TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 13 5. - 11. Juli 2008: Geburtstag

Ich gebe es zu, ich habe schon bessere Geburtstage erlebt. So ganz einfach ist dieser Tag, ganz allein und weit weg von Familie und Freunden auch für mich nicht. Da kann ich mir noch so sehr sagen, das sei ein ganz gewöhnlicher Tag, es funktioniert nicht ganz. Ich hätte heute gern jemanden dabei, mit dem man bei einem Glas Wein auf das neue Lebensjahr anstossen könnte.

Ever ist dieser jemand nicht, aber er holt mich am morgen um halb sechs Uhr ab und bringt mich zum Zug. Und da fängt der Tag schon mal ganz toll an. Ich habe einen Fensterplatz im hintersten Wagen mit Sicht nach vorn. Das ist ja wie ein Sechser, da sehe ich den ganzen Zug bei jeder Kurve. Also sowas wie ein Geburtstagsgeschenk.

Später steigen vier Amerikaner dazu. Das junge Paar setzt sich vis a vis von mir und das ältere Paar, eine Sitzreihe dahinter. Und da passiert es, der junge Mann fragt mich höflich, ob ich nicht bereit wäre, meinen Sitz mit seinen Schwiegereltern zu tauschen, damit sie zusammen reisen könnten. "Nein", erkläre ich, "ich habe mich so gefreut, genau diesen Platz zu haben, ich möchte auf keinen Fall auf diese Sicht verzichten". An jedem anderen Tag hätte ich wahrscheinlich zugestimmt und mich nachher während der ganzen Fahrt geärgert, warum ich mich in diese Situation habe bringen lassen.

Die Sache scheint für den Moment geklärt, der Zug fährt los, aber als die Zugbegleiterin kommt, reklamiert der junge Mann bei ihr, dass man für seine Gruppe nicht bessere Plätze reserviert hätte. Sie ist einen Moment ratlos, und meint dann: "Warum fragen sie nicht diese Dame, ob sie tauschen möchte". "Das haben sie schon gemacht, aber mir gefällt mein Platz, ich finde die Sicht hier wunderbar".

Damit müsste alles geklärt sein, wenn nicht die junge Amerikanerin jetzt anfangen würde, zu heulen. Diskret, versteckt hinter ihrer Jacke, in die sie sich gemummelt hat, heult sie still vor sich hin. Ich brauche jetzt allen Mut und alle Kraft, nicht klein beizugeben und doch noch Plätze zu tauschen. Ich überlege mir, wie ich diese Situation aufnehmen würde und finde es eigentlich nicht so schlimm, wenn die Eltern mal vier Stunden allein zusammen reisen, in Sicht- und Hörweite von ihrer Tochter.

Zum Glück steigt bei der nächsten Station nochmals eine Gruppe ein und der Sitz neben mir ist jetzt auch besetzt. Und die Leute, die eingestiegen sind, bestehen auf ihren reservierten Sitzen, obwohl einer von ihnen bereits von einer anderen Person besetzt ist. Damit lockert sich die Situation und auch die junge Amerikanerin taucht wieder hinter ihrem Jackenkragen auf. Sie will jetzt sogar wissen, woher ich sei, und wo ich schon gereist sei. Ich gebe kurze Antworten, bin jetzt nicht mehr bereit für Small Talk. Ich bin froh, dass sie sich kurz darauf mit dem neuen Passagier über verschiedene Hochschulen in den Staaten unterhält. Inzwischen wird Frühstück serviert.

Frühstück im Zug

Frühstück im Zug

Draussen ändert sich die Aussicht dauernd. Zwischen kahlen Bergen schauen manchmal hohe Schneegipfel herunter. Wir sind im Valle Sagrado, dem Tal, in dem ich gestern schon war. Und hier, bei Olantaytambo wo der Inka ernst von der Felswand schaut, verlassen wir die Zivilisation, die Berge rücken enger zusammen und lassen nur noch die kleine Bahn durch.

Hohe Schneeberge

Hohe Schneeberge

und enge wolkenverhangene Schluchten

und enge wolkenverhangene Schluchten

Wir sind auf dem letzten Abschnitt nach Aguas Calientes. Es gibt hier keine Strasse mehr. Nur noch der Fluss und die Bahn. Die Berge werden immer steiler und die Vegetation immer üppiger. Es ist Urwald, was da vor den Fenstern vorüberzieht. Dichter tropischer Urwald. Mit hohen Bäumen voller Bromelien und Orchideen. Mit langen Bärten, die von den Ästen hängen. Kaffee und Bananen kann ich erkennen und verschiedene Strelitzien. Gerade noch war die Landschaft karg und jetzt diese Üppigkeit.

Gelb blühender Ginster leuchtet am Bahndamm. Ist jetzt Frühling? Wie immer wieder auf meiner Reise vermischen sich die Jahreszeiten. Der Zug zuckelt durch das Tal, kommt immer tiefer. Ja, jetzt muss er sogar noch zweimal die Richtung ändern, um die richtige Tiefe zu bekommen. Es gibt keine Kehrtunnels. Darum fährt der Zug in ein Sackgeleise aus dem er wieder gestossen wird, um bei der Weiche die untere Schiene zu bekommen. So hat er auch im Zick Zack die erste Steigung aus Cusco geschafft. Immer hin und her.

tropische Üppigkeit

tropische Üppigkeit

Und dann kommen wir in Aguas Calientes an. Ich werde von Rainer, dem Portier des Hotels abgeholt. Zum Glück habe ich nur den Rucksack dabei, hätte dem kleinen Mann meine schwere Reisetasche nicht anhängen wollen. So kann ich den Rucksack sogar problemlos selber tragen. Staunend erkenne ich das kleine Dorf. Um überhaupt aus dem Bahnhof zu kommen, muss man erst mal den riesigen Handarbeitsmarkt durchqueren. Dann kommt das Dorf, das eigentlich nur aus ein paar Häusern zu bestehen scheint, die sich hier beim Zusammenfluss von zwei Bächen zusammenrotten.

Der Bach scheint manchmal mehr Wasser zu bringen

Der Bach scheint manchmal mehr Wasser zu bringen

Mein Hotel ist im unteren Teil. Es ist ganz neu, das heisst, es wird sogar noch immer irgendwo gehämmert und gearbeitet. Das Restaurant öffnet erst in ein paar Monaten. Und obwohl es neu ist, fehlen ihm nach meiner Meinung zwei wesentliche Dinge: Ein Lift, aber vielleicht denkt man sich, dass hier eh nur fitte Menschen herkommen, denn viele nehmen den InkaTrail unter die Füsse um nach Machu Picchu zu gelangen. Und ausserdem gibt es kein Internet im Hotel. Das mag für viele keine Problem sein, aber ich werde es bestimmt vermissen. Mein Zimmer ist im dritten Stock und ich lege mich erst mal ein wenig aufs Bett, lasse die Eindrücke des heutigen Morgens an mir vorbeiziehen. So nahe bin ich jetzt an Machu Picchu, morgen werde ich es sehen.

Später gehe ich hinauf ins Dorf. Da drängen sich Beizlein, Souvenirverkäufer, Internetcafés und Hotels neben den Geleisen. Manchmal kommt mit grossem Getöse ein Zug durchs Dorf, dann wird die Strasse gesperrt und die Leute von den Schienen gejagt. Doch es sind eh nur Güterzüge, die bis hierher kommen, die Personenzüge halten am Bahnhof beim Dorfeingang.

Vor jedem Restaurant steht jemand, um die Gäste anzulocken. Eigentlich finde ich das eher lästig, aber da ich wirklich Hunger habe, und mein Geburtstagsessen ansteht, lasse ich mich von einem attraktiven Typen verführen, in seinem Restaurant Platz zu nehmen. Ich bestelle eine gefüllte Avocado, doch was da vor mich hingestellt wird, überschlägt alle Erwartungen. Palta a la reina. Hiess es auf der Speisekarte. "Ist eben für eine Königin", lacht Cesar, der sich mir inzwischen vorgestellt hat.

Dazu ein Glas Rotwein. Tiefgekühlt. Damit muss man in diesen Ländern immer rechnen. Ich stosse also mit mir auf meinen Tag an und geniesse die wunderbar reife Avocado mit der Chickenfüllung. Und ganz so nebenbei entwickelt sich ein kleiner Flirt mit Cesar, dem ich lächelnd zusehe, wie er versucht, die Touristen in das Restaurant zu ziehen. Es braucht übrigens ziemlich viel Überzeugungskraft, bis er versteht, dass ich lieber spanisch als englisch spreche. Seit Copacabana werde ich viel öfters englisch angesprochen. Ist eben richtiges Touristengebiet. Und die Leute sind sich gewohnt, dass fast alle Touristen wenigstens Englisch sprechen.

Da kommt ein junges Paar. Nein, sie möchten nicht ins Restaurant kommen. Aber gäbe es vielleicht ein Steak zum mitnehmen? Fertig gebraten, ohne Zutaten? "Selbstverständlich, kein Problem", verspricht Cäsar und bestellt in der Küche, während die beiden weitergehen. Sie wollen später zurückkommen.

Eine Viertelstunde später sind sie wieder da. Sie nehmen das Essenspaket in Empfang, zahlen, und setzen sich auf die Bank direkt vor dem Restaurant. Und hier essen sie zusammen das Steak, scharf beobachtet von zwei Hunden, die der Geruch angezogen hat. Ja, Touristen sind manchmal etwas eigenartig. Schon Ever hat erzählt, dass er sie nicht immer verstehen kann. Da jammern sie, dass ihnen das Geld fehlt für den Eintritt nach Machu Picchu oder für einen Führer, der ihnen die wichtigsten Dinge erklären könnte. Und am Abend sieht man die gleichen Leute im teuren irischen Pup, wo das Bier doppelt soviel kostet wie normal und da schmeissen sie Runden. Ist halt immer eine Frage der Wertigkeit und die ist bei den meisten Menschen verschieden.

Nach dem Essen hätte ich Lust auf einen kleinen Fruchtsalat. "Kommt sofort", meint Cesar, der sich inzwischen dafür interessiert, was ich denn da dauernd aufschreibe. "Notizen zum heutigen Tag." "Oh, das ist toll. Ich möchte ein Buch schreiben. Ich hätte soviel zu erzählen, mein Leben ist so aufregend. Weisst du," meint er dann, "wir Andinos sind eben ganz anders als ihr. Obwohl ich 37 Jahre alt bin, und hier in Aguas Calientes arbeite, wohne ich eigentlich immer noch bei meiner Mama in Lima. Das ist völlig normal so." Und dann lacht er: "Am Tage des Nationalstreiks hat mich meine Mama angerufen, sie wollte wissen, wie es mir geht, ob ihrem Hijo nichts passiert sei. So sind wir eben, wir Andinos."

Mein kleiner Fruchtsalat

Mein kleiner Fruchtsalat

Inzwischen ist mein kleiner Fruchtsalat eingetroffen. Scheint eine Hauptmahlzeit zu sein. Den Kaffee lasse ich weg, hab heute keine Lust auf Filterkaffee. Und ausserdem ist es höchste Zeit, ins Internet zu gehen. Nachsehen, ob jemand an meinen Geburtstag gedacht hat. Es hält sich in bescheidenen Grenzen, jedenfalls für meine verwöhnten Vorstellungen. Ich bleibe fast zwei Stunden im Internet, passe wie die Katze vor dem Mauseloch, ob das nicht doch noch was käme, sozusagen in letzter Minute, denn in der Schweiz ist jetzt späterer Abend.

Vor der Kirche auf dem Dorfplatz

Vor der Kirche auf dem Dorfplatz

Irgendwann sehe ich ein, dass da nichts mehr kommt und etwas enttäuscht gehe ich zurück ins Hotel. Da drückt mir eines der Mädchen etwas wie einen Hotelprospekt in die Hand. Ich nehme ihn entgegen und werfe einen Blick hinein. HAPPY BIRTHDAY steht da in grossen Lettern. Die Überraschung ist gelungen und mein Tag irgendwie gerettet. Die beiden freuen sich schelmisch darüber und erklären mir darauf gerne den Weg zu den heissen Wassern.

Denn Aguas Calientes hat seinen Namen nicht von ungefähr. Allerdings liegen die Bäder am oberen Teil des Dorfes und nicht, wie ich heimlich gehofft hatte, unten, in der Nähe des Hotels. Also heisst das eine halbe Stunde hinauf wandern. Ganz langsam, und immer wieder stehen bleiben und in einem der kleinen Läden die Auswahl ansehen. Die Verkäufer scheinen heute auch etwas müde zu sein, denn ich werde nicht wie sonst üblich von jedem angehauen, etwas zu kaufen.

Der Weg zu den heissen Wassern

Der Weg zu den heissen Wassern

Ganz oben im Wald sind die Piscinas und da entspanne ich mich eine gute Stunde im heissen Wasser. Und als ich zurück ins Hotel komme, ruft Edison, mein morgiger Führer an und wir vereinbaren, dass er mich am morgen um halb sechs abholt, damit ich den Sonnenaufgang in Machu Picchu nicht verpasse. Ist das Leben nicht wunderbar? Und ausserdem: Eine Geburtstagsfeier kann man nachholen...

Entspannung pur

Entspannung pur

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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