In Düsseldorf daheim, in der Welt zu Hause

Reisezeit: Oktober 2010 - Oktober 2011  |  von Marius Schebaum

Neues Seeland: Vom Wohnwagen- zum Traubenpacker

Wie ich zur Traube wurde

Bin mittlerweile dem laxen Backpacker-Chiller-Leben entflohen wegen akuter geistiger und koerperlicher Unterforderung und seit 3 Tagen offizielles Mitglied der neuseelaendischen Trauben-Mafia! Dazu musste ich mich zunaechst fuer 1 Woche im dubiosen koreanischen Arbeiter-Hostel verpflichten, wo man eine schaebige Matraze in einem stinkigen, kleinen Zimmer mit 3 anderen deutschen Trauben-Pflueckern zugewiesen bekommt und jeden Abend nach dem harten Arbeitstag gibt es einen riesigen Pott Reis fuer die ganze Mannschaft. In dem kleinen Dorf hier im Norden der Suedinsel gibt es auch ehrlich gesagt nichts anderes Sinnvolles zu tun ausser wie ein Bekloppter reife Trauben von den Reben zu reissen, weil abgesehen davon hier die Hose einfach kalt am Bett haengt. Wie in vielen anderen neusellaendischen Countryside-Doerfchen gibt es eine mehr oder weniger lange Hauptstrasse mit ein paar Werkstaetten, ner Tankstelle, ein paar Banken und einem riesigen Supermarkt, wo man alles kaufen kann, was das Herz begehrt, wenn man denn das noetige Kleingeld hat. Und genau dieses will ich hier auf mein Konto bringen, indem ich den ganzen Tag bei sengender Sonne unter blauem Himmel die Weinreben entlangstapfe mit meiner kleinen Zange und schier unbaendigen Trauebn-Jadgtrieb ausgestattet. War aber gar nicht so einfach, ueberhaupt ans Arbeiten zu kommen, denn der koreanische Mafia-Padre hier ruft jeden Abend seine Untergrund-Connections an und fragt, obs am naechsten Tag n heissen Job gibt fuer seine ca. 15 Lemminge, die hier in seinem Betonklotz vor sich hin vegetieren und auf Arbeit warten. Die ersten beiden Tage gabs fuer mich nichts, da die fraglichen Unternehmen angeblich "keine Neuen" haben wollten, obwohl man bei dieser Art von IQ-auf-Zimmertemperatur-Job keine besonderen Faehigkeiten braucht, aber ich habe genug vom "Paten" gelernt, dass man sie NIEMALS gegen die Mafia auflehnen sollte, weder in Italien, noch in Neuseeland.

Nachdem ich dann also zwei Tage in allen interessanten Shops und Cafes der "Stadt" unterwegs war (die Auswahl beschraenkt sich auf genau 3), um mir die Zeit zu vertreiben, gings am dritten Tag dann mit Pauken und Trompeten los und ich wurde von einem kleinen, listigen Koreaner mit langer,.grauer Maehne in seinem nach Minz-Zigaretten stinkenden Transporter abgeholt, dann wurde mir eine Zange in die Hand gedrueckt und in einer 30-sekuendigen Einfuehrung (fuer die "Neuen") erzaehlt, dass lila Trauben "baad" (boese Trauben, pfui!) und gruene Trauben "good" (die gute Seite der Macht ist gruen, wie Lukes Lichtschwert damals, konnt ich mir trotz meiner mangelnden Erfahrung gut merken) seien. Die naechsten 7,5 Stunden habe ich also damit verbracht, die ca. 250 m langen Reihen auf und nieder zu schreiten und lila Trauebnm abzuklippen und gruene dranzulassen. Man geraet bei diesem stupiden Job schnell in eine Art Trance, die nur unterbrochen wird, wenn der kleine Supervisor ploetzlich unerwartet aus der benachbarten Reihe raussringt, meine Arbeit checkt und mir in gebrochenenem Englisch nochmal erklaert, dass lila Trauben weg muessen. Es gab zwei Pausen a einer halben Stunde, die wir erschoepft im Gras sitzend, doesend und unsere mitgebrachten Snacks mampfend verbracht haben, bevor es wieder die immer laenger scheinenden Reihen lang ging, bis man irgendwann die Reben vor lauter Trauben nicht mehr sehen kann!

Anscheinend konnte ich dank meiner schnellen Auffassungsgabe (die ich wahrscheinlich meinem Sportbachelor zu verdanken habe) die koreanische Mafia beeindrucken, so dass ich am naechsten Tag nochmal 7,5 Stunden meinen Schweiss den lila und gruenen Trauben opfern durfte. Am Ende des Tages schreibt man dann seinen Namen und seine Unterschrift auf einen Zettel, hofft, dass die koreanische Uhr genau so viele Stunden wie die Eigene gezaehlt hat und gibt eine Kopie seines Reisepasses und des Arbeitsvisums ab und hofft, dass dann ein paar Tage spaeter ein wenig Bars auf das neuseelaendische Konto ueberwiesen wird.

Genau genommen soll man angeblich ca. 7,5 Euro die Stunde bekommen, allerdings werden davon noch die Steuern abgezogen, so dass man Ende des Tages mit ein ganz bisschen mehr als 5 Euro die Stunde dasteht, wenn man ueberlegt, dass eine Nacht in nem Hostel hier meistens schon ca. 12 Euro kostet, habe ich schnell gemerkt, dass ich hier nicht zum Trauben-Millionaer aufsteigen werde, es sei denn ich fange vielleicht an, mit Zangen zu dealen oder so...

Heute gabs dann die naechste kulturelle Mafia-Erfahrung, da mich die indische Trauben-Gang unter ihre Fittiche genommen hat. Andere Firma, anderer Job, andere Reben (die sich aber leider immer noch so lang und unerbittlich vor einem auftuermen) und vor allem ganz anderer Zug drin! Jeder der kleinen Backpacker-Lemminge wurde einem indischen "Partner" zugeteilt (der mehr Supervisor, Aufpasser und Boss war, wie sich rausgestellt hat), mit dem man gemeinsam die Reihen auf- und abgehen und diesmal Trauben ERNTEN musste. Hier war ich also DIREKT fuer die kommende neuseelaendische Weinernte des Jahres 2011 zustaendig, falls also jemand mal ein edles Trpefchen fuer wahrscheinlich 30 Euro die Flasche in die Finger bekommt, der ein wenig saeuerlich schmeckt, dann hab ich wahrscheinlich grad nicht aufgepasst oder die unzaehligen Wespen zwischen den Trauben haben mich abgelenkt... Die zu pflueckenden Trauben waren noch viel lilaerer (bzw. fast schon rot) als die Tage vorher, richtig schoen reif halt und das Ganze wurde dann mit der scharfen Zange schnell zu einer matschigen Angelegenheit, dementsprechend zugesaut sieht man auch nach ein paar Minuten Arbeit aus. Aber wurscht, schliesslich wird man von den indischen Kuh-Treibern in schoener Regelmaessigkeit mit Nachdruck dazu aufgefordert, seinen Arsch ein wenig schneller die Reben runterzubewegen, denn angeblich wuerden nur diejenigen einen Arbeitsplatz am naechsten Tag bekommen, die "hart arbeiten", aha, aber ich weiss gar nicht was das ist als Koelner-Teilzeit-Stadion-Arbeiter und Gluehwein-Verkaeufer?! also schoen entspannt Jack Johnson aufs Ohr gelegt und im Rythmus die Zange virtuos, aber gechillt die Reben entlanggefuehrt, als wenn sie Teil meiner Hand waere, waehrend die Indien-Kombo wild gestikulierend die Reihen entlanggerannt ist bzw. mit einem kleinen Traktor die vollen Kisten mit roten Trauben eingesammelt hat. Waehrend der Pause wurde dann das lustige Spiel "Neuseeland sucht den Super-Trauben-Pfluecker" begonnen: Nur die, die hart und schnell arbeiten, bekommen den Recall fuer den naechsten Tag und mittlerweile ist es 8 Uhr abends und wir sitzen gespannt im Hostel zusammen und warten auf den Anruf vom indischen Dieter Bohlen, wer morgen arbeiten darf und der nicht... Tja, wenns hier sonst schon nix Spannendes gibt in dem Kaff, muss man sich eben so einen Quatsch ausdenken, damit einem nicht langweilig wird.

Aber falls ich nicht unter den Auserwaehlten sein sollte, geht fuer mich die Trauben-Welt auch nicht unter, denn dann werde ich mich ganz entspannt in den Fernsehraum chillen und gemuetlich meinen geliebten FC Schalke in der Championsleague zaubern sehen und zwar diesmal ganz ohne indischen Kommentar und im Liegen auf dem Sofa, wenn man "Couchpotato" nur hauptberuflich machen koennte. Vielleicht sollte ich doch Kommentator werden, vielleicht bin ich doch nicht fuer harte, schnelle, koerperliche Arbeit geboren?!

Euer juengstes Trauben-Mafia-Mitglied

man kriegt einen richtig professionellen Tunnelblick die Rebe hinunter!

man kriegt einen richtig professionellen Tunnelblick die Rebe hinunter!

keine Traube gleicht der Anderen, so dass bei der Arbeit keine Langeweile aufkommt, es gibt grosse, duenne, kleine...

keine Traube gleicht der Anderen, so dass bei der Arbeit keine Langeweile aufkommt, es gibt grosse, duenne, kleine...

...dicke, gruene, braune, rote, verschrumpelte...

...dicke, gruene, braune, rote, verschrumpelte...

...zaehe, pralle, saftige, runde, eckige, nichtsnutzige... und da kann man eben schon mal wahrnsinnig werden und rigoros die Zange auspacken bei denen, die aus der Reihe tanzen!

...zaehe, pralle, saftige, runde, eckige, nichtsnutzige... und da kann man eben schon mal wahrnsinnig werden und rigoros die Zange auspacken bei denen, die aus der Reihe tanzen!

und da kann selbst das seichteste Gemuet zum Tier werden!

und da kann selbst das seichteste Gemuet zum Tier werden!

oder im Zuge eines schwer-wiegenden-Ende-des-Tages-Burn-Out einfach mal den Kopf in die Trauben stecken

oder im Zuge eines schwer-wiegenden-Ende-des-Tages-Burn-Out einfach mal den Kopf in die Trauben stecken

© Marius Schebaum, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mein Around-the-World-Ticket, mein Backpacker-Rucksack und Ich in einem Jahr einmal links rum um die Welt von Lateinamerika über Mittelamerika, USA, Fiji, Neuseeland, Australien und Indonesien bis nach China...
Details:
Aufbruch: 10.10.2010
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 10.10.2011
Reiseziele: Brasilien
Paraguay
Bolivien
Peru
Panama
Costa Rica
Nicaragua
Vereinigte Staaten
Fidschi
Neuseeland
Australien
Indonesien
Malaysia
Hongkong
China
Katar
Türkei
Deutschland
Der Autor
 
Marius Schebaum berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.
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