TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 3 26. April.-2. Mai 2008: Tigre

Ich geb's gern zu, mich haben Strassenmusiker schon immer fasziniert. Wie diese Menschen es schaffen, ein paar Jahre auf der Strasse zu überleben, vielleicht mit ihrer Musik um die Welt zu reisen.

Ich bummle durch die Fussgängerzone und bleibe bei jedem Musiker stehen, nehme ein Ohr voll mit vom Jazz, vom Blues, den Panflöten oder dem Tango. Die Schaufenster interessieren mich nicht so sehr. Obwohl es hier alles gibt. Buenos Aires ist das absolute Einkaufsparadies. Alle exklusiven Marken sind vertreten. Teure Lederwaren, Schmuck, Kleider, Kosmetik, Schuhe und immer wieder kleine Imbisse, teure Boutiquen. Läden, die nur Sonnenbrillen führen, oder Haarspangen, oder Barbie-Accessoires und wie die süssen Dinger alle heissen mögen. Zum Glück ist meine Reisetasche bereits voll, mein Budget würde nach einem Einkauf auf dieser Strasse wahrscheinlich ziemlich über den Haufen geworfen. Vor einem Hoteleingang stehen zwei Charlies. Mit Augen und Gesten verfolgen sie jede Frau, die an ihnen vorübergeht und decken sie mit stummen Komplimenten ein. Eine lustige Idee.

Irgendwann entdecke ich einen Maler. Seine Aquarelle sprechen mich an. "Mich begeistert die Bewegung, das Gefühl, el sentimiento. Ich male aus dem Bauch, spontan. Hier die Strasse ist mein Atelier" erklärt er mir. "Hola Federico" grüsst ihn ein Mann in Smoking der vorübereilt. Scheint eines seiner Modelle zu sein. "Ja, er tanzt manchmal hier auf der Strasse", erzählt Federico und lacht. Ich kaufe ihm eines der kleineren Bilder ab. Wird sich an meiner Wand mit all den anderen Bildern gut machen, die ich von meinen Reisen mitgebracht habe. "Hasta luego, bis später" ruft er mir nach. Das fasziniert mich. Bis später. In einer Millionenstadt geht jeder davon aus, dass man sich wieder trifft. Niemand sagt Adios, alle sagen Hasta luego.

Aber ich habe jetzt plötzlich keine Lust mehr auf Stadt. Auf schattige Häuserfluchten, Autokolonnen und Menschenmengen. Irgendwo habe ich etwas von Tigre gelesen, und dass es sich lohne mit dem Zug hinzufahren. Das werde ich jetzt machen. Es ist nicht mehr weit bis zum Bahnhof Retire. Wie immer bin ich zu Fuss unterwegs. Schlendere durch einen grossen Park, und höre plötzlich sehr vertraute Laute.

Hinter einem hohen Zaun Teil tummeln sich Hunde. Ich gehe näher und staune. Zwei Menschen sind da und mindestens 25 Hunden. Sind das Hundesitter? Ist das ihr täglicher Spaziergang? Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand so viele Hunde hat. Es sind alle Rassen vorhanden. Kleine und grosse, einige sind angebunden, die meisten laufen frei herum und balgen sich oder bellen. Ich sehe schwarze und braune Labradors und dann entdecke ich einen grossen Goldie und muss an Falco denken. Zum Glück sind seine Spaziergänge länger und vielfach interessanter als die von diesen Stadthunden. Ein paar sitzen hinter dem Zaun und schauen wehmütig auf das Leben, das rundherum stattfindet. Warum muss man eigentlich in der Stadt einen Hund haben?

Beim Bahnhof angekommen, sehe ich, dass an den Billettschaltern lange Schlangen stehen. Aber es gibt für jedes Ziel einen eigenen Schalter. So komme ich bald an die Reihe. "Ihr Zug geht in 10 Minuten auf Gleis 1" informiert mich der Mann hinter dem Schalter, während ich das Retourgeld einpacke. "Gracias, muy amable" sehr nett.

Ich sitze im Zug. Eine alte Frau schlurft durch die Wagen. Sie scheint etwas anzupreisen, ich kann ihre Worte nicht verstehen, aber ich habe das Gefühl, sie wird als wandelnde und sprechende Reklame bezahlt. Parfüm wird es nicht sein, vielleicht ein Waschmittel? Dann kommt ein Mann und verkauft Lose. Auch er priest seine Ware mit monotoner Stimme an und es hört sich an, als ob er schon jahrelang die gleichen Sätze immer und immer wieder abspulen würde. "Diese Aromen müssen sie probieren, kaufen sie unbedingt jetzt, benutzen sie die Gelegenheit." Ich habe keine Ahnung, was mir diese junge Stimme verkaufen will, die soeben in den Zug eingestiegen ist. Ein neuer Drink? Ein Yoghurt, eine Zahnpasta? Einen Kaugummi! Bevor der Zug anfährt, sind die Verkäufer wieder auf dem Bahnsteig, warten auf den nächsten Zug.

Der Zug rattert über die Geleise und ich habe das Gefühl, ich spüre jeden einzelnen Schotterstein. Die Verbindungstüren zwischen den Wagen stehen offen, oder vielleicht gibt es gar keine. Jedenfalls ist es hier kein Rattern mehr. Das ist ein Aufschrei des Metalls. Quitschen, stöhnen, schlagen. Ich versuche die Worte auf's Papier zu bringen, aber ich kann keien Buchstaben mehr lesen. Ich sitze in einem fahrenden Schüttelbecher.

Da dringt heimlich und ganz verstohlen eine Melodie an mein Ohr. Weiter hinten sind Musikanten zugestiegen. Versuchen mit Gitarre, Rhythmusrasseln und ihrem Stimmen, das Gekreische des Metalls zu übertönen. Ich drehe mich um, sehe, dass sie nach dem ersten Stück einen Hut herumgehen lassen. An der nächsten Station steigen sie aus. Ob es ihr Ziel war, ob die Einnahmen nicht weiter reichten oder ob sie einsahen, dass sie gegen das Heulen des Zuges keine Chance hatten?

Ich studiere derweil Schlafstellungen. Der junge Typ mir gegenüber schläft entspannt mit dem Kopf nach hinten und offenem Mund. Die Frau neben ihm döst aufrecht vor sich hin. Sie schaut bei jedem Halt kurz auf, aber die Augen fallen immer wieder zu. Der ältere Mann neben mir ist vornübergesunken. Seine Hände liegen gefaltet auf der Tasche, die er auf den Knien trägt. Und das junge hübsche Mädchen schräg gegenüber, das gerade noch mit seinem Handy gespielt hatte, ist in den Armen ihrer Begleiterin eingeschlafen. Wahrschienlich ist es ihre Mutter, jedenfalls streicht diese ihr sanft über die langen schwaren Locken und später nickt auch sie ein.

Tigre. Endstation. Der Zug hält. Eigenartigerweise sind alle aufgewacht und steigen aus. Ja und wohin soll ich jetzt gehen, frage ich mich beim aussteigen. Es soll hier nette Restaurants und schöne Läden geben. Aber bin ich nicht gerade eben den Läden entkommen. Ich komme an einen Kanal und mir steigt Seeluft in die Nase. Zwar ist der Kanal braun, aber es ist ja auch nicht das Meer, an dem ich stehe, sondern Teil des Tigre-Deltas. Hier ergiesst sich der Fluss in den Rio de la Plata. Das Wasser ist einen weiten Weg gegangen. Kommt aus den dichten Wäldern im Norden Uruguays und Argentiniens. Das Delta ist hier so breit, dass es wie ein Meer erscheint. Und noch in Montevideo am anderen Ende der Bucht, bis zum PuebloSuizo ist das Meerwasser noch lange nicht so salzig wie im Meer selbst, Noch dort wird oft das erdgeschwängerte Wasser des Rio de la Plata an die Ufer geschlagen.

Ich gehe über die Brücke und entdecke den Katamaran. Das heisst, er ist kaum zu übersehen, den er ist riesig. Letzte Abfahrt in 20 Minuten. Ich bin dabei. Es ist eine Fahrt auf Kanälen, oder zwischen Inseln. Das ganze Delta ist ein Inselreich, hat unzählige kleine und grössere Inseln, auf denen Wochenendhäuser stehen. Jedes mit einem eigenen Bootssteg, denn es gibt keinen anderen Weg hierher. Ich laufe um die Reling, fotografiere das Wasser, die Häuser und die immer tiefer stehende Sonne. Eine Stunde später wäre dies die Sonnenuntergangsfahrt. Im Deckrestaurant erkennt der Kellner, dass ich allein unterwegs sei. Er schlägt mir vor, eine Foto von mir zu machen. Ich willige ein und so komme ich zu einer unerwarteten Foto.

Selbstverständlich habe ich den Lunapark schon vor der Abfahrt gesehen und die Fahrt auf dem Riesenrad oder der Wildwasserfahrt würde mir schon gefallen. Leider ist der Park geschlossen, als wir zum Hafen zurück kommen und so bleibt mir nur noch die Fahrt zurück in die Stadt. Diesmal mit dem Tren de la Costa. Er fährt zwar die alten Stationen an, aber sein Rollmaterial ist perfekt. Fast vermisse ich das Gerumpel, bei der ruhigen Rückfahrt.

Nachtrag. Auf dem Computer im InternetCafe scheinen alle Fotos sehr dunkel zu sein. Ich hoffe, das liegt am Bildschirm und ihr seht das etwas heller. Jedenfalls war ich tagsueber dort.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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