Mein Reisetagebuch

Reisezeit: Juli 2011 - Mai 2012  |  von Fabienne D.

Copacabana - La Paz: Gefängnis San Pedro

02.12.11, La Paz

Wir schliefen aus. Eigentlich war ich der Meinung, wohl spätestens gegen 8.00 Uhr von alleine aufzuwachen. Da wir aber kein Fenster im Zimmer haben, guckte ich erst um 9.20 Uhr auf die Uhr. Somit waren wir zu spät dran die Ruinen von Tiahuanaco zu besuchen und entschlossen uns bereits heute zu versuchen das Gefängnis von San Pedro zu besichtigen. Brian hatte gestern ein Junge aus Mexiko/USA (Erick) kennen gelernt, der sich uns nun anschloss.
Das Gefängnis hat ca. 1400 Inhaftierte die vor allem wegen Drogenhandel oder Diebstählen eine Haftstrafe absitzen müssen. Die Häftlinge sind sich in den ca. 100x100m alleine überlassen. San Pedro wird als kleine Stadt in der Stadt bezeichnet. Die Inhaftierten haben ihr Lebensunterhalt alleine zu managen und zu finanzieren. Die Zellen müssen gemietet, Nahrungsmittel aufgetrieben und somit auch gearbeitet werden. In den Gassen gibt es Restaurants, Geschäfte, kleine Unternehmen und gar einen Kindergarten. Für ein paar Bolivianos pro Monat können nämlich die Ehefrauen im Knast übernachten - Kinder sind gratis. Es gibt viele Männer die mit ihrer ganzen Familien im Gefängnis wohnen. Kann man sich das Leben nicht finanzieren, kann es durchaus vorkommen, dass man im fast 4000m hohen La Paz, draussen, bei Minustemperaturen, übernachten muss.

Wir liefen also zum Quartier San Pedro um uns irgendwie zu informieren wie wir ins Gefängnis kommen. Das Gefängnis ist unscheinbar und wird lediglich bei einer Tür bewacht. Wir liefen etwas herum und wurden auch schon von einem fliessend englisch sprechenden dunkelheutigen Typen angesprochen. Er erklärte, dass er aus New York sei und wegen Kokainschmuggel im Knast sässe. Er werde in den nächsten Monaten entlassen und dürfe daher, um Kontakte zu knüpfen und das "normale Leben" wieder kennen zu lernen, tagsüber nach draussen. Mir war der Typ hinten und vorne nicht sympathisch. Obwohl sich seine Geschichte plausibel anhörte, war ich extrem skeptisch und hatte meine liebe Mühe ihm zu Vertrauen. Die Neugier der Jungs war aber sofort geweckt, so dass sie ihm folgten (und ich dem entsprechend mit). Dave erklärte, er könne uns für insgesamt 27 Bolivianos eine Lizenz organisieren um ins Gefängnis zu kommen, wo wir für weitere x Bolivianos eine Tour bekämen. Bei einem kleinen Laden schrieb er unsere Namen auf und erklärte, dass er nun die ersten 7 Bolivianos bräuchte um die Eintrittsmarken zu herstellen zu lassen. Ich haderte und gab das Geld erst heraus, als Erick meinte, dass es umgerechnet ja nur ein CHF 1.- sei. Der Typ verschwand im Laden, kam kurze Zeit zurück und meinte, die Marken könnten in ein paar Minuten abgeholt werden. Bis diese fertig seien würden wir zu einem Polizeigebäude gehen und die Lizenz einholen. Diskreterweise sollten wir etwas schräg vis-a-vis eines rosaroten Gebäudes warten. Hier hatten wir die restlichen 20 Bolivianos zu bezahlen. Mittlerweile war sich auch Brian der ganzen Sache nicht mehr so sicher. Ich fragten den Typen x Mal wie das Prozedere Aussehen würde und was er mit dem Geld machen würde. Er schien total locker und fragte mich warum ich so nervös und skeptisch sei, ich solle ihm vertrauen. Ich antwortet darauf nur "You life in a prison. How can you be trustwirdy?!" (Du lebst in einem Gefängnis. Wie kannst du vertrauenswürdig sein?!). Er verteidigte sich mit der Aussage, dass er kein Mörder oder Vergewaltiger sei und daher nichts Schlimmes im Sinn hätte. Nun ja, wer nicht wagt, der nicht gewinnt... Ich wollte schliesslich dieses Gefängnis anschauen gehen, so musste ich das Risiko eingehen die umgerechnet CHF 4.- (was wohl wirklich nicht die Welt ist) zu verlieren. Mit unseren 60 Bolivianos verschwand er im Polizeioffice. Die einzige Sicherheit die ich sah, war, dass er stets seine Tasche bei uns lies. Er kam keine Minute später wieder zurück und meinte, dass der Typ nicht hier sei. Hier in Südamerika gibt es Läden à la Internetcafés wo man Telefone gebrauchen kann und danach den Anruf bezahlen muss. Dave lief mit uns also in ein solches Café, rief jemanden kurz an, trank eine Coca Cola und verlangte von uns, beides zu bezahlen. Ich weigerte mich, woraufhin ich mich wohl noch unsympathischer gemacht hatte . Er marschierte danach einfach aus dem Laden - ohne zu bezahlen. Erick schmiss der ausrufenden Frau einen Boliviano zu (60 Cent zu wenig) bevor auch er dem Typen folgte.

An einer anderen Ecke, mussten wir wieder warten. Er verschwand in einem Lebensmittelladen - wieder ohne Tasche. Mir erschien dies etwas ungewöhnlich; aber dass war die ganze Situation ja ohnehin. Ich sagte zu Brian: "der Typ verschwindet nun sicherlich mit unserem ganzen Geld und hat die Tasche nur als Vorwand stets bei uns gelassen". Meines Erachtens war es ein toller Trick, einem zuerst das Gefühl zu geben, er kommt immer wieder zurück und dann plötzlich abzuhauen. Erick war immer noch guter Dinge und meinte, wir sollten mal abwarten. Ich wies ihn nun aber an, kurz in den Sack zu schauen. Hastig machte er sie auf - Dave hätte ja jede Minute zurückkehren können - und entdeckte lediglich hartes Brot. Nach einer Minute kam Dave wieder aus dem Shop und machte eine Handbewegung à la: "wartet kurz, ich komme gleich" und lief den Hügel hinauf. Ich war kurz davor ihm hinter her zu laufen, brachte den Mut dann aber doch nicht auf. Nach 10 Minuten warten, guckten wir nochmals genauer in die Tasche. Als wir die versteckten Steine in den Innenfächern sahen, war der Fall klar. Meine Befürchtungen hatten sich also befürwortete: ein Taschenraub erster Klasse. Ohne Handgreiflichkeiten oder Bedrohungen hatten wir ihm unser Geld gegeben und ihm nun ein gutes Essen für die nächsten Tage geschenkt. Ich war doch etwas wütend, dem Scheisskerl die 27 Bolivianos gegeben zu haben. Aber ja: No Risk, No Fan.

Einschub für meine Mama und mein besorgtes Grosi die mich in die weite Welt reisen liessen: JA, ich weiss, ich sollte keinen fremden Leuten Geld geben und ich werde es nie wieder tun . Und JA, ich weiss, dass ich grosses Glück gehabt habe, und froh sein kann, dass mir nichts passiert ist!

Den Kampf war aber noch nicht zu Ende . Wir klopften an eine Seitentür des Gefängnisses, wo uns von einer Polizisten mitgeteilt wurde, dass wir eine Einladung bräuchten bzw. eine Lizenz welche wir Nähe des Plaza de España in einem Polizeibüro erhalten würden. Per Bus fuhren wir zu diesem Platz. Der Polizist meinte, dass das Büro erst um 15.00 Uhr öffnen würde. Daher gingen wir in ein nahes chinesisches Restaurant essen und sassen die Zeit ab. Punktgenau waren wir wieder beim Office und erhielten die Info, dass wir zu warten hätten, da bereits andere Touristen drin seien. 10 Minuten später kamen diese hinaus, mit der Lizenz in der Hand. Als wir endlich ins Sekretariat durften, bekamen wir jedoch die Auskunft, dass wir ohne Einladung keine Bewilligung bekämen. Ich widerte ein, dass die anderen Touristen aber eine bekämen hätten, worauf die Sekretärin meinte, dass die mit dem Direktor gesprochen hätten. Dieser sei mittlerweile ausser Haus und zum Gefängnis gefahren (wir hatten diesen sogar noch gesehen gehabt). Also nahmen wir ein Taxi und fuhren zurück zur Haftanstalt. Beim Haupteingang wie auch bei der Seitentür bekamen wir aber nur wieder die Information, dass wir nicht rein kämen und auch nicht mit dem Direktor sprechen dürften. Etwas enttäuscht gingen wir zum Hostel zurück.

Meine lieben Kumpanen geben jedoch nicht klein auf. Morgen wollen sie mit anderen Leuten aus dem Hostel nochmals einen Anlauf starten... Crazy, wenn man bedenkt, dass normalerweise die Leute AUS und nicht IN den Knast wollen

4.12.11, La Paz

Heute war nun also nochmals ein Gefängnisbesuchversuch vorgesehen. Ich schloss mich Brian und Stass an. Nebst dem, dass wir von anderen Touristen einen Namen und eine Telefonnummer eines Häftlings (Sebastian van Kilsden) bekommen hatten, waren wir aber nicht weiter gekommen. Brian war extrem hartnäckig und geduldig. So konnten wir ihn erst mittags davon überzeugen, weiter zu gehen und was zu Mittag zu essen. Vorher rief er den Inhaftierten an, welcher meinte, man könne ihn montags besuchen gehen. Während des Wartens, trafen wir per Zufall Dave auf der Strasse. Ich hatte mir schon gestern vorgestellt wie diese Situation aussehen würde, hatte nun aber von einem Fausthieb in das Gesicht abgesehen. Ich lief auf ihn zu und stoss ihn lediglich ein paar Mal an die Schulter um zu sehen wie er reagiert. Dabei redete ich wütend auf ihn ein und verlangte mein Geld zurück. Der Feigling hielt überhaupt keine Gegenwehr und lief immer wie mehr weg. Schlussendlich hielt ich ihn an der Jacke fest, die er dann auszog währenddem er davon rannte. Meine lieben Herren hatten dem ganzen Spektakel lediglich zugeschaut. Die Jacke schmiss ich später in einen Abfalleimer - ich hoffe der Feigling friert sich diese Nacht schön den Arsch ab.

Nach dem Mittagessen liefen wir zu dritt zur Strasse Jaen. Diese Gasse ist für seine schöne Architektur und den verschiedenen Museen bekannt. Die Passage sieht super gepflegt aus und dürfte viel länger sein - wenn nicht gar durch die ganze Stadt führen . Da sich die Jaen gleich ein paar Blöcke von unserem Hostal befand, gingen wir danach in unsere vier Wände zurück.

Wie fast jeden Abend gab es auch heute wieder Musik bis in alle Nacht. Es wurden Gemeinschaftsspiele gespielt, getanzt und natürlich getrunken. Als die meisten Besoffen waren und mir mein Sitznachbar fast auf die Füsse gekotzt hätte, entschloss ich mich, in den Gemeinschaftsraum zu gehen. Hier hatten sich die mehr oder weniger nüchternen Personen zurückgezogen. Der Abend wurde dann doch noch lang: ich lernte einen Schweizer kennen, Stass lud mich ein zusammen einen Film zu schauen und drei Franzosen hätten mich gerne noch mit in einen Club genommen ;-D. Beide Einladungen schlug ich aus und ging um 3.00 Uhr ins Bett. Die meisten anderen Touristen gingen weiter in einen Club - so auch Brian - und kamen erst früh morgens zurück.

5.12.11, La Paz

Eigentlich hatte ich heute - wieder einmal - vor die Ruinas de Tiahuanaco zu besuchen. Obwohl ich nach lediglich ein paar Stunden Schlaf aufstand, reichte es mir zeitlich nicht mehr hin zu gehen. Erst ätzte mir meine neu gekaufte Linsenflüssigkeit fast das Auge aus (ich hatte nicht gecheckt, dass ich einen speziellen Linsenbehälter zu gebrauchen habe) und danach skypte ich spontanerweise mit meiner Mutter. Daher verbrachte ich den Tag vor allem mit dem fesselnden Buch von Stieg Larsson: Verblendung, welches ich total zerstört im Hostal in Puno fand. Nebst einer Seite die fehlte, war aber alles noch lesbar.

© Fabienne D., 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Kurzfristig entschied ich mich nach Südamerika zu reisen. Spontan begleitet mich Lucia die ersten 5 Wochen durch Ecuador. Was weiter noch bereist und entdeckt wird, steht noch in den Sternen geschrieben :-) Let's go!
Details:
Aufbruch: 21.07.2011
Dauer: 10 Monate
Heimkehr: 25.05.2012
Reiseziele: Ecuador
Peru
Bolivien
Chile
Argentinien
Der Autor
 
Fabienne D. berichtet seit 13 Jahren auf umdiewelt.
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