Abruzzen: Der Gran Sasso Nationalpark

Reisezeit: Mai / Juni 2008  |  von Angelika Gutsche

Das Mavone-Tal: Kirchen, Klöster und Kastelle

Der Himmel ist etwas bedeckt und so beschließen wir, heute der Kultur den Vorrang zu geben. Wir machen uns auf den Weg in das Mavone-Tal. Das enge, kurvige Sträßchen führt durch eine bezaubernde Vorhügellandschaft: hohes, sattes Gras, gelb leuchtender Ginster, blühender Holunder und bunte Wiesen.

Wir fahren erst einmal falsch und kommen in das kleine malerische Castania Vecchia, wo die Straße endet. Also kehren wir um und nehmen eine andere Straße zum Mavone-Tal. Dessen Anblick lässt uns erst einmal zusammen zucken: Das Flusstal wird von den Stelzen der hier durchgeführten Autobahn ganz grässlich verschandelt. Wir folgen der neben dem Fluss verlaufenden Straße, bevor wir nach rechts zum Castel Castagna abbiegen. Die Altstadt ist zwar malerisch, aber leider schon in recht verfallenem Zustand, die Kirche verschlossen. Hier scheint die Zeit stehen geblieben.

Zurück im Flusstal folgen wir noch etwas der Straße, bis wir rechts zur bemerkenswertesten Kirche der Gegend abbiegen: Santa Maria di Ronzan aus dem Jahre 1180. Das Gotteshaus ist geöffnet und so können wir die dreischiffige benediktinische Kirche mit ihrem kreuzgewölbten Querhaus und den wunderbare Fresken aus dem Jahre 1181 besichtigen. Übrigens stammt das Wort Fresken vom italienischen freschi: Die Farben wurden auf den frischen, noch feuchten Putz aufgemalt. Den damaligen, nichtlesekundigen Kirchenbesuchern dienten die Fresken, die das Leben Christi und der Heiligen schildern, als eine Art Bilderbibel.

Anschließend fahren wir das Mavone-Tal wieder zurück und überqueren den Fluss, um zur Klosterkirche San Giovanni al Marone zu gelangen, deren Bau auf das 12. Jahrhundert zurückgeht. Leider bleibt uns diese Kirche verschlossen, aber schon der Blick von außen auf das Blendarkadenfries lohnt! Die Mauern des ehemaligen Konvents sind zerfallen, dazwischen wächst hohes Gras. Überbleibsel aus versunkenen Zeiten...

Ein erstes Mönchstum lässt sich in den Abruzzen übrigens schon im Frühmittelalter nachweisen und der Name Aprutium - aus dem später Abruzzen wird - taucht erstmalig zur Bezeichnung der Gegend um Teramo in den Briefen Papst Gregors um das Jahr 600 auf. Doch dann brachten die Langobarden das Gebiet unter ihre Herrschaft. Sie gehörten der Glaubensrichtung der Arianer an, die Christus nur als Mensch verehrten und seine Gottesnatur leugneten; dementsprechend wurden sie von der katholischen Kirche als Häretiker verfolgt und später von Karl dem Großen besiegt.

Es breiteten sich ab dem 8. Jahrhundert klösterliche Siedlungen aus, die zum Teil bei Sarazeneneinfällen - unterstützt vom arabischen Sultanat in Bari - wieder zerstört wurden, bis die Sarazenen endgültig den Normannen unterlagen.

Weiter geht es ins Zentrum des Mavone-Tals, nach Isola di Gran Sasso. Hier führte einst die antike Via Cecilia vorbei, eine Nebenstraße der Via Salaria, wie Überreste römischer Brücken nahe dem Städtchen bezeugen. Urkundlich erwähnt wird die Stadt erstmals im Jahre 1115. Alte konische Mauern, auf denen sich malerisch die Häuser der Stadt erheben, dienen noch heute als Stadtbefestigung.

Nur zwei Kilometer von hier entfernt befindet sich das Santuario di San Gabriele dell'Addolorata. Je näher wir kommen, desto mehr Restaurants und Hotels weisen auf die Bedeutung dieses Heiligtums und die Pilgerströme hin, die sich Ende August an den Festtagen zu Ehren des Heiligen Gabriel durch diese Anfahrtsstraße ergießen.
(Das Santuario ist mittags zwischen ½ 1 und ½ 3 geschlossen; ein Parkplatz mit Park und Imbissständen ist vorhanden.) Das Kloster wurde bereits im Jahre 1215 vom Hl. Franz von Assisi gegründet und es wirkte dort Francesco Possenti, das Oberhaupt des Passionistenordens.

Heute gibt es zwei Kirchen, das Portal der älteren Kirche San Massimo stammt aus dem Jahre 1420. Daneben gibt es ein neues Kirchengebäude, dessen Äußeres stark an eine Fabrikhalle erinnert. Die Krypta des Mausoleums erreicht man durch einen abgeschrägten Betontunnel. Hier ist in einem Sarkophag der Hl. Gabriel zur letzten Ruhe gebettet. Gabriel verstarb im Jahre 1862 im Alter von nur 24 Jahren und wurde 1920 heilig gesprochen. Nachdem Gabriel zuerst einem sehr lockeren Lebenswandel gefrönt hatte, wurde er durch ein Marienbild bekehrt und trat dem Orden der Passionisten bei, um sich fortan theologischen Studien und der Verehrung der Gottesmutter zu widmen.

Der Hl. Gabriel ist der Heilige der Emigranten und so bezeichnet man hier in den Abruzzen die Auswanderung als St.-Gabriels-Phänomen. Die Abruzzen waren und sind mitten in Italien ein äußerst armer Landstrich: Ohne Industrie und ohne staatliche Subventionen führte die Armut und Chancenlosigkeit zu Massenauswanderungen sondergleichen. Als Beispiel seien hier die Großeltern des Popstars Madonna genannt, die wie viele andere von den Abruzzen in die USA emigrierten.

Schon als im Jahre 1734 die Bourbonen die Herrschaft im Königreich Neapel übernahmen, welches das Gebiet der Abruzzen mit einschloss, beließen sie diese Gegend bewusst in einer für ganz Europa einmaligen Rückständigkeit, aus lauter Furcht, die Ideen der Französischen Revolution könnten auch hier um sich greifen.

Noch heute herrschen 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit; es gab und gibt nur wenige Berufe wie Köhler, Bauer oder Hirte. Der große italienische Schriftsteller und Sozialist Ignazio Silone, 1900 in Pescara geboren, führte die Abruzzen in die Weltliteratur ein. Er beschreibt in seinen sozialkritischen Romanen Fontamara und Das Geheimnis des Luca das schwere Leben der Bergdörfler in realistischen Bildern. Frei von jeder Idylle erzählt er von den cafoni, den Ärmsten der Armen, die nur durch illegale Geschäfte ihren Lebensunterhalt sichern konnten, wovon das abruzzesische Sprichwort zeugt: "Chi non ruba, non ha roba" ("Stiehlt man nicht, so hat man nichts"). Nach unseren Erfahrungen lassen sich die heutigen, so gastfreundlichen Abruzzesen allerdings nicht mehr von diesem Sprichwort leiten

Unser nächstes Ziel ist Tossicia. Der Ort thront über dem Zusammenfluss zweier Flüsschen und man erreicht ihn über eine hohe Brücke. Im restaurierten Kastell ist ein kleines Volkskundemuseum eingerichtet, das aber nur vormittags geöffnet ist. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick auf den Corno Grande.
Dem Platz gegenüber geht es hinauf zur Kirche Sant'Antonio Abate mit einem sehr beeindruckenden Portal aus dem Jahre 1471. Die an ihm angebrachten Porträtköpfe muten durch die individuelle Ausdrucksstärke sehr modern an. In einem Bogen steht eine Figur des Abt Antonius, ein ägyptischer Eremit des 4. Jahrhundert, der als Vater der Mönche gilt.

Abends überraschen uns einige amici di Patrick mit einem Riesentopf Lammgulasch, in Tomatensugo mit Kräutersträußchen auf offenem Feuer gekocht. Simone, ein aufgeschlossener junger Mann, erzählt, wie er gerade nach zwölf Jahren Arbeit in einer Metzgerei wegen deren Schließung entlassen worden sei, ohne Hoffnung auf einen neuen Job. Die anderen jungen Männer beklagen, dass sich ohne Geld und Job auch nur schwer Frauen zum Heiraten fänden. Und so leisten sich die Jungs gegenseitig Gesellschaft, so auch Mauro, der ohne feste Anstellung als Schulbusfahrer jobbt und der den Innenausbau von Patricks Haus mit Holz und Steinen so geschmackvoll gestaltet hat, dass dies manchen Innenarchitekten vor Neid erblassen lassen würde.

© Angelika Gutsche, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Auf dieser Reise möchten wir den nördlichsten Teil der Abruzzen erkunden: den Gran Sasso. Er ist das einzige hochalpine Gebirgsmassiv Italiens außerhalb der Alpen und das höchste Gebirge des Apennin. Hier finden sich überwältigende Natureindrücke und faszinierende Kulturdenkmäler.
Details:
Aufbruch: 24.05.2008
Dauer: 14 Tage
Heimkehr: 06.06.2008
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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