Bus/Bahnreise Jordanien, Syrien, Türkei

Reisezeit: April 2011  |  von Wilfried Virmond

Im Sonderzug nach Hama und Palmyra

Tag 8
Dienstag, 19. April 2011
Im Zug an die Wasserräder von Hama und nach Palmyra

Ich stehe um 6:30 Uhr auf. Frühstück gibt es täglich ab 7:00 Uhr in den Speisewagen. Ich habe sehr gut geschlafen. Hier zahlt es sich endlich mal aus, klein zu sein, denn ich konnte mich fast ausstrecken. Ein großer Mensch dürfte Schwierigkeiten bekommen. Der jeweilige Tagesplan hängt direkt vor meiner Tür. Gegen acht Uhr setzt sich unser Zug wieder in Bewegung.

Die Welt draußen sieht karg aus, Wüste, manchmal auch Steppe, Schafe, Beduinen oder Zigeuner, Staub. Links eine Stadt: Dumayr. Hier wird viel gebaut, das meiste ist aber verkommen. "Gut in Schuß" gibt es in Syrien nicht. Alles ist sofort schmutzig, staubig und kaputt. Auch die Züge sehen katastrophal schlimm aus, verrostet, die Farbe blättert überall ab. Mit einem Wort: Erbarmungswürdig. Den Begriff "Saubermachen" kennt man hier nicht. Überall liegt Müll herum. Dieser und überhaupt alles Plastik wird gerne auf Haufen verbrannt.

Auf einer parallelen Straße fahren ausschließlich schwere LKW-Kipper mit Ladung aus zwei Phosphatminen.

Nach einer halben Stunde sehe ich einen einzigen PKW. Alles flache Wüste, Gebirgsketten rechts und links jeweils ein paar Kilometer entfernt. Wir fahren nach Norden. Ich freue mich und bin gespannt auf die weiteren Erlebnisse.

Hier in Syrien ist einfach alles schäbig, natürlich auch Kasernen und Soldaten und die dort herumstehenden Panzer sehen auch nicht besser aus.

Der Besuch der Ausgrabungsstätte Qatna wird von Jürgen über die Lautsprecher aus Sicherheitsgründen abgesagt. Auf dem Weg dorthin könnte es Unruhen geben. Hier hätten wir einen Zeitsprung um mehrere tausend Jahre zurück gemacht und Ausgrabungsstätten der Bronzezeit besichtigen können. Wieder ist ein wichtiger Punkt gestorben.

Ich erfahre, daß es in Syrien siebzehn (17!) Geheimdienste geben soll. Ein Reiseteilnehmer hat schon Bekanntschaft mit einem geschlossen: Er hat nachts (um 1:00 Uhr) den Mond über der Hotelreklame fotografiert und kurze Zeit später standen uniformierte Beamte zusammen mit Hassan als Übersetzer vor seiner Tür und überprüften die geschossenen Fotos. Da keine Gebäude zu erkennen waren, mußte nichts gelöscht oder gar beschlagnahmt werden. Nochmal Glück gehabt. Hier herrscht offenbar eine totale Überwachung der Leute. Später, in einer Moschee fiel mir auch ein Typ auf, der bestimmt nicht zu unserer Gruppe gehörte und trotzdem immer in unserer Nähe blieb. Zuhause lese ich, daß Syrien einer der schlimmsten Polizeistaaten ist.

Trotz der Möglichkeit, im Zug Durchsagen zu machen, wird davon viel zu wenig Gebrauch gemacht. Überhaupt erhält der Schreiber dieser Zeilen viel zu wenig Informationen, genauso wie alle anderen. Jetzt stehen wir schon wieder ewig an einem kleinen Bahnhof und wissen nicht warum.

Nach der vielen Sonne bisher bin ich eigentlich gar nicht traurig, daß es heute etwas stärker bewölkt ist. Mit Regen ist aber nicht zu rechnen.

Es wird etwas grüner draußen, sogar schwarz-weiße Kühe gibt es hier, alle an einem Seil angebunden.

In Hims (auch Homs) halten wir erneut für längere Zeit. Hims ist eine syrische Großstadt mit riesigen Kraftwerken, hohen Getreidesilos, vielen Industriebetrieben und zahlreichen Hochhäusern. Eines ist gerade im Bau und sieht aus wie der Turm von Babylon, so groß und hoch wird es wohl.

(Jetzt, im Mai 2011, nach unserer gesunden Rückkehr, hört man immer wieder von schweren Unruhen in Hims. Was haben wir für ein Glück gehabt!)

Die Gegend ist fruchtbar. Und da man offenbar nur wenig Geld für Pestizide, Fungizide und andere Schweinereien hat, blühen auch überall dunkelrote Mohnblumen und blaue Disteln. Meine Beine jucken; ich hoffe, daß das ein gutes Zeichen ist.

Die Armut ist schlimm. Unzählige meist kleine Schafherden sehe ich. Dort sind auch die einzigen Hunde. Nur an Steinen ist man hier reich. Sie liegen hier überall herum, große schwere Steine. Die ganze Gegend war einmal damit übersät. Oft hat man sie in mühevoller Arbeit weggeräumt und zu Wällen aufgeschichtet. Nur so kann man den fruchtbaren Boden bearbeiten. Die meisten sind bestimmt tonnenschwer.

Erneut zieht ein mächtiges Kraftwerk mit drei riesigen Kühltürmen an unseren Fenstern vorbei. Hassan sagt uns, es sei ein kalorisches Kraftwerk, mit Erdöl betrieben.

Kinder (und manchmal sogar Erwachsene) winken unserem Sonderzug oft zu. Er muß den Menschen da draußen als etwas ganz besonders Prachtvolles erscheinen. Schade, die Fensterscheiben hätte man vor der Abfahrt säubern können, wir wollen doch schließlich alle Fotografieren. Die Lok hupt sehr oft, ich bin froh, daß ich es hier hinten nur ganz leise mitbekomme.

Bei Tarif wechsle ich schonmal etwas syrisches Geld. Das ist einfach und bequem. Arabische Männer haben ja gerne etwas Dickes in der Hose. Meistens sind es Geldnotenbündel. Tarif zeigt mir seins.

Weiter geht es nach Norden, bis Hama, einer weiteren sehr alten und geschichtsträchtigen Großstadt mit ca. 350.000 Einwohnern. Unsere Busse warten schon am Bahnhof, alle haben ein Schild in der entsprechenden Farbe der jeweiligen Gruppe (blau, rot, gelb, weiß, silber) vorne im Fenster, sodaß man leicht seinen Bus findet. Jeder setzt sich immer auf denselben Sitz, sodaß es da kein Durcheinander gibt.

Draußen vor dem Bahnhof stehen unzählige Bus-Wracks herum, überall ausgeweidet. Die Vorderscheibe unseres Busses weist einen neuen Steinschlag auf, der vom Fahrer mit einem großen Stück Klebeband gesichert worden ist.

Hier in Hama besichtigen wir die weltberühmten uralten Wasserräder (Norias) aus moosbewachsenem Holz. Sie sind mit bis zu dreißig Meter Durchmesser die größten der Welt und schöpften schon vor fünfhundert Jahren "laut ächzend" das Wasser des Orontes, eines 400 Kilometer langen Flusses, der im Libanongebirge entspringt, in höher gelegene Bewässerungsanlagen und Aquädukte für Obst- und Gemüsegärten. Früher waren es mal hundertsechzehn Wasserräder, heute sind es hundert weniger, also immerhin noch sechzehn. Jetzt werden sie allerdings nicht mehr benötigt.

Schlimm: Auf der Wikipedia-Seite finde ich auch folgenden Hinweis zur Geschichte Hamas:
"International wenig bekannt ist das Massaker von Hama vom Februar 1982, bei dem die syrische Armee unter Verteidigungsminister Mustafa Tlas die Stadt bombardierte, weil Mitglieder der Muslimbrüder Hama zum Widerstandszentrum gegen die Regierung ausgebaut hatten. Dabei wurden große Verwüstungen angerichtet und schätzungsweise 20.000 Menschen, die meisten davon Zivilisten (manche Berichte sprechen sogar von bis zu 30.000 Toten) kamen zu Tode. Diese Ereignisse sind bis heute ein völliges Tabu in Syrien."
Hama gilt als Protest-Hochburg.

Hama ist staubig und schmutzig. Abends soll es schöner sein, kein Wunder, dann sieht man den Müll und Schutt nicht mehr. Jetzt am Tage mildern die vielen prächtigen gelben Mimosenbäume den harten Anblick. Wir erfahren von Tarif, daß auch hier die Wohnungspreise und Mieten anziehen, obwohl, so teuer wie in Damaskus sind sie hier noch nicht. In der Hauptstadt sollen die Immobilienpreise explodiert sein.

Mit den Bussen geht es zum Bahnhof zurück und um 13:15 Uhr wieder weiter im Zug, der inzwischen Wasser und Schweröl übernommen hat. Er fährt jetzt zurück in südlicher Richtung. Tarif schenkt jedem drei syrische Ansichtskarten.

Unser Mittagessen (drei Gänge) gibt es zum ersten Mal im Zug. Leider unterhalten sich die Leute viel zu laut, wenn es mittags und abends Essen gibt. Danach ziehe ich mich in mein Abteil zurück.

Weil es hier nur selten Züge gibt, gibt es auch nur in Städten Schranken, die von Schrankenwärtern betätigt werden. Oft sind sie kaputt und bleiben oben, wenn unser Zug durchfährt. Wir fahren jetzt gemächlich ein Stück (fünfzig Kilometer) des Weges zurück, in die Richtung, aus der wir gekommen sind, bis wir dann später in Hims in östlicher Richtung abbiegen, unser Ziel ist Palmyra, "eine der grandiosesten Ruinenstätten der Welt", halbwegs in der Mitte zwischen Mittelmeer und Euphrat. Hier in Hims ist die größte Erdölraffinerie des Landes.

Auch hier überall Moscheen, in den Städten genauso wie in den Dörfern. Wo kommt nur das viele Geld her, um so viele Moscheen zu bauen?

Immerhin, unsere Fäkalien fallen nicht einfach auf das Gleisbett, sondern werden gesammelt. (Hatten wir ja noch bis in die 60er Jahre.)

An allen Bahnhöfen steht rollendes Material in bemitleidenswertem Zustand herum. Die Bauten sehen nicht besser aus. Alles schreit geradezu nach Erbarmen. Häuser, Straßen, Autos, einfach alles, was teuer gekauft werden muß, wird sich selbst überlassen und verfällt vom ersten Moment an, niemand kümmert sich mehr darum. Aber das ist ja in allen heißen Wüstenländern so. An sämtlichen Bahnhöfen wartet der Bahnhofsvorsteher auf unseren durchfahrenden Zug und winkt uns persönlich mit seiner Kelle durch.

Schon wieder stehen wir stundenlang an einem Bahnhof. Wir sind ein Sonderzug ohne Vorrechte und müssen oft ewig lang auf einen Gegenzug warten. Die Bahnhofsuhr geht eine Stunde vor. Ich blicke aus meinem Waggonfenster direkt auf ein Plakat des Königs. Darf ich das sagen?: König Assad (korrekt Baschar al-Assad) macht auf seinen Plakaten keinen sonderlich kompetenten Eindruck, er sieht eher ziemlich spießig aus, vielleicht sogar weinerlich oder gar (ich bitte um Entschuldigung) wie ein Kinderschänder. Früher, als sein schlimmer und gefürchteter Vater noch König war, soll er Augenarzt gewesen sein, hat also den Beruf "König" gar nicht studiert. In der FAZ lese ich dann später, daß es ihm hauptsächlich darauf ankommt, mit allen Mitteln seinen Reichtum und den seines Clans zu mehren. Und das Volk sieht ihm untätig dabei zu. Leider unternimmt die Politik nichts gegen ihn, weil man Sorge hat, daß ein noch schlimmerer Despot an die Regierung kommen könnte.

Am Nachmittag hält Ingrid den ersten Teil eines Vortrages über die fünf Säulen des Korans.

Dabei erfahren wir auch, daß die arabische Schrift (hocharabisch) überall gleich ist, nur die Aussprache ist in fast jedem Land etwas anders. Eigentlich soll der Vortrag über die Lautsprecher in die einzelnen Abteile übertragen werden, da die Technik aber versagt, spricht sie nur akustisch im Speisewagen. Nebenbei: Mohammedaner sind nur eine kleine Gruppe aller Moslems.

In Hims biegen wir also nach Osten ab und zuckeln Richtung Sharkiya, dem Bahnhof für Palmyra, kurz vor der Endstation. (Diese Bahnstrecke wurde eigentlich nur für Phosphat-Transporte gebaut.) Die Schienenstöße klopfen rhythmisch ihr Dididiklick, Dididiklack in unterschiedlichem Takt. Längst sind wir wieder in der Wüste. Auch hier sehe ich immer wieder Schaf- und Ziegenherden. Was die armen Schweine wohl zu essen finden?

Dankenswerterweise hat uns der Veranstalter mit Landkarten versorgt, sodaß ich immer weiß, wo wir gerade sind. Ein Sandsturm begleitet uns; dichter Dunst umschließt den Zug. Sichtweite bestenfalls höchstens ein paar hundert Meter. Auf beiden Seiten dann der feine Sand, eigentlich wie Nebel.

Bahnhofsareale sind übrigens immer lieblos und mit schwer zu verstehendem System von drei Meter hohen Betonmauern arrondiert.

In jedem Wagen bedient uns ein mitgebrachter türkischer Wagenmeister, der aber die meiste Zeit nichts zu tun hat. Überhaupt ist das ganze Personal türkisch, bis auf die beiden Ungarn ganz hinten - und, logisch, den syrischen Lokführer.

An jeder Abteiltür hängt ein ordentliches Schild mit dem/den Namen der Bewohner.

Wir erreichen Sharkiya am Nachmittag mit zwei Stunden Verspätung gegen 18:20 Uhr, (wer macht eigentlich die Pläne?), und werden hier von vielen freundlich winkenden Kindern begrüßt. Unsere Busse warten bereits und bringen uns die letzten fünfzig Kilometer auf der Staatsstraße 7 nach Palmyra. Der Sandsturm hat sich wieder gelegt, er soll die letzten Tage reichlich getobt haben. Das Hauptgepäck bleibt im Zug, wir nehmen nur eine kleine Tasche mit dem Nötigsten mit, denn wir übernachten heute im Hotel.

Der Wind läßt meist schwarze Plastiktüten durch die bunte Wüste wehen. Und ab und zu Gestrüppkugeln des Kameldornbaumes.

Palmyra ist eine uralte Oasenstadt mit vielen Resten aus der Römerzeit. Klar, Weltkulturerbe. 30.000 Einwohner sollen hier leben. Kurz vor der Stadt steht ein neu gebauter Palast des Emirs von Qatar, der der Stadt (und sich selbst) auch gleich eine vierspurige Straße zum Flugplatz spendiert hat. Der Emir ist mit dem syrischen Präsidenten Clan eng befreundet.

Die Sonne geht gerade unter und die vielen alten wiederaufgerichteten Säulen werden von Scheinwerfern romantisch angestrahlt. Alle fotografieren, als stünden schon morgen keine Säulen mehr herum.

Im Hotel Dedeman treffen wir um 19:30 Uhr ein und die Zimmerschlüssel werden mühsam verteilt. Die Schlüsselübergabe ist eigentlich immer etwas unprofessionell, hundert Leute stehen herum und einer verteilt die Schlüssel. Das zieht sich dann jedes Mal. Ausnahmsweise habe ich mal Glück und bin einer der Ersten. Mein Zimmer ist relativ eng, zwei schmale Betten, kein Föhn, aber ein Aschenbecher, dazu ein winziger Balkon mit enger Balkontür und schmalem Fenster. Safe und Internet kosten. Wasser überschwemmt jedesmal das Bad. Im Dedeman-Damaskus war ein Wasserhahn undicht und die Badewanne war verstopft. Irgendetwas gibt es immer zu reklamieren. Diese Dedeman-Hotels sind eigentlich nicht zu empfehlen. Es gibt auch nur ein Kissen, plus das zweite Kissen vom Nebenbett.

Abendessen im großen Speisesaal. Ich werde vom Oberkellner (in der Uniform und mit der Bauchweite eines Flotten Admirals) etwas unwirsch angesprochen, weil ich alleine für mich und nicht am großen Tisch meines Reiseleiters und meiner Gruppe sitzen will. Udo und Barbara leisten mir wenig später Gesellschaft.

Schlemmen vor dem Schlummern. Gut, daß ich beim nächtlichen Verdauen keine Probleme habe. Ich kann auch mit vollem Bauch gut schlafen.

Als ich im Bett liege, zeigt das arabische Fernsehen Berichte über Tumulte, Tote und Verletzte und umgestürzte brennende Autos in Damaskus.

Wie immer, wird auch hier das ZDF empfangen, die bevorstehende englische Hochzeit von Kate und William nervt mich immer mehr. Ich weiß nicht, was mich mehr anwidert, die politischen Unruhen hier in Syrien oder das Getue um die lächerliche Hochzeit. (Ich bitte um Entschuldigung bei allen Freunden der Royals.)

Nachts höre ich Bäume rauschen, obwohl hier doch gar keine Bäume sind.

© Wilfried Virmond, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Reisen ist nichts für Feiglinge Zu Ostern im Orient Jordanien, Syrien und Türkei Mein Tagebuch einer Bahnreise mit dem Sonderzug „1001 Nacht“ von Damaskus über Palmyra, Aleppo und Göreme nach Istanbul. Mit einer Vorab-Stippvisite im Bus nach Petra, Jerash und ans Tote Meer.
Details:
Aufbruch: 12.04.2011
Dauer: 17 Tage
Heimkehr: 28.04.2011
Reiseziele: Jordanien
Syrien
Türkei
Der Autor
 
Wilfried Virmond berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Wilfried sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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