TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 12 28. Juni-4. Juli 2008: Mumien

"In Azapa gibt es ein interessantes Museum, das solltest du dir ansehen", hatte Carlos gestern gesagt. "Und ausserdem wachsen da die besten Oliven. Das Tal ist bekannt für seine grossen Oliven und sein Olivenöl."

Das Tal erstreckt sich hinter Arica. Die Sammeltaxis stehen ein paar Strassen entfernt vom Hotel. Ich steige in das erste der gelben Taxis, die da am Strassenrand stehen. Es geht nicht lange, da kommt noch ein zweiter und bald darauf ein dritter Passagier und wir können losfahren. Auf der Strecke steigt noch jemand zu, so dass das Taxi voll ist. Beim Museum, kurz vor dem Dorf San Miguel steige ich aus.

10'000 Jahre alte Mumie

10'000 Jahre alte Mumie

Es ist ein interessantes Museum und zeigt das Leben der einheimischen Bevölkerung bis 8'000 vChr. Die wichtigsten Ausstellungsstücke sind die Mumien, die man hier in der Nähe gefunden hat. Sie sind 10'000 Jahre alt und somit die älteste bekannte Mumifizierung der Welt. Älter als die ägyptischen Mumien.

In den schön gestalteten Vitrinen werden Alltagsgegenstände von 8000 vChr bis 1500 nChr gezeigt. Mir fällt vor allem auf, dass schon sehr früh Schmuck hergestellt wurde. Scheint also ein sehr altes Bedürfnis zu sein, sich zu schmücken. Und ganz besonders berührt mich, dass die älteste ausgestellte Halskette, 4000 Jahre alt, sehr der Kette ähnelt, die ich in Paraguay einer alten Indianerin abgekauft hab.

4'000 Jahre alte Halskette

4'000 Jahre alte Halskette

Vor dem Museum gibt es Blumen und blühende Sträucher, Palmen und Bananenbäume und ausserdem blüht gerade der Weihnachtsstern. Arica, die Stadt des ewigen Frühlings, wird sie genannt. In Arica regnet es nie. Das Wasser kommt aus Bächen in den Bergen. Nur unten in den Tälern wie hier im Azapa-Tal ist es grün, die Hänge sind völlig kahl.

Auf dem Weg zum nächsten Dorf komme ich an einer Olivenplantage vorbei. Im Dorf San Miguel ist Feria, Kilbi. Rund um den grossen Sandplatz sind Buden aufgestellt. Noch ist nichts los, aber einige Stände sind offen. Es wird allerlei Nützliches und viel Schmuck angeboten. Ich schlendere entlang den Ständen.

An einem Stand fallen mir spezielle Schmuckstücke aus Bernstein auf. Grosse Stücke, poliert und in Silber gefasst. Eigentlich konnte ich mit diesem Harz aus dem Meer bisher nichts anfangen, aber so wie es hier verarbeitet ist, ist es wunderschön. Natürlich geht es nicht lange und ich komme mit Patricia und Kiron ins Gespräch.

Patricia

Patricia

Sie sind beide aus Kolumbien und zur Zeit zusammen unterwegs. "Nein, wir sind kein Paar, wir arbeiten nur zusammen", stellt Patricia klar. Kiron ist der Designer und Künstler und er zeigt mit Stolz seine Kreationen. Und dann zeigt er mir ungeschliffenen und unverarbeiteten Bernstein und erklärt mir, worauf es dabei ankommt. Manchmal hat es in Insekten darin: eine Fliege, ein Moskito, eine Spinne, eine Ameise. Sie sind Millionen Jahre alt und wenn ein Insekt drin ist, ist das Stück mehr wert. Im Bernstein werden die Tiere konserviert und behalten alle Informationen. Sie bleiben für die Ewigkeit erhalten. Eternitat.

Echt faszinierend, aber für mein Budget im Moment viel zu teuer. Kiron ist ein Lebenskünstler. Immer unterwegs. Manchmal bleibt er für ein paar Monate irgendwo, hat sogar ein paar Jahre in San Pedro gelebt und dort ein kleines Atelier geführt. Aber dann zieht es ihn wieder weiter. War er schon mal in Europa? Ja, in verschiedenen Orten und vielleicht kommt er auch in die Schweiz. Er hat eine Einladung nach Genf, spricht sehr gut französisch. Wie ist das, mit seinen wertvollen Dingen zu reisen? "Oh das ist gar nicht so einfach. Vor allem mit meinem kolumbianischen Pass. Das ist wie ein Stigma. Die Leute glauben, ich würde Drogen im Hirn einer Ameise schmuggeln", lacht er. "Ich werde immer ganz genau untersucht." Ich lade ihn nach Luzern ein. Und als Gegenwert, dass er bei mir wohnen kann, wünsche ich mir einen seiner grossen Bernsteinanhänger. Vamos a ver, was aus dieser Einladung wird. Und ich stelle mir diesen exotischen Besuch im Ennigen vor.

Kiron aus Kolumbien

Kiron aus Kolumbien

Ich gehe weiter entlang der Stände. Hier und da ergibt sich ein kurzes Gespräch. Es ist noch nicht viel los. Die Vergnügungsbuden warten auf Kunden. Man kann mit dem Bolzengewehr auf Scheiben schiessen. Bolzen, die nicht stecken bleiben, gelten nicht. Die Scheiben sind bereits mehrfach durchschossen. Oder man kann mit Holzringen Ziele treffen. Wenn man trifft, bekommt man einer dieser riesigen farbigen Bälle. Und da gibt es Fussballspiele, die auf Kundschaft warten. Zwei Buben spielen leidenschaftlich um jeden Ball.

Am Stand der Tourist Information erklärt ein Mann anhand eines Modells wie die Mumien begraben wurden. Sie wurden mit Lehm eingepackt. Ihr Gesicht wurde mit einer Maske mit Haaren bedeckt. Zu späteren Zeiten wurden die Toten in Leichentücher eingepackt und in sitzender Haltung beerdigt. Wegen dem speziell trockenen Klima hier, wurden die Verstorbenen so über Jahrtausende unversehrt konserviert. Es gibt Hunderte davon in der Gegend, aber das Geld reicht nicht, alle zu restaurieren, darum sind nur ein paar im Museum ausgestellt.

die rekonstruierte Mumie

die rekonstruierte Mumie

Ich fotografiere den Eisverkäufer, der laut hupend auf sich aufmerksam macht. Er freut sich. Später kehre ich in einem der improvisierten Restaurants ein, vor dem auf einem rauchenden Rost Fleisch gegrillt wird. Rind, Poulet und Schinken. Ich bestelle einen Caldo und der stellt sich als sehr reichhaltige Fleisch-Gemüsesuppe heraus.

Während ich die bereits geknipsten Fotos kontrolliere, kommt der Eisverkäufer zu mir, will wissen, wie seine Foto aussieht. Er ist nicht zufrieden, wir werden später noch eine aufnehmen. Er ist jetzt auch beim Essen, seinen Glacewagen hat er draussen an der Sonne stehen gelassen, nur seine beiden Hupen hat er mit an den Tisch genommen. Es ist ruhig auf dem Platz. Nachmittag. Mittagszeit. An der Sonne wird es jetzt warm, im Schatten ist es angenehm kühl, vor allem weil ein leichter Wind über den Platz weht, die blau-weiss-rote Fahne flattern lässt und die Plastikplanen die vor den noch geschlossenen Buden aufgehängt sind, aufbläst. Manchmal kommt jemand zum Essen herein, manchmal wird auch nur geschwatzt.

Ein Hund schnuppert beim Grill und wird weggeschickt. Ein paar Kinder spielen Fussball hinter der Bühne. Hier wird am Abend eine Band spielen. Zwei Mädchen durchstöbern einen Stand auf der Suche nach einem neuen Haarschmuck. Ich soll den Friedhof besuchen, der sei sehr speziell, empfiehlt mir die Wirtin. Weil mir das vorher auch schon der Betreiber des Töggeli-Standes ans Herz gelegt hat, steige ich hinauf zum Dorf und stehe schon bald vor dem modernen imposanten Eingangstor des Friedhofs.

Der Friedhof ist wirklich etwas Besonderes. Er erstreckt sich den Berg hinauf. Es gibt Urnengräber und Erdbestattungen und auch die bekannten Häuschen, wie sie hier in Südamerika üblich sind und ich sie schon auf anderen Friedhöfen gesehen habe. Aber hier ist alles viel farbiger und lockerer. Jedes Grab ist anders gestaltet. Da gibt es die überschwänglich geschmückten Gräber mit echten und künstlichen Blumen, mit Gartenzaun oder Mauern rundum. Wimpel und Windräder sehe ich und Girlanden und Kerzen. Andere Gräber sehen aus wie sterile Badezimmer mit ihren gekachelten Mäuerchen und Sockeln. Und auf einigen liegen schwere Steinplatten, eine zusätzlich mit Eisenringen befestigt. Da wollte man wohl ganz sicher gehen, dass niemand zurück kommt.

Beim Eingang sind zwei Maurer dabei, ein neues Grab aufzubauen. Ein paar Leute steigen mit Blumen in den oberen Bereich und auf einem kleinen Hügel steht eine Christusfigur und überblickt den Ort. Irgendwo ertönt Musik aus einem Radio. Es soll Leute geben, die überall wohin sie kommen, zuerst den Friedhof besuchen. Langsam kann ich verstehen, dass da eine spezielle Faszination ausgeht.

Das Restaurant vor dem Friedhof heisst la Pica del Muertito, was ich mit der Spiess des kleinen Toten zu übersetzen versuche.

Ich gehe zurück auf den Chilbiplatz. Der Glacewagen steht noch immer auf dem Platz vor dem Restaurant, ich werde mit der Foto die ich bereits habe, Vorlieb nehmen müssen. Ich verabschiede mich von Patricia und Kiron und fahre mit dem Sammeltaxi zurück nach Arica. Im Hotel schaue ich kurz in den Spiegel und versuche, mich für den Samstagabend schön zu machen. Längst habe ich keine Frisur mehr, darum entscheide ich, dass ich dringend zum Coiffeur gehen sollte.

Auf dem Weg zur Strasse des 21. Mai finde ich auch wirklich noch ein Geschäft, das offen hat. Rita freut sich über Kundschaft. Nein, sie schliesst noch lange nicht. Sie hat immer bis neun Uhr abends offen. Nur ein wenig die Spitzen schneiden, und auf jeden Fall die Fransen kürzen. Rita macht sich ans Werk. "Du hast wenig Haare", staunt sie, "und ausserdem solltest du etwas gegen deine grauen Haare machen." Puh, da wird einem die Wahrheit direkt ins Gesicht geschlagen. Ja, hier haben die Leute mehr und vor allem dickeres Haar. Und nein, natürlich sind nicht alle bis ins hohe Alter so schwarzhaarig. "Graue Haare bekommt man auf der ganzen Welt".

Rita ist 74, ich hätte ihr aber höchstens 60 gegeben. Und sie ist nicht nur sehr direkt, sie kann auch Komplimente verteilen. Als eine alte Frau herein kommt, meint sie: "Hola viejita, du musst noch einen Moment warten, ich muss erst diese Niña fertig machen." Niña, Mädchen? "Ja, schau dich an, jetzt noch ein wenig Haarlack darauf und dann gehst du in die 21. setzt dich draussen irgendwo hin, schlägst die Beine übereinander und suchst dir einen Latino," lacht sie. Ich setze meine Brille auf und bin überrascht, was sie mit meinen Haaren gemacht habe. Fühle mich richtig gut. Beim Bezahlen bekomme ich fast ein schlechtes Gewissen, 3000 Pesos will sie für ihre Arbeit. Das sind gerade 6 Franken.

Ich gehe also in die 21. Suche mir eine nette Pizzeria. Und weil ich mich gerade so gut fühle, gehe ich zum Pizzaiolo und frage ihn, ob er mir meine Calzone mit einem Ei machen könnte. Das hat er noch nie gehört, aber er holt gern ein frisches Ei aus der Küche und meint, dass er das als neue Variante auf die Speisekarte nehmen könnte. Eigentlich ist er Anwalt, aber die Arbeit mit Gesetzen und mit Leuten, die sich streiten, war nicht ganz nach seinem Geschmack. Darum hat er zusammen mit seiner Frau vor drei Monaten dieses kleine Lokal eröffnet. Die Arbeit mit Gästen gefällt ihm viel besser und vom Pizza backen scheint er auch einiges zu verstehen.

Seine Pizza jedenfalls schmeckt wunderbar. Vor allem mit Ei.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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