Flucht aus Marokko im herbstlichen Sturm

Reisezeit: Dezember 1996  |  von Manfred Sürig

so ein Wetter...

Die andern Segler, alle mit Ziel Kanaren, beneiden uns nicht gerade, als wir am 19.12. auslaufen, aber immerhin haben wir Sonne und leichten achterlichen Wind, genau der fehlt den anderen. Sogar den mitgebrachten Blister der BINKY kann ich ein paar Stunden vor Sonnenuntergang testen, bis wir im Abstand von ca. 8 Meilen auf Parallelkurs zur Küste und später auf eine Kurslinie Richtung Barbate/Spanien gehen.

Nach Sonnenuntergang brist es langsam auf, der Blister muß weg, die Normalfock hoch. Ich liege gerade in der Koje, da wird Reffen notwendig. Gleich zwei Reffs, denn bei den Wellen ist das Boot nicht gut zu halten. Nachdem ich gerade abgetropft bin, schlägt die Fock bedenklich. Also wieder raus, die Sturmfock setzen. Das wurde höchste Zeit, die Normalfock ist schon an zwei Stellen eingerissen und die Nähte haben sich gelöst. Außerdem hält das Clamcleat die Reffleine des Großsegels nicht, deshalb trägt eine Handreffleine die ganze Verantwortung mit der Folge, daß die Öse auszureißen droht. Jeder Versuch, die Reffleine durchzuholen, scheitert am rutschigen Clamcleat. Also muß auch das Großsegel ganz weg. Nun reiten wir nur vor der Sturmfock, die ab und zu bedenklich halst und schlägt. Sieben Windstärken dürften es inzwischen sein, aber was für gewaltige Wellen ! Dennoch ist es erstaunlich, daß wir das Steuern dem Autohelm überlassen können, und der hält bildschön Kurs, auf der "Autobahn"-Anzeige des GPS können wir es verfolgen. Meine Freiwache war leider voll mit Decksarbeiten ausgefüllt, nun habe ich Ruderwache von 21 Uhr bis Mitternacht. Wären da nicht die heftigen Regenschauer mit ungeheuren Wassermassen, die mir trotz Ölzeug auf irgendwelchen Wegen über die Haut laufen, ließe sich das sogar aushalten. Und warm ist es auch, der Regen jedenfalls, schätzungsweise 18 Grad, das Spritzwasser vielleicht sogar noch wärmer. Genau von achtern kommt der Wind, und genau voraus ist unsere Kurslinie, jedenfalls im Durchschnitt. Nur wenn uns mal eine Welle packt, gehts ins Abseits und die Fock flattert ohrenbetäubend oder halst und schlägt. Gegen 23 Uhr mache ich mir Sorgen ums Rigg und berge auch die Sturmfock.

Erstaunlicherweise werde ich dabei an Deck nicht naß und die Anpickgurte müssen mich nicht ein einziges Mal auffangen. Seebeine oder Glück? 4,6 Knoten reiten wir jetzt vor Topp und Takel, weiter genau auf Kurs 35 Grad. In den Regengüssen nehme ich jeweils die Gestalt einer Mumie an, allerdings mit einigen Prielen auf dem Körper. So soll das bis Barbate laut GPS also noch 48 Stunden gehen. Und 7 Stunden liegen hinter uns. Wie lange mag so ein Sturm dauern ? Wie halten wir das durch ? Horst löst mich ab, igelt sich im Cockpit ebenso ein und hängt denselben Gedanken nach. Unter Deck opfere ich die Reste des Mittag- und Abendessens, auch der Schluck Wasser danach ist gleich wieder draußen. Aber der Blutdruck ist gestiegen, das wärmt! Draußen opfert Horst Neptun in gleicher Weise.... Aber flau ist uns nicht dabei, vielleicht keine Zeit für Fläue. Kurz vor Sonnenaufgang bin ich wieder dran. 62 Meilen liegen hinter uns, vor uns rund das Doppelte.

Und der Wind hat noch zugelegt. Um 8.40 liegen wir auf Kollisionskurs mit einem Frachter, der noch weitaus mehr schwankt als wir. Mal hält er genau auf uns zu, dann verschwindet er komplett und taucht mit seiner Steuerbordseite wieder auf - und scheint auf uns zuzudrehen. Ich gebe hart Ruder nach Backbord, aber wenn wir dessen Aufbauten nicht sehen können, wie kann er uns dann sehen? Im Seitenwind scheint der Sturm gewaltig zuzunehmen, der Windgenerator heult auf und beginnt zu schmettern - das ist 10 Bft! Schnell lege ich uns wieder vor den Wind, da sehe ich den Pott in ca. 200 m an StB vorbeistampfen. Fahrt scheinen nur wir zu machen, der Pott hat weder Bugwelle noch Kielwasser, aber schwankt wie eine Streichholzschachtel. Ich sehe entweder nur seine Aufbauten oder seinen Steven. Ein Türke aus Istanbul. Ein Besatzungsmitglied kommt auf die Brücke und späht zu uns herüber, dann verschwindet der Pott wieder hinter den Brechern. Gut, daß wir Ruderwache gegangen sind, aber ab wann hatte ich den Pott entdeckt und ab wann der uns wohl ?

Bei Tageslicht scheint die Zeit schneller zu vergehen, ganz besonders die der Freiwachen. Beim Aufstehen aus der Koje tost es draußen gewaltig, der Boden schwindet mir unter den Füßen und ich sehe nur die Backbordinnenwand auf mich zusausen. Mit dem Kopf, gepolstert durch die Pudelmütze, fliege ich gegen das Schiebefach mit Tee und Zucker. Auf den müssen wir nun verzichten. Ich habe kaum die Wache übernommen, da erlebe ich draußen einen Brecher, der seitlich übers Boot steigt und dann ins Cockpit schwappt. Das Stehgräting schwimmt bis zur Höhe der Backskistendeckel auf und es dauert eine schiere Ewigkeit, bis die Wassermassen abfließen. Am Ende entdecke ich auf dem einen Abflußloch das Pflaster, das vorher mal auf meinem Daumen war. Horst findet später bei ähnlicher Gelegenheit den Plastikdeckel einer Trinkwasserflasche. Verfluchter Müll! Horst liegt inzwischen neben der Koje auf dem Boden, der Tisch ist seitlich weggebrochen. Statt mit dem Kopf ins Schiebefach, hat ihn eine Welle mit dem Hintern an den Tisch geworfen. Kein blauer Fleck am Hintern, also muß die Tischkonstruktion wohl nicht das Wahre gewesen sein. Jetzt geht es nur um Schadensbegrenzung, wichtig ist, daß die Mannschaft noch fit ist! Horst schafft es, sich Kekse zwischen die Zähne zu schieben, bei dem selben Versuch klebe ich mir den Mund zu. Also fasten. Es geht auch.

Inzwischen weht es ständig mit neun, irgendeine Kursänderung ist nicht möglich, also verkrieche ich mich auch unter Deck und wage nur ab und zu einen Blick auf den GPS. Wir treiben manövrierunfähig mit konstant 4,6 Knoten in 35 bis 38 Grad. Ich überlege. Wir könnten so noch gut 24 Stunden weitertreiben, aber dann müssen wir Barbate zu fassen kriegen. Und da stehen sicher 400 m vor der Mole schwere Grundseen. Wenn so eine See achtern einsteigt, dann laufen wir mit der nächsten aus dem Ruder und können querschlagen oder durchkentern. Und vorher der Schiffsverkehr auf der Straße von Gibraltar! Und kommen wir überhaupt bei Tageslicht in Ufernähe ? Barbate dürfen wir nicht riskieren. Das würde Strandung, Totalschaden bedeuten und wir kämen nur mit Glück an Land.

Zum Glück hatte ich auch eine Wegepunktkette um Kap Spartel herum nach Ceuta oder Tanger in den GPS eingegeben. Ich robbe mich ans GPS und peile den ersten Ansteuerungspunkt dieser Route etwa 2,5 sm westlich vom Kap Spartel. Er peilt 38 Grad in 42 Meilen. Bei rund 5 Knoten können wir uns also noch satt 7 bis 8 Stunden weiter treiben lassen. Da geraten wir nicht an die afrikanische Küste, aber treiben auch nicht zu weit raus. Dumm nur, daß wir vermutlich genau auf einem Dampfertrek treiben. Und noch immer funktioniert der Autohelm! Das GPS zeigt uns immer noch mitten auf der Autobahn - allerdings führt die nach Barbate.... Ich kann sogar ein wenig schlafen, aber eine innere Uhr läßt mich immer wieder zum GPS robben. Peilung Wegepunkt: 43 Grad in 24 Meilen. In zwei bis drei Stunden muß etwas geschehen. 49 Grad ist der Kurs vom ersten Wegepunkt zum zweiten, der schon etwas in Abdeckung des afrikanischen Ufers hinter Kap Spartel liegt. Wenn wir die Sturmfock setzen und dann 49 Grad zwischen den Wegepunkten halten können, dann hätten wir Chancen, in den Schutz des Ufers zu kommen. Wenn also der erste Wegepunkt 49 Grad peilt, dann muß ich raus und die Sturmfock setzen, um zu versuchen, auf den ersten Punkt zuzuhalten. Der Countdown der Peilungen läuft: 45 Grad, 46 Grad, bei 47 Grad krieche ich raus, denn unser GPS-Kurs fällt auf 32 Grad zurück, ausgerechnet hier! Der Autohelm soll 5 Grad mehr nach StB steuern, aber das nimmt er übel. Er schiebt ein letztes Mal die Steuerstange heraus , dann piepst er nur noch und ist am Ende. Schnell die Fock hoch und ran an die Pinne! Muß es ausgerechnet jetzt wieder eimerweise schütten ? Die Fock steht, GPS-Kurs zwischen 42 und 72 Grad möglich, nur nicht geradeaus einzuhalten. Auf dem Kompaß dagegen laufen wir 120 Grad. Eine Bö laßt den Windgenerator wieder aufheulen, diesmal fast 3 Minuten lang, Sicht Null vom Regen und der Kahn ist luvgierig! Ganze 2,3 Knoten machen wir noch und kommen dennoch zu weit nördlich. Plötzlich wird es hell, lange vor Sonnenaufgang, was kann das denn sein? Im Westen erkenne ich den Mond hinter einem dünner werdenden Regenschleier, der Sturm steigert sich noch, und plötzlich hört der Regen auf, kurz danach ist es windstill! Wir dimpeln wie ein Styroporstück in der tobenden See. Und dann Flaute, wie kann das denn sein! Jetzt droht man sogar aus dem Cockpit geschleudert zu werden. Die Fock schlägt, aber jetzt bergen ? Gott sei Dank kommt der Wind wieder, die Sicht bessert sich, ich kann sogar Höhe gewinnen. Kompaßkurs 110 bis 85, GPS-Kurs zwischen 50 und 65, das gibt Hoffnung. Plötzlich sehe ich backbord voraus das Leuchtfeuer von Kap Spartel, halte ich also direkt Kurs auf die afrikanische Küste ? Ein Blick auf den GPS beruhigt mich: So ist das beim Vorhalten. Ich treibe seitlich am Kap vorbei und muß dabei sehen, so nahe wie möglich heranzukommen. Wie hätte man so einen Kurs ohne GPS aussteuern können! Petrus erspart uns weitere Regenschauer, so daß ich auch bald das Kap selbst mit einem hohen Berg und dahinter ein gelbes Lichtermeer - Tanger - ausmachen kann. Nun nur 49 Grad und nicht weniger halten! Unser Tempo ist sagenhaft: 7 Knoten, da muß wohl ein kräftiger Strom mitschieben. Aber der sorgt auch für zu nördliche Versetzung.. 49 Grad zu halten schaffe ich nicht, soll das Boot nicht völlig seitwärts treiben. Falle ich stärker ab, beginnen wir zu rasen, aber 7 Knoten in 33 Grad! Wir passieren den ersten Wegepunkt rund eine Meile zu weit nördlich, für den zweiten soll ich 55 Grad halten. Das könnte vielleicht zu schaffen sein, wenn wir aus den höchsten Wellen heraus sind und den Motor mitlaufen lassen. Horst wirft den Motor an, er läuft gerade mal zwei Minuten, dann stinkt es nach verbrannten Kerzen und er streikt. Aber die größten Wellen haben wir hier nicht mehr. Das Nordufer vor Tanger gibt uns Schutz und ich bilde mir sogar ein, daß wir näherkommen. Aber Tanger anlaufen zum Wundenlecken und Ausschlafen, das kann nichts werden, denn da müßten wir reinkreuzen - mit der Sturmfock nicht zu machen, obwohl selbst die noch zu viel Fläche hat.

Also nur zusehen, daß wir im Landschatten bleiben und die gesetzten Wegepunkte nach Ceuta aussegeln können. Doch dazu müssen wir die größere Fock setzen. Im ersten Morgengrauen wechsele ich die Fock - wie gut, daß wir eine Normalfock in Reserve hatten- und tatsächlich, man kann das Boot halten, sogar die Kurslinie von jetzt 73 Grad! Aber jetzt fehlt die Wärme der Regenschauer und Grundseen, der Wind kühlt mich aus, ich muß unter Deck zum Aufwärmen. Horst übernimmt das Ruder, und während ich unten liege, höre ich mehrmals kräftiges Halsen. Da kann der Kurs doch nicht stimmen! Horst, was ist denn los? Mensch, fahr uns bloß nicht nach Gibraltar, das sind noch 5 Stunden länger, und in die Wellen kämen wir auch wieder! Horst scheint die Orientierung völlig verloren zu haben, ich brülle :"73 Grad, keinesfalls weniger, und nicht am Kompaß, sondern am GPS!" Irgendwann laufen wir dann auch mit Backbordbug einen Kurs, der stimmen könnte. Ich döse etwas vor mich hin, bis mich das Tageslicht munter macht. Draußen finde ich Kabbelwasser wie auf einem Binnensee vor! Endlich Atlantik ade!

So ein Wetter kann man auch mit mehr Segelfläche ausfahren, also Groß hoch und dicht an der Küste langmogeln, auch wenn ab und zu von den Bergen kräftige Fallböen runterkommen. Aus dem Ruder laufen ist doch was anderes als von Wellen hin- und hergeworfen zu werden. Vorsichtig lasse ich mir auf dem GPS die Ankunftszeit in Ceuta anzeigen: 11.23 Uhr, wenn das gegenwärtige Tempo so bleibt. Und wenn wir wirklich in den Hafen kreuzen können. Und wieder packt uns ein milder Flutstrom, ein warmer Regen fällt und wird als Wohltat empfunden. Hinter der nächsten Nase taucht Ceuta auf, mit etwas Kneifen kann ich sogar zur Hafeneinfahrt anliegen, und bei nur zwei Windstärken kreuzen wir ganz langsam in das riesige Hafenbecken. Freundliche Leute winken uns in den Gästehafen, helfen zwei steifen Gestalten beim Festmachen. Geschafft! Uhrzeit 11.23 Uhr am Sonnabend, dem 21.12.1996. Es ist genau Hochwasser, Tidenhub ca. 1,50 m, also lassen wir die Festmacher und Springs zum Kai entsprechend lose. Raus aus dem Ölzeug, denn schon schwitzen wir, und dann ein erstes Bier!

Jetzt folgt die Bestandsaufnahme. Wir selbst sind völlig heil und haben nicht einmal blaue Flecken, ich habe sogar warme Füße. Am Bootskörper auch keinerlei Schäden, das Rigg absolut okay, aber Autohelm kaput, Radarflagge zerfleddert, der Windgenerator läuft zu langsam und lädt die Batterien nicht mehr, Tisch weggebrochen, Schiebeschapp eingedrückt und der Motor springt auch im Hafen nicht an.

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Aus der Atlantiküberquerung einhand konnte nichts mehr werden, aber in Casablanca überwintern ging auch nicht, denn das hätte 42000 DM Luxussteuer gekostet. Also blieb nur die Rücküberfühung mitten im Dezember 1996 nach Spanien, koste es, was es wolle, und das kam dan ganz dicke.....
Details:
Aufbruch: 18.12.1996
Dauer: 13 Tage
Heimkehr: 30.12.1996
Reiseziele: Marokko
Spanien
Gibraltar
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.