Komm! Draussen wartet die Welt ...

Reisezeit: September 2007 - September 2008  |  von Nicola Stratmann

"Scary-Nasi" - die ersten Eindruecke

Nun bin ich schon seit ein paar Tagen hier, aber habe mich bis heute noch nicht danach gefuehlt zu schreiben. Das heisst, schreiben wollte ich schon, aber ich konnte meine Emotionen bisher noch nicht wirklich ordnen und in Worte fassen ... zu sehr hat mich diese Stadt "herausgefordert", zu tief gingen die Gefuehle, die sie in mir ausloeste - bis heute.

Bevor ich euch jetzt ueber meine ersten - sehr schwierigen - Tage hier in Varanasi berichte, moechte ich vorweg schicken das es mir jetzt sehr, sehr gut geht!

Dieser Ort ist fuer mich das bis jetzt intensivste, ergreifendste, emotionsgeladenste, eindrucksvollste,... Erlebnis auf meiner Reise in Indien. Ich wollte (und moechte) diesem Ort und den Menschen hier nicht Unrecht tun, indem ich aus unreflektierten Emotionen heraus im "www" darueber berichte.
Dennoch werde ich diese ersten Eindruecke nicht "aussen vor" lassen, denn sie gehoeren unweigerlich zu meinen Erfahrungen hier dazu und sie beeinflussen ebenso unweigerlich die Art und Weise, wie ich Varanasi aus heutiger Perspektive wahrnehme und wie ich mich hier fuehle.

Alles begann mit der Zugfahrt von Haridwar nach Varanasi:

Voller Neugier und Abenteuerlust brach ich gegen Abend in Rishikesh auf, um den Zug von Haridwar nach Varanasi zu nehmen. Ich war mal wieder viel zu frueh dort, um den Zug nicht zu verpassen. Natuerlich lief ausgerechnet auf dieser Strecke mal wieder alles reibungslos, also wartete ich am Bahnhof letztendlich 2 1/2 Stunden. Um mich rum viele indische Maenner, die mich anglotzten und auf Hindi ueber mich sprachen. Ich fuehlte mich mehr als unwohl und hatte irgendwie ein "ungutes Gefuehl", was meine bevorstehende Zugfahrt anging.

Der Zug rollte ein und ich fand mein Abteil nicht. Bin den ganzen Zug mehrmals auf und abgerannt, ohne meine Waggonnummer zu finden. Da die Zuege hier gerne einfach und urploetzlich losrollen und viele der "lower-class-waggons" so ueberfuellt sind, dass man nicht einfach so aufspringen kann, geriet ich mit der Zeit mehr und mehr in Panik. Ich fragte jeden, zeigte mein Ticket ... klar, jeder wusste wolang, nur leider war es jedes Mal die andere Richtung ... "kopfwackelwackel", "grins", "yes, yes madam - this way!".

Voellig fertig und verschwitzt - ich wollte echt schon in einen der anderen Waggons rein, nur um sicher zu gehen, dass mich der Zug nicht einfach "stehen laesst - sah ich dann, wie ploetzlich zwei weitere Waggons an den Zug angekoppelt wurden. Und siehe da - der Wagen S5 (meiner!!!) war auch dabei - juchu!

So, jetzt ratet mal wo ich meinen Schlafplatz hatte... Japp, direkt am Klo. Auf den Strassen kenne ich das rotzen, spucken, ruelpsen, wuergen, furzen, ... bereits, habe ich ja auch schon von berichtet. Aber waehrend der knapp 22 stuendigen Zugfahrt war das ein "overdose" fuer mich hoch 10!! Mir war so schlecht von diesen permanenten (!) Geraeuschen und ich konnte echt nicht anders, als diesen Aspekt der indischen Kultur zu vertaeufeln.

Schlafen war nicht moeglich, trotz der Musik von meinem Mp3 Player im Ohr. Dazu kamen kreischende Kinder, eine "durchgetickte" alte Frau, die ununterbrochen einen jammernden Singsang von sich gab ... und die boesen Schreie der Menschen, die diesen Singsang nicht mochten, weil sie schlafen wollten. Verstaendlicherweise, nachts um 2,3,4,5 Uhr.

Doon Express, Waggon S5 - ich wuerde sagen der "Freakshow-Waggon" par excellence

Mir gegenueber sassen zwei alte Maenner, die sich die ganze Zeit auf Hindi unterhielten. Der eine sagte etwas, der andere darausfhin lauthals "Hae?!" Dann - so denke ich zumindest - wiederholte der eine seinen Satz, der andere antwortete nur mit "Ha(n)!". "Han" (das n ist beinahe still) bedeutet ja.
So verlief die gesamte Konversation ueber Stunden ... dazwischen lachten sie sich halbtot, dann wieder "HAE?!" - "HA(n)"! - wie gern haette ich wenigstens verstanden worum es ging. Andererseits trugen die beiden enorm dazu bei, dass ich wenigstens ab und zu mal (mit)lachen konnte auf diesem Horror-Trip, denn es war lustig anzuhoeren!

Es war dunkel, als wir Varanasi erreichten und ich stellte mich ein letztes Mal fuer diesen Tag auf eine anstrengende Mission ein: mit ner Rikschah in mein (vorgebuchtes) Guest House!
Schon in Rishikesh hoerte ich oft: "Pass auf, wenn du ankommst. Jeder wird dich versuchen uebers Ohr zu hauen. Lass dich auf nichts ein, bestehe darauf, dass sie dich wirklich zu dem Hotel bringen, in das du wirklich willst! Keine Dsikussionen, keine Bezahlung bevor du nicht sicher bist, auch angekommen zu sein! ..." Dann noch von den meisten: "Viel Glueck dafuer - "grins".

Ok, ich hab mich also aus dem Bahnhof rausgetraut und war zuerst verwundert, dass keine Rikschah-Wallah-Traube auf mich zustuermte. Aber kaum kam dieser Gedanke in mir auf, passierte genau dies. Der Unterschied war hier nur, dass sie agressiv waren. Zwei pruegelten sich um "mich" als Fahrgast, einer schlug mir von hinten mit der Faust an den Hinterkopf, als ich mit einem anderen mitging. Ich hatte das erste Mal richtig Angst in Indien.

Waehrend der Fahrt versuchte er mich die ganze Zeit zu ueberzeugen, dass ich besser in ein anderes Hotel fahren solle (sie bekommen Komission!). Sogar die Erklaerung meines sei gestern explodiert fand er nicht zu abwegig. Ich glaubte ihm natuerlich nicht!

Was bloed ist hier in Varanasi ist, dass man mit ner Rikscha nicht direkt bis zu den Ghats fahren kann. Die Gassen werden zu eng, also muss man laufen. Gut fuer die Wallahs, denn sie koennen einen praktisch ueberall absetzen ... war ich schonmal hier und weiss, wie die "Hinterseite" der einzelnen Ghats aussieht? - Nein!
Also hat er mich natuerlich am falschen abgesetzt, wie ich kurze Zeit spaeter erfahren habe. Ich also wieder in eine Rikscha rein und auf ein Neues! Diesmal war es eine Fahrradrikscha (in denen ich mich eh latent unwohl fuehle ... ). Der Arme strampelte sich durch die Strassen und hielt dann - siehe da - doch tatsaechlich am richtigen Ghat. Nur meinte er, den Fahrpreis mal eben verdreifachen zu koennen. Wir stritten uns, er war sauer, ich auch.

Ich zocke hier niemanden ab, handele die Menschen nicht "aufs Blut" runter, wie es manche "Low-Budget-Traveller" tun und wie ich es hasse mitzuerleben. Sie wuerden am Liebsten "null rupees only" bezahlen und beschweren sich dann noch, wenn irgendwas nicht passt. So bin ich nun gar nicht drauf, habe ich ja auch bereits von geschrieben.
Aber ich lasse mich auch nicht verarschen (sorry) und so bestand ich - ebenfalls lauthals, so wie er - auf den zuvor ausgemachten Preis (diesmal ohne TIP!), bis er aufgab.

Mittlerweile hatte sich eine Menschentraube um uns gebildet, alle diskutierten eifrig mit. Zwei Jungs wollten mich dann zu meinem Hotel bringen. Ich war zu erschoepft um mich erneut dagegen zu wehren und stapfte hinter ihnen her, fast sicher, dass wir vor der Tuer eines anderen Hotels landen wuerden (Komission!). Aber nein - alles war bestens, die Jungs bekamen ihre Rupees und ich war heilfroh endlich da zu sein. Mein Zimmer war klein, aber mit ner fantastischen Aussicht auf das Ghat.

Ich wollte schnell was essen, dann duschen. Hm, das Problem: es gab keine Dusche. Ich hatte ein Zimmer mit Gemeinschaftsklo gebucht und ging aber davon aus, das dies auch eine Dusche beinhaltet ... falsch gedacht. Das heisst - um ehrlich zu sein - war da schon eine Art "Vorrichtung" in dem kleinen, stinkigen Klo, aus der ein paar Tropfen Wasser kamen. Aber es gab keinen Platz fuer ein Handtuch, keinen Stehplatz neben dem Klo zum duschen, kein Licht ... wie das andere machen ist mir ein Raetsel, ich auf jeden Fall musste aufgeben. Ich bin halt echt kein so richtiger LOW,LOW - Budget-Traveller, wie ich es mal wieder feststellen durfte.
Bin also ungeduscht schlafen gegangen und wollte mir am naechsten Morgen ein anderes Zimmer suchen.

Ich war so uebermuedet, nervlich am Ende von der Fahrt vom Bahnhof zum Hotel und geschockt von dem ersten Eindruck Varanasis (dazu Dreck,Dreck, Dreck - ohne Ende!), dass ich mich sehr zusammenreissen musste, um nicht hysterisch weinen zu muessen. Aber danach gefuehlt habe ich mich doch.

Dennoch, ich habe versucht mich zu beruhigen und mir klarzumachen, dass es nicht hift, jetzt durchzudrehen. Es gibt schliesslich niemanden hier in Varanasi, der mir haette helfen koennen, mich haette "troesten" koennen, in den Arm nehmen koennen... Also entschied ich mich dafuer "stark" zu sein und es klappt tatsaechlich!
Es war wirklich eine klare Kopfentscheidung nicht das Weinen anzufangen, nicht in "Selbstmitleid" zu verfallen, nicht zu "rekapitulieren".
Tut gut, ausnahmsweise mal "Herr" ueber meine Gefuehle zu sein, was sonst nicht so leicht funktioniert bei mir!

Was meinen ersten Tag angeht und was ich jetzt so erlebe hier, dazu bald mehr. Auch Photos von diesem - wie ich mittlerweile finde - wunderschoenen Ort kommen noch! Shanti, shanti ... morgen ist ein neuer Tag!

Shub Ratri - Gute Nacht!

© Nicola Stratmann, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Meine Reise nach Indien, Sri Lanka, Thailand ... und was mir sonst noch begegnen möchte.
Details:
Aufbruch: 15.09.2007
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 03.09.2008
Reiseziele: Indien
Havelock Island
Thailand
Der Autor
 
Nicola Stratmann berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Nicola sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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