Mit der Skatrunde nach Lemberg und Kiew 2006

Reisezeit: September 2006  |  von Manfred Sürig

750 Jahre Lemberg -die grüne Stadt

Und tatsächlich, am Bahnsteig in L'viv gibt es eine stürmische Begrüßung und Vorstellung, dann nimmt Sergej die Organisation fest in die Hand: Ihr fahrt mit zwei Autos, die schon bereitstehen und deren Fahrer er uns vorstellt, etwas aus der Stadt heraus, Ihr seid bei einem Imker in dessen Haus privat untergebracht, er wartet schon auf Euch. Das Auto, mit dem ich fahre, hat keine Kupplung, aber der Fahrer weiß mit einem besonderen Fahrstil damit umzugehen: nur nicht zum Stehen kommen, auch wenn mal schon eine Ampel rot ist. Ich schließe besser die Augen, verliere dabei aber jede Orientierung, klar ist nur, dass es raus in die Weiten der Ukraine geht, und das in einer mondlosen kühlen Herbstnacht. Am Straßenzustand erkenne ich, dass wir uns auf einer Nebenstraße befinden müssen, und irgendwann rollen wir in ein verlassenes Dorf und halten in einer Sackgasse vor einer Gartenpforte, durch die ein Trampelpfad auf eine grellweiße Lampe zuführt. Hier ist es, hören wir befriedigt, einer geht vor, wir folgen.
Freundlich werden wir von Josef und seiner Tochter empfangen und sofort gefragt, was wir essen möchten. Uns ist mehr nach schlafen, und so zeigt man uns unsere Unterkunft: Zwei etwas unaufgeräumte Zimmer im ersten Stock, eins mit 3 Betten, eins mit zwei. Das Bad ist eine Treppe tiefer und etwas gewöhnungsbedürftig: Zwei Badewannen, gestützt jeweils auf 4 Ziegelsteine übereinander, um jede in der Balance zu halten, das Waschbecken mit einem uralten Gasboiler dazwischen. Fliesen sind erst geplant, ein paar Stapel liegen an der Wand. Der Kalk von mindestens 30 Jahren fließenden Wassers (oder tropfenden Wasserhahns) hat sich wie in einer Tropfsteinhöhle auf die Emaille von Badewannen und Waschbecken gelegt, das Wasser fließt entweder kalt oder zu heiß. Ich fühle mich wie bei meiner Großmutter vor 60 Jahren. Dann wird Honig aufgefahren, schälchenweise sollen wir ihn löffeln, dazu knackfrische Tomaten aus dem Garten. Kaum ist eine Schale Honig leer, da wird neuer nachgegossen. Ländliche Genüsse mit besonderem Reiz, aber für heute reicht es, wir verabschieden uns bis morgen 11 Uhr und fallen in unsere Betten. Und wir schlafen tief und in absoluter Ruhe, weil abseits der Straße kein Geräusch unseren Schlaf stört.

Montag, den 11.September 2006

Josef wartet in der Küche schon mit dem Frühstück. Dabei erweist es sich als günstig, dass wir alle nur nacheinender die Toilette benutzen und so auch nacheinander zu Tisch kommen. Denn am Tisch steht uns auch nur ein abgewetztes Messer zum Brotschneiden und ein weiteres zum Belegen der Brote zur Verfügung. Der Wassertopf mit Teewasser für jeweils zwei Tassen ist ebenfalls aufs Nacheinander zugeschnitten. Wir langen kräftig zu, und als Berthold als letzter an den Tisch kommt, muß Toni ihn schon ablenken, weil kaum noch Brot übrig ist. Süffisant fragt er ihn, ob es so lange gedauert hätte, weil Berthold die Morgentoilette in vollen Zügen habe genießen wollen. Berthold weiß ja noch nicht, dass er Josef dadurch Gelegenheit gegeben hat, sich vom Nachbarn Brot auszuleihen, damit seine Gäste satt werden konnten. Immerhin sind wir gegen 10 Uhr fit für einen Spaziergang durchs Dorf und auf einen nahegelegenen Kalvarienberg.
Pünktlich werden wir um 11 Uhr von Jaroslav in dessen Opel Kadett abgeholt. Jaroslav hält schon während der Fahrt in die Stadt ständigen Handykontakt mit Sergej und liefert uns in Sichtweite der Universität an einem kleinen Cafe ab. Sergej ist mit den Wirtsleuten hier gut bekannt, hier können wir unser Tagesgepäck lassen und uns zum Abendessen wieder einfinden.
Zu Fuß geht es nun zur Stadt- und Kirchenbesichtigung. Zunächst zur griechisch-katholischen Kirche auf einer Anhöhe mitten in grüner Umgebung zwischen Innenstadt und Bahnhof. Dann zurück in die historische Innenstadt, die zum Kulturerbe der Unesco gehört und in diesem Jahr das 750jährige Bestehen feiert. Fast jedes Haus hier steht unter Denkmalschutz, und an diesen Denkmälern ist seit 2004 schon eine Menge getan worden. Dennoch wird die Restaurierung noch Generationen dauern, bis dem Verfall Einhalt geboten ist, in schwieriges Unterfangen in einem so armen Land. Auffällig viele junge Leute bevölkern die Stadt, viele von ihnen mit einer Schreibmappe unter dem Arm oder gar einem Laptop: Studenten, von denen es hier 120 000 geben soll. Wir gehen noch in die römisch-katholische Kirche, den Dom "Metropolitan Basilika", finden Reste der Mauer und der Fundamente der Synagoge und betreten zum Schluß die armenische Kirche. Fassaden alter Bürgerhäuser bewundern wir ebenso wie die Europaflagge, die am Gerüst des Rathauses neben der ukrainschen gelb-blauen Flagge hochgezogen ist. Leicht kann Sergej uns überzeugen, dass wir hier noch mitten in Europa sind, und die Spuren der k.u.k Monarchie prägen das historische Stadtbild. Sergej will uns nun einen Gesamtüberblick über die grüne Stadt Lemberg verschaffen, und so besteigen wir die hohe Burg (vysoke Zamek ), von der nur Mauerreste erhalten sind, von der aus man aber einen guten Rundblick über die Stadt und ihre Umgebung hat.

Besonders das Opernhaus möchten wir von innen kennenlernen, das geht aber nur, wenn wir in eine Vorstellung gehen.

Nach so vielen Fußwegen freuen wir uns auf unser Cafe, wo unser Abendessen bereitsteht. Und wir erleben eine weitere angenehme Überraschung: Alle Speisen schmecken hervorragend, so saftiges Fleisch, frisch für uns zubereitet, haben wir lange nicht gegessen. Die Vorspeise Zuchinis gefüllt mit gemahlenen Hasel- und Walnüssen und einem Schuß Knoblauch sind eine Delikatesse, die wir gleich morgen wieder ordern werden. Die Zeche für 6 Personen mit reichlich Getränken kostet am Ende umgerechnet 73 Euro, für jeden 12 Euro!
Um 22.30 Uhr decken wir uns vorsichtshalber noch mit Brot in einem kleinen Laden ein, der 24 Stunden geöffnet ist, um Josef morgen früh nicht in Verlegenheit zu bringen. Abends empfängt Josef uns noch mit Honig und Obst - wir können nicht widerstehen!

Dienstag, 12. September 2006

Beim heutigen Frühstück hat Josef vorgesorgt: Wir schwimmen in Brot und Honig, Josef steht dabei und freut sich, auch über die Zigaretten, die wir ihm mitgebracht haben, damit er ständig unter Dampf bleiben kann. An der Zahl der Messer hat sich nichts geändert, mehr hat er nun mal nicht.

Heute steht der polnische Friedhof und das Dorfmuseum (Skansen) auf unserem Programm. Wieder erleben wir Lemberg als grüne Stadt und wieder lacht die Sonne den ganzen Tag dazu. Sergej erklärt uns, weshalb der polnische Friedhof ein Wallfahrtsort für die Polen geworden ist. Als Lemberg 1918 ukrainsch werden sollte, taten sich 18jährige Schüler eines Gymnasiums zusammen, um das damals noch polnische Lemberg für Polen zu verteidigen. Sie konnten sich sehr lange gegen eine erdrückende Übermacht halten und starben am Ende den "Heldentod". Nach der Wende 1992 hat Polen sich bemüht, den Friedhof und insbesondere das Ehrenmal wiederherzustellen, was mit Unterstützung der ukrainischen Regierung auch gelang. Aber nun hielt man es auf ukrainischer Seite auch für angezeigt, ein ukrainisches Ehrenmal zu errichten, das nun neben dem polnischen steht. Das ist heute Historie, könnte aber Ressentiments auf beiden Seiten erneut schüren.

Auf dem Weg zum Museumsdorf trifft Sergej eine alte Studienfreundin wieder, die er von seiner Berliner Studienzeit her noch kennt und von der er gar nicht wußte, dass sie auch in Lemberg wohnt. Wir machen ein Erinnerungsfoto und durchstreifen dann den Skansen, einen ruhigen Park mit Holzhäusern und -kirchen aus den Karpaten, ein wahres Dorado zum Fotografieren. Berthold und Toni verwickeln sich derweil in hochkarätige Grundsatzgespräche, bei denen sich Toni aber nicht überzeugen läßt. Schlimmer ist, dass das Spaziertempo dabei mehrfach gegen Null tendiert und wir nicht weiterkommen. Und das, wo wir doch einen Imbiß dringend nötig hätten.

Nach so viel Fußwegen tut uns eine Rast in einem Wiener Cafe gut und wir erfahren, dass Lemberg für seine feinen Schokoladen berühmt ist. Hinzuzufügen wäre: und für seine schönen Mädchen, die sich hier recht offenherzig zeigen.
Wenigstens eins der vielen Museen müssen wir noch "mitnehmen", und dazu empfiehlt Sergej das Ethnografiemuseum, wo es eine sehenswerte Uhren- und Spieluhrensammlung zu bewundern gibt. Unterwegs erzählt Sergej uns, dass man mit Last Minute Tickets für 10 Euro von Lemberg nach Kiew und zurück mit dem Nachtzug fahren könnte. Das sei genauso günstig wie der Eintritt in die Oper, wo wir die Karten für morgen für umgerechnet 1,46 Euro bekommen. Wenn wir schon mal hier sind...... der Gedanke an Kiew läßt von nun an Peter, Toni und mich nicht mehr los. Sergej präsentiert uns weitere Schnäppchen: billige Smartcards für die Digitalkamera und den Flohmarkt hinter dem Schauspielhaus, wo ukrainsche Handarbeiten neben Kitsch aus China verkauft wird. Ich erwerbe ein paar dicke Wollsocken für sibirischen Winter und Berthold ein gesticktes Tuch in frohen Farben.
Dann zieht es uns wieder in unser Stamm-Cafe, wo uns wieder ein opulentes Abendessen vom Feinsten erwartet. Dabei erfahren wir, dass unser Fahrer Jaroslaw Berufsmusiker ist und schon einmal im Orchester der Stadt Kassel gespielt und dort sein deutsch gelernt hat. Mit ihm fahren wir noch zu ihm nach Haus, wo er uns Proben seines Könnens auf der Panflöte präsentiert und uns seine CD mit rassiger Volksmusik aus den Karpaten übergibt. Wie gern käme er wieder einmal nach Deutschland!

Die Reklamen für das Stadtjubiläum sieht man nur in Lemberg selbst, statt dort, wo man Touristen anlocken könnte!

Die Reklamen für das Stadtjubiläum sieht man nur in Lemberg selbst, statt dort, wo man Touristen anlocken könnte!

Die abendliche Essensrunde gibt auch Gelegenheit zu politischen Informationsgesprächen

Die abendliche Essensrunde gibt auch Gelegenheit zu politischen Informationsgesprächen

Holzhäuser und Holzkirchen aus den Karpaten sind im Dorfmuseum liebevoll restauriert und wieder aufgestellt.

Holzhäuser und Holzkirchen aus den Karpaten sind im Dorfmuseum liebevoll restauriert und wieder aufgestellt.

Tafel vor der armenischen Kapelle in armenisch, ukrainisch und englisch

Tafel vor der armenischen Kapelle in armenisch, ukrainisch und englisch

Ganz fertig ist die Restaurierung des Rathauses zum Stadtjubiläum nicht geworden

Ganz fertig ist die Restaurierung des Rathauses zum Stadtjubiläum nicht geworden

Nicht Museum, sondern dörfliche Realität. Obwohl verarmt, geben die Ukrainer zur Erhaltung ihrer Kirchen das letzte her.

Nicht Museum, sondern dörfliche Realität. Obwohl verarmt, geben die Ukrainer zur Erhaltung ihrer Kirchen das letzte her.

Ländliche Idylle mit Josef

Ländliche Idylle mit Josef

Das Opernhaus aus der k.u.k-Zeit ist das Schmuckstück der Stadt und ist innen noch sehenswerter

Das Opernhaus aus der k.u.k-Zeit ist das Schmuckstück der Stadt und ist innen noch sehenswerter

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Sergej, den ich 2004 in Lemberg in der Ukraine kennengelernt hatte, hatte mich wiederholt eingeladen, möglichst auch mit Freunden in die Ukraine zu kommen. Man muß das hier mit eigenen Augen sehen, hatte er immer wieder betont. Nun haben wir unsere eigenen Erlebnisse gehabt und jeder kann selbst zwischen Begeisterung und Verdruß entscheiden.
Details:
Aufbruch: 09.09.2006
Dauer: 9 Tage
Heimkehr: 17.09.2006
Reiseziele: Polen
Ukraine
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.