Myanmar (Birma) 2009/10

Reisezeit: Dezember 2009 - Januar 2010  |  von Peter Kiefer

Verschollen: Manalay

Gondoliere auf dem Thaungthaman-See

Gondoliere auf dem Thaungthaman-See

Mit zwei Trischas, deren Fahrer uns schon umlagern, als wir die Fähre noch gar nicht verlassen haben, fahren wir los zum Hotel Peacock. Mandalay ist schachbrettartig angelegt, die Häuser sind anders als in Yangon, mehr in die Breite angelegt. Es ist ein viel weiterer Weg als gedacht. Zuvor schon hatte ich gelesen, dass dies eine Stadt sei, die nicht ohne Weiteres "begehbar", für deren Entfernungen man stets auf irgendein Vehikel angewiesen sei. An einer der großen Ampelkreuzungen verliere ich Karin mit ihrer Trischa aus den Augen, ihr Fahrer hatte einen kleinen Vorsprung und konnte deshalb noch bei Grün passieren. Wir holen ihn dann nicht mehr ein. Meinem Fahrer geht nun ein wenig die Orientierung verloren, er ist nicht sicher, in welcher der durchnummerierten Straßen das Hotel liegt. Ich weiß es immerhin aus unserem Guide, es ist die 61ste. Die gibt es aber gar nicht, und als wir eine Passantin fragen, deutet sie hinüber zur 62sten, da ist es dann auch. Karin müsste längst angekommen sein, das ist aber nicht der Fall. Mein Trischa-Fahrer und ich warten also, laufen nach einer Weile abwechselnd zu der großen Straße zurück, von der wir abgezweigt sind, in der Hoffnung, dass sie aus welcher Richtung auch immer dort vorüberkommt. Fehlanzeige. Zwischenzeitlich bringe ich meinen Rucksack zum Empfang des Hotels. Eine freundliche ältere (und sehr erkältete) Dame, die Besitzerin, teilt mir besorgt mit, dass gar nichts mehr frei sei. Was! sage ich resigniert, nun auch noch das. Sie könne mir aber, lenkt sie ein, im Nebenhaus noch ein Zimmer anbieten, allerdings ohne warmes Wasser und mit Wänden aus Bastmatten. Das ist natürlich in Ordnung, nur das andere, dass Karin verschwunden bleibt, bringt mich gründlich aus dem Takt. Nach weiterem Warten - längst ist es dunkel - frage ich die Hoteliersfrau, ob sie etwas unternehmen könne. Sofort schickt sie einen Motorradfahrer los, der das Viertel absuchen soll. Wenig später startet auch ihr Bruder mit dem Motorrad, Karin ist inzwischen schon mehr als eine Stunde überfällig! Die ersten Suchergebnisse sind negativ, meine Fantasie schießt ins Kraut: Unfall, Entführung, Raubmord. Dann aber hat man sie nach eineinhalb Stunden endlich gefunden. Gerade hatte sie in ein Taxi umsteigen wollen, nachdem der Trischa-Fahrer zuletzt nur noch kopflos mit ihr durch die Gegend geirrt war. Karin hat eben viel Geduld, auch mit meinen grausigen Fantasien. Egal, sie ist wieder da und ich schüttle die Hand ihres "Retters", der sie gefunden hat.

Mönche auf der U Bein-Brücke am späten Nachmittag.

Mönche auf der U Bein-Brücke am späten Nachmittag.

Der Magen macht ihr weiterhin Probleme, ein Chinese soll's richten mit einer dann auch fantastischen Hühnersuppe. Mein Bier lasse ich zur Hälfte stehen, weil nun auch mein Magen wieder anfängt zu rumoren. Was ist bloß los? Gewöhnlich haben wir dieses Malheur auf Reisen nicht. Während es Karin aber schon am folgenden Tag wieder besser geht, geht es mir merklich schlechter. Mit hier mal, dort mal eine Toilette aufsuchen halte ich einigermaßen durch. Beim Frühstück treffen wir Sue und Bruce, sie kommen aus Australien und wir beschließen gemeinsam zur U Bein-Brücke zu fahren, sie liegt außerhalb der Stadt. Es ist mit über einem Kilometer Länge die sicher längste Teakholzbrücke, die es gibt, und sie ist ganz einfach gebaut, etwa wie man sich's als Kind vorstellt eine Brücke zu bauen. In regelmäßigen Abständen sind paarweise hohe Pfähle in den Boden gerammt, etwas unterhalb ihrer Spitze verläuft der Übergang in Gestalt von simplen quer gelegten Brettern, ein Geländer gibt es nicht. Zweihundert Jahre ist sie alt und ihrer monumentalen Einfachheit wegen natürlich ein touristischer Anziehungspunkt. Aber vor allem wird sie im praktischen Alltag gebraucht und ist deshalb sehr belebt, nicht zuletzt von Mönchen und Nonnen, deren Kloster gleich am Ende der Brücke liegt.

Ein Angler im seichten Gewässer.

Ein Angler im seichten Gewässer.

Belebt jetzt in der Trockenzeit auch ringsum, wo sie über die seichte Wasserdecke des Taungthaman-Sees führt. Enten schwimmen in Tümpeln, von einem - wie soll man ihn nennen? - Entenhirten getrieben, Krabbenfischer sind mit ihren Körben unterwegs und Reisbauern bestellen ihre unter Wasser liegenden Felder. Ein Ochsenkarren mitsamt Zugtier und Kutscher geht da drüben gerade baden und einmal spielt ein blinder Sänger mit einer Gitarre für uns ein Lied. Ein kleiner Junge, der ihn begleitet, sagt ihm, dass wir Ausländer sind (Deutsche?), jedenfalls spielt er - in burmesischer Sprache - Lili Marleen. Vor den Landsleuten nebenan spielt er ein einheimisches Stück, wie's eben passt. Mit dem nahenden Sonnenuntergang werden die Konturen der schwachen Wellen des Sees schärfer und die Brücke wird zu einem romantischen Schattenriss vor einem roten Glutball. Dann sind alle Touristen in schmalen Booten auf dem See - okay, wir auch - und fotografieren drauflos.

Noch einmal U Bein, hier von der anderen Seite des Sees.

Noch einmal U Bein, hier von der anderen Seite des Sees.

Mit Sue und Bruce noch ein gemeinsames Abendessen (für Karin und mich umständehalber nur ein Hühnersüppchen). Die beiden brechen am Morgen des folgenden Tages auf nach Pagan, auch wir werden die Stadt wieder verlassen, aber erst am Nachmittag. Die bisherigen Eindrücke von Mandalay sind gemischt. Großzügiger angelegt als die Hauptstadt Yangon, hat sie andererseits kein richtiges Zentrum und scheint sich überall mehr oder minder gleich zu bleiben. Jemand, der sie besser kennt, würde bestimmt energisch widersprechen, und als wir am nächsten Tag durch die Straßen schlendern, relativiert sich auch unser Eindruck.

Ein kleines Beet aus bunten Schirmen.

Ein kleines Beet aus bunten Schirmen.

Wir sind auf der Suche nach lokalem Kunsthandwerk, das hier besonders ausgeprägt sei, heißt es. Erster Anlaufpunkt ist eine Werkstatt für Blattgold, und dieses Gold, das auf die zahllosen Buddhas in diesem Land geklebt wird, hat seine Millimeterdicke an irgendeiner weit entfernten Stelle hinter dem Komma. Man bringt die in kleine Karrees geschnittenen Folien auf ein speziell angefertigtes Bambuspapier auf und verkauft es blattweise. Sehr aufwendig ist es das Gold auf eine so minimale Dicke zu bringen. An dieser Stelle wird die Sache bei allem Respekt vor traditionellen Herstellungssweisen etwas zweifelhaft. Denn da stehen junge Männer in ständig vorgebeugter Haltung und, wie Karin feststellt, jetzt schon krummer Wirbelsäule und sie schlagen mit großen Holzhämmern auf kleine Lederbeutel, in denen die noch nicht ausreichend dünnen Goldfolien aufgeschichtet sind. Eine kleine Maschine täte es in diesem Fall sicher auch. In einem der Häuser nebenan ein schmaler Laden und das Gezwitscher einer Verkäuferin von handgemachten Schirmen. Es fällt schwer ihrem Charme nicht wenigstens ein bisschen zu erliegen. You look so beautiful, sagt sie immer wieder zu Karin und spricht dabei buchstäblich ihre Haut und ihr Haar an. Aber auch die Schirme können es einem antun. Bald schon trägt Karin einen mit sich, er ist safranrot, von derselben Farbe wie die Mönchsgewänder.

Blattgold ist Plattgold.

Blattgold ist Plattgold.

Dann ein Tempel, dessen Fassade mit dem toten Holz von vier Bäumen verkleidet ist, in deren Geäst sich, ebenfalls aus Holz geschnitzt, lauter bekannte bzw. Fabeltiere tummeln. Ich weiß gar nicht, zu welcher Religion er gehört, das Tor ist vergittert. Auf dem weiteren Spaziergang auch ein Bildhauer, der ganz auf Buddhas spezialisiert ist. Alle sind aus weißem Marmor und weil bei einigen zwar der Körper bereits fertig gestaltet, der Kopf aber noch ein Rohling ist, kann man vermuten, dass hier nur der Meister Hand anlegen darf.

Buddhas im Marmoratelier, einige warten noch auf ihre Kopfgeburt.

Buddhas im Marmoratelier, einige warten noch auf ihre Kopfgeburt.

Zwischendurch muss ich immer wieder mal eine Toilette aufsuchen, das sind meist Gelegenheiten einen Tee zu trinken. Einmal kommen wir dabei mit einem älteren Mann ins Gespräch, der etwas Englisch versteht, nicht viel, aber es reicht zu einer Aussage: Wir Burmesen, sagt er, sind nicht frei, nicht unabhängig. Mehr sagt er nicht, er nennt nicht China, nicht das an der Macht befindliche Militär-Regime. Immerhin ist es (nach Benson) das zweite Mal, dass jemand sich ungefragt in diese Richtung zu uns äußert. Ein Mönch in einem Kloster nahe eines alten Tempels sagt: Wir sind arm. Das geht mir in diesem Moment sehr nahe, zumal er nicht lächelt.

Der Wirt eines Straßencafés. Er wollte unbedingt fotografiert werden, vermutlich seines famosen T-Shirts wegen.

Der Wirt eines Straßencafés. Er wollte unbedingt fotografiert werden, vermutlich seines famosen T-Shirts wegen.

Dann ist es schon wieder höchste Zeit für uns, wir nehmen eins der blauen Taxis, das sind kleine zusammengebastelte (oder noch nicht auseinandergebrochene) Pickups, und fahren zum Hotel zurück und von dort gleich weiter mit unserem Gepäck zum weit entfernten Busbahnhof. Das Peacock Hotel selbst sollte ich noch einmal erwähnen und die Freundlichkeit der Leute, die es betreiben und die Karin aus der Dunkelheit gefischt haben. Nun ist das staubige und schmuddelige Mandalay schon wieder Vergangenheit, poetisch bleibt es natürlich erhalten und längst nicht nur bei Brecht. Der Vollmond steht am Himmel.

© Peter Kiefer, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass Karin und ich in Südostasien gewesen sind. Wer freilich Myanmar, das ehemalige Birma, besucht, wird kaum bemerken, dass sich in all der Zeit etwas verändert hat. Es ist es ein Land, in dem es vermutlich mehr Buddhastatuen gibt als Einwohner.
Details:
Aufbruch: 19.12.2009
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 10.01.2010
Reiseziele: Myanmar
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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