Gruppenreise durch Guatemala

Reisezeit: Juli / August 2009  |  von Beatrice Feldbauer

Wohnen

Morgens sechs Uhr. Ein erster Blick aus dem riesigen Panoramafenster. Die Kulissen sind bereits ausgefahren, die Berge ringsum schön der Reihe nach aufstellt. Genauso wie gestern Abend, als wir ankamen. Ausser dass jetzt über allem ein leichter rosa Schimmer liegt. Es ist traumhaft schön. Fast unwirklich. Aus unserem Zimmer, ja was heisst da Zimmer, aus meinem Bett habe ich einen unverstellten Ausblick auf Berge, Vulkane und auf den See, der tief unten liegt. Ich geniesse noch einen Moment den Ausblick und lege mich dann wieder hin. Geb mich noch einmal einem sanften Schlummer hin. Draussen hat die Beleuchtung auf Blautöne gewechselt. Irgendwo hinter der Kante des Hügels ist die Sonne aufgegangen.

der grandiose Blick aus dem Fenster

der grandiose Blick aus dem Fenster

Später beim Frühstück wird der Tag besprochen. Vorgesehen wäre ein Besuch in Santiago Atitlan und am Nachmittag in Panajachel. Man beschliesst, nur nach Santiago zu fahren und den Nachmittag in unserem Hotel Lomas de Tzununa zu verbringen. Zu schön ist es hier. Der Ausblick, der Pool, das elegante Ambiente verlocken zum verweilen.

Ich werde heute David besuchen. Den Jungen, dem ich seit 5 Jahren eine Ausbildung ermögliche. Er weiss dass ich komme, wir haben in Panajachel abgemacht. Trudy wird mich begleiten. Maria, die Besitzerin des Hotels erklärt mir, dass ungefähr jede halbe Stunde ein Schiff vorbei fahre. Man müsse sich nur unten am Steg bemerkbar machen, dann halte es an.

Also mache ich mich auf den Abstieg. Trudy wollte es langsam angehen und ist bereits auf dem Weg, wahrscheinlich schon unten, als ich draussen ein kleines Boot vorbei fahren sehe. "Trudy, bist du schon unten?" rufe ich den Hang hinab. "Ja" kommt es zurück. "Bitte halt das Schiff an, das gerade vorbei fährt!" rufe ich ihr zu. Zwar habe ich keine Ahnung, wie man das machen könnte, doch schon schwenkt das Schiff auf unseren Bootssteg zu. Wunderbar, hat doch schon perfekt geklappt. Wir steigen ein.

im Boot

im Boot

Es ist so ein kleines Polyesterschiff, wie wir es gestern hatten. Ein paar Leute sitzen drin und wie immer, wenn ich allein unterwegs bin, komme ich sofort ins Gespräch. Neben mir sitzt ein Belgier. Er wohnt in der Nähe, ist pensioniert und scheint das Leben zu geniessen. Normalerweise fahren seine beiden Kinder täglich allein über den See nach Panajachel. Es gibt da eine internationale Schule. Heute geht er mit seinem Sohn einkaufen.

Rechts neben mir sitzt ein alter Mann. Er kommt aus San Pablo und heisst auch Pablo. Er versucht mir etwas von seinem armen Dorf und einem Projekt für Kinder zu erzählen, aber der Lärm des Motors verunmöglicht ein tiefes Gespräch. Ich bitte ihn daher, mit seiner Geschichte zu warten, bis wir in Panajachel angekommen sind.

Ich will ins Deli weil es da einen sehr schönen blumengeschmückten Garten hat und die Liquados so wunderbar schmecken. Kurzerhand lade ich Pablo ein, mitzukommen. So richtig kann ich wohl gar nicht abschätzen, was das für den alten Mann bedeutet. Er erzählt, dass er in so ein Restaurant gar nicht hinein dürfe. Grad extra lade ich ihn zum Frühstück ein und freue mich, ihm zuzusehen, wie er sich die Pancakes mit Früchten schmecken lässt. Zuhause gibt Tortillas mit Bohnen und Eiern. Und zum Mittagessen Bohnen mit Tortillas und Eiern und zum Nachtessen schwarze Bohnen, Eier und Tortillas. Das hat uns schon René so erklärt und Pablo bestätigt das genauso. Er selber ist Landarbeiter ohne eigenes Land. Wenn er Arbeit hat, arbeitet er für einen Tageslohn von 20 Quetzales (Fr. 2.60) auf den Feldern von Landbesitzern.

Pablo aus San Pablo

Pablo aus San Pablo

Er erklärt mir sein Anliegen. San Pablo ist eine sehr arme Gemeinde, abseits der Touristenströme. Von den Unwettern nach dem Torpedo Stan wurde die Gemeinde stark betroffen. Nun gibt es da eine Gruppe von Leuten, die Patenschaften für Kinder aus den ärmsten Familien suchen. Es geht um 100 Kinder, zum Teil von Witwen oder ledigen Müttern. Zur Bestätigung legt mir Pablo ein Schreiben mit dem Wappen der Gemeinde und der Unterschrift des Gemeindepräsidenten vor.
Und was mache ich jetzt damit? Vielleicht hat jemand aus der Gruppe eine Idee. Jedenfalls frage ich Pablo, ob er am Nachmittag zu unserem Hotel kommen könne, ich möchte ihn meinen Begleitern vorstellen. Er verspricht zu kommen, und wir verabschieden uns von ihm.

Inzwischen ist David angekommen. Es geht ihm nicht gut. Er hat Halsweh, ist müde, hat Fieber aber er freut sich ungemein, mich zu sehen. Zum Glück hat Trudy eine Schmerztablette dabei. Sie scheint schon bald etwas zu helfen. Aber wir gehen trotzdem zur Apotheke um Medizin zu kaufen. David erklärt dem Apotheker sein Anliegen und erhält 8 Tabletten. 2 verschiedene Sorten, von denen er alle 8 Stunden je eine nehmen soll. Für die erste bekommt er gleich ein Glas Wasser. 12 Quetzales kosten die 8 Tabletten. Ich weiss nicht, was man dafür in einer Schweizer Apotheke bekommen würde. David will mir sein Zimmer zeigen. Vor zwei Jahren ist er da mit seiner Tante eingezogen. Damals kam es mir wie ein dunkles Loch vor. Inzwischen ist seine Tante ausgezogen und verheiratet, er wohnt allein da.

David und sein Computer

David und sein Computer

Die Wände sind frisch gestrichen, die Weltkarte, die ich ihm im letzten Jahr geschickt hatte, hat er in einen selbstgezimmerten Rahmen gesteckt und mit einem Plastik geschützt. Es gibt ein Bett, einen offenen Schrank, einen Stuhl und einen Tisch. Und darauf steht der alte Laptop, den ich im letzten Jahr von einer Kundin bekommen und an David weite geleitet hatte. Er ist ganz stolz darauf, erklärt, dass er jetzt seine Hausaufgaben viel besser erledigen kann. Als er den Laptop erhielt, war noch alles in Deutsch installiert, aber inzwischen hat er ein spanisches Windows und seine Programme von der Schule installiert. David ist inzwischen 19 und macht eine kaufmännische Ausbildung. Diese dauert noch ein gutes Jahr.

der Kleiderschrank

der Kleiderschrank

Ob sein Zimmer immer so gut aufgeräumt sei, will ich wissen. Ja, meint er, er würde auch selber putzen. Manchmal sogar waschen. Manchmal helfe seine Tante bei der Wäsche, aber kochen könne ganz gut selber. Zur Bestätigung zeigt er mir die Suppenpäcklein und erklärt, wie er Tomatenspaghetti kocht. Und dann zeigt er mir sein Zeugnis. Es ist gut und vor allem in der Informatik hat er sich wieder verbessert. Das freut mich natürlich, denn Informatik ist mein eigenes Business.

Nach einem nachdenklichen Blick in seinen Kleiderschrank fragt Trudy, ob er etwas brauchen würde. Neue Jeans zum Beispiel. Das scheint das richtige Stichwort zu sein und so gehen wir Kleider einkaufen. Eigentlich wäre ich jetzt zum Markt gegangen, aber David weiss einen Laden, wo die Kleider nicht zu teuer seien. Mir kommt das zwar etwas eigenartig vor, denn es handelt sich eher um eine Boutique. Um ehrlich zu sein, ist das etwas, was mir an ihm gefällt. Er ist unglaublich dankbar für die Hilfe, die ich ihm gebe, aber er weiss auch ganz genau was er will. Kann Unterstützung annehmen. Es liegt an mir, die Grenzen abzustecken.

In der Jeansboutique. Efrain ist ein Amigo von David, darum gibt es am Schluss sogar Rabatt.

In der Jeansboutique. Efrain ist ein Amigo von David, darum gibt es am Schluss sogar Rabatt.

Jetzt liegt es allerdings an Trudy, ob sie seinen Wunsch nach den gewählten Jeans nachkommen will. Nicht der Preis ist es, der mich etwas verwirrt, sondern, dass die neuen Jeans Löcher haben müssen. Zum Glück hat Trudy Enkelkinder und weiss daher, dass die Wünsche der Kinder nicht immer den Vorstellungen der Erwachsenen entsprechen. Jedenfalls verlassen wir den Laden mit neuen verlöcherten und verwaschenen Jeans und Davids Augen leuchten. Ist eben immer irgendwie wie Weihnachten und Geburtstag zugleich, wenn ich einmal im Jahr komme.

Ich will wie jedes Jahr auch seine Familie besuchen. Sie leben auf der anderen Seite des Sees, in Santiago de Atitlan. Darum fahren wir mit einem der Boote, die immer dann ablegen, wenn sich genug Passagiere eingefunden haben, wieder quer über den See. Leider reicht es nicht für einen Grosseinkauf auf dem Markt, wie ich es andere Male machte. Wir kommen also mit leeren Händen bei seiner Grossmutter und deren Kindern an. Aber sie freuen sich alle und begrüssen uns überschwänglich. Trudy kommt überhaupt nicht mehr aus dem Staunen heraus.

Zwar hatte ich vorher viel über die einfachen Verhältnisse erzählt, in der die Menschen hier leben, aber so klein und eng hat sie sich eine Wohnung nicht vorgestellt. In den beiden Zimmern, die direkt in eine offene Terrasse übergehen, wohnen sechs Personen. Die Terrasse ist seit ein paar Monaten mit einem Blechdach bedeckt und die Grossmutter ist sehr stolz darauf, weil man jetzt bei Regen besser geschützt ist. Schliesslich ist die Terrasse der Aufenthaltsraum, wo gegessen und gearbeitet wird.

Abuela

Abuela

Die ganze Familie stellt Schlüsselanhänger aus winzigen Perlen her. Auch Ketten und Ohranhänger gibt es. Natürlich will man uns die Sachen zeigen und weil ich ja nichts mitgebracht habe, kaufe ich ein paar Sachen ein. Auch ein paar Kugelschreiber lasse ich für die Gruppenmitglieder machen.

Francisco Elias, der jüngste Sohn der Grossmutter ist auch hier. Er wird seit einem Jahr von einer Freundin von Trudy und mir unterstützt. Er ist etwas schüchtern und es ist ihm nicht so richtig wohl mit diesen Ausländern. Aber seine Schwester bedankt sich mit glänzenden Augen für die grosse Unterstützung und seine Mutter pflichtet ihr bei, auch wenn sie ausser Gracias kein Wort spanisch sprechen kann. Man spricht die einheimische Sprache Sutuchil in der Familie. Erst in der Schule lernen die Kinder spanisch.

Francisco Elias

Francisco Elias

Es ist spät geworden, wir wollen noch zu Davids Mutter und darum verabschieden wir uns von der Familie. Davids Mutter liegt auf dem einzigen Bett der Familie. Sie erholt sich noch von einer Operation. Vor drei Wochen musste sie in der Hauptstadt ins Spital eingeliefert werden. Sie hatte eine Operation und hat dabei ihr ungeborenes Bebe verloren. Sie ist noch etwas schwach, aber sie lächelt: es wird schon wieder gut.

David mit Stiefvater, kleinem Bruder und Mama

David mit Stiefvater, kleinem Bruder und Mama

Leider dauert der Besuch hier nur sehr kurz, denn bald fährt das letzte Schiff zurück nach Panajachel. Weil der See am Nachmittag deutlich rauer ist, fahren die letzten offiziellen Schiffe schon nach drei Uhr zurück. Ich verspreche, das nächste Mal mehr Zeit zu haben und verabschiede mich von der Familie. David bringt uns zum Hafen und beim Abschied sind seine Augen nass. Vom Fieber hat er sich etwas erholt aber er wird heute bei der Familie bleiben und erst übermorgen wieder in die Schule gehen.

Es geht ihm bereits etwas besser, als am Morgen

Es geht ihm bereits etwas besser, als am Morgen

Tief beeindruckt fahren wir zurück über den jetzt aufgewühlten See. Nie hätte sich Trudy wohl vorgestellt, wie die Menschen hier wirklich leben. Man kann so viel erzählen wie man will, die Realität übertrifft alle Erklärungen bei weitem.

Beim Hotel steigen wir die vielen Stufen hinauf. Ganz langsam, nicht hetzen, es sind viele und der Tag was anstrengend. Oben erwarten mich die Frauen der Gruppe. Ein etwas kurliger alter Mann sei zu ihnen gestossen und hat sich nach mir erkundigt. Maya hat ihm etwas zu trinken offeriert und jetzt sitzt er da, wartet auf mich. Ich erkläre worum es geht und dann erzählt Pablo in seinem langsamen deutlichen Spanisch sein Anliegen.

Es geht allen wie mir. Kann man ihm trauen, ist das Dokument echt? Wir können ihm im Moment nicht helfen, bitten ihn aber, uns die Kopie des Dokumentes hierzulassen. Auf die Rückseite schreibt er fein säuberlich seinen Namen und Adresse. Ich werde versuchen, mehr zu erfahren über die Situation in San Pablo. Einstweilen überlassen wir ihm die Bleistifte und Notizbüchlein, die wir für Kinder unterwegs mitgenommen haben. Wenn er wirklich für Kinder sammelt, helfen ihm diese Sachen bestimmt. Also verabschiede ich Pablo, nicht ohne ihm noch das Geld für das Schiff zu geben, schliesslich muss er jetzt wieder über den See zurück. Vielleicht sehen wir uns wieder einmal.

Ich hatte gestern eine Massage bestellt und der Masseur ist bereits da. Während er in meinem Zimmer die Massagebank aufstellt, husche ich noch rasch unter die Dusche. Schon wieder habe ich einen unvergleichlichen Ort für eine Massage. Hier hoch über dem See, mit Blick auf die Bergkette mit den Vulkanen. Um ehrlich zu sein, Pascal, mein Masseur hat mehr davon, denn er steht, während ich mit Blick auf seine Füsse auf der Bank liege. Pascal ist übrigens Walliser, und wohnt seit drei Jahren in San Marcos. Von den Einkünften aus seiner Massagepraxis kann er sich mit Freundin und Kind ein einfaches Leben finanzieren.

Auch die Gruppe hatte einen eindrücklichen Tag. Vor allem die Begegnung mit dem Maximon in Santiago, wo ein Schamane eine Zeremonie mit einer Frau durchführte, muss einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Ausserdem haben sie auf der Strasse Mädchen getroffen, die Kugelschreiber verkauften. Die gleichen wie sie David macht.

Mit einem exzellenten Nachtessen beschliessen wir gemeinsam den ereignisreichen Tag im schönen hoteleigenen Restaurant.

Im Hotel Tzu Ninu

Im Hotel Tzu Ninu

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Diesmal bin ich mit einer Gruppe unterwegs. Wir besuchen die faszinierenden Mayastätten und die quirligen bunten Märkte. Die Reise mit der Gruppe ergibt auch für mich einen ganz neuen Blick auf dieses Land, das ich von mehreren Aufenthalten zu kennen glaube.
Details:
Aufbruch: 17.07.2009
Dauer: 16 Tage
Heimkehr: 01.08.2009
Reiseziele: Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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