Abenteuer Amazonas

Reisezeit: Januar 2020  |  von Beatrice Feldbauer

Eduardo VI

Acht Uhr in der Früh, Juan steht mit Christian vor dem Hotel und holt uns ab. Man müsse möglichst früh im Frachter einsteigen, um gute Plätze zu bekommen. Ein letztes Mal haben wir vorher noch den Pool genossen. Eveline war kurz nach Sonnenuntergang da, während ich zuerst den letzten Blogeintrag fertig stellen musste. Wer weiss, wann wir wieder Internet haben. Einfach noch einmal im Wasser liegen, ein paar Züge schwimmen, die letzten Tage Revue passieren lassen bevor wir mit dem Schiff einen neuen Abschnitt unserer Reise starten.

Im Hafen liegt dicker Schlamm, unglaublich, dass die Mototaxis da hinein fahren und vor allem, dass sie ohne durchdrehende Räder wieder heraus kommen. Etwas Gleichgewichtssinn braucht es schon, um über ein paar Bretter und Hölzer, die im Morast liegen, hinüber aufs Schiff zu kommen. Zwei Stockwerke hat es und es wird noch beladen.

Zwischen die Träger, die schwere Keramikplatten auf dem Deck stapeln, gelangen wir in den zweiten Stock, wo sich schon ein paar Passagiere eingefunden haben. Juan und Christian bringen unser Gepäck an Bord und helfen uns dann die Hängematten aufzuhängen. Schön beieinander beziehen wir unsere Freiluftsuite mit Aussicht. Für’s Gepäck haben wir eine Kabine gebucht und Peter wird kurzfristig zum „Chefe de Camarote“ mit Schlüsselposition bestimmt. Ab jetzt muss man sich bei ihm melden, wenn man etwas aus der Kabine will. Etwas zum Naschen, Früchte oder Wasser.

Dass man in der Kabine übernachten könnte, steht ausser Diskussion. Es gibt zwei Pritschen übereinander und auf einer liegt eine Matratze, die aussieht, als ob sie bereits zweimal durch den Schlamm gezogen worden wäre. Bestimmt hatte sie früher eine andere Farbe, bevor sie ganz schwarz war. Immerhin gibt es drei Steckdosen und es könnte sein, dass es Strom gibt, sobald das Schiff losfährt so dass unsere Handys und Kameras immer genügend Energie für alle neuen Eindrücke haben.

Abschied von Juan und Christian

Abschied von Juan und Christian

Unsere Doppelsuite

Unsere Doppelsuite

Bald sind wir eingerichtet, es kann losgehen. Das jedenfalls ist unsere Sicht, es wird Mittag und noch immer wird das Schiff beladen. Ein ganzer Lastwagen voller Wasserrohre ist angekommen und die Arbeiter bringen die langen Teile an Bord. Auf dem Dach werden sie gelagert und als es dort keinen Platz mehr hat, werden sie kurzerhand über die Reeling auf das untere Passagierdeck hinein gehievt. Die paar Leute, die dort ihre Hängematte hatten, müssen diese verschieben. Das ist schliesslich ein Frachter, kein Passagierschiff. Auch auf unserem Stock werden ein paar riesige Pakete gelagert. Beim Eingang liegen Haufen von Bananen und Orangen, unverpackt. Damit sie nicht über das ganze Deck rollen, wird ein Verschlag aus Holz gebaut. Spontan und unkompliziert und schon bald kann man von den Früchten gar nichts mehr sehen.

Der Strom der Waren reisst nicht ab. Nachdem der erste Lastwagen mit den Wasserrohren abgeladen ist, kommt ein zweiter. Auch dieser wird komplett entladen. Auf dem Deck liegen bereits lange Eisenträger und darauf sind Pflanzen und ein Mototaxi deponiert.

Für uns gibt es viel zu staunen und zu entdecken. Nebenan fährt ein anderer Frachter los. Seine Ladung besteht aus einem riesigen Hühnerstall. Das ganze Oberdeck ist eingestreut und von hunderten von Hühnern in Beschlag genommen. Auf dem freien Platz gibt es neben anderen Waren auch einen kleinen Schweinepferch wo ein paar Dutzend Schweine einquartiert sind.
Der Frachtraum unseres Schiffes enthält vor allem Getränke. Alles was Iquitos braucht, wird über den Fluss transportiert, hier können wir das sehr deutlich sehen.

Hühnerstall...

Hühnerstall...

... und Schweinepferch per Schiff unterwegs

... und Schweinepferch per Schiff unterwegs

Uns fehlen immer noch die Bananen und eigentlich hätten wir noch Zeit, in Yurimaguas einzukaufen. Ein Versuch ist es wert, ich sende eine Mitteilung an Juan. „Hast du Zeit, kannst du zum Hafen kommen?“ Er hat, und 10 Minuten später steht er mit Christian auf Deck.

Die anderen fahren für eine kurze Einkaufstour zurück in die Stadt, während ich auf dem Schiff bleibe. Es scheint mir besser, aufzupassen, dass niemand seine Hängematte zwischen unsere hängt, denn noch immer kommen einzelne Passagiere an Bord. Frauen mit kleinen Kindern, ganze Familien, ein paar Traveler. Um vier oder fünf Uhr soll das Schiff losfahren, doch die Zeit vergeht, es tut sich nichts. Inzwischen geht die Sonne unter, verschwindet diskret hinter den Wolken, es wird dunkel. Und immer noch kommen Lastwagen und Mototaxis an, bringen Waren oder Leute. Längst sind die anderen zurück und vom Administrator erfahre ich, dass wir zwar um vier fahren werden, aber eben nicht am Nachmittag, sondern am frühen Morgen. „Das Wasser ist tagsüber zu niedrig, über Nacht steigt es, so dass wir am Morgen fahren können“.

Wir sind nicht die einzigen Gäste in der Kneipe, die Arbeiter ruhen sich vom strengen Tagwerk aus.

Wir sind nicht die einzigen Gäste in der Kneipe, die Arbeiter ruhen sich vom strengen Tagwerk aus.

Also benutzen Peter, Eveline und ich die Gelegenheit und gehen auf ein Bier von Bord. Der Bretterverschlag, mitten im Schlamm entpuppt sich als Kneipe mit Verkaufsladen. Rita fährt inzwischen mit Johann, einem Peruaner, der mit seiner russischen Frau und den beiden Mädchen reist, noch einmal in den Ort. Sie brauchen Matratzen, trauen sich nicht zu, die ganze Nacht in der Hängematte zu verbringen.
Irgendwann sind wir alle zurück an Bord, beziehen die Hängematten und versuchen zu schlafen. Auf dem Deck ist es unruhig, Leute gehen herum, gehen auf Entdeckungsreise, zur Toilette auf dem unteren Deck, suchen den Schlaf.

Ich muss trotzdem bald eingeschlafen sein. Als ich erwache ist es vier Uhr vorbei, ich glaube nicht, dass wir uns bereits bewegen. Ich versuche mich umzudrehen, weiter zu schlafen. Eine Stunde später werde ich von lautem Rufen geweckt. Die Männer machen Aufstand. Ich höre etwas von ‚vier Uhr vorbei‘, ‚Vamos, vamos. Warum fahren wir nicht?‘ Die Rufe werden immer lauter, es scheint den Männern ernst zu sein. Ich drehe mich auf die andere Seite. Erst mit dem ersten Licht des Morgens, kurz vor sechs Uhr erschüttert ein Dröhnen das Schiff, der Motor ist zum Leben erwacht, wir legen ab.

Nach einem kurzen Blick auf den entschwindenden Hafen kehre ich zurück zu meiner gemütlichen Hängematte. Nirgendwo kann man so gut abhängen wie in einer Hängematte. Durchhängen, nichts tun, ja nicht einmal etwas denken, einfach sein. Ein wenig plaudern, meinen Krimi zu Ende lesen, fotografieren und versuchen all diese fremden Einflüsse in mich aufzunehmen.

Lustig ist es, den Kindern zuzusehen. Sie spielen miteinander. Improvisierte Spiele: Ein Rennen auf dem Gang vor den Kabinen. Auf den Knien, mit Schubkarre. Gewonnen! Sie jauchzen und lachen. Andere machen Verstecken. Eines zählt mit verschlossenen Augen bis zehn während das andere über das Deck davon rennt. Allerdings kann man seine Schritte so gut hören, dass es sofort vom Suchenden eingeholt wird und dann tanzen die beiden eine Runde zusammen. Drei kleine Mädchen staksen über das Deck, als Ente, als Löwe oder als Küken. Piep, piep, piep, oder knurrend wie ein Löwe. Und dann lachen sie wieder eine Runde zusammen, weil das Spiel einfach zu lustig ist. Eine Familie spielt Mensch ärgere dich nicht, in anderen Hängematten werden Karten gespielt. Oder gedöst, Babys gestillt, geplaudert.

Es ist eine friedliche Gesellschaft und wir gehören, zusammen mit ein paar anderen Ausländern einfach dazu. Sind aufgenommen, eingeladen, einen kurzen Teil unserer Zeit mit den Menschen hier zu verbringen. Wir sind Teil dieses Lebens, dieser Gesellschaft, die zusammen auf dem grossen Fluss fährt. Die meisten werden wohl nach Iquitos fahren, ein paar steigen schon bald wieder aus.

Zum Beispiel in Lagunas, einem kleinen Dörfchen, wo ein paar Waren ausgeladen werden. Sofort wird das Schiff von Verkäuferinnen geentert. Früchte werden angeboten, Popcorn, süsse Erdnüsse und vieles mehr. Leider haben wir es verpasst, gleich beim Anlegen von Bord zu gehen, der Aufenthalt hätte genügt, um eine Toilette zu suchen, denn die auf dem Schiff sind sehr schnell fast unbrauchbar. Zwar werden sie immer wieder mal geputzt, aber sie sind doch jenseits von unseren Vorstellungen und wir brauchen ziemlich viel Überwindung, bis wir hin gehen. Doch eigentlich ist das nur ein Detail.

Zum Mittagessen gibt es Hühnchen mit Reis und zum Nachtessen Reis mit Hühnchen. Am Vormittag waren die Hühner noch zusammengepfercht in einem Bretterverschlag unter der Treppe im Unterdeck. Zum Frühstück wird eine Hafersuppe mit Zimt verteilt. Zusammen mit einem kleinen Brötchen. Die Köchin klopft dann mit dem grossen Messer ans Gitter bei der Kombüse und schon stehen die Passagiere Schlange, strecken ihr Geschirr und den Passagierschein durch das Gitter und erhalten eine grosse Portion Essen. Tische oder Stühle gibt es keine, einzig eine Bank entlang der Reeling und die Hängematte.

Am Abend ist es heute ruhiger, wir sind unterwegs, die Unruhe hat sich gelegt. Natürlich läuft noch immer jemand herum, geht zur Toilette, trampt auf dem Weg dahin über das bombierte Blech auf dem Boden. Genau dort wo es jedes Mal einen Knall gibt, wenn man darauf tritt. Oder man wird in der Hängematte gestupst, weil jemand sich zwischen den Schlafenden durchdrängt. Ich kann das wegstecken, lasse mich davon nicht stören und schlafe mit kurzen Unterbrechungen recht gut.

Bevor ich aber endgültig ins Reich der Träume tauche, ertönt vom Vorderdeck eine eigenartige Melodie. Zuerst sind es nur ein paar mühsam ausgestossene Laute, dann wechselt es zu einer monotonen rollenden Melodie. Allan, der Kolumbianer, hat sein Didgeridoo hervorgeholt und wiegt uns in den Schlaf. Wunderbar.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nach vier Jahren kehre ich zurück nach Iquitos, wo ich mit Hilfe von Einheimischen eine Lodge geführt habe. Ich werde Freunde besuchen und freue mich auf neue Begegnungen.
Details:
Aufbruch: 04.01.2020
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 31.01.2020
Reiseziele: Peru
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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