TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 8 31. Mai - 6. Juni 2008: Hunde

Morgen werde ich dieses Land verlassen. Nicht nur die südlichste Stadt der Welt, sondern ich werde aus Argentinien ausreisen. In den letzten Tagen habe ich viel gelernt. Die Ushuaianer haben mir gezeigt, dass es wirklich kein schlechtes Wetter gibt. Jeder Tag hat seine Schönheiten, Wetter wird einfach ignoriert.

Die Aussicht über die Stadt am Canal Beagle

Die Aussicht über die Stadt am Canal Beagle

Juan holt mich am Morgen ab. Er zeigt mir verschiedene Qartiere der Stadt. Dabei zeigt sich, dass die Regierung sehr daran interessiert ist, dass Feuerland bevölkert wird. Es gibt zum Beispiel ein Quartier, in dem man noch bis vor kurzem einfach ein Haus bauen konnte. Das Land gehört der Gemeinde und wenn jemand hier bauen wollte, brauchte er weder eine Bewilligung und schon gar keinen Grundstückspreis, er konnte einfach sein Haus aufstellen. Baureglemente gibt es nicht, wie ich schon vermutet hatte. Jeder baut sein Haus so wie es ihm gefällt. Dass man wegen der Farbe seine Nachbarn oder gar die Gemeinde anfragen müsste, war Juan absolut fremd. Steuern und Gebühren gibt es hier kaum, die Löhne sind um ein vielfaches höher als in Buenos Aires.

Da es keine Universität gibt in der Gegend, können die Studenten, die irgendwo im Land studieren, gratis für die Ferien zurückfliegen. Sie haben mindestens einen Gratisflug zugute. Und wieder einmal zeigt sich, dass die Menschen die hier leben, dies aus Überzeugung tun. Juan ist in Buenos Aires geboren, aber er möchte auf keinen Fall zurück. "Schau doch nur, wir haben hier alles: das Meer, die Berge, die herrliche Natur, gute Luft, sauberes Wasser. Was könnte ich mehr wollen." "Ja aber was ist mit der Wärme, und dem schönen Wetter?", wage ich einzuwerfen. Man gewöhnt sich an die Temperaturen. Im Sommer schwimmen meine Kinder bei 18 Grad im See und finden das megawarm. Die Hitze im Norden mögen sie überhaupt nicht".

Die Frage nach dem Wetter kam bei ihm gar nicht an. Wetter ist immer schön. Alles eine Ansichtssache. Ja, es ist schade, dass wir die herrliche Aussicht auf den versteckten See heute nicht haben, weil die Wolken so tief liegen, aber er ist eben manchmal versteckt, da kann man nichts machen. Im Sommer ist es herrlich hier, da machen wir mit den Touristen ein Asado in der Natur, wandern dem See entlang und alles ist grün. Dafür sieht man aber jetzt die Bärte an den Bäumen viel besser. Es gibt ihnen ein märchenhaft verwunschenes Aussehen. Und auch die Pilze, die an den Bäumen wachsen sieht man jetzt besonders gut. Und die Auswüchse, mit denen sich die Bäume gegen den Parasiten wehren.

Der Parasitenpilz....

Der Parasitenpilz....

und wie sich der Baum dagegen wehrt

und wie sich der Baum dagegen wehrt

Wir kommen in eine Gegend, die von Bibern komplett verwüstet wurde. Der Biber wurde vor ein paar Jahren für die Pelzindustrie eingeführt.

Man hat aber komplett übersehen, dass er relativ schwierig zu jagen ist, denn er ist nachtaktiv. Die Regierung zahlt unterdessen Prämien für jeden erlegten Biber. Und man hat übersehen, dass der Biber hier überhaupt keine natürlichen Feinde hat. So vermehrt er sich ungehemmt und fällt die Bäume ganzer Landstriche. Und er baut Staudämme, so dass aus harmlosen Bächlein Seen werden und die Bäume, die noch stehen geblieben sind, im Wasser absterben. Es ist sehr eindrücklich, wie sehr diese Tiere ganze Landstriche komplett verändern

Da war früher ein harmloses Bächlein

Da war früher ein harmloses Bächlein

und hier floss früher ein so harmloses Bächlein in den See

und hier floss früher ein so harmloses Bächlein in den See

Wir besuchen Hugo. Hugo lebt mit seiner Familie und 93 Hunden auf der Strecke nach Tolhuin. "Hast du Lust, mit dem Hundeschlitten durch die Wildnis zu fahren?" Und ob ich Lust habe. Hugo holt das Geschirr und ein riesiges Gebell geht los. Gerade noch lag jeder Hund vor oder in seiner Hütte und jetzt stehen sie alle da, zerren an der Leine, machen auf sich aufmerksam. "Nimm mich, ich will auf die Strecke". Sechs Hunde sind es, die Hugo und seine beiden Söhne einspannen. Ich nehme im Schlitten Platz und schon geht es los. Die Hunde kennen die Strecke, aber Hugo spornt sie an mit Pfiffen und Befehlen links / rechts, vorwärts. Aber nicht spanisch, sondern in einer internationalen Hundesprache. Es ist ein unerwartetes Erlebnis. Wir preschen über den Schnee, zwischen Gestrüpp, neben Steinen und Baumstrünken. Es ist eine Moorlandschaft, wie es hier viele gibt. Wetter? Völlig egal.

Jeder will mit

Jeder will mit

... und los gehts, die Hunde können es kaum erwarten

... und los gehts, die Hunde können es kaum erwarten

... unterwegs

... unterwegs

Nachher wärmen wir uns in der einfachen Hütte auf. Überall Fotos von Hunderennen, an denen Hugo teilgenommen hat. Er war auch schon in Polen und in der Tschechei und hat Freunde in Österreich, nahe der Schweizer Grenze. Er und seine Familie leben völlig für und mit den Hunden. Übrigens, nur so als Randbemerkung, auch Hugo stammt ursprünglich nicht von hier, sondern kommt aus dem Norden. Aber er ist überzeugt, dass seine Söhne hier bleiben werden. Denn auch sie sind vom Husky-Virus vollkommen infiziert.

Lust auf einen Mate?

Lust auf einen Mate?

Er lädt uns zu einem Mate ein und ist überrascht, dass ich mitmache. Scheint nicht bei allen Touristen anzukommen. Als Erinnerung schenkt er mir einen Pin mit seiner Foto. Juan sagt mir später, dass er noch nie jemandem etwas geschenkt hätte, aber mit seinem Pin hat er mich natürlich an einer schwachen Stelle getroffen. Er wird einen Ehrenplatz in meiner Sammlung bekommen. Immerhin war Pin-Sammeln vor ein paar Jahren meine absolute Leidenschaft.

Nachdem wir uns von Hugo verabschiedet haben, gehen wir ins nahe Restaurant. Hier ist alles bereit für viele Gäste. Am Grill hängen 3 Lämmer und die Salatbar wird gerade aufgebaut. Es ist aber noch viel zu früh fürs Mittagessen und so versuche ich einen Kaffee. Der grosse Krug steht am Feuer und das Rezept hängt an der Wand. Es sind soviele verschiedene Schnäpse darin gemischt, dass ich schon Angst habe, man würde den Kaffee nicht mehr spüren. Aber der Kaffee ist stark genug, dass man ihn wenigstens noch sieht. Und er schmeckt himmlisch.

Das Rezept für den Feuerland-Kaffee

Das Rezept für den Feuerland-Kaffee

Es hat genug im grossen Krug

Es hat genug im grossen Krug

Weiter geht die Fahrt über den Pass. Zwischen all den hohen Bergen, die hinter der Stadt liegen. Es ist die Strasse auf der ich bei der Herfahrt in der Dunkelheit gefahren bin. Und jetzt sehe ich auch, warum hier überall Schnee liegt. Die Strasse geht hinauf bis auf 500 Meter. Es ist der Garibaldi Pass. Und hier hat es letzte Nacht geschneit. Ausserdem sind einige Stellen in einem ziemlich schlechten Zustand.

Bald kommen wir zum Lago Fagnano, der zu den sechs grössten des Landes gehört und natürlich wieder durch einen Gletscher geformt wurde. Ganz an seinem Ende kommen wir ins kleine Dorf Tolhuin.

Die Zuckerbäcker

Die Zuckerbäcker

Hier gibt es eine kleine Bäckerei, in der schon alle Prominenten des Landes waren. Alle Wände sind voll von Fotos mit Boxern, Fussballern, Models und Schauspielern des Landes. Manchmal kann man den Bäckern zusehen, wie sie Brot machen, aber im Moment ist die Bäckerei leer. Im Laden wird wie an so vielen Orten selbstgemachte Schokolade verkauft. Ich kaufe eine Mischung und finde sie schmeckt ganz gut. "Natürlich ist das keine Toblerone und auch keine Linth-Schokolade", findet Juan, der sich anscheinend mit Schweizer Schokolade sehr gut auskennt. "Ja früher, als der Peso noch soviel wert war wie der Dollar, da konnten wir hier in Ushuaia Artikel aus der ganzen Welt kaufen". Schweizer Schokolade und Victor Inox sind ihm ein Begriff.

Wir trinken einen Kaffee und essen ein paar Epinadas, diese fritierten Teigtaschen, die es überall zu kaufen gibt. Und dann fahren wir in der zunehmenden Dunkelheit zurück nach Ushuaia. Und erleben einen dieser ganz speziellen Momente, für den allein sich die ganze Fahrt gelohnt hat. Ein paar Häuser an einem kleinen gefrorenen See. Die Dunkelheit hat eingesetzt und trotzdem stehen die Häuser in einem verzauberten Licht und spiegeln sich im fast gefrorenen Wasser. Magisch

Ich werde auch morgen wieder diese Strecke fahren, es ist die einzige Strecke, weg von der südlichsten Stadt der Welt. Ich wollte immer mal einen Winter im Norden erleben. Jetzt habe ich ihn in der südlichen Variante erlebt. Und ich habe es genossen, habe viel geschlafen, viel gelernt, viel neues gesehen.

Später verabschiede ich mit von Diego. Doch vorher zeige ich ihm noch meine Homepage und dass ich hier meine Reise immer mal wieder aktualisiere. Und dann zeige ich ihm die Möglichkeiten von Google Earth. Er ist baff überrascht, dass wir sein Haus finden und auch das Dorf in der Nähe von Buenos Aires, wo er aufgewachsen ist. Das will er unbedingt auf seinem Computer installieren. "Ich werde dich auf deiner Reise begleiten und wünsche dir viel Glück", sagt er und nimmt meine Seite zu seinen Favoriten. "Es war eine grosse Freude, dich hier zu haben". "Ganz meinerseits. Ich habe die Zeit in meinem Apartment sehr genossen".

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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