Rückenwind

Reisezeit: Januar 2010 - März 2011  |  von Marco Burkhart

Bolivien: El Chorro

Die Tour durch das Tal des Chorro versprach eine abwechslungsreiche Zeit. Die Wanderung ist eigentlich auf drei Tage ausgelegt, doch das bevorstehende Spiel gegen England laesst einen etwas tollkuehnen Plan entstehen. Ich nehme mir vor das Tal in zwei Tagen abzulaufen.

Von Laz faehrt mich ein Taxi bis La Cumbre, die Spitze des Massivs auf 4.900 m und Ausgangspunkt ins Chorro-Tal. Es ist morgens kurz vor acht und relativ frisch. Ich packe meine Jacke aus dem Rucksack und bin danach schon ausser Atem. Das kann ja heiter werden. Auf dieser Hoehe bleibt nur eines: Langsam gehen und die Atmung ruhig halten. Auf knapp 5.000 m waechst kaum noch ein Grasbueschel, die Landschaft besteht aus kargem Fels. Ich steige in den steilen Abstieg ein. Nach einigen Metern kommt mir ein Paearchen um die 60 Jahre entgegen. Voellig ausser Puste, schliesslich gehen sie den Berg hoch. -Was sie den vorhaben? -Wir wollen nach La Paz, einkaufen.

Der steile Weg ist die einzige Verbindung zur Aussenwelt. Unter welch harten Bedingungen diese Menschen dort leben. Alles muss muehsam herangeschafft werden. Ich gehe weiter abwaerts, links und rechts von mir werden die Waende immmer tiefer und steiler. Das Tal hingegen mit jedem Meter gruener und bewohnter. Die Haeuser sind aus dem gebaut, was die Umgebung bietet: Stein und Reissig, in einfachster, schlichter Form und doch sehr elegant.

Elegante Steinhaeuser

Elegante Steinhaeuser

Mir begegnen drei Jungen, auch auf dem Weg nach La Paz. Auch sie wollen einkaufen. Kurz darauf draengt mich eine Herde Lamas vom Weg. Das heisst ich bin freiwillig auf den naechsten Huegel ausgewichen, da die Viecher relativ weit spucken koennen. Doch ich verhalte mich ruhig, stoere nicht, also werde ich nur neugierig betrachtet. Die Herdenfuehrerin verwickelt mich freundlich in ein Gespraech und fragt dann nach Schokolade. Ich gebe ihr meine Ration fuer den ersten Tag, ein teuer erstandenes Snickers. Da hab ich den Trick noch nicht durchschaut.
Die Lamas sind mit Saecken bepackt und transportieren Kartoffeln in die naechste Siedlung. Alle Transporte werden hier mit Lastentieren erledigt. Die Wege sind fuer Fahrzeuge unpassierbar. In ihrer Freizeit koennen die Lamas am Fluss grasen.

Kartoffel-Transporter

Kartoffel-Transporter

Freizeit-Lamas

Freizeit-Lamas

Nach vier Stunden erreiche ich den ersten Kontrollpunkt und bezahle Wegegebuehr. Das Geld wird anscheinend fuer die Instandhaltung der Wege benutzt, wovon ich allerdings nichts gemerkt habe. Die Pflastersteine sind eine Tortour zum Gehen, jeder Schritt erfordert volle Konzentration.
Immer wieder werde ich freundlich von Einheimischen angehalten, nach der Uhrzeit und anschliessend nach Schokolade gefragt. Aha, der Trick. Ich verneine die Frage nach Schokolade und spaeter hab ich dann auch keine Uhr mehr dabei. Ich haette auf wenigen Kilometern ohne Probleme meinen gesamten Proviant und mein Bargeld verschenken koennen. So weit kommts noch.

Maulesel-Transporter

Maulesel-Transporter

Die Sonne prallt nun mit voller Wucht ins Tal. Ich gehe zwar die ganze Zeit nur abwaerts, doch komme ich dermassen ins Schwitzen. Der steile Weg macht mir zu schaffen, doch ich erreiche das erste Camp auf 3.200 m. Eigentlich das Tagesziel, doch fuer mich nur ein Rastplatz. Ich gehe nochmal ueber zwei Stunden weiter, fange wild an zu fluchen ueber den schlechten Weg, die Hitze, auf alles, was mir in die Quere kommt. Meine Kraefte lassen nach und mit wackeligen Beinen erreiche ich El Chorro auf 2.200 m.
Die Landschaft hat sich inzwischen komplett in einen dichten Dschungel gewandelt. Alles innerhalb von nur acht Stunden und 25 km abwaerts.

Der zweite Tag beginnt mit einem Anstieg und einem ueberwaeltigenden Blick auf das Chorro-Tal. Ich passiere die Behausung eines schlafenden Bauern, der seine zwei Kuehe im Vorgarten haelt. Das Panorama ist zwar grossartig, aber tauschen moechte ich bestimmt nicht.

Der Weg schlaengelt sich nun auf gleicher Hoehe am Tal entlang, bis ich um zwoelf das Camp San Francisco erreiche. Anscheinend sind es noch fuenf Stunden ans Ziel. Na das ist ja machbar, denke ich leichtsinnig. Ich ahne nicht, was mir bevorsteht: Der Teufelsanstieg, im Volksjargon so genannt. Puenktlich zur groessten Tageshitze stehe ich dann davor. Meine Oberschenkel und Waden zahlen mir schon den Husarenritt vom ersten Tag heim. 2.700 Hoehenmeter an einem Tag sind einfach ein paar Meter zu viel. Und jetzt gehts erst richtig los. Ich aechze wie eine Lokomotive, aber es nuetzt nichts. Mir gehen Luft und Kraft aus. Da hilft dir nur eines, das Tempo auf Schneckengang reduzieren, bis du wieder Atmen kannst. Aber das Limit ist schon weit ueberschritten. Ich erreiche viel zu spaet das letzte Camp vor dem Ziel. Mit mir und der Welt am Ende. -Wie weit ist es noch? -Drei Stunden. Bist du alleine?, fragt die Frau mit schraegem Blick. -Ja, ich muss los.
Ich ernte ein Kopfschuetteln, den in zwei Stunden wird es Dunkel. Also muss ich eine Stunde aufholen. Im Stechschritt gehe ich den Berg runter bis ans Ziel Chairo auf 1.400 m. Tatsaechlich komme ich rechtzeitig an, doch mit hoellischen Schmerzen. Ich falle in den Bus nach La Paz und komme beim Aussteigen kaum noch vom Fleck. Die Reserve ist schon mehrmals aufgebraucht. Meine Beine sagen mir den Muskelkater meines Lebens voraus.

Ob ein Laenderspiel dies alles wert ist? Warum hast du nicht einfach angehalten? Dein Zelt aufgeschlagen? Dies alles Frage ich mich immer wieder. Die Antwort ist simpel: Es war eine Grenzerfahrung, deutlich ueber dem koerperlichen Limit. Ich nehme mir trotzdem fest vor, keine Drei-Tages-Tour mehr in zwei Tagen zu machen.

© Marco Burkhart, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Am Donnerstag, 28. Januar früh fuhr ich mit dem geliehenen Citroen "Jolly" Jumper, über die Elbbrücken Richtung Freiburg. Auf Delta Radio lief "Rückenwind" von Thomas D. Ich dachte nur, was gibt es passenderes als Titel für dieses Kapitel?
Details:
Aufbruch: 31.01.2010
Dauer: 14 Monate
Heimkehr: 31.03.2011
Reiseziele: Argentinien
Chile
Antarktis
Brasilien
Bolivien
Peru
Ecuador
Kolumbien
Panama
Costa Rica
Botsuana
Sambia
Mosambik
Südafrika
Namibia
Ruanda
Tansania
Der Autor
 
Marco Burkhart berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.
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