Frachtschiffreise

Reisezeit: Januar - Mai 2002  |  von Evelyn Freitag

Zwischen Masan und Yokohama

Wir fahren an der Ostküste Japans entlang und bewundern immer wieder das Festland und die zahlreichen Inseln. Zwischen der japanischen Hauptinsel Honshu und Kozu Shima sind wir nun auf dem Weg in die Tokyo Wan, die Bucht von Tokyo.
In der Nacht stürmt es wieder und wir haben sehr hohe See. Es fängt schon abends an, die Taschenlampe kullert vom Tisch und wir müssen uns gewaltig festhalten. Das Schiff rollt plötzlich stoßartig, sodass ich mich schnell ins Bett lege. Es fliegt hier wieder alles durcheinander: In der Wäschekammer kippt der Karton mit den Souvenirs auf den Boden, der Ventilator kullert vor Erhards Bett hin und her und in der Wohnstube ist nichts mehr auf dem Tisch zu finden, dafür aber alles, alles auf dem Fußboden.
Wir sind in der Nacht vor der Hafeneinfahrt von Yokohama vor Anker gegangen und nun auf dem Weg zum Liegeplatz. Als ich mich aus dem Fenster beuge, da ist schon die Hafeneinfahrt sichtbar und mit einem Schwupps bin ich an Deck. Ein Blick um die Ecke und schon werfe ich auch Erhard aus dem Bett: Wir durchfahren gerade eine wunderschöne, große Brücke und die Stadt ist nah vor uns. Vom Horizont grüßt der schneebedeckte Fujijama herüber.

Yokohama, im Vordergrund unsere Antennen für die Telekommunikation

Yokohama, im Vordergrund unsere Antennen für die Telekommunikation

Ganz vorsichtig wird unser 183m langes Schiff an die Pier bugsiert. Es ist schon interessant, wie sich sogar die Festmacherprozeduren in den verschiedenen Ländern unterscheiden. Hier steht eine wehende Fahne auf dem Kai, dicht daneben ein kleines, dürres Männchen mit weißen Handschuhen und Gamaschen. Am Kai warten einige Männer und zwei Autos, auf deren Dach "Line Handling" zu lesen ist. Als die erste dünne Wurfleine mit dem dicken Knüddel am Ende an Land fliegt, nehmen die Männer sie auf und ziehen die daran festgebundenen dicken Tampen an Land. Diese fahren sie dann mit ihrem Auto zum Poller. Das habe ich bisher noch in keinem Hafen gesehen. Das Männchen neben der Fahne gibt dem Lotsen oben auf der Brücke Zeichen. Jedenfalls fängt er plötzlich an herumzuhüpfen wie Rumpelstilzchen.
Nach dem Frühstück kommt der Kapitän und bringt uns Formulare zum Ausfüllen, die hinterher in unseren Pass geklammert werden. Kurz darauf können wir uns auf den Weg machen.

Am Kai in Yokohama

Am Kai in Yokohama

Der Ausflug in die Stadt ist sehr erlebnisreich, auch wenn meine Beine und Füße sich anfühlen wie Brei und reichlich schmerzen. Sechs Stunden sind wir ohne Pause unterwegs. Wir wandern einfach immer am Kai entlang und dann weiter, immer so dicht wie möglich am Wasser. Hier ist alles sauber und aufgeräumt. Am Wegrand sind niedrige Hecken von Gartenazaleen, die gerade ihre Blüten öffnen. Auf der großen Brücke, die direkt hinter unserem Kaischuppen verläuft, herrscht reger Betrieb. Unter der Brücke wohnt ein Japaner, der uns freundlich grüßt. Er hat sich ein Stück Asphalt eingezäunt und es mit allerlei "Schätzen" und Flohmarktartikeln ausstaffiert. In Plastikbehältern hat er den Sand der Straße zusammengetragen und dort Blumen hineingepflanzt, die er gerade begießt.
Nur japanische Schriftzeichen sind zu entdecken. Einzig auf einigen Straßenhinweisschildern können wir manchmal das eine oder andere Wort lesen. Dort finden wir auch den Hinweis zu einem Park, den wir uns gern anschauen wollen. Das Schild führt uns zu einem großen Parkhaus. Aber wo ist der Park? Doch, halt, auf dem Dach des Parkhauses wachsen Bäume. Ich steige die Stufen hinauf und tatsächlich: Dort oben ist ein wunderschön angelegter Park. Hier werden wir mit einer bisher noch nicht gekannten Definition des Wortes "Parkhaus" vertraut gemacht. Die Stiefmütterchen blühen in allen Farben und die Luft duftet. An großen Rundbögen klettern blühende Pflanzen empor und Wasserspiele, Pergolen und Arkaden verleihen dem Park ein wunderschönes Aussehen. Immer neue Leute kommen und erfreuen sich an dem warmen, sonnigen Frühlingstag. Es ist Samstag und die Menschen strahlen eine besonders lockere Stimmung aus.
Dicht neben der großzügig angelegten Promenade befindet sich der Marine Observation Tower. Dort versuchen wir Geld zu wechseln, aber leider versteht uns niemand. Etwas weiter finden wir das New Grand Hotel und versuchen in diesem eleganten Hotel unser Glück. Die Leute drinnen sind festlich gekleidet, Japanerinnen kommen uns im Kimono entgegen. An der Rezeption können wir endlich Geld wechseln. Allerdings nur US-Dollar, keine Euro. Die sind hier vier Monate nach ihrer Einführung wohl noch nicht genügend bekannt. Vor der Hoteltür lächeln Braut und Bräutigam in die Kameras der vielen Fotografen. Im Hafen liegt ein altes Dampfschiff.
In der Stadt steht ein Haus, dass wie ein Halbmond gebaut ist, und davor, auf einer künstlichen Insel, ragt ein großes Riesenrad, das abends von vielfarbigen Lichtern und mit interessanten Mustern beleuchtet wird, in den Himmel. Eine lange Achterbahn schlängelt sich auf gebogenen Schienen entlang. In der Nähe befindet sich eine moderne Einkaufsmeile.
Überall wird hier gebaut und renoviert. Bis zum Endspiel der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft hier an diesem Ort ist wohl noch vieles zu vollenden, wie der neue große Anleger für internationale Kreuzfahrtschiffe.

Unser Ladegeschirr, im Hintergrund das Riesenrad

Unser Ladegeschirr, im Hintergrund das Riesenrad

Auf dem Rückweg hätte ich fast gestreikt: Meine Füße und Beine tun mir weh. Aber Erhard zieht mich ohne Erbarmen immer weiter mit. Ich bin froh, als wir endlich in Hafennähe kommen und dort an einer Ecke die Stelle wieder finden, an der direkt an der Straße vor den Entlüftungsschächten der Klimaanlagen Fischteile getrocknet werden. Sie sind mit Wäscheklammern einfach in den Zaun gehängt. Wer soll denn so etwas noch essen? Oder wird das vielleicht Hundefutter?
Endlich erreichen wir unsere RICKMERS HOUSTON und ich lasse mich völlig erledigt auf den Stuhl im Speisesaal fallen. Uff! Bei unserer Ankunft haben wir den Chief Mate getroffen, der uns erzählt: "Um 20 Uhr geht es weiter. Draußen erwartet uns schlechtes Wetter, sehr schlechtes Wetter!" Na, dann man los! Wir haben nach dem Essen erst einmal alles gesichert: Der Tisch ist leer geräumt und festgehakt, die Kartons stehen vorsichtshalber schon jetzt auf dem Fußboden, der Ventilator ist im Schrank verkeilt. Eigentlich können jetzt nur noch wir aus dem Bett kegeln! Wollen mal abwarten, was kommt. Hoffentlich wird es nicht so schlimm. Der Kapitän hat verlauten lassen, dass wir morgen früh vielleicht nicht gleich in Hitachi einlaufen, sondern erst einmal auf Reede vor Anker bleiben, weil am Sonntag nicht gearbeitet wird. Am Anker wird es dann noch mehr schaukeln, hat Marlene schon pessimistisch prophezeit.

Bestellen können Sie das Buch hier.

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Eine weitere Leseprobe gibt es auf der Homepage der Autorin: www.frachtschiffreisebuch.de.

© Evelyn Freitag, 2003
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Auf einer viermonatigen Reise mit einem Stückgutfrachter der Hamburger Rickmers Reederei rund um die Welt: Abenteuer vom Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang. Auszüge aus dem Buch "FRACHTSCHIFFREISE - Das größte Abenteuer meines Lebens" von Evelyn Freitag
Details:
Aufbruch: 22.01.2002
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 25.05.2002
Reiseziele: Belgien
Japan
Der Autor
 
Evelyn Freitag berichtet seit 21 Jahren auf umdiewelt.
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