Mit unseren Kindern um die Welt

Reisezeit: Juni 2015 - Juni 2016  |  von Anja Nemitz

Mongolei: Reise durchs Nomadenland

Früh am Morgen kamen wir mit der Transsibirischen Eisenbahn in Ulaanbaatar an. Zulbaya (Spitzname „Zula“), ein schräger Typ mit Cowboyhut und unser Guide für die nächsten zwei Wochen, begrüßte uns am Bahnsteig mit einem herzlichen Lächeln. Seine ersten Worte (auf deutsch) waren: „Legt eure Uhren ab, entspannt, genießt, wir haben Zeit.“ Toll, genauso sollte es sein. Auch unser Fahrer, Batbold (Spitzname „Baagi“), stand schon mit seinem Auto (natürlich ein großer Geländewagen) vor dem Bahnhof. Nach einem stärkenden Frühstück zeigten sie uns ihre Stadt. Auf der Fahrt durch die Hauptstadt nahmen wir Ulaanbaatar erstmal richtig wahr. Trotz der Hitze ließen wir die Autoscheiben lieber geschlossen. Eine stickige Mischung aus Abgasen und verbrannter Kupplung lag in der Luft. Massen von Autos, Motorrädern und Menschen drängten sich Stück für Stück vorwärts auf den Straßen. Ein regelrechtes Hupkonzert übertönte alle anderen Geräusche – damit sagt man hier: „Ich hab Vorfahrt!“ oder „Pass auf, ich überhol dich jetzt von links oder rechts!“ oder „Bleib stehen, jetzt fahrt ich!“ Verkehrsregeln scheint es in Ulaanbaatar nicht zu geben. Von starker Hitze zu Starkregen und Überschwemmungen in der ganzen Stadt war es nur ein Augenblick. Das Wetter änderte sich im Minutentakt. Zwischen den Automassen im täglichen Stau huschen immer wieder Frauen, Männer und Kinder über die Straße. Ein gefährliches Spektakel finden wir, denn selbst Zebrastreifen und Fußgängerampeln sind nur Deko. Schilder, Orientierung, Verständigung, Schrift und Aussprache – eine echte Herausforderung in den ersten Stunden. Wir waren froh, Zula und Baagi an unserer Seite zu haben. Schon von Deutschland aus buchten wir über KiaOra-Reisen eine mögliche Route durch die Mongolei mit Fahrer und Guide. Auch im Gandan Kloster zeigte sich, dass es die richtige Entscheidung war. Ohne Zula hätten wir niemals erfahren was hier alles vor sich geht, z.B. dass man nur im Urzeigersinn die „murmelnden“ Mönche umrunden darf. Und ohne ihn säßen wir kurz später wohl auch nicht direkt hinter den Mönchen, um ihre Arbeit zu beobachten und ihren Gesängen und Gebeten zu lauschen. Doch Foto- und Filmversuche ahndeten die Mönche sofort mit deutlichen Ermahnungen.

Am nächsten Morgen brachen wir dann endlich auf in unser Abenteuer, abseits der Städte, um das Leben der Nomaden hautnah zu erfahren. Die Abfahrt zog sich bis in den späten Vormittag, da wir noch an einem mongolischen Großmarkt hielten, um Lebensmittel für den Notfall (ja, die Mongolei ist sehr dünn besiedelt) und Gastgeschenke (Zucker, Mehl, Obst, Tabak, Bonbons, Streichhölzer, Bier, Vodka …) zu besorgen. Auch hier wären wir ohne Guide schnell an unsere Grenzen gestoßen. Weder was, noch wieviel, noch wo wir einkaufen sollten, hätten wir allein nicht gewusst.

Kaum eine Stunde entfernt von der Hauptstadt wandelte sich das Bild. Weite Wiesen, am Horizont unterbrochen von Bergketten. Pferde-, Kuh-, Ziegen- und Schafherden grasten friedlich ohne von Zäunen aufgehalten zu werden. Mal hier und da ein Reiter. Falken, Bussarde und Milane zogen ihre Runden. Fine und Willi konnten sich für keine Fensterseite entscheiden. Überall war alles schön und aufregend. Ach ja, bevor wir das vergessen, da es für uns schon seit Russland zur Normalität gehört: Hier reist man auch im Auto frei ohne Kindersitze und Gurte. Unsere anfänglichen Bedenken änderten daran auch nichts. In unserem Jeep (Fahrer und Guide vorn, Familie Nemitz hinten) wählten Fine und Willi ihre Plätze ständig neu. Mal rechts am Fenster, mal links am Fenster, mal in der Mitte oder bei Mama oder Papa auf dem Schoß, vorwärts oder rückwärts.

Der Moment, der uns völlig faszinierte und unser Mongoleifieber so richtig entfachte, ließ nicht lange auf sich warten. Erst begannen die beiden vor uns voller Inbrunst mit tiefer mongolischer Stimme die „Goldene Strasse“ zu besingen (ein Ritual bei Reisebeginn) und wenige hundert Meter entfernt von der befestigten Straße, auf Sandwegen, die uns zu unserem ersten Camp führten, musste Baagi den Wagen stoppen. Vor uns auf dem Weg und links und rechts auf den Wiesen weidete eine große Yakherde. Unsere ersten Yaks!!! Unser erster Stopp außerhalb der Stadt. Kaum hielt der Jeep, gingen die Türen auf und wir atmeten die frische Luft. Es roch nach den verschiedensten Kräutern. Ein Gras, dass wir überall in der Mongolei fanden, duftete nach einer Mischung aus Rosmarin, Salbei und Minze. Das ist für uns nun der typische Geruch, der uns mit diesem Land verbindet. Noch heute haftet er an unseren Schuhsohlen. Willi genoss die Freiheit und rannte lachend über die Wiesen. Er war nicht mehr zu stoppen. Fine schwärmte in die andere Richtung aus und versuchte nah an die Yaks zu kommen und die aufgescheuchten Heuschrecken zu fangen. Wir Erwachsenen genossen den fantastischen Blick und den wunderbaren Geruch von purer Natur um uns herum.

Wir fuhren weiter durch die unendlichen Weiten der Mongolei – über Wiesen, durch Flüsse, vorbei an Bergmassiven und immer mit freiem Blick bis zum Horizont, ohne Zäune, Häuser und Menschen. Selten begegneten uns andere Autos. Ab und an sahen wir Reiter und immer wieder Herden von Ziegen, Schafen, Pferden, Kühen und Yaks. Hier und da standen vereinzelt Jurten von Nomaden. Wenn es nötig war, hielten wir an einer Jurte und fragten nach dem Weg (hier auf dem Land gibt es keine Straßenschilder). Prompt wurden wir eingeladen und fanden uns auf dem Ehrenplatz der Jurte wieder mit Tee, vergorener Stutenmilch und getrockneten Quarksticks in der Hand. Dank Zula erfuhren wir sehr viel über die Familien und das Leben auf dem Land. Er bewahrte uns auch vor so manchen mongolischen „Fettnäpfchen“, und davon gibt es viele (z.B. Jurte immer mit dem rechten Bein zuerst betreten oder die gereichte Stutenmilch in der Jurte niemals direkt an den Nachbarn weiterreichen, sondern immer zuerst an die Gastgeber zurück – MIT BEIDEN HÄNDEN). Wir verteilten unsere Gastgeschenke und reisten schon bald weiter. Immer wieder begleitet durch den wundervollen Gesang und Kehlkopfgesang der beiden Mongolen im Auto.

Jedes Tagesziel bot andere Überraschungen. Mal war es eine Trekkingtour auf dem Rücken der Pferde, mal badeten wir in heißen Quellen, ritten auf Yaks, wanderten über Blumenwiesen, bestiegen Berge, beobachten Przewalski-Wildpferde aus der Nähe, ritten auf Kamelen durch Sanddünen oder spielten einfach nur vor der Jurte.

In Khar Khorin, der ehemaligen Hauptstadt der Mongolei, fanden wir uns mitten im Naadam Fest wieder. Mongolische Zeremonien, Ringkämpfe, Bogenschießen und vor allem Pferderennen in verschiedensten Kategorien (bis 40 km!!!). Da wir aber bei allen unseren Ausflügen und Tagesetappen vor allem auf die Bedürfnisse der Kinder achteten, fielen für uns die Ringkämpfe und Pferderennen aus. Der Mittagsschlaf ist auf unserer Reise zu einem wichtigen Tagespunkt geworden. Wenn diese 2h fehlten, ließen es uns die Kinder bis 22 Uhr deutlich spüren.

Am frühen Nachmittag erreichten wir meist das nächste Camp. Mal etwas früher, mal etwas später und nur einmal in der Dunkelheit
Wir wurden jedes Mal mit einem leckeren Mittagessen empfangen. Salat (meist Gurke und Tomate), Suppe mit Fleisch oder Teigtaschen, Reis mit Gemüse und Fleisch (Lamm, Schaf, Yak) und zum Dessert ein Schokoriegel. Mit etwas Glück hielten wir danach einen ausgiebigen Mittagsschlaf bis in die sehr späten Nachmittagsstunden. Duschen gab es in jedem Camp – mal warm, mal kalt. Willi durfte ab und an in den Genuss des „Warmwaschens“ in der Jurte kommen (warmes Teewasser in unseren praktischen Faltschüsseln), während Fine tapfer unter der kalten Dusche stand und Mama als Memme bezeichnete.

Zula und Baagi wurden zu unseren Freunden und die Zeit mit ihnen war sehr angenehm. Während Zula als großartiger Guide uns mit seinem Wissen bereicherte (selbsterlebte Geschichten und eigene Gedanken, statt auswendig gelerntes Reisebuch-Wissen) und wir uns mit ihm austauschen konnten, kümmerte sich Baagi rührend um Fine und Willi (er sprach nur mongolisch). Sie spielten Fangen, Verstecken, Fußball, bauten Sandburgen am Wasser, suchten nach Blumen und Krabbelkäfern, …
Der Abschied von den beiden war für alle traurig. Wir tauschten selbst gebastelte Geschenke und liebe geschriebene Worte, die Zula in beide Sprachen übersetzte. Die Einladung noch einige Nächte bei seiner Familie zu wohnen, mussten wir leider ablehnen, da wir noch andere Pläne für unsere restliche Zeit in der Mongolei hatten.
Unsere erste organisierte Reise mit eigenem Reiseleiter, Auto und Fahrer war eine spannende und entspannende Erfahrung. Einfach mal die Füße hochlegen und geschehen lassen. Diese Art des Reisens ist eine recht teure Art und lag deutlich über unserem Durchschnitts-Budget. Im Nachhinein war es aber eine lohnende Investition. Dennoch entscheiden wir gern selbst über unsere Zeit und werden wohl keine organisierte Reise mehr unternehmen.

© Anja Nemitz, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Ein Jahr Familienzeit - wir schauen uns die Welt an. Mit zwei großen Rucksäcken bepackt, reisen wir so günstig und einfach wie möglich, wollen die Menschen kennen lernen und andere Kulturen hautnah erleben.
Details:
Aufbruch: 29.06.2015
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: Juni 2016
Reiseziele: Russland / Russische Föderation
Mongolei
Hongkong
Vietnam
Kambodscha
Thailand
Australien
Neuseeland
Indonesien
Nepal
Der Autor
 
Anja Nemitz berichtet seit 9 Jahren auf umdiewelt.
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