Canal du Midi westwärts bis zum Scheitel

Reisezeit: Mai / Juni 2002  |  von Manfred Sürig

Zwei frisch gebackene Pensionäre wollen den Ruhestand testen. Auf eigenem Kiel vom Rhonedelta aus nach Westen. Obwohl Segelboot, bleibt der Mast gelegt und man benutzt die Kanäle; bei dem immer wieder auftretenden Mistral eine gute Vorsichtsmaßnahme.

Slipvorbereitungen

Den Canal du Midi in Südfrankreich zu befahren - ein verlockendes Angebot.

Horst hatte seine ETAP 28 "KNURRHAHN" im Oktober 2001 in Port St. Louis an der Rhonemündung ins Winterlager gegeben. Jetzt, am 10.5.2002, sollte das Boot aus dem Winterschlaf geholt werden. Danach wäre dann noch Gelegenheit, etwa 3 bis 4 Wochen zu segeln - Ziel Korsika oder Elba und zurück oder unter Motor und mit gelegtem Mast einen französischen Kanal zu erkunden, der zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt - der Canal du Midi. Anfang Mai träumt man in unseren Breiten vom Frühling in der Provence, was uns dazu hätte verleiten können, die Cote d'Azur entlangzusegeln und dabei zu verdrängen, dass der Golfe du Lion davorliegt. Wiederholt hatte ich in den Seewetterberichten auch schon mal nebenbei die Vorhersagen für das westliche Mittelmeer mitgehört und gestaunt, was da häufig für Windstärken im Golfe du Lion angesagt wurden: Nordwest 9, Böen 10 bis 11, immer dann, wenn der Mistral das Rhonetal hinabfegt. Da war es einfach zu riskant, in einem begrenzten Zeitraum sich eine relativ weite Reise nach Elba oder Korsika und zurück vorzunehmen. Unterwegs zum Canal du Midi hat es sich wiederholt bestätigt, dass der Kanal die richtige Entscheidung war, selten habe ich in einem Urlaub so viel Wind erlebt.
Wir finden das Boot unversehrt, sauber aufgebockt und in der erreichbaren Nähe eines Stromanschlusses vor, in einem endlosen Werftgelände in der noch endloseren Ebene der Camargue. Von Romantiik keine Spur. Industriegebiet oder solches, das es noch werden soll, durchzogen von Straßen und Kanälen, vom nächsten Ort 3 km entfernt. Wie gut, dass Horst zwei Klappräder an Bord hat, noch besser aber, dass der Hafenmeister der Marina ein paar Mietwagen bereithält für "kurze" Besorgungen. Immerhin sind die Temperaturen erträglich, die Sonne scheint, zwischendurch ein paar Wolken - das richtige Wetter, um am Boot zu arbeiten. Horst arbeitet die Checklisten im Außenbereich ab, ich checke die Elektrik durch, die ich ja zuletzt im Jahr 1996 erweitert hatte. Das Boot ist vollgepackt wie für eine Weltumsegelung; um eine Leitung freizulegen oder um in eine Backskiste hineinzukriechen, muß zunächst umgeräumt werden. Horst fällt die Aufgabe zu, hinterher wieder zu verstauen, weil nur er weiß, wo was hingehört.

Den Autohelm bringe ich nicht zum Laufen, weil die Verpolung nirgends beschrieben oder markiert ist. Zwei Möglichkeiten gibt es, beide werden ausprobiert, beide laufen nicht. Da bin ich mit meinem Latein am Ende, die Zuleitung ist in Ordnung, also kann nur der Autohelm kaput sein. Die nächste Service-Station ist in Martigues, 34 km entfernt. Wir fahren dorthin, aber auch dort kann man uns nicht weiterhelfen, das Gerät soll nach Paris eingeschickt werden. In ein paar Tagen soll es an eine Marina auf unserer geplanten Route zurückgeschickt werden. Nicht einmal die Möglichkeit, es einmal an eine intakte Steckdose anzuschließen, hat man im autorisierten Servicebetrieb, ein Trauerspiel.
Horst kommt mit seinen Außenarbeiten besser voran, ich bekämpfe meinen Frust mit Einkäufen und Essensvorbereitung. Einmal kaufe ich an einer Reinigungsanlage für Miesmuscheln den Restbestand vor Geschäftsschluß auf, und nun beginnen wir zu überlegen, wie man Miesmuscheln zubereiten könnte. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nur für die Müllentsorgung ist ein erhöhter Aufwand erforderlich. Später stellen wir immer wieder fest, dass ich in Port St. Louis wohl das Muschelschnäppchen meines Lebens gemacht hatte, so frisch und so preiswert bekommen wir sie nie wieder angeboten. Provianteinkäufe müssen bei den Entfernungen sorgfältig geplant werden. Den Sliptermin müssen wir vereinbaren, bevor die Invasion der vielen anderen Yachties zu Pfingsten einsetzt. Und die abendliche Mückenplage treibt uns auch noch an, möglichst bald hier wegzukommen.
Wären da nicht noch zwei Koffer voller Klamotten, die Horst per UPS nach Port St. Louis aufgegeben hatte und die immer noch nicht eingetroffen sind. Der Sliptermin rückt heran, KNURRHAHN ist auch gerade noch rechtzeitig fertig, pünktlich am Donnerstagmittag um 15 Uhr kommt der Travellift, um uns durch die riesige Trockenmarina bis zum Kanalufer zu bringen. Der Service beim Slippen ist so perfekt, wie ich ihn selten erlebt habe. KNURRHAHN schwimmt, ist dicht und der Motor springt sofort an. Wir wollen gerade durchstarten, da werden wir noch mal zurückgerufen. UPS ist da und liefert zwei riesige Koffer, die wir im Vorschiff verstauen. Nun ist der Kahn so voll, dass der Wasserpaß nicht mehr zu sehen ist und vorn auch bestimmt niemand mehr schlafen könnte. Es könnte losgehen.

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 10.05.2002
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 07.06.2002
Reiseziele: Frankreich
Andorra
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.