Cuba und Suedamerika

Reisezeit: Juni 2008 - März 2009  |  von Olli Schäfer

Bolivien: Nationalpark Noel Kempff Mercado

In Florida traf ich zwar keine Touristen, aber die Ortsbehoerde fuehrte eine Liste von 17 Guides fuer den Besuch im Nationalpark. Der Preis war mit 160 Bolivianos pro Tag fixiert und mir wurde der Guide Juan zugeteilt (Ihr erinnert Euch vielleicht an meinen Guide Juan im Madidi-Park. Nein, es war nicht derselbe und auch nicht alle Guides heissen Juan. Manche heissen José). Damit erschoepfte sich die Infrastruktur fuer den Park. Das ehemalige Besucherzentrum Los Fierros mit Bungalows und Vollverpflegung war vor ueber einem Jahr aufgegeben worden und im rapiden Verfall. In Florida selbst gab es fast nichts. Ein "Laden" beschraenkte sich auf den Verkauf von Dosenbier (zwei Sorten: bolivianisches und brasilianisches), der andere Laden hatte Reis, Kartoffeln, Zwiebeln und Nudeln im Sortiment sowie einige armselige Kekspackungen. Konservendosen hatte er dem Hoerensagen nach auch manchmal im Angebot, nur jetzt gerade nicht. Das war sehr wenig fuer eine Woche Aufenthalt im Dschungel.

Der Weg ins 40 Kilometer entfernte ehemalige Besucherzentrum und dem Startpunkt fuer Touren im Park war mangels Besucher reichlich zugewuchert und selbst mit einem Allradauto nicht mehr passierbar. Aufgrund der grossen Distanz war ein Fahrrad das ideale Verkehrsmittel. Was ich in Florida vorfand war mehr als traurig. Mein silberfarbenes Mountainbike glaenzte auf den ersten Blick aber es fehlte an fast allem. Die Gangschaltung war lahm gelegt und die Kette auf einem Ritzel fixiert. Auch so Essentielles wie Bremsen war nicht vorhanden, genauso wenig wie ein Gummiband, um meinen Rucksack auf dem Gepaecktraeger zu fixieren. Mein Guide Juan hatte sein eigenes Fahrrad ohne Bremsen, aber immerhin konnte er Flickzeug, eine Pumpe, einen Ersatzschlauch und Werkzeuge mit in die Ehe bringen. Wie sich herausstellen sollte alles absolut unverzichtbar auf dieser Strecke.

Die ersten fuenf Kilometer fuehrten entlang des Rio Paraguá, den wir sodann mittels eines Pontons, das wir mit Seilen hin- und herzogen, querten. Damit hatten wir die Grenze des Parkes, eben jenen Fluss, ueberschritten.

querung des rio paraguá mittels ponton

querung des rio paraguá mittels ponton

Der Weg war nun voellig zugewuchert und ich wuenschte mir meine eigene Machete. Besonders haessliche Dornenranken ragten immer wieder quer ueber den Weg. Gut, dass wir Bremsen hatten. Nach wenigen Kilometern hatte Juan den ersten Platten und die Freude ueber das frisch geflickte Rad waehrte nicht lange. Keinen Kilomete weiter war das Rad schon wieder platt. Es befand sich zuviel Gehoelz und Gestruepp mit Blaettern am Boden, worin sich immer wieder Dornen versteckten. Aufgrund der Hitze trug ich ein kurzaermeliges T-Shirt und kurze Hosen und war so schlecht gegen die Dornen geschuetzt. Nach einer Weile lief uns Beiden das Blut an den Unterarmen herunter. Mir wurde klar, dass es ein Abenteuer der haerteren Sorte werden wuerde. Ab und zu lagen umgestuerzte Baeume ueber dem Weg und wir mussten uns einen Weg durch den Dschungel bahnen.

Knapp sechs Stunden kaempften wir uns durch den Urwald, bis wir das 40 Kilometer entfernte ehemalige Hauptquartier Los Fierros erreicht hatten. Immerhin als Unteschlupf konnten wir einen der ehemaligen Bungalows noch nutzen, auch wenn Termiten und andere Insekten schon einen tragenden Deckenbalken vertilgt hatten. Morgens wurde ich von lautem Summen an den Fliegengittern geweckt. Hunderte Bienen umschwirrten unsere Fahrraeder und unsere Zimmer. Die Bienen im Noel Kempff Park sind auf menschlichen Schweiss fixiert, praeziser gesagt zieht sie das Salz darin an. Es entsteht der einzigartige Schweisshonig. Die Bienen hatten gerade Saison und jede Pause von mehr als zehn Minuten liess uns in einem Bienenschwarm enden. Ein gebrauchte Unterhose in den Dschungel gehaengt konnte bis zu 50 Bienen begluecken. Vorerst stachen mich andere Insekten. Ein daumengrosses Schwarzes stach mich unmotiviert durch den schwarzen Socke des linken Fusses in den Knoechel und gleich darauf in den rechten Socken respektive Knoechel. War es besser weisse Tennissocken zu tragen?

Nach enem Sprint hatten wir uns der Bienen entledigt und bestiegen die Raeder. Der erste richtige Tag im Park. Nach kuzer Fahrt im Wald erreichten wir die Savanne, deren Oekosystem die wundervolle englische Bezeichnung seasonally inundated termite savannah traegt. Auf Deutsch heist es droege: saisonal uebrfluete Termitensavanna. Die Sonne brannte gewaltig auf der schattenlosen Strecke, ehe wir wieder Wald ereichten. Bald wurde der Weg fuer die Fahrraeder nahezu unpassierbar, wir schoben mehr als dass wir fuhren. Ein tropischer Regenschauer brachte weitere Abkuehlung und durchfeuchtete die Protagonisten. Wir rasteten an enem fast ausgetrockneten Bach, in dessen groesseren Pfuetzen noch einige Fische herumschwammen. Unser Mittagessen. Eventuell haben wir damit gegen die Parkregularien verstossen, aber wir mussten unsere Diaet etwas aufbessern. Wir liessen die Fahrraeder zurueck und schulterten die schweren Rucksaecke, der Weg war von nun an kaum mehr zu erkennen und Juans Machete im Dauereinsatz. Der Aufstief zur einzigarigen Meseta Caparúch begann. Mehr als 500 Meter erhebt sich dieses Plateau, das auch als Serrania de Huanchaca bezeichnet wird, ueber den umliegenden Wald.

meseta caparúch

meseta caparúch

Auf halber Hoehe campierten wir an einer felsigen Stelle mit kleinem Bach. Starker Sturm und ein Gewitter liesssen mein kleines Zelt gewaltig wackeln. Irgendetwas krabbelte in der Dunkelheit an mir herum. Zecken. Zecken. Zecken. Es hatten sich schon zuviele an meinem zarten Koerper festgebissen und andere krabbbelten auf meiner Kleidung und im Zelt umher. Zeckenalarm. Sie waren ueberall. Ich verbrachte die halbe Nacht damit, sie von meinem Koerper zu enfernen. Auch meinem Guide Juan war es in der Nacht nicht besser ergangen. Die haben gerade Saison meinte er lapidar. Auch die Bienen hatten Saison und uns laengst entdeckt. Mit lautem Summen umgarnten sie uns. Nichts wie weg. Nach einer Stunde Aufstieg erreichten wir die Meseta, die Hochebe. Dort herrscht Savanna vor unterbrochen von einigen Waldinseln. In solch einer campierten wir auf einer Lichtung, wobei wir von vorherigen Gruppen ein Tarpaulin, einen Topf und eine Pfanne vorfanden. Zu diesem Zeitpunkt waren wir hoechstwahrscheinlich die einzigen Menschen in einem Umkreis von mehr als 50 Kilometern.

Ich legte meine vom Vortag feuchte Kleidung und meinen Rucksack zum Trocknen aus.Die Sonne schien vom blauen Himmel und Juan schlug einen Ausflug zu einem eine halbe Stunde entfernten natuerlichen Swimmingpool vor. Er legte seine Kleidung und seinen Rucksack unter das Tarpaulin und riet mir, es ihm gleich zu tun. Ich bevorzugte meine Kleidung unter freiem Himmel trocknen zu lassen, da der Pool nicht weit weg war. Ueber einen Felsen plaetscherte kuehles Wasser in einen kristallklaren Pool. Herrlich erfrischend. Nur die endemischen Fische waren ungemein bissig, auch wenn das harmlos sei, wie Juan versicherte. Ich trug zwar keine Wunden davon, aber ein harmloses Knabbern war das nicht mehr. Draussen liess ich mich von der Sonne trockenen, bis einige Regentropfen meine Haut tupften. Verdammt meine Sachen. Ein Blick zum Himmel offenbarte ein paar Wolken, aber mehr als ein paar vereinzelte Tropfen konnten daraus nicht fallen. Keine Panik.

Ich sonnte mich solange weiter, bis ich ein Donnern vernahm. Unangenehm dunkle Wolken waren direkt ueber unserem Camp aufgezogen. Strammen Schrittes strebten wir zurueck. Die Wolken wurden zu einer bedrohlich dunklen Wand und es donnerte kernig. Ein Wettlauf mit der Zeit. Zehn Minuten vor der Rueckkehr fielen die ersten Tropfen und mit einem Schlag schuettete es so, dass ich in Sekunden bis auf die Haut nass war. Ich rannte und es kam schlimmer. Kirschgrosse Hagelkoerner schlugen auf uns ein. Da war nichts mehr zu retten. Wir stellten uns durchnaesst unter das Tarpaulin, das uns nur notduerftig schuetzte und von heftigen Windboeen hin- und hergerissen wurde. Juans Rucksack war trocken geblieben, bis eine Flutwelle in unseren Unterstand eindrang und ihn von unten naesste. Drei Stunden regnete es in einer Heftigkeit, die selbst Juan so noch nicht kennengelernt hatte. Dann kamen die Bienen zurueck und kurz vor Einbruch der Dunkelheit blinzelte die Sonne durch die Wolken und das Blattwerk. Zeit zum Zeltaufbau.

Danach gelang es uns mit einigen Tricks und grosser Muehe, ein Feuer zu entfachen, um zumindaets notduerftig ein paar Sachen zu trocknen. Das dauerte. Spaet legte ich mich schlafen und schnell war es damit vorbei. Es wurde kuehl auf dem Plateau und ich hatte nichts Trocknes und Warmes mehr. Als es daemmerte verliess ich das Zelt und wurde von einem allmaechtigen Summen empfangen. Die Bienen warteten bereits auf uns. Wir konnten froh sein, dass der Regen zumindest die Zecken etwas abgeahlten hatte. Trotz allem musste ich einem Dutzend ein Aufenthaltsverbot auf meinem Koerper aussprechen. Juan warnte mich vor einem fiesen Stechinsekt namens Marigui (oder so aehnlich), was mit Vorliebe in die Ohren stechen sollte. Wir balsamierten jene mit meinem ultrastarken Insektenschutzmittel ein(es hatte unter anderem das Plastik von meinem Kuli zersetzt). Zuvor hatten wir schon die Beine damit behandelt, um die Zecken abzuhalten. Ploetzlich hatte ich einen lochergrossen Blutfleck auf meinem Arm. Von einem Marigui, wie Juan fachmaennisch feststellte und das Beste, was mir in diesem Park widerfuhr.

Zwei Schlangen lauerten uns auf dem Rueckweg auf, eine Culebra eine sogenannte Yope, eine 15-Minuten-Schlange. Wenn man von dieser Viper gebissen wird, hat man noch maximal 15 Minuten zu leben. Gut, zu wissen.

culebra schlange

culebra schlange

Wir querten erneut das Plateau und stiegen in den dampfenden Dschungel hinab, wo wir an dem kleinen Bach erneut fischten. Mit weniger Erfolg. Nur zwei der schmackhaften und zu kleinen Fische waren die Ausbeute. Dafuer sichteten wir eine Schildkroete, die mit ihrer Langsamkeit das ideale Fotoobjekt war. Obwohl es ringsherum hell war, fielen auf einmal Tropfen aus dem Nichts. In grosser Eile bauten wir die Zelte auf und waren gerade fertig, bevor der naechste heftige Tropenregen ueber uns niederging. Juan hatte in der Eile sein Zelt nicht fachgerecht aufgebaut, was umgehend mit einer Komplettflutung geahndet wurde, so dass seine Sachen genauso nass wurden wie meine zuvor. Mein Lidl-Zelt hielt dem Regen insgesamt gut stand. Nur an einer Innentasche war es schlecht verarbeitet und so bildete sich eine Pfuetze im Zelt. Auch in dieser Nacht krabbelte es an mir herum. Das Insektenschutzmittel tangierte die Zecken nur peripher, sie suchten sich Stellen, wo ich es nicht aufgetragen hatte. Am naechsten Morgen musste ich einen Platten am Vorderrad meines Fahrrades registrieren. Den haetten wir flicken koennen, wenn Juans Pumpe auf mein Ventil gepasst haette. Da waren sie wieder, die bolivianischen Unwaegbarkeiten. Ich musste mein Fahrrad bei sengender Sonne durch die Savanne und zureuck nach Los Fierros schieben. Dabei handelte ich mir noch einen Platten am Hinterrad ein. Juan verlor auf dieser Stecke den Ventilaufsatz seiner Pumpe. Das hatte auch sein Gutes. Ohne jenen und mit einiger Improvisation und viel Kraft, gelang es uns in Los Fierros ausreichend Luft in meine geflickten Schlaeuche zu bringen, waehrend uns die Bienen zaertlich umsummten. Am fruehen Abend liefen wir zur Landepiste, um einen Tapir (Mischung aus Kuh und Nashorn) zu beobachten, der dort allabendlich entlangrennt und abzuheben versucht. Bisher hat ihn noch niemand fliegen sehen und ich bekam ihn nicht einmal zu Gesicht. Der alltaegliche tropische Schauer in der Trockenzeit durfte nicht fehlen, diesmal hatten wir ein richtiges Dach ueber dem Kopf. Am sechsten Tag im Dschungel bewaeltigten wir die dornenreichen 40 Kilometer auf dem Fahrrad zurueck nach Florida, was immer noch fern jeglicher Zivilisation war. Zum Schluss meine persoenliche Schadens- und Stichbilanz dieses Trips: zwei voellig zerfetzte T-Shirts, ein Paar zerfetzte Socken, zerloecherte Hose, restliche Kleidung pervers nach Rauch stinkend, Bildschirm der Digitalkamera ruiniert und damit jene unbrauchbar, ungezaehlte Moskito- und Sandfliegenstiche, Biss einer Feuerameise, Stich einer Biene, Stich von anderem Insekt in die Schlaefe (laut Juan fieser als Bienen), zwei Stiche von grossem schwarzen Insekt in die Knoechel (laut Olli noch fieser als vorheriges Insekt), Stich von einem Marigui und mehr als 40 Zecken von meinem Koerper entfernt. Ausserdem habe ich seit meiner Abreise mehr als zehn Kilo abgenommen.

Wer moechte mit mir weiterreisen?

stacheliger zeitgenosse

stacheliger zeitgenosse

© Olli Schäfer, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
on the road...
Details:
Aufbruch: 16.06.2008
Dauer: 9 Monate
Heimkehr: 24.03.2009
Reiseziele: Kuba
Peru
Bolivien
Chile
Argentinien
Uruguay
Der Autor
 
Olli Schäfer berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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