Mit dem Motorrad über den nahen Osten in den hohen Norden

Reisezeit: Juni / Juli 2012  |  von Dirk Wöhrmann

Hardangervidda- Strasse der Leiden

Man soll die Hoffnung, dass es trotz dichter Bewölkung in der Nacht nicht anfängt zu regnen, niemals aufgeben, vor allem, wenn man wegen später Ankunft gar keine andere Wahl hatte, als das Zelt aufzubauen.
Und tatsächlich, als ich am nächsten Morgen den Kopf aus dem Zelt stecke, hängen die Wolken zwar wieder tief, aber es hat nicht geregnet und das Zelt ist so gut wie trocken .
Ich packe mein Zeug zusammen und lege es schon mal raus, einpacken und Zelt abbauen kann warten, bis ich von der Toilette zurückkomme.
Kaum bin ich mit meinem Waschzeug auf dem Weg zur Toilette, begrüßt mich auch schon freudig der erste Regentropfen des Tages. Und dann der Zweite und dann der Dritte....Der Wettergott Thor scheint einen Narren an mir gefressen zu haben und findet das wohl witzig!
Ich jedenfalls nicht, ich schmeisse mein Waschzeug unter einen überdachten Vorbau, renne zurück, greife mir meine wenigen Habseligkeiten und Motorradklamotten, die vor dem Zelt liegen und bringe sie ebenfalls unter dem Vorbau in Sicherheit, baue das Zelt in Guinessbuch- Geschwindigkeit zusammen, packe es mitsamt Schlafsack und Isomatte schnell in die Koffer und denke bei einem Kakao, den ich noch im Vorrat hatte, unter dem Vorbau darüber nach, wie ich mich bei Thor dafür revangieren könnte. Ausserhalb des Vorbaus regnet es jetzt mittlerweile und mir fällt kopfschüttelnd nichts mehr dazu ein.
Zumindest wird mir mal wieder die Entscheidung abgenommen, ob ich mit oder ohne mein Michellinmännchen- Kostüm losfahren soll...
Das erste Etappenziel heute ist eine Stabkirche im dem Dörfchen Urnes.
Ihr Ursprung geht auf das Jahr 1100 zurück und sie kann somit als die älteste Stabkirche der Welt bezeichnet werden. Das heute noch erhaltene Gebäude stammt aus dem 12. und 13. Jahrhundert und gehört zum Unesco Weltkulturerbe.

Mittlerweile habe ich so viele Stätten und Landschaften des UNESCO Weltkulturerbes besucht, dass mich jetzt wirklich mal interessiert, was es eigentlich damit auf sich hat.
Vielleicht interessiert es Euch ja auch. Hier ein Auszug aus Wikipedia:
"Die UNESCO verleiht den Titel Welterbe (Weltkulturerbe und Weltnaturerbe) an Stätten, die sich aufgrund ihrer Einzigartigkeit und ihrer Authentizität dafür qualifizieren und die von den Staaten für diesen Titel vorgeschlagen werden. Die UNESCO verleiht diesen Titel im Rahmen der von über 185 Staaten ratifizierten Welterbekonvention von 1972. Damit nimmt die UNESCO diese Stätten in die Welterbeliste auf. Weitere Klassen sind das Weltdokumentenerbe (herausragende Dokumente der Menschheitsgeschichte) der UNESCO und das ebenfalls auf eine Konvention (von 2003) gestützte Immaterielle Welterbe (z. B. Tanz, Theater, Musik, mündliche Literatur, oder Handwerkstraditionen).
Insgesamt umfasste im Juli 2012 die UNESCO-Liste des Welterbes 961 Denkmäler in 157 Ländern. Leitidee der Welterbekonvention ist die "Erwägung, dass Teile des Kultur- oder Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen."
Wer mehr wissen möchte, das Internet und Wikipedia weiss alles darüber ...
Ich scheine recht früh da zu sein, denn als ich mit der Besichtigung fertig bin, kommt der "Küster" und hängt ein Schild auf, ab hier Besichtigung nur mit Ticket
Und weiter geht es auf schönen Strässchen, durch Fjorde und über Hochebenen...

Durch Zufall komme ich an Norwegens verwegendster Rutsche vorbei, die 100 m tief ins Tal geht...na, wer von Euch würde sich trauen ?

Und weiter geht´s...

Auf meinem weiteren Weg sehe ich immer wieder über der Strasse die rote Verkehrsinformation "Stengt".
Keine Ahnung, was dies bedeutet...
Vor mir liegt eine ca. 50 km lange, kleine Paßstrasse über eine Hochebene.
Bevor es richtig losgeht, sehe ich am Strassenrand drei Norweger Federball spielen und ich frage doch lieber einmal nach.
Die Strasse ist zwischendrin gesperrt, ein Felsblock ist irgendwo abgegangen und muss weggeräumt werden, sagt die Verkehrsmeldung. Aber um 16 Uhr soll die Strecke wieder geöffnet werden.
Hmm, das ist ja nur noch eine halbe Stunde, dann schon mal weiter bis zu der Stelle.
Nach ca. 8 km sehe ich vor einem Tunnel am Strassenrand ein paar Autos stehen und ein paar Leute machen Pause und essen etwas...Arbeiter vielleicht, denke ich mir...ich fahre an denen vorbei und sehe noch im letzten Moment oben am Tunnel eine rot blinkende Ampel und bremse scharf ab. Aha, keine Arbeiter, ab hier scheint wohl die Sperrung loszugehen...

..na das kleine Ding da oben kann ja wohl leicht übersehen ...

..na das kleine Ding da oben kann ja wohl leicht übersehen ...

Warten ist jetzt angesagt....

Warten ist jetzt angesagt....

Die Zeit vergeht, 16 Uhr...16.30...16.45...nix passiert, die Ampel bleibt rot, ich laufe ein wenig herum, schaue auf meiner Karte nach Alternativrouten, die Einzige würde aber einen Umweg von 150 km bedeuten, um zu der Stelle zu kommen, wo ich hin will.
Eigentlich will ich heute noch in die Nähe von Bergen kommen, aber nicht über den direkten Weg, das könnte ich noch locker bis Abends schaffen, sondern über die R7, die durch die Landschaft der Hardangervidda führt.
Mirko hat mir schon bei unserem ersten Treffen in Tromso von dem Abschnitt vorgeschwärmt, eine der schönsten Gegenden, die er bis jetzt in Norwegen besucht hatte.
Die ersten Autos drehen um, ich frage einen Norweger, ob es neue News gibt. Ja, da hätte einer bei der Verkehrsbehörde angerufen, es könnte noch Stunden dauern, bis der Tunnel wieder freigegeben wird.
Ohh, neeeeeeee....
Plötzlich höre ich Motorräder im Tunnel. Hoffnung keimt auf. Zwei Biker kommen aus dem Tunnel, die ich sofort erst einmal anhalte. Ob es möglich wäre, mit dem Motorrad am Stein vorbeizufahren, will ich natürlich wissen.
Die Beiden sind trotz roter Ampel einfach mal losgefahren, hatten aber wohl auch eine gute Ausrede, denn die brauchten sie beim grimmigen Tunnelarbeiter, um an dem vorbeizukommen. Ein Stein wäre nicht mehr zu sehen, aber die hätten wohl Bedenken, dass sich noch ein weiterer Brocken lösen könnte. Sie würden es an meiner Stelle nicht unbedingt versuchen.
Ein Typ in einem Landrover, der neben mir steht und mit seinem vielleicht 8- 10- jährigen Sohn unterwegs ist, spricht mich an, ob ich was Neues wüsste. James heisst er und wir kommen ins Gespräch. Total netter Kerl, 35 Jahre, Engländer aus Wales, der mit 21 Jahren "mal eben so" nach Schweden ausgewandert ist, weil es ihm nach einer Urlaubsreise dort so gut gefiel. Mittlerweile ist er mit einer Schwedin verheiratet und hat zwei Kinder. Mit Levi macht er nun einen Vater- Sohn- Urlaub und steht nun schon seit Stunden vor dem Tunnel. Ich erkläre ihm die Situation und wir fragen uns Beide....warten oder umdrehen und 150 km Umweg?
Ein Auto der Verkehrsbehörde kommt und spricht mit einem Einheimischen. Bevor er in den Tunnel hineinfährt, frage ich ihn, ob ich nicht mit dem Motorrad durchfahren könnte.
Geht leider nicht...noch eine Stunde warten...na ja, zumindest gibt es jetzt mal eine hoffentlich verlässliche Zeitansage...
Aber mit James und Levi wird es wenigstens nicht langweilig ...

Früher als erwartet wird der Tunnel dann nach weiteren 30 Minuten geöffnet, na ja, zumindest werden wir mit einem Pace Car abgeholt und Formel 1- mäßig durch den Tunnel geführt.

Nach dem Tunnel führt die Strasse über eine kleine Hochebene nach Geilo. Es hat wieder angefangen zu regnen oder soll ich besser sagen, Thor scheint gerade ziemlich böse zu sein und hat die Schleusen geöffnet. Mensch, ich habe ihm doch gar nichts getan ...
Geilo ist das Tor zur Hardangervidda.
Die Hardangervidda ist ein in Norwegen gelegenes Plateaufjell und die größte Hochebene Europas.
Sie hat eine Fläche von zirka 8.000 km² und im Mittel eine Höhe zwischen 1.200 m und 1.400 m.
Seit 1981 sind 3.422 km² der Hardangervidda - als größter Nationalpark Norwegens - weitestgehend vor menschlichen Einflüssen geschützt.
Von dieser beeindruckenden Landschaft sehe ich jedoch nicht viel.
Es hat noch stärker angefangen zu regnen, so dass ich noch nicht einmal mehr die Kamera herausholen kann, um das ein oder andere Foto zu schiessen. Je höher ich komme, desto kälter wird es, gefühlt ist die Schneefallgrenze gleich erreicht. Das Visier beschlägt, Regenkombi und Gore Tex- Innenfutter sind zumindest im Sitzbereich nicht mehr Herr der Lage und lassen mich im Feuchten sitzen. Es ist mittlerweile 19 Uhr, ich bin den ganzen Tag schon unterwegs und mittlerweile müde. Diese Art von Fahren im Regen strengt doch unheimlich an. Ich habe kein Bock mehr, die Hochebene scheint sich endlose Kilometer hinzuziehen und kein Lichtblick am Horizont.
Ich breche jetzt ab und frage bei der nächsten Unterkunft, die vereinzelt alle paar Kilometer wie Oasen am Wegesrand auftauchen, ob sie noch ein Plätzchen für mich haben, egal wo...
Die nächste Unterkunft kommt, ich fahre daran vorbei...die Nächste vielleicht, eine schaffe ich noch....
Und nach einer gefühlten Ewigkeit geht es dann wieder herunter von der Hochebene, es wird wärmer, der Regen lässt nach, die Lebensgeister kehren allmählich zurück, der Hintern bleibt aber naß.
Man, das war wirklich der härteste Abschnitt meiner Reise, super Tipp, Mirko ...

Im Augenwinkel sehe ich beim Vorbeifahren einen genialen Wasserfall und drehe um, um mir den mal genauer anzuschauen.
Am Parkplatz gibt es ein Schild:" Vorsicht, Absturzgefahr, auf kleine Kinder aufpassen!"..sonst nix.
Es ist sind sogar mehrere Wasserfälle, die in einem Kessel liegen.
Und oben gibt es eine Art Weg am Abgrund entlang, keine Absperrung, nichts...dort entlanzugehen und runterschauen erfolgt auf eigene Gefahr. Die Norweger sind da schmerzfrei, in den Alpen würde es so etwas an touristischen Punkten wie diesen hier ohne Absperrung nicht geben ...

..rechts an den Bäumen geht es dann lange Zeit abwärts...

..rechts an den Bäumen geht es dann lange Zeit abwärts...

So ganz ungefährlich scheint es aufgrund einiger Kreuze am Wegesrand wirklich nicht zu sein, zuletzt ist eine Frau aus Österreich vor fast genau einem Jahr dort abgestürzt.

Kurze Zeit später erreiche ich den Eidfjord, wo ich die letzte Hütte auf dem Campingplatz erwische...

Jetzt heisst es erst einmal trocknen...und mal wieder Diät halten, den aufgrund der Uhrzeit gibt es schon lange nichts mehr zu Essen ...

© Dirk Wöhrmann, 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mit dem Motorrad ans Nordkap über Tschechien, Polen, Russland, Litauen, Lettland, Estland, Russland, Finnland, Norwegen, Lofoten, Schweden, Dänemark
Details:
Aufbruch: 12.06.2012
Dauer: 7 Wochen
Heimkehr: 28.07.2012
Reiseziele: Deutschland
Tschechische Republik
Polen
Litauen
Lettland
Estland
Finnland
Norwegen
Der Autor
 
Dirk Wöhrmann berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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