Heißer Sand...

Reisezeit: Juli 2003  |  von Laila Vanwinkle

Ein Kollateralschaden namens Mariam

We hold these truths to be selfevident that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable rights, that among these are life, , liberty and the pursuit of happiness
Wir erachten diese Wahrheiten als selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie alle von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerbaren Rechten ausgestattet sind, diese sind unter anderem Leben, Freiheit und das Streben nach dem Glück.

(aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung)

Mariam hatte genau 7 Schusswunden in ihrem Körper. Als ich das erste Mal bei ihr war, holten ihre Mutter sie aus ihrem Zimmer und ihre Schwester krempelte ihr den Ärmel hoch und zeigte mir 2 dieser violett-rötlichen Vertiefungen, durch die sich 3 Monate zuvor Kugeln gebohrt hatten. Solche Wunden sehen aus, als wenn man seinen Daumen tief in einen Apfel gepresst hat und ihn dann einen halben Tag lang liegen gelassen hat.

Als ich sie zur Begrüßung umarmte, fühlte sie sich so leicht und dünn wie ein Vogel an. Sie war Anfang 20, sah aus wie höchstens 16; große dunkle Augen leuchteten in einem leichenblassen Gesicht, umrahmt von dunkelbraunem zu einem Zopf geflochtenem Haar. Ich sagte ihr, dass ich froh sei, dass sie lebe - das hatte ich mir gründlich überlegt, denn ich wusste, wie sehr es Leute hassten, als bemitleidenswerter und automatisch unzurechnungsfähiger Opfermüll abgestempelt zu werden - und sie sagte lächelnd mit dünner Stimme "Thank you".

Sie lächelte sehr viel, nachdem sie aus ihrem Zimmer geführt wurde, um mit mir und ihrer Familie im angrenzenden Wohnzimmer zu sitzen. Ich war zuerst überrascht, dass sie es so gut überstanden zu haben schien. Sie schien weder wütend noch ein nervöses, leidendes Wrack zu sein, wie ich erwartet hatte. Sie hatten mich zum Glück vorgewarnt und gesagt, dass auf sie geschossen worden war, bevor wir in der Wohnung ankamen. Sonst hätte ich wahrscheinlich angefangen zu heulen, was eine Kranke ja nicht unbedingt aufheitert.

Ihr Vater sagte mir aber, sie ginge nicht mehr aus dem Haus. Dort besuchte ich sie und sie saß still neben ihrer Schwester, mit der ich mich am meisten unterhielt, da sie das beste Englisch sprach. Wenn ich Mariam anlächelte, während wir von ihrer Mutter bewirtet wurden, lächelte sie immer eine Sekunde zu spät zurück. Sie selbst aß nicht mit uns. Dann fing sie nach einiger Zeit an, sich auf dem Sofa hin und her zu wiegen, wie ein hospitalistisches Kind, während sie schläfrig weiterlächelte.

Als sie das tat, wurde mir einiges klarer. Es war ein verstörender Anblick. Es stellte sich heraus, dass sie unter teuren, auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Schmerz- und Beruhigungsmitteln stand. Die Geräusche, die mit den Geschossen in ihrem Körper in Verbindung standen, konnte sie damals noch jeden Tag hören. Es wurde im Sommer 2003 in Baghdad immer irgendwo geschossen, es knatterte immer wahrnehmbar in der Ferne, und von höheren Gebäuden aus konnte ich die Feuerblitze der Schüsse und auch Feuer brennen sehen, die nach Einschlägen an Gebäuden brannten. Mariam hatte gerade erst mehrere Wochen in einem Krankenhaus verbracht.

Fotorgafieren lassen mochte sich sie nicht, ganz im Gegensatz zu ihrer übrigen Familie. Zuheila, ihre jüngere Schwester, donnerte sich erstmal 10 Minuten lang auf, bevor sie für das Photo nachgeschminkt hatte und mit drapierten über einen Meter langen offenen schwarzen Haaren dramatisch wieder aus dem Schlafzimmer schritt. Ich hatte gedacht, Mariams Wunden sollten die sturen "Wir tun ihnen etwas Gutes" ausgerichteten Amerikaner mal sehen, die ich kannte. Aber sie war ja so schon "Zielscheibe" genug geworden. Es war echt und ich hätte es so gerne geändert. In dem Moment war ich mir sicher, dass das Beine-Abfrieren bei den Antikriegsdemos richtig gewesen war, wenn auch nutzlos für sie selber. Sie wurde von niemandem gefragt, ob sie das aushalten mochte. Ich glaubenicht, dass irgendein Politiker der Welt, gesetzt den Fall, er habe Kinder, es zugestehen würde, seine eigenen Kinder zum "Allgemeinwohl" einem Risiko aussetzen würde, dass sie in diesen Zustand versetzen könnte. Wenn er oder sie noch ganz richtig tickt, was ja, Hussein mit seinen Gewaltorgien, die ich in den 90ern auch mal auf Video sah, als herausragendes Beispiel, nicht immer der Fall ist.

Wer es getan hatte, sagte ihr Vater, wüssten sie nicht. Sie hatten auch Angst, ihre lebhafte Schwester Zuheila mit mir ins nahe Sheratonhotel zu lassen, wo ich mir mit dem Amerikaner den Ausblick ansehen wollte.

"Einer Tochter ist es doch schon passiert" sagte der Vater, als wir allein im Auto waren. Eigentlich sagte er wörtlich, eine habe er doch schon "verloren", was ich hart fand, so, als ob das zerschossene Mädchen jetzt kaputt und nutzlos sei.

Falls Mariam noch etwas passiert ist, hätten sie es mir sicher nicht gesagt. "Weil ein Mann im Zimmer ist", sagten sie mir, blieb sie im angrenzenden Schlafzimmer für sich, als der Amerikaner mitkam. Eine christliche Bekannte aus einem Nachbarland erzählte mir, dass es nach ihrer Vergewaltigung als junges Mädchen sicher besser war, dass sie sich niemandem anvertraute, obwohl ihr Vater zu dem Zeitpunkt schon verstorben war -abgesehen davon, das sie ihrer Mutter den Schock ersparen wollte, sagte sie, es sei durchaus noch üblich, dass männliche Verwandte das Opfer dann töten, um die Schande zu tilgen, dass sie es nicht beschützen konnten, und wer nimmt sie dann schon noch, in einer Region, die oft noch sehr auf Ehe als einziges Lebensziel von in jedem Falle jungfräulichen Frauen erpicht ist?

© Laila Vanwinkle, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Baghdad, Irak
Details:
Aufbruch: Juli 2003
Dauer: unbekannt
Heimkehr: Juli 2003
Reiseziele: Irak
Der Autor
 
Laila Vanwinkle berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.