Myanmar (Birma) 2009/10

Reisezeit: Dezember 2009 - Januar 2010  |  von Peter Kiefer

Köcher unterm Hemd: Den Irrawaddy hinauf

Eine Frau belädt einen Karren mit Schilfgras.

Eine Frau belädt einen Karren mit Schilfgras.

Es ist noch dunkel, als wir mit der Pferdedroschke zur Anlegestelle am Fluss gelangen. Zwei Fähren liegen vor Anker, wir haben uns (aus atmosphärischen Gründen) für die langsamere entschieden. Mit Englisch können wir uns hier praktisch nicht mehr verständigen und was immer ich noch zu diesem oder jenem wissen will, jeder, den ich frage, sagt nur, dass die Fahrt den Irrawaddy hinauf zwei Tage und eine Nacht dauert. Auf Deck, wo wir uns dann ein Plätzchen suchen, ist auch nach dem Ablegen nicht viel Betrieb. Unsere Nachbarinnen, die noch mit bis zum nächsten Halt fahren werden, nehmen uns in ihre Obhut, wollen uns mit Decken für die bevorstehende kalte Nacht versorgen. Als wir dann am Abend dieses ersten Tages beginnen unsere Schlafsäcke auszupacken, verursachen sie einiges Erstaunen. Man verfolgt jeden unserer Handgriffe, will wissen, wie sich so etwas anfühlt, unterhält sich darüber. Die Schlafsäcke scheinen wie aus einer anderen Welt.

An Deck der Fähre.

An Deck der Fähre.

An dem Gepäck unserer Mitreisenden, in der Mehrzahl Frauen und Kinder, fällt mir auf, dass Kunststoff keine besondere Rolle spielt, sondern dass die Behältnisse (wenn es nicht einfache Kartons sind) noch vorwiegend handwerklich gefertigt sind. Schon ganz zu Anfang der Reise war mir eine alte Frau aufgefallen, die sich mit einem mit Wasser gefüllten Tonkrug abmühte, ein Plastikeimer wäre leichter, handlicher und wohl auch billiger, aber im ländlichen Myanmar drängen selbst die chinesischen Billigprodukte noch nicht so stark auf die Märkte. Übrigens sind auch auf unserer Fähre die Wasserkrüge auf den Toiletten oder die, die zum Waschen bereitgestellt werden, aus Ton. Was etwa in Mosambik, unserem letzten Reiseziel, geradezu zum Volkssport geworden ist, das Telefonieren mit Handys, ist hier in Myanmar eher sporadisch zu entdecken, auch eine Armbanduhr tragen nicht viele. Auffällig ist, dass auf unserem Schiff (unter nicht gerade einladenden Bedingungen unmittelbar vor und in den Toiletten) viel gewaschen und geduscht wird. Das hat mit einem schlichten Luxus zu tun, der anderweitig nicht ohne Weiteres vorhanden ist, einem Schlauch, aus dem Wasser fließt, anstatt eines entfernt liegenden Brunnens. Auch wird viel gegessen. Die Soßen hat man in großen blechernen Henkelmännern mitgebracht, den Reis gibt's frisch gekocht aus einer Küche an Deck. Trinkt man Tee, wird er in Porzellantassen gegossen.

Neue Passagiere kommen an Bord.

Neue Passagiere kommen an Bord.

Bei einem Halt nahe der Stadt Myingyang steigen viele neue Passagiere zu und da wird es dann merklich enger (erst recht in der Nacht). Ein andermal werden Dutzende Säcke mit Zwiebeln und Knoblauch aufgeladen, mehr als anderthalb Stunden dauert das. Gebracht werden sie mit Ochsenkarren, dem einzigen Verkehrsmittel, das die tiefen, sandigen Wege bewältigt. Die Lastenträger, die die Säcke vom Ufer in den Bauch des Schiffes schaffen, werden, wie ich bald entdecke, stückweise entlohnt. Vor der schmalen Brücke zur Fähre nämlich steht eine Frau, die kleine Stöcke an sie verteilt, pro Sack einen, und die der Mann, der sie in Empfang nimmt, in einen Köcher unter seinem Hemd steckt, seine Chips. Einmal sind es zwei Schweine, ein junges und ein altes, die verfrachtet werden sollen, keine einfache Angelegenheit, weil besonders das alte anstatt über den Holzsteg wieder und wieder ins Wasser tappt und man es erst mit vereinten Kräften an Schwanz und Ohren packen muss, um es auf die Fähre hinaufzuschieben.

Frachtgut wird angekarrt.

Frachtgut wird angekarrt.

Die Ufer liegen hoch, der Wasserstand ist niedrig, er muss jetzt in der trockenen Jahreszeit ständig gemessen werden, um das Schiff nicht auf eine Sandbank zu steuern. Das ist wohl auch der Grund, warum es nachts vor Anker geht. Dort, wo dies heute geschieht, stehen ein paar Hütten. Auch sie wirken wie fast überall in Ufernähe auf den ersten Blick sehr ärmlich, drei von ihnen leisten sich immerhin eine Glühbirne. Doch wenn man ihre Bauart betrachtet, die hohe Giebeldachkonstruktion mit ihren kunstvoll geflochtenen Elementen, würden sie genauso gut als stimmungsvolle Cocktailbars in irgendwelchen Ferienunterkünften am Mittelmeer taugen. Das warme Bier, das ich für teures Geld hier am Ende der Welt besorge, schmeckt uns gar nicht (... überhaupt das burmesische Bier!). Als sei es der Auslöser, erwischt es Karin mit dem, was bei mir schon seit drei Tagen vorhanden ist: einem flauen Gefühl im Magen samt gelegentlicher Ergüsse. Karin hatte vor, demnächst einen Friseur aufzusuchen und ich war schon auf das Ergebnis gespannt, aber dann verwirft sie diesen Gedanken schlagartig wieder, als sie die fröhlich miteinander schwatzenden Frauen sieht, die sich hingebungsvoll entlausen. Da bleibt doch sicher etwas in den Kämmen haften (meint Karin). Das Schöne ist: Man hört um sich herum die Leute statt dudelnder Radios oder Ähnlichem. Häufig hört man sie auch singen und oft sind es leise, schwärmerische Schnulzen. Nach fast zwei Tagen auf den immer härter werdenden Deckplanken und bedingt auch durch die etwas geschwächte Karin, sind wir schließlich froh in Mandalay angelangt zu sein. Genau zur rechten Zeit, könnte man behaupten, wenn man sich die Verse eines Bertolt-Brecht-Songs ins Gedächtnis ruft: Ewig nicht steht der Mond über dir, Mandelay! Heute ist er schon längst aufgegangen und hat fast seine volle Größe erreicht.

© Peter Kiefer, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass Karin und ich in Südostasien gewesen sind. Wer freilich Myanmar, das ehemalige Birma, besucht, wird kaum bemerken, dass sich in all der Zeit etwas verändert hat. Es ist es ein Land, in dem es vermutlich mehr Buddhastatuen gibt als Einwohner.
Details:
Aufbruch: 19.12.2009
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 10.01.2010
Reiseziele: Myanmar
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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