Mit dem Motorrad über den nahen Osten in den hohen Norden

Reisezeit: Juni / Juli 2012  |  von Dirk Wöhrmann

Heimreise

In der Nacht hat es aufgehört zu regnen.
Das Zelt ist zwar nass, aber ich kann immerhin in Ruhe meine sieben Sachen zusammenpacken.
Heute werde ich Norwegen verlassen und nach Dänemark übersetzen.
Knapp 300 km gut ausgebaute Landstrasse liegen vor mir bis nach Kristiansand im Süden von Norwegen, wo es dann mit der kürzesten Fähre hinüber geht nach Hirtshals an der Nordspitze von Dänemark.
Jan hatte mir in Hovden bereits die Abfahrtszeiten für die Fähre herausgesucht.
Gestern Abend hatte ich jedoch auch selber noch einmal recherchiert und herausgefunden, dass es wohl zwei unterschiedliche Fähren gibt, eine um 15 Uhr und eine um 18.15 Uhr.
Wunderbar, somit ist es nicht ganz so schlimm, wenn ich für die erste Fähre nicht rechtzeitig in Kristiansand ankommen sollte.
Der Fährpreis für die drei Stunden Überfahrt liegt laut Internet bei ca. 50 €, das Ticket werde ich dann aber diesmal besser vor Ort kaufen.
Da ich gestern Abend auf dem Campingplatz nach meinem Preikestolen- Trip noch einen sehr guten Latte Macchiato bekommen hatte, beschliesse ich, diesem Vergnügen vor der Abfahrt ein letztes Mal in Norwegen zu frönen.
Hmm, hoffentlich fehlen mir am Ende nicht genau diese Minuten bei der Ankunft in Kristiansand.
Egal, so viel Zeit muss sein und auf die paar Minuten wird es schon nicht ankommen...
Die Bedienung ist heute eine Andere als gestern und somit frage ich sie, ob sie weiss, was ich mit einem Latte Macchiato meine, dieser steht nämlich nicht auf der Karte.
Ich erkläre es ihr also besser mal und bekomme als Resultat meiner Bemühungen (oder meines schlechten Englisch????) in einer Kaffetasse einen starken Kaffee mit ein wenig Miclschaum oben drauf.

Als ich sie frage, ob das jetzt ein LM oder ein Cappuccino ist, sagt sie mir, dies wäre ein Cappuccino. Aha, also nicht zugehört, junge Dame....
Ich erkläre Ihr also noch einmal in meinem besten Englisch und mit einem Lächeln, dass ein LM in einem Glas serviert wird wird und der Milchanteil bedeutend größer ist als bei einem Cappu.
Die Gläser wären aber nur für den Tee, ist die lapidare Antwort.
Ich gebe nicht auf und gebe in dieser jetzt doch langsam zähen und zeitraubenden Verhandlung zu Protokoll, dass ihre Kollegin gestern aber das Glas für einen LM zweckentfremdet hat.
Tja, SIE würde es aber nun mal anders machen!!!
Jetzt geht es ums Prinzip und ich bin mir sicher, ich hätte die blöde Kuh in die Knie gezwungen, aber ich wollte ja heute noch einmal von hier weg kommen.
Also nehme ich den Cappu, gehe auf die Terrasse, schütte sieben Löffel Zucker in die Tasse und trinke einen Schluck. Baaaah, so ein sußes Zeug kann man doch nicht trinken. Ich lasse den Cappu stehen und starte die Motoren.
Zumindest habe ich über diese Variante der Rache nachgedacht ...
Die Fahrt nach Kristiansand geht zügig voran und je weiter ich in den Süden von Norwegen komme, desto freundlicher wird das Wetter.
Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, ob mich Thor mit diesem schönen Wetter noch ein letztes Mal ärgern oder mir zum Abschied einen letzten Sonnengruß schicken will.
Meiner guten Laune zuliebe entscheide ich mich für die zweite Variante .
Um Punkt 15 Uhr komme ich in Kristiansand an, natürlich fehlen mir die Minuten vom Latte Macchiato- Debakel am Vormittag .
Ich gehe zum Ticketschalter und staune nicht schlecht, als ich wie beim Strassenverkehrsamt eine Nummer ziehen muss.

Fünf Ticket- Schalter gibt es, drei sind besetzt, an zweien wird gearbeitet und an einem davon sitzt ne ganz hübsche Mitarbeitern.
Wenigsten stehen die Chancen somit bei 50% statt bei 20%, dass meine Wartezeit wenigsten mit einem hübschen Anblick "belohnt" wird.
Ich habe keine Ahnung, ob norwegische Ticketschalter auch gleichzeitig Seelsorge sind, ich kann zumindest nicht verstehen, warum die Leute so lange für den Ticketkauf brauchen. Nach einer halben Stunde müsste jetzt gleich meine Nummer aufblinken. Die Chancen stehen ganz gut, dass ich zur "Hübschen" komme. Der Typ bei der Anderen hatte aber wohl in diesem Fall nur ein kurzes Aniiegen und "Blink"...meine Nummer leuchtet über ihrem Schalter auf.
Egal...Hauptsache, ich bin jetzt endlich mal dran..
"Ist noch ein Platz für eine Person mit Motorrad auf der nächsten Fähre um 18.15 Uhr frei?"
"Moment bitte, ich schaue nach......."
"Ja, da ist noch ein Platz frei."
"Na super, was kostet das Ticket?"
"Moment.....102 € + 25 € Servicepauschale, welche vor einem Monat für Buchungen am Ticketschalter eingeführt wurde."
Ich merke, wie sich mir die Nackenhaare hochstellen und in mir das Programm "Seid ihr IRRE????" startet...
"Wie bitte? Im Internet hat das Ticket gestern Abend noch 50 € gekostet und jetzt soll es 127 € kosten?
"Das kann schon sein, sie hätten Tagespreise und die können variieren..."
"Aber doch nicht um mehr als das Doppelte!!!!"
"Wollen Sie das Ticket nun haben?"
"Nein Danke, ich überlege es mir noch einmal...."
Ich gehe zum Parkplatz, ziehe mir erst einmal die Regenklamotten aus (ist ja tolles Wetter) und überlege, wo ich jetzt Wlan herbekomme.
Ich schwinge mich aufs Möppi und fahre in die Stadt.
An einem sehr einladenden Cafe halte ich an und frage, ob eine Internetverbindung zur Verfügung steht. Ich habe Glück und rufe die Online- Reservierungsseite der Fährlinie auf.
Ei gucke mal da, für 50 € ist die Überfahrt nach wie vor zu haben.
Ich buche das Ticket und freue mich, als als ob ich mit einem genialen Plan Fort Knox geknackt hätte .
Nur ausdrucken kann ich das Ticket nicht, also muss ich wohl doch noch mal zum Schalter...
Diesmal will ich extra NICHT zur Hübschen, sondern zu meiner Sparingspartnerin von eben.
Und diesmal habe ich sogar Glück...
"Hallo, ich schon wieder...es liegt jetzt eine Reservierung für mich vor..."
"Hmmm, welche Nummer?
"Buchungsnummer 4712-daguckstdu!, das Ticket müsste noch ausgedruckt werden..."
Ich warte nur darauf, dass sie jetzt für den Ausdruck des Tickets die 27 € Servicepauschale haben will....
"Oh, das müssen wir nicht ausdrücken, nennen sie einfach die Nummer bei der Einfahrt..."
"Aha..okay, ach übrigens, ich habe jetzt für das Ticket im Internet 50 € bezahlt !!!!
"Oh, das verstehe ich auch nicht, das werde ich mal an unsere Geschäftsleitung weitergeben..."
Ja, mach mal, denke ich, aber bitte erst, wenn ich in Dänemark angekommen bin ...
Dann mal auf zur Fähre...

Die Fähre hat leider eine Stunde Verspätung, hmm, die Ankunft in Dänemark wird dann aber ziemlich spät sein, mal sehen, wie weit ich da heute noch komme.
Nach der letzten Regennacht kommt mir bei dem schönen Wetter eine gute Idee, wie ich die Zeit bis zur Abfahrt sinnvoll nutzen kann ...

Gegen 19 Uhr geht es dann endlich auf die Superfähre...
Jetzt ist es tatsächlich soweit, sich von Norwegen zu verabschieden.
Ging jetzt irgendwie doch ziemlich schnell ...

Bye, bye Norwegen....

Bye, bye Norwegen....

Gegen 22.30 Uhr kommt die Fähre in der Abenddämmerung in Dänemark an.

Der Tank ist leer und ich fahre zur nächsten Tankstelle.
So ein Mist,
in Dänemark gibt es ja gar keinen Euro, dass hatte ich total verpennt. Aber kein Problem, auch in Dänemark wird meine Kreditkarte anstandslos akzeptiert.
In Dänemark gibt es nicht viel, was mich nach Norwegen jetzt noch interessiert, zu dicht besiedelt und zu flach.
Und Kopenhagen ist zu weit weg vom Schuss.
Ich beschliesse also, im Tiefflug die ca. 300 km durch dieses Land Richtung Deutschland zu düsen.
Aber das alles heute Nacht noch?
Neee, das muss nicht sein, der Tag war lang und eigentlich bin ich auch schon ziemlich müde.
Aber ein paar Kilometer dürfen es schon noch sein.
Vielleicht ergibt sich ja unterwegs noch eine nette Übernachtungsmöglichkeit.
Nach 100 km habe ich keine Lust mehr und fahre auf einen Rastplatz.
Hmm, wenn ich die Wohnmobile und LKW´s so sehe, die hier übernachten, frage ich mich, warum Möppi- Fahrer nicht das gleiche Recht haben sollen.
Wo liegt der Unterschied?
Ich baue also mein Zelt auf einer schönen Wiese auf dem Rastplatz auf ...

Ist zwar schon am Anfang ein komisches Gefühl, in einem Zelt auf einem Rastplatz zu übernachten, aber man gewöhnt sich recht schnell an die vielen Geräusche und schon bald befinde ich mich in meiner ersten REM- Phase .
Gegen 8 Uhr stehe ich am nächsten Morgen auf. Es hat zwar ausnahmsweise mal nicht geregnet in der Nacht, aber trotzdem ist das Zelt feucht von aussen wegen dem Tau.
Also erst mal wieder das Zelt auf dem Asphalt zum Trocknen ausbreiten.
Graue Wolken ziehen über mir hinweg. Ob das Wetter hält?
Plitsch.........Platsch....Plitsch....Platsch..Plitsch..Platsch.
Ist das nicht herrlich, ich fühle mich, als ob ich wieder in Norwegen wäre .
Das Zelt ist in Rekordzeit eingepackt, beim Anziehen der Regenklamotten sitzt routinemäßig jeder Griff und weiter geht es....nur noch 200 km bis zur deutschen Grenze.
Die "Landschaft" fliegt an mir vorbei und nach weiteren 2 Stunden bin ich wieder in good old Germany.
Von einem Moment zum Anderen sind alle Strapazen und das oftmals schlechte Wetter vergessen, ich denke nur noch an die vielen, schönen Erlebnisse meiner Reise.
Ein überwältigendes Gefühl aus Wehmut und Freude überkommt mich beim Überfahren der Grenze und ich bekomme feuchte Augen.

Nach 6 Wochen und gut 11000 km on the road ist mein ganz persönliches, kleines Abenteuer nun zu Ende.

© Dirk Wöhrmann, 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mit dem Motorrad ans Nordkap über Tschechien, Polen, Russland, Litauen, Lettland, Estland, Russland, Finnland, Norwegen, Lofoten, Schweden, Dänemark
Details:
Aufbruch: 12.06.2012
Dauer: 7 Wochen
Heimkehr: 28.07.2012
Reiseziele: Deutschland
Tschechische Republik
Polen
Litauen
Lettland
Estland
Finnland
Norwegen
Der Autor
 
Dirk Wöhrmann berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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