nach unten schlagen sie an felskanten auf.
eine stunde ist vergangen, als die ersten jeeps losfahren. skeptisch warte ich noch ein wenig und leider habe ich recht. zwei jeeps kommen durch, aber 2m vor dem dritten knallt ein riesiger brocken auf die strasse, halb so gross wie das fahrzeug. abgesehen davon, dass sich der fahrer vermutlich in die hose gemacht hat, kann er jetzt weder vor noch zurueck. hektik setzt ein, aber zum glueck passiert die naechste halbe stunde nichts spektakulaeres mehr. der bagger raeumt wieder. als die strasse aus der entfernung gesehen wieder frei zu sein scheint und auch der bisher festgesetzte jeep durchgefahren ist, traue auch ich mich dahin. ich steige aus und begutachte die passage. das wasser steht fast kniehoch in den fahrspuren und steine rieseln von oben herab. waehrend ich noch ueberlege fangen die fahrer der hinter mir stehenden jeeps (typischerweise fuer indien) schon das hupen an. der strassenarbeiter vor mir sagt "full speed" und winkt hektisch. ein kleiner schweissausbruch unter meinem helm macht mir meine angst klar, aber gut, ich gebe gas ... fahre in das wasser ... werde nass ... rutsche rum, komme aber vorwaerts ... zong ... ein harter schlag ... ich kann nicht mehr weiterfahren und der motor stirbt ab. ich muss gegen einen stein im wasser gefahren sein, mehr sehe ich leider nicht, denn die pedalen sind unter wasser. aber ich hoere was. der vorarbeiter der strassenbauarbeiter blaest in seine trillerpfeife. verflucht, das ist das alarmzeichen. die steine kommen und die arbeiter rennen! "uahhhh, komm schon du verdammte, schwere maschine." der motor springt an und ich gebe vollgas im wasser, waehrend um mich herum schon die steine einschlagen. endlich, sie bewegt sich, macht einen satz vorwaerts und dann mit karacho durch das restlich wasser, zwischen den steinen hindurch. kein einziger davon trifft mich oder das motorrad, selbst die arbeiter schauen erstaunt und erleichtert.
ein kurzer griff zwischen meine beine. ja, nass, aber nicht weil ich mir in die hose gemacht habe, sondern weil ich vollgespritzt wurde. das herz schlaegt mir immer noch bis zum hals, aber ich habe es ohne kratzer ueberlebt ... uffff. an der maschine ist eine pedale nach hinten gebogen, aber das ist eine kleinigkeit. die naechste halbe stunde bin ich fast euphorisch. das muss das adrenalin sein.

in spiti.

in spiti.

in der festen ueberzeugung das schlimmste hinter mir zu haben, setze ich den weg fort und ... na klar, es kommt wie es kommen muss. ich will das jetzt nicht unnoetig ausdehnen, also:
nach einer stunde fahrt durch die von schoenheit strotzende landschaft sehe ich vor mir eine sehr dunkel gefaerbte strasse, incl. einer kurve. die ganze strasse voller oel, nein, das kann doch nicht seeeeiiiiiiiiin!!!! ich rutsche um die kurve wie beim eisspeedway, aber leider ohne spikes. am ausgang der kurve rutsche ich geradeaus weiter, auf die bergwand zu. ich sehe schon den fetten unfall kommen, drehe aber jetzt das vorderrad wieder gerade. ich fahre frontal auf die wand zu. "wie schoen, ich sterbe vorwaerts und nicht seitwaerts ... ich glueckspilz." (natuerlich ueberlebe ich, sonst koennte ich das hier wohl kaum erzaehlen, aber nur mit mehr glueck als verstand.) kalaidoskopartig zieht bereits meine kindheit an mir vorueber, zum glueck eine sehr schoene. an der wand angekommen, erwarte ich den aufprall, fahre aber stattdessen die wand hoch, mache einen schlenker und fahre die wand wieder runter. das kann man sich wie beim skateboardfahren vorstellen, aber keine halfpipe, sondern eine quarterpipe. ich war so verduzt, dass ich nicht mal stehengeblieben bin.
das war zum glueck die letzte haarstraeubende situation - zumindest fuer diesen tag!

das naechste erwaehnenswerte staedtchen auf dieser strecke ist tabo, wo eines der aeltesten buddhistischen kloester steht. eigentlich sollte das mein uebernachtungsstop sein, aber dort gibt es - ausser luxus - kein freies bett mehr. der grund ist der bevorstehende besuch des "dalai lama" .... jawohl und ich habe ihn gesehen (mehr davon in "am rande erzaehlt"). ich fahre deshalb weiter nach sichling, ein verschlafenes doerfchen entlang der hauptstrasse. es gibt nur ein gaestehaus und ueber sichling tront das "dankar" - kloster.

dankar gompa bzw. umgebung.

dankar gompa bzw. umgebung.

als ich gegen fuenf im "dolma guest house" einchecke ist es noch warm draussen und ich mache mich gleich auf dem weg zum kloster. eine frisch geteerte strasse fuehrt hinauf und arbeiter stellen gerade eine art ueberdimensionales eingangstor fertig. ich sag nur "dalai lama". die lage dieses klosters, eigentlich des dazugehoerigen dorfes, aber insbesondere die aussicht von dort, gehoert mit zu den schoensten auf dieser reise. und um das ganze zu kroenen .... wer sitzt dort in der sonne? aya .... da kann itai nicht weit sein. so ist es und das oesterreichische paerchen aus kalpa ist auch da. na ja, mir ist schon klar, dass es auf diesem weg nicht viele abzweigungsmoeglichkeiten gibt (genauer gesagt keine) und man deshalb zwangsweise, je nach eigenem reisetempo, auf die immer gleichen leute treffen kann, aber trotzdem freue ich mich jedesmal aufs neue, wenn ich symphatische leute wiedertreffe.
endlich kann ich jemandem die ereignisse dieses tages erzaehlen, um mich nochmal darueber zu freuen, dass ich ueberlebt habe. aya hoert aufmerksam zu, um mir dann von ihrer ueberquerung des erdrutsches zu berichten. ich bin ja von keinem stein getroffen worden, itai leider schon. die fahrgaeste von bussen und jeeps muessen diese stelle mit ihrem gepaeck zu fuss ueberqueren und auch bei den beiden kamen die steine. sie sind um ihr leben gerannt ... zum glueck erfolgreich.

blick von dankar auf die fluesse.

blick von dankar auf die fluesse.

weil das zimmer schoen und die lage guenstig ist, erwaehle ich das "dolma guest house" zur basisstation fuer tagesausfluege. einer davon fuehrt mich in den nationalpark "pin valley", ein langgezogenes, von hohen bergen umschlossenes tal. wenn man nicht trekken will, bleibt es bei der aussicht von der strasse, aber das reicht mir ja schon. an der strasse wird eifrig gebaut ("dalai lama") und offensichtlich erwecke ich den eindruck ein taxiunternehmen zu betreiben, denn staendig werde ich von strassenbauarbeiterinnen (immer paarweise) angehalten, um sie ein stueck mitzunehmen. eine aus der letzten fuhre laedt mich in das haus der familie zum teetrinken ein. aufgrund der sprachbarriere kann ein gespraech nur schwerlich zustandekommen, aber ich fuehle mich wohl und bekomme den ueblichen milchtee.
es kommt ein weiterer gast, der postmeister, der allerdings in dem letzten per strasse erreichbaren dorf des tales wohnt. weil ich sowieso dahin wollte, biete ich mich an ihn heimzufahren, damit er nicht auf den einmal taeglich vekehrenden bus angewiesen ist. wir fahren los und gleich nach ein paar hundert metern durchfahren wir den ersten flusslauf, der die strasse quert. mit ach und krach komme ich durch, aber einen kilometer weiter wartet der "grosse bruder". der postmeister geht neben der strasse zu fuss durch und ich starte, komme aber nur bis zur mitte, wo ich in kies und geroell steckenbleibe. ich muss absteigen und versuche das motorrad vor- oder zurueckzuschieben. hatte ich schon erwaehnt das dieses motorrad verdammt schwer und das wasser verflucht kalt ist? wenn nicht, dann habe ich das gerade getan, was mir aber in der situation auch nicht weiterhilft. alleine habe ich keine chance, aber zum glueck fuehlt sich mein beifahrer verpflichtet mir zu helfen (eigentlich selbstverstaendlich, aber wir sind ja in indien und da ist das gar nicht selbstverstaendlich). gemeinsam schaffen wir es schliesslich. ich bin bis ueber die waden pitschnass und total erschoepft; wir befinden uns schliesslich weit ueber 3000 m, da ist die luft schon ein wenig duenner. mein angebot ihn wieder zur busstation zurueckzufahren kann der postmeister kaum ausschlagen, aber auf dem rueckweg bleibe ich dann leider auch noch in dem oben beschriebenen ersten flusslauf stecken. nach erneuter, erfolgreicher befreiungsaktion reicht das fuer einen tag und ich mache mich auf den weg ins gaestehaus.

landschaft vor sichling.

landschaft vor sichling.

irgendwann musste ich dann doch schweren herzens nach kaza, der hauptstadt dieser gegend. im endeffekt leider nur ein kleines feucht-staubiges kaff. es ist schwer positiv ueber ein staedtchen zu reden, wenn man gleich am ersten tag beschissen wird. ich rede hier auch nicht ueber viel geld, sondern ueber ein prinzip. ich glaube niemand mag das gefuehl beschissen worden zu sein?! aber was mich noch mehr dabei aufregt, ist die gewissheit, dass millionen von menschen jeden tag hart fuer ihren lebensunterhalt arbeiten, besonders in entwicklungslaendern, und andere sich durch simplen betrug oder dreistigkeit etwas hinzuverdienen. na ja, lassen wir es dabei, denn die umgebung leidet natuerlich durch solcherlei vorkommnisse nicht. es ist immer noch jeden morgen ein erlebnis einen blick nach draussen zu werfen. ich bin mit fuenf naechten recht lange geblieben, hauptsaechlich darum, weil sich einige tagesausfluege angeboten haben.

kibber.

kibber.

einer dieser ausfluege fuehrte mich nach kibber, das sich ruehmt eines der hoechstgelegenen doerfer zu sein. ich wollte dort nicht uebernachten, weil ich dachte auf 4200 m wuerde es mir zu kalt werden. aber der ort war schoen, richtig einsam und ruhig, abgesehen von dem oesterreichischen paerchen, aya und itai und den tageweise auftauchenden horden israelis. diese horden kommen in jeeps, unterhalten sich dann auf der strasse ueber mehrere dutzende von metern hinweg und fangen schliesslich an kleine volkstaenze aufzufuehren. tja, und so wurde ich also zeuge eines soziokulturellen statements, aber was will es mir sagen?
vielleicht das sich grosse gruppen von menschen, egal welcher nationalitaet, im ausland oft negativ auffallend verhalten? das volkstaenze, ungeachtet ihrer herkunft, immer ein wenig laecherlich wirken? das der musikantenstadl doch nicht so typisch deutsch ist wie ich immer dachte? werden wir diese wichtigen fragen jemals beantwortet bekommen .....?
zumindest gab es eine fluchtmoeglichkeit. eine kleine befahrbare strasse fuehrte noch ein wenig hoeher .... nach gete. gete, und das gehoert jetzt zum allgemeinwissen, ist eine millionenstadt mit herausragender architektur und vielen kulturellen einrichtungen, anders gesagt drei haeuser und ne kuh. ziemlich ruhig da oben und es beschlich mich das gefuehl das ende der welt erreicht zu haben.

zwischen kaza und lossar.

zwischen kaza und lossar.

nachdem ich nun fast jede strasse von kinaur, spiti und lahaul (das sind die namen der landesteile, alle in himachal pradesh) befahren habe, immer noch lebe und mich die sehnsucht nach was neuem packt, beschliesse ich nach manali weiterzufahren, dem bergigen aussteigerparadies der 70er. am abend vor der abreise stuermt dann aber noch ein israelisches, motorradfahrendes duo in das restaurant, in dem ich gerade fertiggegessen habe. es ist 21 uhr, natuerlich schon dunkel und kaza ist ziemlich stark mit touristen belegt (=dalai lama). die beiden jungs kommen auf gemieteten enfields aus manali und suchen ein zimmer. hilfsbereit wie ich nun mal bin, fahre ich mit ihnen kaza ab. mittlerweile kenne ich mich ja ganz gut in dem kaff aus und nach fast einer stunde raeumt dann der besitzer eines hotels sein eigenes zimmer fuer die beiden. ein wenig geschafft, aber gluecklich unterhalten wir uns noch ein weilchen. abgesehen davon, dass mich die beiden eindringlich vor der strasse nach manali warnen (don`t go alone!), sind sie natuerlich auch dankbar fuer meine hilfe. bei der verabschiedung meint einer von ihnen, dass die hilfe, die man anderen zuteil werden laesst, bald zu einem selbst zurueckkommt. das klingt ja nicht schlecht und ist meine heimliche hoffnung, aber bisher habe ich, obwohl alleine, fast alles ganz gut hinbekommen. das wird sich doch hoffentlich auch so bald nicht aendern ..... wie man sich taeuschen kann.

im pin valley.

im pin valley.

© Ralf Knochner, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
. := Auf einer Enfield Bullet durch den Norden Indiens := . . Den zweiten Teil der Reise findet ihr in der Rubrik Südostasien/Laos unter "Dauerlächeln und Bombenstimmung - der Fortsetzungsroman in Südostasien". Bis jetzt ist erst der Teil über Laos fertig, Kambodscha folgt noch.
Details:
Aufbruch: Januar 2004
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 18.07.2004
Reiseziele: Indien
Jaipur
Udaipur
Jaisalmer
Leh
Der Autor
 
Ralf Knochner berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Ralf sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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