Weihnachten in Guatemala

Reisezeit: Dezember 2007 - Januar 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Zuversicht

Am Schluss flossen Tränen. Das war nicht zu vermeiden. Der Abschied war da. Minuten fehlten noch, bis mich der Shuttle vor dem Hotel abholte. David kämpfte, aber seine Gefühle waren stärker. "Du weiss nicht, wie schwer das Leben hier ist, jeden Tag um jeden Quetzal zu kämpfen", brachte er stockend hervor.

Zu schön waren die Tage gewesen, zu unbeschwert von allen Sorgen. Wir verbrachten drei Tage zusammen und Davids einzige Sorge war, ob er mir wohl genügen würde. Ob mir seine Konversation gefallen würde, ob er mir die richtigen Plätze gezeigt, sich korrekt benommen hatte. Am letzten Tag hatte er mir die Schule gezeigt, in der er ab Januar studieren wollte und auch das Zimmer, das er mit seiner Schwester Rosa mieten wollte, damit sie sich die tägliche Fahrt über den See sparen konnten. 400 Q sollte der Raum kosten und vielleicht würde noch eine Cousine mit ihnen einziehen, das würde die Kosten zusätzlich senken.

Drei Betten standen in dem kleinen Zimmer. Dazu gab es eine mit einem Plastik abgetrennte Dusche mit Toilette. Das was ich als Nische ansah, in die man Kleider aufhängen könnte, betrachtete David als Kochgelegenheit. "Mit einem Gaskocher können wir hier kochen, das ist viel billiger, als immer auf der Strasse zu essen", erklärte er mir. Am liebsten hätte ich einen Kübel weisse Farbe genommen, neue Vorhänge genäht und die Betten mit frischer Wäsche bezogen. Für David war dieses Zimmer das Zeichen für einen Neuanfang und machte ihn stolz.

Er vertraute mir, dass er in der Schule eine Freundin hätte. "Bist du dir denn der Verantwortung bewusst?" fragte ich ihn, denn er schien mir ein gutes Stichwort gegeben zu haben. Er ist ja selber das Produkt einer frühen Liebe seiner Mutter. "Ja", meinte er, "ich weiss schon, was für mich wichtig ist. Jetzt werde ich zuerst einmal studieren, alles andere kommt erst an zweiter Stelle". Auch Drogen wollte er keine nehmen. Ich erklärte ihm, dass meine Unterstützung sofort eingestellt würde, wenn ich erfahren würde, dass er Drogen nehme.

Danach gingen wir ins Internetcafe. Er wollte unbedingt wissen, wie es in der Schweiz aussieht. Ich hatte alle Fotos auf einer Harddisk dabei und so betrachteten wir Fotos von verschneiten Spazierwegen, Weihnachtsbäume, Bergen und meinen früheren Guatemalareisen. Tikal, die alte Mayastadt im Regenwald im Norden interessierte ihn besonders. Noch nie war er aus seiner Gegend weg gekommen. Die Reise nach Antigua, die er vor zwei Monaten mit seiner Schwester Rosa gemacht hatte, um sein Schulgeld bei Reyna abzuholen und sich bei ihr vorzustellen, war seine allererste Busfahrt gewesen.

Er war an allem interessiert, wie die Häuser in der Schweiz aussähen, wie man da wohnt, isst, arbeitet. Ich konnte ihm gar nicht genug erzählen. Das Buch, das ich ihm vor einem Jahr über die Schweiz geschenkt hatte, hatte er schon mehrmals gelesen. Und als ich ihm die Bilder aus dem Flugzeug zeigte, war er ganz aus dem Häuschen. So eines sollte ich ihm unbedingt senden. "Ich möchte auch einmal fliegen", sagte er sehnsüchtig. "Das wirst du auch, wenn du so weiter lernst und dich auf das wesentliche konzentrierst, wirst du deine Träume erfüllen." Ich wollte fest daran glauben, dass er es schaffen wird.

Beim Mittagessen verwendete er diesmal Messer und Gabel und ich war überrascht, wie schnell er das gelernt hatte. Als wir dabei dauernd von kleinen Kindern angesprochen wurden, die unbedingt etwas verkaufen wollten, erklärte ich ihm, dass das manchmal sehr störend sei, immer beim Essen unterbrochen zu werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gewisse Wirte den Kindern den Zutritt zu den Restaurants verwehrten, um ihre Gäste in Ruhe zu lassen. Er schien das zu verstehen, fragte dann aber doch, ob er die Reste des Hühnchens dem kleinen Kerl geben dürfte, der gerade an meinem Ärmel zupfte und mir seine Schlüsselanhänger entgegenstreckte. Natürlich durfte er das, und die restlichen Tortillas gleich noch dazu.

Und dann kam der Touristenbus und ich musste einsteigen. Seine Tränen hatte er getrocknet, und als ich ihm aus dem Bus ein letztes Mal zuwinkte, spielte ein leises Lächeln in seinem Gesicht und der erhobene Daumen signalisierte Zuversicht. Ich bin überzeugt, er wird es schaffen.

Du bist hier : Startseite Amerika Guatemala Zuversicht
Die Reise
 
Worum geht's?:
Zum 6. mal in Guatemala, das erste mal allein und ganz ohne spezielles Programm. Einfach nur da sein, Stimmungen fuehlen, Freundschaften auffrischen, Geschichten hoeren und erzaehlen. Vielleicht interessiert sich jemand fuer diese Art der Reisebeschreibung...
Details:
Aufbruch: 21.12.2007
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 08.01.2008
Reiseziele: Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors