Nordkorea - Oktober 2016

Reisezeit: Oktober 2016  |  von Nick H.

Tag 1 - Ankunft in Pjöngjang

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Peking, 13:00Uhr:

Nach monatelangem Entgegenfiebern auf diesen Moment sitze ich nun tatsächlich zusammen mit meinen drei Mitreisenden am Gate des Flugs CA121. Es fühlt sich unwirklich an und noch etwas skeptisch reihe ich mich in die Schlange der Passagiere ein. Hinter uns liegen bereits 16 ereignisreiche Tage in Südkorea und Peking.

Das Bangen, ob alles glatt laufen wird und wir in Nordkorea einreisen können, ist vorbei. Die politische Lage ist zwar angespannt, aber "stabil". Es gibt keine globale Epidemie, die (wie zuletzt 2014) zu einer Schließung der nordkoreanischen Grenze geführt hätte. Wir alle sind gesund und unverletzt. Die KITC (Korea International Travel Company) hat es sich offenbar auch nicht anders überlegt und möchte uns nach wie vor empfangen. Der Flug wird ohne Verzögerung auf der Tafel angezeigt.

Die Realität ist, dass ich in gut zwei Stunden Fuß auf nordkoreanischen Boden setzen werde.

In den zurückliegenden Monaten habe ich gefühlt jede Dokumentation über Nordkorea auf YouTube gesehen, jeden Online-Reisebericht verschlungen und auch sonstige Literatur gelesen (z.B. "Nordkorea-Handbuch" von Arno Maierbrugger oder "Kim und Struppi: Ferien in Nordkorea" von Christian Eisert).

Ich weiß also ziemlich genau, was mich erwarten wird. Richtig? Um es vorweg zu nehmen: Falsch! Natürlich ähnelt mein Reiseverlauf stark denen der Reisenden vor mir und oftmals kannte ich bereits vor Reiseantritt Fotos oder Videos von bestimmten Sehenswürdigkeiten. Aber auf das Gefühl, das man empfindet, wenn man wirklich vor Ort ist und umringt von Nordkoreanern in traditioneller Kleidung oder Uniform auf die 20 Meter hohen Bronzestatuen von Kim Il-sung und Kim Jong-il zuläuft - darauf bereitet einen YouTube nicht vor!

Der Flug nach Pjöngjang - wenn auch "nur" per Air China und nicht per nordkoreanischer Fluglinie Air Koryo (der Burger dort soll ja legendär sein) - wird aufgerufen und mit einer Mischung aus Vorfreude, Nervosität und Neugierde steigen wir in den Flieger.

Zwei Dinge fallen während des zweistündigen Fluges auf:
Zum einen vermisst man auf den Bordmonitoren das kleine GPS-Flugzeug vor einer Landkarte, um seine eigene aktuelle Position zu kontrollieren. Dies ist wahrscheinlich dem "Wunsch" Nordkoreas geschuldet, solche Informationen samt Panoramablick über das Land nicht jederzeit an Hinz & Kunz preiszugeben. Vielleicht sieht man ja verbotenerweise einen Laster samt Atombombe über das Land zuckeln und kann ihn dank Landkarte verorten...oder auch nicht.

Zum anderen fällt sofort auf, dass Nordkorea ein sehr, sehr bergiges Land ist. Das zeigt einem nochmals anschaulich den Grund für die geringe Anbaufläche von Lebensmitteln und erklärt die daraus bereits mehrfach entstandenen Probleme.

Eine Ankunft am Flughafen von Pjöngjang unterscheidet sich von der an anderen Flughäfen: Hektisches Gedränge oder Menschenmassen sucht man hier vergeblich. Bei 2-3 Flügen pro Tag(!) konkurrieren die Mitarbeiter des Flughafens in ihrer Anzahl mit der Anzahl der Fluggäste.

Nachdem ich mein Reisegepäck recht zügig zurückerhalten habe, wird es mir direkt wieder weggenommen. Genauer gesagt werden wir höflich-bestimmt gebeten, Koffer und Rucksack zu öffnen, sodass der uniformierte Herr einen Blick in die Habseligkeiten werfen kann. In meinem Fall fällt diese Kontrolle - für nordkoreanische Verhältnisse - recht herzlich aus und auf meine Antwort auf die Frage, wo ich denn herkomme, gibt es einen Klaps auf die Schulter und ein erfreutes Lächeln samt "Ah, Germany. Good!". War die DDR also doch für etwas gut! Dennoch werden natürlich sämtliche technische Geräte, SD-Karten usw. inklusive Seriennummern penibelst notiert. Ein komisches Gefühl, hoffentlich verliere ich nichts!

Dank des netten Beamten bei meiner Gepäckkontrolle bin ich vor meinen Mitreisenden durch diese Prozedur gekommen. Unsere beiden bereits wartenden koreanischen Reiseleiter begrüßen somit vorerst nur mich. Sie wirken freundlich-professionell und sprechen - dank Deutschstudium an der Kim-Il-Sung-Universität bzw. Auslandsaufenthalt in der Schweiz - exzellentes Deutsch. Wie sich herausstellt, war ihnen scheinbar nicht bewusst, dass wir vorher zwei Wochen in sämtlichen Ecken Südkoreas gewesen sind. Ist das nun ein Problem? Sage ich es ihnen? Oder ist das bereits ein Test meiner Ehrlichkeit? Oh Gott, hoffentlich trete ich in Minute 1 nicht schon in das erste Fettnäpfchen! Etwas Unbehagen macht sich breit. Vor Antritt der Reise hieß es vom deutschen Reiseveranstalter: 'Die Reiseleiter wissen über eure Route Bescheid, das ist alles kein Problem.' Also schildere ich wahrheitsgemäß unseren bisherigen Reiseverlauf. Die Beiden wirken ziemlich erstaunt, aber es scheint auch kein größeres Problem darzustellen. Es zeigt sich sogar - in dieser Situation und den kommenden Tagen - dass ein sehr großes Interesse am Nachbarland besteht. Offenbar sind solche Informationen selbst für die privilegierten Reiseleiter nicht ganz so einfach zu erhalten. Ob es sich um persönliches Interesse oder um das Zusammentragen von Informationen im offiziellen Auftrag handelt, kann ich nicht sagen. Jedenfalls werden emsig Fakten abgefragt.

Diese an sich belanglose Szene direkt zu Beginn der Reise führt mir nochmals anschaulich die Absurdität der Isolation und des gezielten Informationsflusses vor Augen. Wir wissen etwas nicht bzw. sind unterschiedlicher Meinung über eine Zahl oder einen Fakt? Frag Google...oder guck es dir am besten direkt per Street View selbst an. Dinge, die für uns inzwischen selbstverständlich sind, gibt es hier nicht. Obwohl mir das natürlich vorher klar war, ist es trotzdem noch einmal eine gute Erinnerung an das, was vor uns liegt. Willkommen im Land der begrenzten Unmöglichkeiten!

Ich bin erleichtert, das erste Fettnäpfchen einigermaßen unbeschadet umschifft zu haben und freue mich nun auf die Fahrt Richtung Innenstadt. Diese führt - erwartungsgemäß - über angenehm leere Straßen. Wobei man hier inzwischen etwas differenzieren muss: Während man "auf dem Land" tatsächlich kaum auf Autos trifft, herrscht in Pjöngjang inzwischen zumindest etwas mehr Verkehr. Nicht so, dass man im Stau stünde, aber immerhin so viel, dass die Verkehrspolizistinnen, die man an jeder Kreuzung antrifft, nicht zur reinen - hübsch anzusehenden - Staffage verkommen.

Gerade in den ersten Minuten und Stunden versuche ich, jedes Details und jeden Anblick aufzusaugen. Alles ist spannend, unbekannt, neu. Mir wird bereits nach dieser kurzen Zeit klar, wie viele "fremde" Dinge und skurrile Situationen noch folgen werden. Skurril ist hier nicht abwertend gemeint. Für einen Nordkoreaner wären sicher andersherum viele Situationen in Deutschland äußerst befremdlich. Oktoberfest, Karneval, 1. Mai-Demo oder ein Bahnhof samt Graffiti, betrunkenen Obdachlosen und Uringeruch, um nur mal einige Beispiele zu nennen. Wobei mir gerade einfällt, dass es in Nordkorea inzwischen tatsächlich eine Art Oktoberfest gibt, siehe z.B. hier.

Da sich der Tag schon dem Ende zuneigt, bleibt lediglich Zeit dafür, einen ersten kurzen Eindruck von Pjöngjang zu erhalten. Aber was für einen! Der Kim-Il-Sung-Platz erschlägt einen geradezu mit seinen Dimensionen! 75.000qm Beton, eingerahmt von diversen Monumentalbauten. Ich wüsste nicht, was in Deutschland hiermit vergleichbar wäre. Auf den Steinen dieses rund zehn Fußballfelder großen Platzes sehe ich überall kleine Punkte und Markierungen. Sie dienen für diverse Paraden, Aufmärsche und Feierlichkeiten als Orientierungshilfen. Eine Choreografie hat hier schließlich perfekt zu sein. Dank YouTube weiß ich, dass dies meist auch der Fall ist.

Kim-Il-Sung-Platz, im Hintergrund der Große Studienpalast des Volkes

Kim-Il-Sung-Platz, im Hintergrund der Große Studienpalast des Volkes

Kim Il-sung und Kim Jong-il

Kim Il-sung und Kim Jong-il

Der Große Studienpalast des Volkes (auch Große Studienhalle des Volkes) liegt am westlichen Ende des Platzes und dient als zentrale Bibliothek sowie Volkshochschule für die Bevölkerung. In direkter Sichtachse - über den Kim-Il-sung-Platz und dem Taedong-Fluss hinweg - liegt der Juche-Turm (auch Monument der Chuch’e-Ideologie).

Drei Eckpfeiler dieser Ideologie, die von Kim Il-sung entwickelt wurde, sind:
1. Politische Souveränität (chachu, 자주)
2. Wirtschaftliche Selbstversorgung (charib, 자립)
3. Militärische Eigenständigkeit (chawi, 자위)

Fun-Fact: Die Flamme des Juche-Turms besitzt eine eigene, vom Rest der Stadt getrennte Stromversorgung. Gibt es in Pjöngjang also einen Stromausfall (wir haben in acht Tagen drei miterlebt), leuchtet die Flamme des Turms unbeirrt weiter durch die Nacht.

Monument der Chuch’e-Ideologie

Monument der Chuch’e-Ideologie

Insgesamt wirkt Pjöngjang im Verhältnis zu anderen Großstädten auch dank der städtebaulichen Dimensionen vielerorts fast verlassen. Ein Zehn-Fußballfelder-großer Platz wirkt eben schnell mal leer, wenn nicht gerade Zehntausende Leute eine Militärparade abhalten. Wo sind all die Menschen? Arbeiten? Zu Hause? Zwar gibt es immer wieder Punkte, an denen sich die Menschen drängen (z.B. lange Schlangen an Bushaltestellen - kein gern gesehenes Fotomotiv), aber irgendetwas "stört" mich an dem sich mir darbietenden Stadtbild. Endlich komme ich darauf! In den meisten Städten flanieren die Menschen vor Schaufenstern, sitzen in Cafés oder bummeln einfach ziellos umher. Hier hingegen scheint jeder geschäftig von A nach B unterwegs zu sein - ein klares Ziel zu haben. Man hält sich offenbar kaum "einfach so" in der Stadt auf. Den Einzelhandel mit seinen Schaufenstern, offensichtliche Gastronomie sowie irgendeine Form von Werbung und Schilder (abgesehen von politischen Parolen) sucht man hier fast vergeblich.

Man findet kein Staubkorn, geschweige denn Kaugummis oder Müll auf dem Boden. Alles wirkt sauber und sehr gepflegt. Vielleicht fast zu steril, aber wenn man vorher 2-3 Tage in Peking war, weiß man das durchaus zu schätzen. Zusammen mit dem geringen Verkehr, der Flusslage und größeren Grünflächen kann man die Innenstadt von Pjöngjang als durchaus schön bezeichnen. Die monumentale Architektur ist sicherlich Geschmackssache, aber eindrucksvoll ist sie allemal. Entfernt man sich vom Zentrum oder schaut bei älteren Plattenbauten zu genau hin, relativiert sich dieser Eindruck zwar ein bisschen, dennoch bin ich ehrlich positiv überrascht! Ich denke an meine Heimatstadt in Deutschland mit all dem Müll, den Hundehaufen und Glasscherben auf dem Boden und ertappe mich kurz beim Gedanken, dass Nordkorea auch Vorteile bietet. Natürlich wird diese Sauberkeit mithilfe drakonischer Strafen bei Verstößen sowie diversen Personen, die den ganzen Tag den gleichen Ort fegen, erreicht. Dennoch glaube ich, dass die Ideologie, der gemeinsame Feind (die Imperialisten) und auch die materiellen Engpässe dort ein größeres "Wir-Gefühl" und persönliches Verantwortungsgefühl erzeugen. In Deutschland kennen wir oft ja nicht einmal mehr unsere direkten Nachbarn. Ich klinge zwar gerade so, aber ich bin absolut kein Gegner des Kapitalismus. Der Sozialismus samt Planwirtschaft ist eine nette Idee. Vereinfacht gesagt lässt sich das Problem hieran jedoch folgendermaßen zusammenfassen: Mein eigenes Klo halte ich sauber...ein WG-Klo noch ein bisschen...bei einem öffentlichen Klo: Nach mir die Sintflut!

Daher funktioniert das mit dem Allgemeinbesitz und ohne persönliche, finanzielle Anreize leider auch hier nicht so ganz effizient.

Auf dem Platz treffen wir schließlich noch auf eine Schulklasse und können ein Verhalten beobachten, das sich durch die kompletten Tage und alle Altersschichten zieht:
Von Weitem winken die Kinder, beobachten uns erstaunt und zeigen mit den Fingern auf unser Trüppchen. Sobald die Lehrerin dies mitbekommt, treibt sie die Klasse jedoch schnellstmöglich an uns vorbei. Auch Erwachsene zeigen in den folgenden Tagen von Weitem immer wieder ihre unverhohlene Neugierde. Sobald wir - vor allem aber unsere Reisebegleiter - jedoch näher kommen, wird auf den Boden oder in eine andere Richtung geschaut und schnell weitergegangen.
Der Kontakt zwischen Ausländern und der Bevölkerung wird nicht gerne gesehen, um es mal vorsichtig auszudrücken. Daher haben wir in all den Tagen - abgesehen vom "Service-Personal" in Restaurants und in Hotels oder von arrangierten Treffen - mit keiner einzigen Person wirklich gesprochen. Das ist sehr schade, aber man möchte ja niemanden in Schwierigkeiten bringen.

Schulklasse auf dem Kim-Il-sung-Platz

Schulklasse auf dem Kim-Il-sung-Platz

Schulklasse auf dem Kim-Il-sung-Platz

Schulklasse auf dem Kim-Il-sung-Platz

Bevor es zum Hotel geht, können wir einer von LEDs illuminierten Verkehrspolizistin noch bei ihrer Arbeit zusehen. Die zackigen, roboterartigen (nicht böse gemeint) Bewegungen sowie die Tatsache, dass jede Vorbeifahrt eines höheren Beamten in Sekundenschnelle durch militärischen Gruß quittiert wird, entlockt uns allen ein anerkennendes Nicken. Auf YouTube kann man sich das Ganze in Aktion ansehen.
Der Beruf der Verkehrspolizistin ist in Nordkorea übrigens relativ hoch angesehen und es fällt auf, dass der Job an großen, repräsentativen Kreuzungen von Pjöngjang fast ausnahmslos durch hübsche, junge Frauen ausgeübt wird, während man "weiter draußen" eher die älteren Herren zu Gesicht bekommt. In Deutschland wäre das ein Fall für die Antidiskriminierungsstelle.

Verkehrspolizistin bei Nacht

Verkehrspolizistin bei Nacht

Schließlich erreichen wir unser Hotel, das Yanggakdo-Hotel auf der Insel Yanggak im Taedong-Fluss gelegen. Die beiden Zugangsbrücken sind von uniformierten Personen bewacht - ein Hauch von Alcatraz-Feeling kommt auf. Allerdings die luxuriöse und angenehme Version von Alcatraz.

Yanggakdo-Hotel samt Drehrestaurant (Bild stammt von einem späteren Tag, an Tag 1 war es bereits dunkel)

Yanggakdo-Hotel samt Drehrestaurant (Bild stammt von einem späteren Tag, an Tag 1 war es bereits dunkel)

Blick nach unten aus dem Zimmer im 43. Stock des Yanggakdo-Hotels (Bild stammt von einem späteren Tag, an Tag 1 war es bereits dunkel)

Blick nach unten aus dem Zimmer im 43. Stock des Yanggakdo-Hotels (Bild stammt von einem späteren Tag, an Tag 1 war es bereits dunkel)

Lobby des Yanggakdo-Hotels

Lobby des Yanggakdo-Hotels

Blick aus dem Zimmer (43. Stock) über die Innenstadt von Pjöngjang

Blick aus dem Zimmer (43. Stock) über die Innenstadt von Pjöngjang

Zumindest was Pjöngjang angeht, stimmt das allseits bekannte Satellitenbild, das ein nachts komplett dunkles Nordkorea zeigt (im Gegensatz zum hell erleuchteten Südkorea), nicht mehr ganz. Während es auf dem Land sicher noch weitestgehend zutrifft, ist Pjöngjang nachts - wenn nicht gerade Stromausfall ist - doch recht gut beleuchtet.

Die erste Nacht bricht an und noch immer fühlt sich die Tatsache, aktuell in Nordkorea zu sein, unwirklich an. Es gäbe bereits jetzt so viel zum ersten Tag zu kommentieren, aber wird unser Doppelzimmer nicht vielleicht doch abgehört..? Wir einigen uns darauf, dass heute alles "interessant" und "spannend" war. Gelogen ist das definitiv nicht!

© Nick H., 2017
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Achttägige Rundreise durch die Demokratische Volksrepublik Korea im Oktober 2016
Details:
Aufbruch: Oktober 2016
Dauer: unbekannt
Heimkehr: Oktober 2016
Reiseziele: Nordkorea
Der Autor
 
Nick H. berichtet seit 7 Jahren auf umdiewelt.