Falltür ins Paradies

Reisezeit: Oktober 2009 - Oktober 2010  |  von Katharina L.

Austin, 23.08.-30.08.2010

WHITEY RAY UND LOCAL FLAVOURS

"Warten Sie auf einen schwarzen Gitarrenkoffer?" - "Ja" - "Oh, ich habe da gerade eine Meldung reinbekommen, dass da was nicht ganz in Ordnung ist ..."

Zehn Monate hat sie überlebt, überall auf der Welt, in Indien, Südostasien, Neuseeland und Südamerika, in Bussen, Zügen, Flugzeugen, Rikschas wurde sie mit größtem Respekt, mit Sorgfalt und Vorsicht behandelt ... doch als sie am Flughafen in der selbsternannten "Welthauptstadt der Live-Musik" aus dem Sperrgepäck-Schacht kriecht, ist sie kaum mehr wiederzuerkennen. Der Gitarrenkoffer, der mir auch als Gepäckrucksack dient, ist aufgerissen als hätte sich eine Horde wilder Tiere darüber hergemacht. Im Koffer sind zwei T-Shirts und eine Unterhose zerfetzt, die Zarge der Resonator-Gitarre ist aufgeschlitzt. Immerhin ist "Southwest Airlines" bereit, den Neupreis für Gitarre, Koffer und Kleider zu erstatten. Mit dem Geld und meinem verbliebenen Hab und Gut in einer neuseeländischen "Pams"-Einkaufstasche machen wir uns auf den Weg nach Texas.

Eine typisch amerikanische Szene am Touristen-Informationsschalter am Flughafen: "Wie kommen wir ins So-und-so-Hotel bei der Highland Mall in North Austin?" - "Da nehmen sie einfach den Hotel Shuttle, der bringt sie da in ner guten halben Stunde hin." - "Wieviel kostet das so?" - "So um die 28 $ pro Person." - "Gibts denn keinen normalen Linienbus dorthin?" - "Ach wissen sie, der öffentliche Nahverkehr ist hier so gut wie nicht existent." - "Bitte könnten sie trotzdem mal schauen, ob da einer fährt?" - "Moment, ich seh mal nach, aber glauben sie mir, das ist echt kompliziert, Moment ... ah ... ah, ja, hier ... ach, na ja, ich sehe gerade, so kompliziert ist das doch gar nicht. Sie fahren mit dem 25er ins Zentrum, dort steigen sie in den 17er um und fahren zur Highland Mall. Dann sind sie schon da." - "Ah ja, und wie lange dauert das so?" - "Na ja, eine Stunde." - "Und wie teuer?" - "Ähem, 2 $ pro Person." - "Ach ..."

Wir verlassen das Flughafengebäude. Bei 35 Grad Hitze geht ein Platzregen nieder und tatsächlich ... es riecht nach Kühen ... wir müssen in Texas sein (der Flughafen liegt neben einer riesigen Kuhweide). Wir sind die einzigen Weißen im Bus. Das hat man sich etwa denken können. Drei Schwarze, zwei Asiaten und sechs Latinos, so sieht die Verteilung aus.

Mit Botschaften - ob religöser oder kommerzieller Natur - wird man ununterbrochen überflutet.

Mit Botschaften - ob religöser oder kommerzieller Natur - wird man ununterbrochen überflutet.

Die Gegend um die Highland Mall ist keine gute Gegend. Bei Rassenunruhen vor einigen Jahren wurde das hiesige Einkaufszentrum geplündert und steht bis heute leer. Ein schwarzes Pärchen mit zwei Kindern zeigt uns freundlich den Weg zum Hotel. Das ist für nur 40 Dollar die Nacht für uns zusammen richtig luxuriös ausgestattet, sogar mit Pool und Fitnessraum. Offensichtlich will in dieser Gegend kaum jemand übernachten. Am Abend gibts gleich ums Eck unsere erste Tex-Mex-Mahlzeit.

Wiedersehen nach zehn Jahren

Wiedersehen nach zehn Jahren

Am nächsten Tag rufe ich meinen alten Freund Whitey Ray Huitt an, ein Folk/Country-Urgestein, mit dem ich vor zehn Jahren in Deutschland musiziert habe und der in drei Tagen seinen 73. Geburtstag mit einer großen Party begehen will. Wir sollen im Hotel warten, in einer guten Stunde würde er uns im Hotel abholen. Eine Stunde später fährt ein spindeldürrer Mann mit Stetson Hat, Bart, knallengen Jeans und Schlangenleder-Boots in einem alten 123er Mercedes Benz vor. Und Whitey Ray, der alte Weggefährte von Willie Nelson, steht uns, von einer Spur Gras umweht, in seiner typischen Space-Cowboy-Attitüde lachend gegenüber.

Wir durchqueren Austin so schnell wie möglich über die Stadtautobahn - Whitey Ray kann das Gewimmel der vielen Menschen und den Verkehr nicht ausstehen. Der Benz rollt nach Südwesten auf den Highway Richtung Luckenbach. Das ist definitiv Country-Country. Wir stoppen etwa 15 km hinter Austins Stadtgrenze am "290 West Bar & Grill". Hier soll am Samstag Whitey Rays Party stattfinden. Die Holztür schwingt auf und wir stehen im schummrigen Licht eines klassischen, holzplankenbewehrten Highway-Juke-Joint-Saloons. An der Bar die üblichen Verdächtigen - bis auf den Barkeeper alle jenseits der Sechzig - vor ihren Biergläsern. Whitey Ray trinkt nur noch "Miller light", wir den richtigen Stoff um schon mal ein bisschen ein Gefühl fürs bevorstehende Fest zu bekommen.

Kurzer Abstecher ins 290 West

Kurzer Abstecher ins 290 West

Dann gehts weiter mit dem Auto zu Whitey Rays Anwesen, einem eingeschossigen Holzhaus mit Veranda mitten in der Prärie - und mit echten Hirschen im Garten. Wir lernen Whiteys Frau, Tochter und Schwiegersohn kennen. Nach ein paar netten Stunden bei Eistee und einem gemeinsamen Abendessen in einem benachbarten Tex-Mex-Restaurant machen wir uns wieder auf den Weg. Whitey Ray besteht darauf, dass wir seinen Benz ausleihen - er sei mittlerweile zu müde, uns zurückzufahren. So cruisen wir zurück durchs nächtliche Austin in unser Hotel.

Nach Irrwegen...

Nach Irrwegen...

...erreichen wir Stunden später doch noch unser Ziel.

...erreichen wir Stunden später doch noch unser Ziel.

Am nächsten Tag ziehen wir um ins direkt am wunderschönen Ladybird Lake südlich des Stadtzentrums gelegene Youth Hostel - wir wollen ein wenig näher am Geschehen sein. Dann gehts wieder aufs Land zu Whitey Ray, den Wagen zurückbringen. Der Musiker lässt seine Kontakte spielen und verschafft mir im Musikladen eines Freundes einen guten Gitarren Deal. Und so werde ich stolzer Besitzer einer gebrauchten 70er Jahre Corr-Akustikgitarre. Ein wahrlich guter Ersatz für meine Reise-Resonator. Wir laden Whitey Ray zu einem - was auch sonst - Tex-Mex-Mittagessen ein und ziehen uns ins Hostel zurück.

Am Abend machen wir uns dann endlich auf, Austins Downtown und vor allem den 6th Street District zur erkunden. Doch das selbsternannte Livemusik-Epizentrum der Welt erweist sich als reichlich kommerzielle und touristische Angelegenheit (wir werden diese Art Erfahrung noch öfters machen - ob 6th Street in Austin, ob Bourbon Street in New Orleans, ob Beale Street in Memphis, ob Reeperbahn in Hamburg - man sollte immer ein paar Ecken weiter gucken, da wirds meistens viel interessanter - und billiger).

Ein paar Ecken weiter heißt im Falle Austins Red River Street, Hier tummelt sich die Independent Szene und nach einigen Abstechern in Live Musik Kneipen finden wir unseren Platz in der "Beauty Bar" bei einem ausgezeichneten Funk- und Northern Soul DJ Set.

Dann steht die große Party an. Whitey Ray und sein aus Houston angereister, aus Louisiana stämmiger Schlagzeuger Jack Daniels (!) holen uns bestens gelaunt am Hostel ab. Noch ein bisschen abhängen im Huittschen Haus, dann begrüßt uns JD Faron, der liebenswürdige Besitzer, in seinem 290 West Bar & Grill. Natürlich gibts Schnaps und Bier, vor allem aber Live Musik, dargeboten von all den Freunden Whitey Rays.

Whitey Ray und Jz James begleitet von Sue und Ric auf der Bühne im 290 West.

Whitey Ray und Jz James begleitet von Sue und Ric auf der Bühne im 290 West.

Auch ich bringe mein Ständchen und der Abend nimmt seinen wüsten und farbenfrohen Verlauf. Wir lernen neben vielen anderen Leuten Ric und Sue kennen, alte Freunde von Whitey, mit denen wir uns für den nächsten Tag zum Frühstück verabreden.

Wir geniessen das Feiern mit texanischen Orginalen.

Wir geniessen das Feiern mit texanischen Orginalen.

Verkatert werden wir am nächsten Morgen von Sue, ihrem Bruder und Ric am Hostel abgeholt. Nach dem Frühstück zeigt uns Sue Downtown Austin noch einmal aus ihrem Blickwinkel. Und plötzlich, mit diesen Geschichten dahinter, beginnt sich auch die uns so kommerziell erscheinende 6th Street mit Zauber zu füllen.

Sue fesselt uns mit ihren Geschichten über die Austiner Independent Szene und ihren ehemaligen Plattenladen "Local Flavours".

Sue fesselt uns mit ihren Geschichten über die Austiner Independent Szene und ihren ehemaligen Plattenladen "Local Flavours".

Sue hat mit ihrem kürzlich verstorbenen Mann Mike in den 90er Jahren den "Local Flavours Record Store" gegründet. Ursprünglich ein T-Shirt-Laden, in dem sie ihre selbstbedruckten Shirts verkauften, entwickelte sich das Local Flavours zum Zentrum der Austiner Independent- und Alternative-Szene, in dem es ausschließlich die Tonträger (anfangs noch Kassetten!) regionaler Musiker und Bands zu kaufen gab.

Wir verbringen einen wunderschönen, berührenden und ereignisreichen Tag und Abend mit unseren so gastfreundlichen, großzügigen und herzlichen neuen Freunden.

Alle sind verrückt nach Mole, einem für uns bisher unbekannten Tex Mex Dip aus Jalapenos, Schokolade und weiteren Zutaten.

Alle sind verrückt nach Mole, einem für uns bisher unbekannten Tex Mex Dip aus Jalapenos, Schokolade und weiteren Zutaten.

Wir übernachten bei Sue, die uns gemeinsam mit ihrem Bruder am nächsten Morgen in aller Frühe zur Greyhound Station bringt. "New Orleans" steht auf dem Schild des dunkelblauen Busses mit dem Windhund auf der Seite.

© Katharina L., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
1 Jahr: Indien – Thailand – Laos – Vietnam – Neuseeland – Chile – Argentinien – Peru – USA
Details:
Aufbruch: 01.10.2009
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 01.10.2010
Reiseziele: Indien
Thailand
Vietnam
Laos
Neuseeland
Chile
Argentinien
Bolivien
Peru
Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Katharina L. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.