Eine Hochzeit auf Djerba

Reisezeit: August 2002  |  von Regine Lorenz

3. und 4. Tag der Hochzeit

Denn am Vormittag kommt die Hennana, um bei der Braut und allen anderen, die das wünschen die Harkous-Bemalung aufzutragen. Irgendwann gegen Mittag sind dann alle bemalt und deutlich müde. Nashoua wird noch eine kleine Verschnaufpause gegönnt. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit wird der Innenhof in ein Hammam unter der Sonne umgewandelt. Der Wasserschlauch wird von draussen durch die Tür hereingehängt und dann wird Nashoua erst mit Milch und dann mit Wasser gewaschen. Plötzlich gibt es ein Mordsgeschrei. Drei kleine Jungs (ca.5 Jahre) hatte sich irgendwie auf das Dach geschlichen, um dort dem geheimnisvollen Treiben zuzusehen.....Sie wurde lautstark und unter Zuhilfenahme des Wasserschlauchs wieder vertrieben. Zum Schluß wird sie noch mit Rosenwaser und Jasminessenz betupft. Mir wird so langsam klar, daß heute wohl der Höhepunkt der Hochzeit ist. Am späten Nachmittag wird die Braut angekleidet und geschminkt. Sie trägt eine weiße fast durchsichtige Bluse, darüber die tradtionelle bestickte Blusa der Djerbis. Es folgen eine rote Samthose und eine Samtjacke, hohe Schuhe und eine schwarze Kappe. Die Haare sind zu Zöpfen geflochten. Jetzt wird der Goldschmuck angelegt. Eine Tradition besagt, je mehr Gold die Braut am Körper trägt, um so wertvoller ist sie. Mit Hilfe der Nachbarinnen und Verwandten werden es am Ende mehr als 15 Kg (!) sein. Über dem Ganzen trägt sie noch den dunkelroten Sefsari aus Houmt Souk (die Stadt aus der ihr Mann kommt). Dann bekommt sie noch den roten Gesichtsschleier mit den Khomsas gegen den bösen Blick übergelegt. Die Darboukas rufen....Nashoua geht in den Innenhof und die Frauen strömen herein. Ist die Braut wirklich so schön, daß sie sich verstecken muß?? Wer die Schönheit der Braut sehen will, muß dafür zahlen. Und es wird viel gezahlt....Für jeden 10 Dinar-Schein lüftet die Hüterin der Moral den Roten Schleier und Nashoua nimmt die Hände vor dem Gesicht weg, damit man einen Blick erhaschen kann!! "Jujujujuju" Ja, die Braut ist so schön wie Mond!! Lange muß sie sich den prüfenden Blicken stellen. Nachdem es ganz dunkel geworden ist, erklingt draußen die Autohupe.... Jetzt wird die Braut in das Haus ihres Mannes gebracht. Bis der Konvoi die 30 km gefahren ist, dauert es eine Weile, aber niemand stört sich an diesem langsam dahinkriechenden Wurm...nein, die Leute, einsschließlich Polizei lächeln und freuen sich!!

Am Haus des Bräutigams angekommen, werden alle lautstark von der dortigen Verwandschaft begrüßt. Der Bruder der Braut trägt diese tiefverhüllt wie eine Teppichrolle ins Haus.....hier gab es dann so etwas wie einen Afront: Das Schlafzimmer entspreche nicht den Vorstellungen von Nashouas Familie. Ein solch wertvolles Gut soll in solch einem schäbigen Raum die Nacht der Nächte verbringen?? Nein, niemals....viel Geschrei und Tränen bei der Schwiegermutter! Beruhigungsversuche schlugen die ersten 10 Minuten völlig fehl, bis zwei kleine Mädchen mit riesigen Körben mit Blüten auftauchten. Nashoua war noch immer eingepackt wie ein Teppich und sicher kurz vor dem Ersticken.... Die Blüten wurden überall im Zimmer kunstvoll drapiert (sogar Kaktusblüten waren darunter) und irgendwann waren dann alle zufrieden. Nashoua wurde von ihrer Mutter ausgewickelt und wieder passabel hergerichtet. Im dortigen Innenhof gab es dann nochmals die Schönheit der Braut (nur für die Frauen) zu bewundern! Und dann gab es endlich eine Pause....Essen, Trinken, Ruhe, durchatmen...
Nach einer guten Stunde merkte ich, daß Nashoua langsam aber sicher mehr als nervös wurde. Auf mein Fragen hin, sagte sie, ihr Mann würde sie gleich holen kommen....
Nashoua, Fatma (Hüterin der Moral) und ich gingen in das Schlafzimmer. Nashoua setzte sich hin und wurde wieder völlig verschleiert. Fatma ging nach draußen um die Männer zu holen. Ich blieb bei Nashoua, denn ich hatte noch eine besondere Aufgabe. Die Tür war verschlossen. Da klopfte es sehr zaghaft....keiner kam rein. Nochmals klopfte es. Jetzt schon etwas sicherer, aber wieder kam niemand. Und ein drittes Mal...diesmal machte ich die Tür auf. Der Bräutigam stand in Begleitung der gesamten männlicher Verwandtschaft vor der Tür und bat um Einlaß. Ich mußte ihm vor versammelter Mannschaft (auf französisch) folgende Fragen stellen: Ob er denn überhaupt für die Ehe bereit ist und seine Frau und später auch die Kinder ernähren kann. Ob er seine Frau immer sorgsam behandeln wird. Ob er auch auf ihren Rat hören wird. Er beantwortete leicht zittrig alle Fragen zur allgemeinen Zufriedenheit. Bevor er nun ins Schlafzimmer durfte, habe ich ihm noch Allahs Zorn versprochen, wenn er ihr in dieser Nacht nicht gerecht wird!! Ich glaube Sofian war mindestens genauso nervös wie seine Braut. Ich habe ihn dann in das Zimmer gelassen, alle anderen noch einen Raum weiter gescheucht, auch diese Tür verschlossen und damit hatten die beiden endlich ihre Ruhe! Die Hochzeitsgesellschaft löste sich dann innerhalb einer halben Stunde in völliger Stille auf. Und ich bekam zum ersten Mal seit drei Tagen endlich wieder ausreichend Schlaf!

Am vierten Tag brach dann nachmittags dezente Panik aus. Für den heutigen Abend war das traditionelle erste gemeinsame Essen der Brautleute geplant. Zu diesem Zweck mußte ein riesiger Topf mit 100 Stücken Fleisch (gekocht mit Graupen und Soße) dekoriert mit 100 hartgekochten Eiern in unversehrtem Zustand von Hadada nach Houmt Souk gebracht werden. ´Die Zahl 100 besagt in diesem Fall, daß den beiden niemals die Nahrung ausgehen möge. Nun ja wie schafft man eine randvollen Topf mit flüssigem und zerbrechlichen Inhalt über staubige Straßen nach Houmt Souk? Der Wagen dazu wurde gefunden, aber wie das Teil auf den Wagen bekommen?? Nun ja der Topf wurde vergurtet, es wurden über den Auto Stangen angebracht und dann durfte das Hauskamel den Topf hochziehen. Das nichts übergeschwappt ist wundert mich noch heute, zumal es für diesen Topf keinen Deckel gab. Als Deckelersatz wurde dann eine frisch geschrubbte Bodenmatte hergenommen....Problemlösung auf tunesisch! In Houmt Souk trafen wir wieder auf das Brautpaar. Beim gemeinsamen Essen füttern sie sich gegenseitig und fünf kleine Kinder stellvertretend für die noch nicht vorhandenen eigenen Kinder. Nach dem Essen haben sie die beiden aus der Hochzeitskleidung geschält und haben sich lt. Aussagen von Sofian an die Bar eines Hotels zurückgezogen. Der Rest der Hochzeitsgesellschaft hat dann wieder munter bis 3 Uhr morgens gefeiert!
Nach diesen vier Tagen war nicht nur ich völlig erschöpft. Mittlerweile ist mir auch klar, warum diese Hochzeiten mit einem derartigen Aufwand betrieben werden. Für die Frauen ist es das Fest ihres Lebens! Vor der Hochzeit sind Tunesierinnen Mädchen, nach der Hochzeit erwachsene Frauen und voll anerkannte und bestätigte Mitglieder der Gesellschaft. Und sehr viele Frauen lieben gerade eben diese traditionellen Hochzeiten, denn dadurch erleben sie es selbst noch einmal.
Beide sind jungfräulich in die Ehe gegangen. Überprüft wurde dies allerdings nicht, weil man bei den Berbern nach wie vor davon ausgeht, daß Frauen selbst wissen was sie tun und das es außerdem einen Angelegenheit der Eheleute ist. Auf meine Fragen hin, daß es diese Rituale aber in Tunesien sehr wohl auch gäbe, kam mit einem Schmunzel: "Ja, das sind ja auch Araber..."
Nashoua und Sofian stahlen sich an und freuen sich auf die gemeinsame Zukunft. Als ich die beiden am Abend vor meiner Abreise fragte was sie denn von der Zukunft erwarten, meinten beide unisono: Ein schönes gemeinsames Leben ...zusammen!
Mabrouk!!!

Bericht von Regine L., August 2002
P.S. Tunesien beherbergt so viele Rituale, Traditionen, fremde Kultureinflüsse, daß ich es nicht wage Urteil über etwas abzugeben was ich noch nicht verstehe. Ich habe in diesem Bericht zwar nicht alles beschrieben, da viele Situationen einfach zu intim für die Öffentlichkeit sind, aber ich habe auch nichts geschönt.
Es ist ein mir nach wie vor fremdes Land, das mich unwahrscheinlich fasziniert. Ich hoffe, daß mir noch viele Reisen dorthin vergönnt sein werden. Und viele Erlebnisse gleich welcher Art. Und genau das wünsche ich allen Tunesienreisenden.

Das Buch zur Geschichte:

Geschichten aus Tunesien

von Regine Lorenz

traveldiary.de Reiseliteraturverlag

ISBN 3-937274-09-X

Kosten: 12,00 Euro

mit 28 SW-Photografien, 132 Seiten

Das Buch kann über mich, über den Verlag oder in jedem Buchhandel bestellt werden.

© Regine Lorenz, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Hochzeitsrituale und Feiern auf Djerba - Tunesien
Details:
Aufbruch: August 2002
Dauer: unbekannt
Heimkehr: August 2002
Reiseziele: Tunesien
Der Autor
 
Regine Lorenz berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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