Iran - mit dem Fahrrad im Orient

Reisezeit: September - November 2015  |  von Jörn Tietje

Aller Anfang ist schwer

Orientierung in einer orientalischen Großstadt

Gegen 04.00 Uhr in der Nacht komme ich auf dem Flughafen von Isfahan an, der um diesen Zeit ziemlich leer und nicht besonders einladend wirkt. Mein 60-Tage-Visum ist auch für die Grenzbeamten offenkundig so verwirrend, dass ich erstmal zur Seite gehen muss, alle anderen Passagiere abgefertigt werden in dann der Aufkleber des Hamburger Generalkonsulats ausgiebig auf Echtheit geprüft wird. Endlich der Stempel und schon lauert das Problem. Mein Fahrradkarton wird für einen Fernseher gehalten und Fernseher dürfen nicht importiert werden. Kommt wohl nicht so oft vor, dass hier so ein Riesenkarton durch den Zoll gebracht wird. ¨Where are you from?¨ ¨Germany¨ - ¨Germany is very good! We trust you!¨ Und ohne weitere Kontrolle bin ich eingereist. Die Sypathie für Deutschland bekomme ich gleich am ersten Tag wohl noch zig mal zu hören und zu spüren - auch immer wieder verbunden mit dem Hinweis, dass Perser und Deutsche Arier sind...
Was tun? Fahrrad zusammenbauen und in der Nacht in die Stadt fahren? Auf dem Flughaben noch irgendwie ein Auge zumachen? Oder einem der vielen Taxifahrer nachgeben und mit dem Taxi ins Zentrum fahren? Spontan bekomme ich eine Einladung einer Familie, die mit demselben Flugzeug angekommen ist, bei ihnen zu schlafen. Ein Taxifahrer bekommt die Adresse und dann bestätigen sich meine Bedenken, dass der Fahrradkarton viel zu groß ist für das Taxi und so landet er auf dem Kofferraumdeckel und wird mit ein paas Gummistrippen befestigt!!! Mir ist überhaupt nicht wohl dabei, hoffe aber, dass es eine kurze Fahrt wird.
Irrtum! Unendlich geht es auf Schnellstraßen um die Stadt und eine Abfahrt nach der anderen ins Zentrum lassen wir hinter uns. Dann eine Bodenwelle zur Verkehrsberuhigung die mein Chauffeur übersieht und schon liegt der Fahrradkarton auf der vierspurigen Schnellstraße und entgeht dem Überrolltwerden durch den nächsten Wagen nur knapp. Mir ist nicht zum Lachen zumute. Mit 30km/h und Warnblinker setzen wir die Fahrt fort, aber der Taxifahrer findet die Adresse nicht und als der Karton das zweite Mal vom Kofferraum rutscht, steige ich aus, baue mein Fahrrad zusammen, das zum Glück den Sturz auf die Straße ohne Schaden überstanden hat (gut verpackt eben), packe die Sachen auf der Straße um und mache mich im Morgengrauen auf den Weg in die Stadt - ohne Plan, ohne Orientierung und ohne einen blassen Schimmer, ob es in Ordnung ist, dass ich auf einer autobahnähnlichen Straße im Smog auf dem Seitenstreifen fahre. Keiner hupt, keiner schimpft, scheint alles ganz normal. Eine Zweimillionenstadt ohne Stadtplan zu erkunden ist gewagt und so brauche ich eine Weile, bis ich den ausgetrockneten Fluss mit seinen schönen Brücken finde und eine Idee bekomme, wo ich etwa bin.

Eine Brücke mit 33 Bögen und kein Wasser

Eine Brücke mit 33 Bögen und kein Wasser

Meydan ist nicht gleich Meydan

Für die ersten beiden Nächte habe ich mir über warmshowers.org eine Unterkunft bei Nik organisiert, der schon seit fast 10 Jahren Reisende bei sich zu Hause aufnimmt. Dort kann ich aber erst am Abend erscheinen. Also bleibt mir nur nach einer schlaflosen Nacht den Tag, in der Stadt zu verbringen.
Mein erstes Ziel ist der Meydan-e Iman, DIE Sehenswürdigkeit von Isfahan. Mit 524 x 160m hat er gigantische Ausmaße und in die Moscheen, dem Palast und dem Basar kann man sich hier locker einen Tag aufhalten. Jetzt ist mir mal wieder meine Planlosigkeit im Weg. Ich irre in dem chaotischen Verkehr durch die Hauptstraßen und die engen Gassen. Immer wenn ich mal ein Minarett oder die Kuppel einer Moschee sehe und versuche, sie zu erreichen, verliere ich sie in dem Häusermeer aus den Augen und verirre mich in dem Straßengewirr. Schließlich stehe ich doch auf einem rundum bebauten Platz mit Wasserspielen, einer Moschee und einem alten, unendlich verwinkelten Basar. Ich habe mein Ziel erreicht - glaube ich zumindest! Irgendwie kommt mir der Platz aber zu klein vor und er ist auch fast menschenleer. Und eigentlich sind die Fassaden Basargebäude auch viel zu neu.
Egal. Jetzt benötige ich aber erst einmal Geld und eine Telefonkarte, um auch für Nik erreichbar zu sein. Vodafone ist hier keine Alternative. Und da setzen sich meine Probleme nahtlos fort. Banken gibt es viele, aber ich werde von einer zur nächsten geschickt, weil keine Geld einwechselt. Schließlich, nach mehr als zehn Versuchen begleitet mich ein Bankbediensteter und bringt mich zu einer Wechselstube. 300 US-Dollar wandern über den Tresen und im Gegenzug werde ich ruckzuck zum Millionär: Wechselkurs 1:34000 Rial. Ein dicker Packen Scheine wandert in die Tasche. Die gigantischen Summen sind ungewohnt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Preise meistens in Tuman angegeben werden und ein Tuman sind 10 Rial... Auch das lerne ich noch. Mit einigen Irrungen und Wirrungen bekomme ich auch eine SIM-Karte für mein Smartphone - gegen Vorlage des Reisepasses und drei Fingerabdrücken und schon bin ich wieder erreichbar und liquide.

Jetzt kann ich auch die Moschee an dem Platz besichtigen - auch für Nicht-Moslems kein Problem und gegen 150.000 Rial Eintritt betrete ich die größte Moschee Irans! Es ist die Masdjeh-e Djameh, die mit ihren riesigen Ausmaßen und ihren filigranen Fliesenmustern beeindruckt. Aber zu den Beschreibungen meines Reiseführers passt hier vieles nicht und mir wird klar, dass ich einen anderen Platz, nämlich den Meydan e Emam Ali gefunden habe, aber nicht mein eigentliches Ziel.
(Das Internet ist hier grausig langsam, denn ich bin inzwischen auf dem sehr platten Land und deswegen kommt die Bilderflut auf Isfahan später bei besserem Netz).
Aber ich finde auch noch den Meydan-e Imam und bin sprachlos! Der Platz ist riesig! Tausende Menschen, in der ganz überwiegenden Mehrheit Iraner, sind hier unterwegs. In den Grünanlagen picknicken vielen Gruppen, Pferdekutschen bieten Rundfahrten über den Platz an und in den Basaren wird die gesamte orientalische Pracht feilgeboten. Dazwischen wird in zahlreichen Werkstätten gehämmert, geschmiedet, graviert, genäht... Inzwischen ist es Nachmittag geworden und mir ist klar, dass ich heute nicht mehr alles sehen kann, was dieser Platz zu bieten hat. Ich entscheide micht für die "kleine" Lotfollah Moschee. Und wie immer und wie alle stehe ich drinnen mit offenem Mund und in den Nacken gelegten Kopf und bestauene die Pracht des gefliesten Gewölbes. Wie gesagt Bilder folgen. Unglaublich!
Jetzt erstmal ein Safraneis mit speziellen Nudeln mit Zitronensaft - eine Spezialität aus Yazd, die bei den Temperaturen um 30 Grad herrlich erfrischt.
Mit meinem bepackten Fahrrad bin ich eine zusätzliche Touristenattraktion auf dem Platz. Kinder probieren ihre Englischkenntnisse an mir aus und Erwachsene wollen wissen woher ich komme: "Alleman -very good" "Thank you for visiting Iran" Schließlich lande ich bei einer Familie auf der Rasenfläche und werde mit Tee, Süßigkeiten und Abendessen versorgt - die Gastfreundlichkeit der Menschen ist unbeschreiblich!

Weil ich keine Lust habe in der Dunkelheit noch einmal die Orientierung zu verlieren, kommt Nik mit dem Fahrrad auf den Meydan-e Imam und holt mich ab. Es ist nur ein kurzes Stück (hätte ich allein nie gefunden) bis zu seinem Haus in einer ruhigen Sackgasse am Rande der Innenstadt, wo ich noch einmal zu essen bekomme und ein geräumiges Zimmer. Einziges Problem: Nach starken Regenfällen der letzten Tage ist die Wasserversorgung vorübergehend zusammengebrochen - ist nix mit warmshowers. Egal - Hauptsache ein Bett.
Am nächsten Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus und nach einem gemeinsamen Frühstück mit Nik mache ich mich noch einmal zur Stadtbesichtigung ohne Gepäck auf. Der Meydan-e Imam ist mein erstes Ziel, wo ich durch den Basar schlendere, die Große Moschee und auch den mittelalterlichen Palast besichtige.
In den Moscheen laufen auf großen Monitoren Panorama-Aufnahmen anderer Kirchen - christliche Kirchen! Auch sie gehören zu den Kulturschätzen der Stadt und über das ausgetrocknete Flussbett in den Stadtteil Djolfa und sehe mit die armenisch-christlich-orthodoxe Vang-Kirche an. Weihrauch, alle Wände und Decken über und über bemalt mit biblischen Motiven - anders eben als in Moscheen sind es hier figürliche Darstellungen - und Altäre. Die Vorstellungen der Islamischen Republik, die keine anderen Religionen dultet, kann man getrost vergessen. Die armenische Minderheit hat hier ihr Museum, ein Mahnmal, das an den Völkermord in der Türkei 1915 erinnert und ihr religiöses Zentrum. Aber es gibt noch zahlreiche andere Kirchen und auch eine Synagoge für die jüdische Bevölkerung. Sehr tolerant und ein friedliches Nebeneinander. Nur eines wird nicht akzeptiert: Ein Konvertieren von Moslems zu einer anderen Glaubensgemeinschaft.
Es ist nicht möglich, alle Sehenswürdigkeiten der Stadt in zwei Tagen zu besuchen - wahrscheinlich reichen zwei Wochen nicht aus. Auch wenn mir der Vergleich fehlt, aber eine Idee davon, dass es sich um die schönste Stadt des Orients handelt habe ich schon.
Ich kehre zu Niks Haus zurück und nach einer weiteren Nacht und mit vielen Gutens Tipps ausgestattet verlasse ich am nächsten Morgen die Stadt in Richtung Yazd auf einer Nebenroute, die mich nicht nur von der Autobahn weg bringt, sondern auch erstmals in die Wüste - ich werde berichten und auch Bilder nachliefern - versprochen.

© Jörn Tietje, 2015
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Worum geht's?:
Wieder einmal belade ich mein Fahrrad für eine Solotour in einem fremden Land. In meinem Reisepass klebt ein Visum für 60 Tage Iran (keine Ahnung warum, eigentlich sind 30 das Maximum) und die Anspannung und Neugier auf viel Unbekanntes wachsen. Im Kopf ringen die positiven Erfahrungen anderer Reisender über die Schönheit des Landes und die Gastfreundschaft der Menschen mit den Vorbehalten, die sich aus Medienberichten nähren. Ihr seid wieder herzlich eingeladen, mich hier zu begleiten.
Details:
Aufbruch: 19.09.2015
Dauer: 8 Wochen
Heimkehr: 10.11.2015
Reiseziele: Iran
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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