Mit 5th Wheel durch Jordanien und Syrien

Reisezeit: Februar - April 2011  |  von Christoph Lehner

Schnell mal durchs verregnete Syrien

Noch "unkomplizierter" waren dann die syrischen Grenzbeamten. Ich wählte bewusst die Nacht für den Grenzübertritt, weil ich annahm, es sei dann nicht so hektisch. Richtig gedacht! Sie schliefen nämlich hinter den Schaltern oder schwatzten und lachten zusammen. Im ersten Häuschen durfte ich neben zwei Pullover-Zöllnern auf einem alten, quietschenden Eisenbett mit dünner, schmuddeliger Matratze Platz nehmen und mit ihnen, so gut es sprachlich ging, rumflachsen. Sie ergötzten sich an meiner Gegenwart, nur arbeiten wollten sie nicht. Also tat ich es, der Schweizer: Denn manchmal kam jemand in unsere Eisenbett-alter Tisch-Plastikstuhl-GasofenausserBetrieb-Zelle und schmiss ein Geldnötli auf den Tisch. Ich beförderte es dann unter anerkennenden Blicken in das Schublädli vor mir auf die andern zerknitterten Scheinchen, während einer meiner Mitarbeiter ein paar Hieroglyphen in die Kolonnen eines riesigen Buches kritzelte. Nach einiger Zeit erkundigte ich mich: "Entschuldigen Sie, weiss vielleicht jemand von Ihnen, wie ich über die Grenze komme?"
Es folgten weitere "Büros", jedes mit seiner eigenen Einrichtung und seinem eigenen Charme. Das Spektrum lag zwischen Gefängniszelle, Stundenhotel-Reception und Brockenhausschaufenster. Es gab auch eine Schalterhalle, wie vor -zig Jahren nach dem Reaktorunfall verlassen, alles noch da und doch nichts mehr da, der Wind heult durch eine nicht mehr schliessbare Tür herein und lässt sie manchmal mit einem lauten Scheppern zuschlagen. Hinter einem Schalter, wo ich einen Stempel holen musste, war der Beamte tatsächlich auf einem dieser Eisengestellbetten friedlich am Dösen. Auf Klopfen und auf "Hallo" reagierte er nicht. Einen Satz im Touristensprachführer nachschlagen?: "Entschuldigen Sie meine Aufdringlichkeit, aber ich bin auf zehn Uhr in Damaskus beim Friseur bestellt." Nun, Allah gab mir den Stempel. Der einzige Unfreundliche, mit dem ich zu tun hatte, zitierte mich barsch an seinen Schalter, stellte meine bisher eingeholten Formulare und Laufzettel in Frage, füllte seine Formulare aus, stempelte sie ab, unterschrieb sie und ... zerriss sie und warf sie in den Papierkorb. Ich durfte weiter.

Zuletzt, wenn ich alles durchlaufen hätte, müsse ich zum Oberboss um den Stempel der Stempel zu erhalten. Dies eröffnete mir ein "Helfer", der sich mir inzwischen an die Fersen geheftet hatte. Plötzlich war er dagestanden, wie das Rumpelstilzchen im Märchen. Er hatte auch dieses konspirative Auftreten: "Ich helfe dir gern - du bist mir ausgeliefert." Er redete schnell und schlecht Englisch, immer im Flüsterton, und schaute dabei um sich, wie wenn uns niemand zusammen sehen dürfte. "You know, this is Syria, very complicated, but I help you." "Maybe boss sleeping, he don`t like wake up, maybe he angry, maybe is in mosq, maybe 15 minutes he is here, maybe he is home." "Don`t say boss I help you. Don`t say you give other money for me." Dazwischen musste er sich immer mal wieder zwischen die Beine greifen um sein Schwänzchen zurechtzuzupfen.
Tatsächlich hätte ich ohne die Hilfe Rumpelstilzchens (oder war es Allah?) den verwinkelten Weg zum Sofa-Office des Big Boss nicht finden können. So gesehen waren die Dollar-Scheine, von denen Rumpelstilzchen genau wusste, wie sie welchen Formularen beizulegen sind, gut investiertes Geld. Klar, ein Buch von Franz Kafka kostet weniger, aber das hier war "live"! Ich war eine der Figuren, konnte wie die Figuren in Kafkas Romanen den Verlauf des Prozesses mitgestalten, ohne aber etwas daran ändern zu können. Ich war einer absurden Realität ausgeliefert, nur, anders als bei Kafka: Ich wusste, gegen das Morgengrauen hin würde ich es geschafft haben. Es würde zuletzt nicht heissen: "Diese Tür war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schliesse sie."

Nein, das letzte Eisentor wurde mir geöffnet und ich konnte passieren.
Nach wenigen Kilometern hielt ich mal an. Aussteigen und durchatmen (mit Zigarette) und ein erstes Grob-Verarbeiten. Es war kalt und immer noch dunkel. Da waren einige Autos am Strassenrand, dahinter kauerten Grüppchen von Männern, zum Teil hatten sie kleine Feuer gemacht, und sie rauchten und tranken Bier. Nicht gerade die Spezies der Traum-Schwiegersöhne, aber doch mein erster Kontakt mit dem syrischen Volk.
Im ersten syrischen Dorf herrschte emsiges Treiben. Lastwagen kamen, wurden abgespritzt und gingen. Restaurant- und Ladenbesitzer verkauften und bedienten. Ich liess mir als kombiniertes Abend- und Morgenessen Lammfleisch, Humus (Kichererbsenmus) und Fladenbrot schmecken und verzog mich für ein paar wohlverdiente Stunden Schlaf in den Wohnanhänger.
Danach Richtung Damaskus, es regnete, dann weiter Richtung jordanische Grenze. Heute Abend würde ich eine Woche unterwegs sein, me, my pick-up-car and my American Sattelwohnanhänger. Manchmal hatten mir die good old Pink Floyd etwas Gesellschaft geleistet. Vor allem zum Fahren in der Nacht passen sie gut. Dunkelheit, Strasse, einige Lichter, out and nowhere, und ihr Sound, der das Dahingleiten intensiviert.
Der Grenzübertritt nach Jordanien lief fast enttäuschend geschmeidig ab. Nichts Kafka-mässiges, sondern leichte und süsse Kost. Hier bekam ich zum ersten Mal zu hören, was mir inzwischen viele Male gesagt worden ist: "Welcome to Jordan!" Dieses freundliche, lächelnde, leicht stolze und ernst gemeinte "You`re welcome to Jordan!".
Man fühlt sich wirklich willkommen in Jordanien. Nicht, dass man dauernd angequatscht wird oder dass einem etwas angedreht werden will. Die Leute sind einfach ... lieb! Ladenbesitzer, Kinder, Plantagenarbeiter, Polizisten, Passanten, Beduinen, Schalterbeamte - alle sind freundlich und oft auch humorvoll. Ich habe bis jetzt (hocke ja inzwischen in Aqaba - siehe als Vorgeschmack ein paar erste Föteli! - und schreibe alles Bisherige im Rückblick nieder) noch keinen unfreundlichen, mühsamen, abweisenden oder aufdringlichen Menschen getroffen.

Visum und Grenze also locker geschafft und weiter nach Amman. Hier sollte ich heute am Flughafen Pascal abholen. Daher meine Hetzfahrt, was sonst gar nicht meiner Idee des Reisens entspricht. Pascal hatte grosses Interesse an meinem Reisevorhaben gezeigt. Also hatten wir vereinbart, dass er eine Woche mit mir in Jordanien verbringen würde. Er würde am 8. Februar nach Amman fliegen, und ich hatte ja die Fähre von Venedig an die Küste Syriens gebucht, von wo aus ich dann gemütlich nach Amman fahren würde. Aber die Fähre nach Syrien und Alexandria wurde ja kurzfristig abgesagt, weil die Ägypter genau jetzt ihren jahrelangen Diktator loswerden wollten... Also alles selber runter fahren mit der Vorgabe 8. 2., high noon in Amman.
Und wann kam nun Herr Schweizer am Flughafen Amman an und huschte mit leichtem Schlafmanko, aber selbstzufrieden in die Arrival Hall? Um zehn vor zwölf! Noch Zeit für einen Kaffee inkl. ein lustiges Gespräch mit dem Typ von der Bar - halb Lausbub, halb Mick Jagger mit 30. Er vermittelte mir gleich Donald, einen Airport-Angestellten, der acht Jahre in der Schweiz gearbeitet hatte und von "meinem" St.Gallen als friedliche Ausgeh-Stadt schwärmte.
Dann kam (auch pünktlich!) Pascal, und wir fuhren gleich los. Südwärts. Wir wollten die Sonne and we wanted it now. Das Ziel war Aqaba, die südlichste Stadt Jordaniens, am Roten Meer gelegen. Dort, wo einige deutsche Rentner-WoMo-Ehepaare gerne ihre Bäuche bei 25° auf ihren Klapp-Liegestühlen überwintern. Unterwegs kam ein SMS von Donald: "Hoi, ich bin die Donald. Hat mich mega gefreut das ich habe dich kenn gelernt. Wann hasch Zeit rufsch an."

Sonne und Wärme erreicht - vor Aqaba

Sonne und Wärme erreicht - vor Aqaba

Auch König Abdullah lächelt freundlich

Auch König Abdullah lächelt freundlich

Schlafzimmer, Esszimmer, Gastzimmer und Schreibstube - hier bei Aqaba am Roten Meer

Schlafzimmer, Esszimmer, Gastzimmer und Schreibstube - hier bei Aqaba am Roten Meer

© Christoph Lehner, 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zwei Monate in Jordanien und Syrien
Details:
Aufbruch: 07.02.2011
Dauer: 9 Wochen
Heimkehr: 12.04.2011
Reiseziele: Jordanien
Syrien
Der Autor
 
Christoph Lehner berichtet seit 11 Jahren auf umdiewelt.
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