Falltür ins Paradies

Reisezeit: Oktober 2009 - Oktober 2010  |  von Katharina L.

Buenos Aires, 30.04.2010

Von weitem bereits sieht man die riesige Dunstglocke ueber der 12-Millionen-Metropole, dem "groessten Schachbrettmuster der Welt" (mit ueber 100.000 Haeuserblocks!) liegen. In der Abenddaemmerung bahnt sich der Bus muehsam seinen Weg ueber die 6-spurige Einfallsstrasse Richtung Retiro-Bahnhof.

Die eingehenden Warnungen aller Reisefuehrer vor dreisten Dieben und zwielichtigen Gestalten am Retiro erweisen sich als voellig unberechtigt. Kein Mensch behelligt uns, kein Mensch will uns Boeses. Wir fragen uns nach dem Bus nach San Telmo durch. Etwas ueberrascht stellen wir uns in die britisch-penible Warteschlange an der Haltestelle. Dann steigen wir in den Bus. Hinter dem Lenkrad sitzt Joey Ramones Zwillingsbruder in seinem chromblitzenden, mit Rock'n'Roll-Devotionalien ausgestatteten Cockpit. Um die 50, Originalfrisur, schwarzes aermelloses T-Shirt, Nietenarmband, Jeans und Chucks. Aus den Boxen droehnt "Baba O'Reilly" von The Who (da die Busfahrer in Buenos Aires immer denselben Bus fahren, bleibt die individuelle Ausgestaltung des Busses, sowohl optisch als auch musikalisch ihnen selbst ueberlassen. Darueber gibt es auch einen schoenen Bildband, den wir spaeter entdecken: "Los collectivos de Buenos Aires").

Collectivos sieht man in jedem Stil.

Collectivos sieht man in jedem Stil.

Auf Katharinas Frage nach Fahrpreis und -ziel bloekt Joey etwas Unfreundlich-Unverstaendliches und wendet sich dann, fusswippend, ab. Wir wissen noch ncht dass man in den buenarenser Bussen einfach den auf einer Maschine hinter dem Fahrer angezeigten Geldbetrag in eben diese Maschine wirft. Also zahlen wir nichts. Niemanden kuemmerts. Wir bemuehen uns in der Dunkelheit die Strassenschilder zu entziffern und haben Glueck. An der Ecke Bolivar/Carlos Calvo steigen wir aus. Ein Ramone hat uns natuerlich nicht Bescheid gesagt, auch wenn er genau wusste, wohin wir wollten.

Von unserem Balkon saugen wir die Atmosphere Buenos Aires auf.

Von unserem Balkon saugen wir die Atmosphere Buenos Aires auf.

Da stehen wir in San Telmo und glauben ins Paris der 50er oder ins Rom der 60er zeitgereist zu sein. In den alten Gassen hallt Tangomusik aus allen Epochen. Cafes, Buecherlaeden, Musikalienhandlungen neben Antiquitaetenlaeden und Galerien. Hier herrscht Flair, Musik, Literatur, Kunst und nochmals Flair. Wir laufen die Carlos Calvo entlang auf der Suche nach einem Hostel, ueber das wir gelesen haben.

Da faellt mein Blick auf Humphrey Bogarts Konterfei in einem Schaufenster. Darueber steht "Hostel". Das sieht doch gut aus. Wir treten ein. Humphrey Bogart erweist sich als DER argentinsche Tangosaenger der 30er Jahre,eine wahre Ikone dieser Stadt: Carlos Gardel. Und so heisst natuerlich auch das Hostel.

Was wir dann geboten bekommen, uebersteigt alle unsere Erwartungen. Ein Doppelzimmer im zweiten Stock eines nagelneu und stilsicher modernisierten alten Buergerhauses, mit einem Balkon ueber der lebhaften Carlos Calvo und einem supersauberen, in gedeckter Farbe frisch gekachelten Gemeinschaftsbadezimmer.

Auf unserer ersten Runde durchs Quartier entdecken wir einen alten Gebaeudekomplex, der zahllose Kuenstlerateliers und Galerien beherbergt. Es begruesst uns Nestor Clemente Rivero, der in einem Buchverlag im Erdgeschoss dieses Hauses, nach Geschaeftsschluss auch als eine Art Hausfaktotum arbeitet. Wir haetten es nicht besser treffen koennen. Denn Nestor, ein zierlicher, schelmisch-verschmitzter Mittfuenfziger, ist eigentlich Schriftsteller und als solcher, wie sich herausstellt, ein Spezialist fuer Fragen nach Identitaet und Geschichte des Argentiniers im Allgemeinen und des Buenarensers im Besonderen. Darueber hat er ein Buch geschrieben, das er uns auch gleich als Geschenk in die Hand drueckt. Nach ausfuehrlichen Erlaeuterungen ueber den Charakter des Hauptstaedters und ueber die sozialen Strukturen des Landes, gibt er uns auch ganz handfeste Empfehlungen, beispielsweise bezueglich der besten Pizzeria der Stadt und bezueglich zu bevorzugender Rotweine. Auch ueber San Telmo weiss er viel zu erzaehlen.

Herzlichst bedanken wir uns und machen uns mit Baerenhunger auf den Weg in die urige "Bar Federal" gleich neben unserem Hostel, in der wir mit hausgemachter Pasta und Rotwein die Hauptstadt begruessen.

© Katharina L., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
1 Jahr: Indien – Thailand – Laos – Vietnam – Neuseeland – Chile – Argentinien – Peru – USA
Details:
Aufbruch: 01.10.2009
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 01.10.2010
Reiseziele: Indien
Thailand
Vietnam
Laos
Neuseeland
Chile
Argentinien
Bolivien
Peru
Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Katharina L. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.