Bootsüberführung von Holland nach Portugal

Reisezeit: Juni / Juli 1996  |  von Manfred Sürig

Bei Flaute im Ärmelkanal

Motorprobleme und weiter Flaute....

Querab von Dieppe können wir uns weitere Hochrechnungen sparen.

Der Motor läuft hörbar ungleichmäßig, womit auch der letzte Langschläfer aus dem Schlaf geschreckt wird, und dann herrscht Ruhe. 10 Liter Diesel nachtanken bringt ihn auch nicht zum Laufen, nichts geht mehr. Eine gute Stunde treiben wir quer, dann kommt eine leichte Brise aus West auf. Cherbourg ist so nicht zu erreichen, also liegen wir erst einmal auf Nordwestkurs an und sehen auf den Übersegler.

Wenn der Wind so durchsteht, könnten wir theoretisch die Isle of Wight ansteuern. Aber dazwischen liegen 6 Stunden Flutstrom. Jeden neuen Wetterbericht versuchen wir zu bekommen.
Immer dasselbe: Leichte Winde wechselnder Richtung, hauptsächlich zwischen Süd und Ost. Es könnte schlimmer sein. Gegen Mittag, als der Ebbstrom einsetzt, können wir sogar schön mit halbem Wind segeln.

Sogar Hochrechnungen werden schon wieder angestellt. Portsmouth wäre heute noch zu schaffen. Aber wie ist der Strom im Solent ?

Spielend erreichen wir die Ansteuerung von Osten, fast kein Strom, die Sonne scheint, was wollen wir noch ? Gegen 20 Uhr wieder Flaute, es geht nichts mehr. Schlimmer noch: Wir liegen zwischen zwei befahrenen Schiffahrtswegen, können hier nicht ankern, können aber auch nicht rüber.
Wohin könnte man mit dem letzten Windhauch jetzt am ehesten kommen ? Das Nordostufer der Isle of Wight scheint die einzige Möglichkeit zu sein, mit leichtem SSO können wir anliegen, aber nur, wenn wir gerade mal nicht versetzt werden.

Voraus entdecken wir zwei große gelbe Muringtonnen, lt. Seekarte auf 12 Meter Wassertiefe. Der Wind meint es gut mit uns, der erste Aufschießer an der Tonne 2 geht daneben, erst beim zweiten Anlauf klappt es. Vorsichtshalber legen wir die Festmachleine auf Slip, damit wir im Notfall wegkommen, ohne an die Riesentonne noch mal heranzumüssen.

Dann findet ein opulentes Abendessen, das erste gemeinsame statt, schließlich sind wir das erste Mal seit Scheveningen fest! Schon während des Essens brist es auf, ausgerechnet aus Südost, der einzigen Windrichtung, bei der wir hier auf Legerwall liegen.
Mit vollem Bauch schläft man eh schon schlecht, aber wenn man sich mit beiden Händen in der Koje festhalten muß, wird gar nichts draus.

Es grenzt schon an ein Wunder, daß keiner seekrank wird. Jörn hat sich auf der Vorderkoje so zwischen Segeln verkeilt, daß er sogar schlummern kann, bis uns gegen 5.30 Uhr ein gewaltiger Rums hochreißt. Kollision mit der Tonne!
Die Festmachleine liegt unterm Kiel und wir treiben schon wieder breitseits auf die Tonne zu! Erst mal eine Leine los und vorsichtig rückwärts weg. Aber wie geht das ohne Motor ? Der Bootshaken an Deck muß es aushalten, im übrigen haben wir dicke Fender.
Und tatsächlich, den nächsten Crash kriegen die Fender ab, ohne daß einer von uns über Bord fällt. Dann die Leine einholen! Hängt sie nun an der Tonne und am Kiel oder nicht ?
Endlos langsam sacken wir achteraus, den Schwell genau von der Seite, und sehen, wie die Leine aus dem Auge der Tonne rutscht. Ich hole die Leine an Bord und anschließend die Fock hoch. Nichts wie weg hier! Ziemlich unklar rauschen wir raumschots erst einmal auf die Festlandküste zu, bis wir Landmarken eindeutig identifizieren und "vernünftig" Kurs halten können.
Terrestrische Navigation ist plötzlich gefragt, weil wir gar keine Zeit haben, Wegepunkte einzugeben oder unsere Position an Hand der GPS-Angabe in die Karte einzutragen. Gut, daß wir neben den IMRAY-Karten auch noch die uralten BA-Karten in großem Maßstab haben.

So kommen wir gegen strammen Ebbstrom gut nach Portsmouth zur Gosport Marina unterhalb von Camper & Nicolsons. Das Anlegemanöver meistert Jörn zentimetergenau unter Segeln.

Dann lernen wir den Service englischer Marinas kennen: Man schleppt uns an einen freien Platz und fragt dann nach unserem Tiefgang, zeigt uns, wo die Duschen sind (included in 23 Pfund Hafengeld für 2 Tage), Motorservice ist auch dort, Telefonzelle und Tankstelle. Na denn. Nach dem Duschen kennt unsere Unternehmungslust kaum Grenzen, Jörn holt den Motorservice, ich gehe mit unseren Kanistern tanken. Traumhaft: Der Liter Diesel für 26 Pence(= 61 Pfennig). Motordiagnose: Luft in der Kraftstoffleitung. Der griechische Monteur läßt sie mit wenigen geübten Griffen ab, läßt den Motor an und geht siegesbewußt wieder von Bord.

Wir versuchen nachzuvollziehen, wie der Mann dieses Wunder so schnell vollbracht hat, während wir versucht haben, ihm über die Schulter zu schauen. So ungefähr 5 Ventile hat er geöffnet, aber in welcher Reihenfolge? Und warum mal mit Kompression und mal ohne? Hauptsache, der Motor tuts wieder! Die Freude ist so groß, daß wir den Dauerregen noch gar nicht wahrgenommen haben.

Wieder einstauen, Einkaufen, noch mal genüßlich Duschen, füllen den Rest des Tages aus. Gegen abend wollen wir uns noch einmal das schöne Geräusch des laufenden Motors anhören und versuchen, ihn anzulassen. Er läuft - bis er nach einer halben Minute verreckt. Wieder holen wir den Griechen, aber diesmal soll er uns zeigen, wie man Wunder vollbringt, damit wir Gleiches vollbringen können. Das Schauglas des Dieselfilters in der Backskiste enthält Luft. Der Meister umwickelt dessen Gewinde mit Teflonband und schraubt es vorsichtig drauf, dann wieder die schnellen Handgriffe des Entlüftens, und schon läuft er wieder. Er gibt uns für spätere Fälle das restliche Teflonband mit und zeigt uns diesmal genau die Reihenfolge seiner Entlüftungshandgriffe.

Jürgen Frappier hat alles am besten verstanden, er wird künftig unseren Motor anlassen.
Mit einer weiteren nagelneuen Karte des Solent ausgestattet, starten wir am Donnerstagmittag mit Ziel Weymouth. Nach einer Stunde bleibt der Wind schon wieder weg, der Regen hält sich in Grenzen, die Sicht bleibt mies. Aber der Ebbstrom und unser Motor zieht uns zwischen den Needles und den Shingles mit 9 Knoten durch.

Gut, daß wir hier nicht bei SW 6 durchmüssen!

Draußen die übliche Routine: Motor im Dauerbetrieb, Hochrechnungen an Hand des GPS, die bis zum Stromkentern sogar zutreffen. Nachts steuere ich dann wieder durch eine Zone, in der in der Seekarte "Shoals" steht, also Kabbelwasser und Brandung.

Wir stehen nur stundenlang gegen den Flutstrom auf der Stelle, als wenn man ein Wehr aufwärts fährt. Irgendwann scheinen wir oben zu sein und steuern Zielfahrt auf die Ansteuerungstonne von Weymouth. Obwohl man gegen 2 Uhr nachts die Mole und den Hafen genau erkennen kann, finden wir keine Ansteuerungstonne.
Ich verlasse mich allein aufs GPS und meine Augen und auf mein Glück, denn außer auf der Karte gibts die Tonne nicht.

Wir legen uns vorsichtig bei einer noch kleineren Yacht längsseit und legen uns schlafen.
Unsanft werden wir geweckt, der Hafenmeister kassiert hier stundenweise vom Schlauchboot aus, er weiß viel genauer, wann wir eingelaufen sind als wir selber. Obwohl der Hafen sicher sehenswert ist und am Morgen richtig was los ist (mit Salutschüssen werden zwei historisch aufgepeppte Schaluppen im Hafen begrüßt, BBC filmt das Ganze), nutzen wir die Zeit mit Bunkern und Einkaufen, um bei Hochwasser wieder auszulaufen.

Der Seewetterbericht hat nicht mehr zu bieten als das, was wir schon haben: Flaute. Aber mit Ebbstrom und gelegentlichen "Fallböen" (= weil sie von Fall zu Fall vorkommen) bleiben die Segel wenigstens bis Bill of Portland oben. Aber nur unter Motor können wir den mitlaufenden Strom auch nutzen, wenn wir noch den River Dart erreichen wollen. Diesel ist ja auch so billig, warum nicht ?

Petrus läßt den Wind dann ganz weg, an Bord die übliche Routine: GPS-Zielfahrt.

Hochrechnungen über die vermutliche Ankunftszeit. Und BBC hatte so schönen Nordwest vorausgesagt, allerdings erst für "later"....

Gegen 21 Uhr reißt der Himmel auf, die Sicht bessert sich, und wir bekommen einen handigen Nordwestwind, gerade richtig, um Dart als Ziel fallen zu lassen und die Bucht von Plymouth gleich mit zu überqueren, auch wenn es in die Nacht geht.
Bei so schönem Wind, zumal wir hoch anliegen, tuts auch die Windsteueranlage und der Windgenerator beschert uns ein nie gekanntes Geräusch zum Einschlafen, wenn man nicht Wache hat. Die Wache versucht, am Kurs zu manipulieren, schließlich liegen wir unnötig hoch an, man könnte doch abfallen und noch etwas schneller werden.

Das soll man aber im Dunkeln mit dem Windpiloten erst mal auf die Reihe bringen. Am Ende klappt's, aber das Boot hält zielgenau auf Eddystone Rocks zu, bis zur letzten Minute bleibt unklar, ob wir bei Sonnenaufgang nördlich oder südlich passieren werden oder der Crash verhindert werden muß. Den Ausschlag gibt ein kräftiger seitlicher Strom, den wir aber erst nach dem Passieren erkennen. Man soll doch ab und zu dem Nigger seinen Willen lassen!

Im Morgengrauen können wir Falmouth voraus ausmachen und unsere Ankunft für 14 Uhr hochrechnen, bei einem Schnitt von gut 7 Knoten. Natürlich schläft der Wind vorher wieder ein, der Jockel muß an, er bringt uns verläßlich zur Falmouth Marina, wo wir am Rezeptionsponton einklarieren, unseren Platz zugeteilt bekommen, aber mit eigener Kraft in eine freie Box fahren müssen. Mit Motor ein Kinderspiel...

Wir haben einen Ruhetag verdient, und weil ohnehin morgen Sonntag ist, werden wir einen Landausflug nach St. Mawes und zu der südlich davon liegenden Halbinsel machen. Vom Fährboot und von den Anhöhen aus gewinnen wir einen schönen Einblick in die landschaftlichen Schönheiten von Cornwall und insbesondere in die mittelmeerähnliche Vegetation.

Der Rückweg an einem Creek der St. Mawes-Bucht zum Schlauchbootfähranleger ist ein Höhepunkt dieses Tages ebenso wie der Besuch in einem überfüllten Pub in der "City", in dem die gesamte Kommunikation im Stehen stattfindet. Dreimaliges Duschen am Tag ist ein Luxus, den wir auf See nicht genießen können. All inclusive for 29 Pounds per day.

Das Einkaufen am Montagmorgen wird Streß.
Wir brauchen dringend einen weiteren Reservekanister, um bei so viel Flaute über die Biskaya motoren zu können. Auf verschiedenen Fischerbooten haben wir welche gesehen, eine deutsche Hallbergrassy hat ein ganzes Sortiment an Deck, sogar an einer Bootstankstelle liegen sie stapelweise, aber nur, um vorbestellten Diesel für die Fischer darin abzufüllen. Viele Tips werden uns gegeben, wo wirs versuchen könnten, alles vergebens.
Zuletzt durchstreifen Jörn und ich ein Sears Kaufhaus, in dem soviel Unordnung herrscht, daß wir Tips vom Personal benötigen, die sich aber alle als Blindgänger erweisen. In der Gartenabteilung entdecke ich zum Schluß reihenweise volle Vier-Liter Petroleumkanister mit ESSO BLUE oder Gleichwertigem, pro Stück inclusive Verpackung für 1,95 Pfund (=DM 4,60). Ich raffe 12 Stück davon zusammen, erkläre dem Kassierer, daß ich für 1,15 DM pro Liter auch mit Petroleum fahren könnte, wenn das Haus sich außerstande sieht, unsere Kundenwünsche zu erfüllen. Wortlos tippt er zwölfmal 1,95 in die Maschine und kassiert, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.

Es zeigt sich, daß trotz des geringen spezifischen Gewichts von Petroleum 48 Liter in 12 Kanistern von zwei Händen nicht zu transportieren sind. Also kaufe ich einen prallgelben Tragegurt dazu und schleppe mich mit letzten Kräften auf den Steg, wo die Hafenmeisterin schon das Hafengeld für die erste Stunde Liegen kassieren will.
Trotz des Kopfschüttelns der Mannschaft verstaue ich das Zeugs in allen Lücken unserer Backskisten. Später fällt uns allen ein, daß niemand die Szene im Bild festgehalten hat. Aber Treibstoff haben wir jetzt genug, wir werden nur richtig mischen müssen.

Da das kleckerfreie Nachtanken für die übrige Mannschaft eine der liebsten Beschäftigungen ist, habe ich eine herausfordernde Abwechslung in dieses Spielchen gebracht. Das Motoren fängt an, Spaß zu machen, und die Routine unterscheidet sich nun nur im Kurs: 179 Grad, Hochrechnungen für Camaret sur Mer in der Bretagne. Ankunft dort morgen mittag oder abend, Nachtanken nicht öfter als alle 8 bis 12 Stunden.
Die Tide macht es möglich, hinter (östlich) Ile d'Uessant langzulaufen, zwei Einsteuerungen, die bei Südwestwind oder Nordwind jeden Segler das Fürchten lehren würden. Wir machen's bei Sonne und leichter Flaute von achtern, nur die Tonnen sind noch abzuhaken. Frankreich empfängt uns mit Ferienwetter, aber hier hat die Urlauberinvasion noch nicht begonnen. Reichlich Platz am Schwimmsteg und herrliches klares Wasser. Ich rede schon vom Bad morgen vor dem Frühstück, aber keiner will mich ernst nehmen.

Zunächst genießen wir französisches Flair bei italienischem Eis, zu dem und Jürgen großzügig einlädt. Der übrige Landgang ist ernüchternd: Es stinkt auf den Aborten, die im übrigen eine sehr beschränkte Geschäftszeit haben, auch für kleine und große Geschäfte. So kommt es bei mir zwangsläufig zum Bad vorm Frühstück.

Dabei entdecke ich ein langes Netz in unserer Schraube, von dem ich nur die erste Hälfte zum großen Erstaunen der Mannschaft an Land ziehen kann, der Rest sitzt bombenfest. Wir erwägen schon, den Kahn bei Hochwasser trockenfallen zu lassen, um den Propeller davon zu befreien, nirgendwo sonst werden wir wieder so hohen Tidenhub antreffen. Aber es würde uns einen vollen Tag Zeit kosten, von den Risiken gar nicht zu reden. Jürgen entdeckt einen Taucher im Neoprenanzug, spielt seinen Charme und seine Französischkenntnisse aus, und schon werden wir das Netz elegant gegen ein paar Flaschen Becks los.

Und da wir endlich einen französischen 25-Liter Kanister erstanden haben (163 FF leer), tanken wir uns voll bis Oberkante Unterlippe, um ab 12 Uhr in die Biskaya zu starten.

© Manfred Sürig, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Der Eigner Horst möchte einhand über den Atlantik. Aber dazu muß das Boot erst in die richtige Startposition gebracht werden, nämlich nach Gran Canaria, wo er im Januar 1997 starten will. Für uns eine Herausforderung, den ersten Abschnitt mit dem KNURRHAHN, einer ETAP 28, soweit zu segeln, wie wir nach Süden kommen können.
Details:
Aufbruch: 18.06.1996
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 14.07.1996
Reiseziele: Niederlande
Frankreich
Spanien
Portugal
Marokko
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.