Kambodscha 2002

Reisezeit: Januar / Februar 2002  |  von Annette W.

mit seinem Weltkulturerbe – dem Königreich der 100 Tempel von Angkor
Ein Land zwischen kultureller Ausbeutung und touristischer Vermarktung

Das Reich der Khmer

Es ist noch dunkel, als ich den Rücksitz des kleinen Motorrades mit meinem kambodschanischen Führer besteige und mich mit lautem Geknattere in den ersten Stau des Tages einreihe. Heerscharen von Besuchern wollen den Sonnenaufgang hinter der fünftürmigen Kulisse von Angkor Wat erleben, ein Anblick, der fast jeden Reise-katalog und Werbeprospekt über Kambodscha ziert. Am frühen Morgen erheben sich die Türme , die den Mittelpunkt des Hinduuniversums symbolisieren, dunkel gegen das Dämmerlicht des Himmels. Es ist eins der schönsten und größten religiösen Denkmäler, die je geschaffen wurden. Auch ich möchte noch vor der immer größer werdenden Touristenschar, die in den nächsten Jahren über das Land hereinbrechen wird, das Königreich Kambodscha besuchen. Ich will sehen, wie seine herrlichen Tempel und Monumente drei Jahrzehnte Krieg, Bürgerkrieg und Hungersnot überstanden haben und die in Gefahr laufen, immer mehr von einheimischen Banditen geplündert zu werden.

Ausgangspunkt ist Bangkok. Von dort geht es mit Bus zur kambodschanischen Grenze und weiter durch's Land, siehe oben. Ausreise per Schiff zurück nach Thailand und dann mit Bus nach Bangkok.

Grenze von Thailand nach Kambodscha

Grenze von Thailand nach Kambodscha

Angkor ist zum Synonym eins zu Stein erstarrten Traumes geworden. Das Wort steht für eine mythische Hoch-kultur aus der Zeit der Jahrtausendwende, die nach ihrer Blütezeit im tropischen Urwald versank und zweimal, 1860 und 1992, für die westliche Welt wiederentdeckt wurde. Angkor's Umgebung hat die dichteste Ansamm-lung von Tempeln auf der Welt. Geographisch betrachtet umfaßt der Begriff Angkor eine Fläche von 232 qkm. Es ist die Seele des Volkes der Khmer und wurde 1992 zum Erbe der Menschheit gekürt und seine einzigartige Architektur und die romantische Lage inmitten eines verschwenderischen Urwaldes bringen selbst welterfahrene Kunstreisende zum Schwärmen. Fast alle Tempel sind noch wie bei ihrer Entdeckung eingehüllt in ein dichtes Kleid aus Grün, dessen riesige Bäume die Heiligtümer versteckt halten.
Das Königreich wuchs im 9. bis zum 14. Jahrhundert am Nordufer des Tonle Sap heran, am Großen See, der das geographische Zentrum des heutigen Kambodscha beherrscht. Im 12. Jahrhundert zählte Angkor, die Hauptstadt des Khmer-Königreichs, vermutlich rund 1 Million Einwohner. Von hier aus herrschten die mächtigen Khmer-Könige über ein ausgedehntes Gebiet.

Einer der Tempel - Ta Prohm - hat mich persönlich sehr beeindruckt, fast noch mehr als das große Angkor Wat. Er legt eindrucksvoll Zeugnis ab über die Vergänglichkeit der Menschenwerke und die Macht der Natur. Wie Tentakeln von riesigen Kraken umarmen die mächtigen Wurzeln der Urwaldriesen die Türe, Fassaden, Portale und Mauern dieses Bauwerkes. Sie sprengen selbst die dicksten Wände, doch bewahren sie sie durch ihre Umklammerung, vorm Einsturz, wodurch sie gleichzeitig Zerstörer und Erhalter in einem sind. Die Zeit hat in Abwesenheit des Menschen hier ihr eigenes Kunstwerk geschaffen. Wurzeln huschen wie Schlangen durch dunkle, von Einsturz bedrohte Galerien. Das wilde Durcheinander von eingestürzten Türmen und Galerien macht den gesamten Tempel zu einem unheimlichen Labyrinth. Besonders zwei Bäume sind für diese zerstörerische Macht verantwortlich. Der Kapokbaum und die Würgefeige. Beide beginnen ihr Leben als kleine Setzlinge in den Nischen der Mauern und Dächer. Auf der Suche nach Nahrung lassen die feinen, dünnen Wurzeln keine noch so enge Fuge aus und wachsen schließlich über die Gebäude hinab ins Erdreich. Während Angkor Wat und die anderen Tempel Zeugnis von der Genialität der Khmer-Baumeister der Angkor Periode ablegen, bietet Ta Phrom uns ein Bild von der ungeheuren Fruchtbarkeit und immensen Kraft des Dschungels.

Heutzutage ehren Buddhisten Angkor als heiligen Ort. Hier findet ein von Armut und Krieg gequältes Volk Zuflucht und Erbauung. Mit ausländischer Unterstützung sind kambodschanische Architekten und Kunst-historiker bemüht, das uralte Zentrum ihrer Identität zu restaurieren - und auf diese Weise zu retten.

Doch was tun gegen die vielen Plünderungen, die auch heute noch anhalten? Die Nachfrage nach Khmer-Kunst in den Vereinigten Staaten, Europa und Singapur ist erheblich gestiegen. Viele Soldaten und Polizisten, ausgestattet mit Kalaschnikows, sind bemüht, sich Tag und Nacht gegen die Diebstähle zur Wehr zu setzen - mit mehr oder weniger großem Erfolg. Die Plünderungen in den vergangenen Jahren haben mehr Verwüstung angerichtet als die Kämpfe vor und nach dem blutigem Regime der Roten Khmer. In Angkor Wat gibt es kaum noch eine frei stehende Statue , die noch einen Kopf hat, viele Kunstwerke sind komplett verschwunden. Das Nationalmuseum in Phnom Penh beherbergt in einem wunderschönen, in traditioneller Khmerarchitektur erbauten Gebäude eine Sammlung von geretteten antiken Skulpturen aus der Angkor-Periode. Wenigstens hier sind sie vor weiteren Plünderungen gefeit.

Nach 3 überwältigenden, jedoch auch sehr anstrengenden Besichtigungstagen, begebe ich mich auf die weitere Entdeckungsreise dieses faszinierenden Landes. Meine Einreise von Thailand nach Kambodscha (Aranyaprathet - Poipet) war doch recht abenteuerlich: 8.30 Uhr alleiniger Grenzübergang inmitten von kambodschanischen und thailändischen Händlern, anschließend 6 Stunden mit Minibus über eine Sandstraße mit 1.50 m tiefen Schlaglöchern. Die Vorstellung, in Kambodscha könnte man sich nicht frei bewegen ohne Angst haben zu müssen, auf eine Mine zu treten, ist falsch. Fast alle touristisch interessanten Plätze sind frei von diesen heimtückischen Kriegswaffen. Doch werden die vermutlich drei Millionen Minen, die überwiegend in abgelegenen, vom Tourismus kaum berührten Gegenden noch im Boden versteckt sind, die Bevölkerung noch über Jahrzehnte hinaus gefährden.

Nach der Besichtigung des großen Königreiches von Angkor führt mich meine Reise nun weiter über den Tonle Sap-See Richtung Phnom Penh. Auf der 6-stündigen Fahrt auf Deck des Speedboates treffe ich einen Deutschen, der an meiner "Messetüte" erkennt, dass ich aus Hannover komme und der mir dann sofort erzählt, dass er 3 Monate auf der Expo gearbeitet habe und wie toll er doch diese Veranstaltung gefunden habe und die Messe insbesondere findet. Mit stolz geschwellter Brust erzähle ich ihm dann, dass ich sogar bei dieser tollen Messe arbeiten würde und er versinkt in Staunen. Tja, so kann man sogar ungewollt mit so einer "blöden" Tüte in fernen Landen Werbung für die Messe machen!!!!

Phnom Penh, die heutige Hauptstadt Kambodschas scheint getrieben von einer Aufholjagd. Mit einer begeisternden Dynamik versuchen die Menschen, die über 20 Jahre ihres Lebens durch Bürgerkrieg verloren haben, den Anschluss an das moderne Asien zu erreichen. Monat für Monat steigt die Anzahl der Mopeds und Autos spürbar an. Der Reiz des heutigen Phnom Penh liegt darin, dass es, obwohl auf dem Weg zu einer typisch asiatischen Großstadt, trotzdem seinen provinziellen Charme noch nicht verloren hat. Die Stadt ist noch weit davon entfernt, ein verpesteter Moloch wie Bangkok zu sein. Asiatisch sind die Menschenmassen, die die Straßen und Märkte beleben, chinesisch die Geschäftsleute, international die Gastronomie und alles vermischt mit einem Schuss französischen Flair. Erstaunlich schnell ist Phnom Penh wieder zu einer relativ reichen Stadt geworden, die sich stark von der armen Provinz absetzt. Überall in der Stadt trifft der Besucher auf Relikte der französischen Kolonialzeit, die von einer wahrlich beeindruckenden Epoche zeugen und Phnom Penh ihren unverwechselbaren Stempel aufgedrückt haben. Prachtvolle, im Jugendstil erbaute Villen mit blühenden Bäumen bepflanzte Boulevards und frische Baguettes an den Straßenecken machen den Einfluss der "Grande Nation" übersehbar.

Ein Besuch in der Silberpagode mit seinen 5000 Silberfliesen und dem Nationalmuseum lassen ahnen, wie reich einmal Phnom Penh war. Obwohl mich ein Mopedtaxifahrer auf der Fahrt in mein Gästehaus am Abend "in the middle of nowhere" aussetzt, kein Englisch spricht und nicht weiß, wo wir uns befinden, bin ich sehr angetan von den freundlichen und immer lächelnden Menschen mit dem Krama, dem bunt karierten traditionellen Baumwollschal, ein wichtiges Kleidungsstück und ein vielfach verwendbarer Gebrauchsgegen-stand im Leben der Khmer.

Zum Abschluss meiner Reise in Kambodscha möchte ich noch ein wenig ausspannen und fahre nach Sihanoukville, Kambodscha's einzigem Seehafen mit mehreren wunderschönen ruhigen Stränden am Golf von Thailand. Auch hier säumen prächtige Villen und Hotels die kleine Straße an der Beach. Und wenn nicht die störenden Sandflöhe ständig pieken würden, wäre das Paradies vollkommen.

Mit dem Speedboat verlasse ich nach ein paar Tagen dieses beeindruckende Land (Grenze Koh Kong - Hat Lek) und ich geniesse es, dass ich eine von den ersten bin, die diesen Grenzübergang in Richtung Thailand benutzen darf, da er erst seit einem halben Jahr geöffnet ist.

Man sollte Kambodscha jedoch nicht bereisen, ohne sich die schreckliche Vergangenheit bewußt zu machen, unter der die Bevölkerung jahrelang gelitten hat. Darum einige Worte dazu:
Kambodscha war von 1863 - 1953 französisches Protektorat. Die heutige Monarchie wird von König Sihanouk geleitet, der seit 1993, nach 38 Jahren als Politiker, wieder in die Rolle des Königs geschlüpft ist und seither die Geschicke seines Landes lenkt. Nie wird hier jedoch die Schreckensherrschaft der Roten Khmer unter Pol Pot vergessen (1975 - 1979), bei dessen Namen den meisten Kambodschanern und Ausländern ein eisiger Schauer über den Rücken läuft. Zusammen mit seinen Helfershelfern leitete Pol Pot eine Revolution ein, deren Radikalität und Brutalität fast alles übertrifft, was die Menschheitsgeschichte aufzuweisen hat. Er wollte in Vietnam seine Ansprüche auf das einst von Khmer bewohnte Mekongdelta geltend machen. Vietnam vertrieb dann 1979 die Massenmörder. Der Bürgerkrieg ging jedoch noch bis 1989 weiter bis dann 1991 ein Friedensvertrag geschlossen wurde und nach der Wahl 1993 mit dem Sieg der FUNCINPEC und König Sihanouk sich wieder zum König gemachte hatte, endlich Ruhe einkehrte.

Nach dieser leidvollen Geschichte ist es um so weniger zu verstehen, dass ein Volk, das 2 Mio Menschen im Bürgerkrieg verloren hat, versucht, aus den Relikten der Vergangenheit Kapital zu schlagen, indem es aus dem ehem. Kriegsschauplatz einen Kriegsspielplatz macht und gegen harte Dollar-Währung (20 Schuss = 25 US §) die übrig gebliebenen Colts und Kalaschnikows an schießwütige Touristen aus aller Welt, die keinerlei moralische Bedenken haben, vermietet. Diese dürfen dann ihre perversen Wünsche nach Vernichtung auf einer so genannten Shooting Range, gemanaged vom kambodschanischen Militär, ausleben , indem sie auf Zielscheiben und, je nachdem wie blutig man es mag, auf lebendiges Geflügel schießen und mit Panzerab-wehrraketen auf 200 Dollar teure Kühe feuern, just for fun.

Ballermann und Urlaubsspaß in einem Land, in dem über den Massenmord an Menschen penibel Buch geführt wurde? Die Tourismusindustrie boomt und die Vermarktung Kambodschas nimmt ihren Lauf.

(Januar/Februar 2001)

Für alle, die gerne individuell reisen ein kleiner Tipp:

Der 1974 gegründete Club ist die älteste Globetrottervereinigung Deutschlands und der größte Zusammenschluß leidenschaftlich Reisender auf ideeller Basis in Europa

www.globetrotter.org

© Annette W., 2005
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: Januar 2002
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: Februar 2002
Reiseziele: Kambodscha
Der Autor
 
Annette W. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Annette sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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