den Altweibersommer im Osten suchen

Reisezeit: September / Oktober 2001  |  von Manfred Sürig

Statt einem herbstlichen Sturmtief entgegenzusegeln, machen wir zu zweit eine spontane Autofahrt nach Osten, dem Altweibersommer 2001 nachzueilen. Den Kern des spätsommerlichen Hochdruckgebietes vermuten wir in der Hohen Tatra in der Slowakei und erleben traumhafte Tage...

Raus aus dem Nebel und hoch an die Sonne!

Herbstreisen haben bei Edzard Tradition. Seit Jahrzehnten nutzte er die Herbstferien, um am Ende des Sommers noch einmal per Boot das ostfriesische Watt abzusegeln. Doch der September 2001 hatte mit seinem miserablen Wetter die Hoffnung auf einen Altweibersommer vertrieben. Allenfalls, so meinte ich bei seinem Anruf, könne sich noch ein Schönwetterhoch in den Karpaten halten, man sollte doch besser mit dem Auto weit nach Osten fahren, um den Sommer zu suchen. So entstand die spontane Idee am Freitagabend, dem 28.9.2001, mal schnell eben mit dem Auto ungefähr die Route abzufahren, die ich im September 2000 mit dem Fahrrad gemacht hatte. Schon am nächsten Morgen um 10 Uhr stehe ich am Dammtorbahnhof in Hamburg bereit, um Edzard dort vom Zug aus Rotenburg/Wümme abzuholen, und los geht's. 600 km Autobahn liegen vor uns, Ziel Görlitz. Das Auto, frisch aus der TÜV-Abnahme, gibt alles her, was man ihm abverlangen kann, und als wir schon nach gut zwei Stunden am Berliner Ring sind, disponieren wir unser Ziel um: Wir wollen heute noch über die Grenze nach Polen und dort am besten noch bis Karpacz am Fuße des Riesengebirges. Ein erster Stau im Nordosten Berlins dämpft die Erwartungen etwas, aber nach einer Picknickpause bei Königs Wusterhausen läuft es wieder wie am Schnürchen, die Autobahn wird nach Osten hin immer leerer, da nehmen wir doch am besten gleich den Übergang bei Cottbus-Forst. Leider haben wohl doch zu viele Leute mit Ziel Polen dieselbe Idee gehabt, 500 Meter vor der Grenze finden wir eine lange Warteschlange sogar für PKWs vor, und ein Deutscher, der zu seiner Freundin nach Beuthen will, schätzt die Wartezeit auf 2 1/2 Stunden. Erst als wir so tief in der Schlange eingekeilt sind, dass wir auch nicht mehr umkehren können, dämmert es uns, dass der Mann richtig taxiert hatte. Immer, wenn es eine Autolänge voran geht, schieben wir unser Auto ein Stück weiter nach Polen, das schafft Bewegung und Abwechslung. Als wir gegen 18.30 Uhr endlich durch sind, reicht das Tageslicht noch knapp für eine Stunde Fahrt. Die führt uns durch mindestens 70 km Birken- und Mischwald auf der einspurigen Autobahn, die schon 1935 gebaut und seitdem nie repariert wurde. In diesem Dorado der Pilzesammler herrscht dieses Jahr Hochkonjunktur. Überall am Straßenrand werden körbeweise Pilze angeboten, man könnte sie aufkaufen und eine Konservenfabrik damit versorgen. Die nächste Ansiedlung, die vielleicht eine Unterkunft bietet, ist die schlesische Stadt Bunzlau.

Im Dunklen erreichen wir den Stadtkern mit einem einzigen Hotel "Piast", das wir für 120 DM/Zimmer/Nacht nehmen. Ein abendlicher Rundgang macht uns dann in einer Kellerkneipe noch mit polnischer Küche und gutem Bier bekannt, von der übrigen Innenstadt können wir bei Dunst und Nebel nicht viel sehen.

Doch am nächsten Morgen bummeln wir noch eine halbe Stunde durch den Rynek (Ring) und um den Rathausplatz und begutachten im Hotel das Angebot an Bunzlauer Steingutwaren, teils mit Mustern, wie ich sie noch aus meiner Kindheit vor 1945 kenne.
Das Tanken bei ARAL ist wie zuhause: Zahlen mit Visakarte, ein großer Supermarkt dabei, der auch sonntags offen hat und auf dem ich einen Stadtplan von Karpacz für 4 Zloty erstehe. Nun geht's Richtung Riesengebirge auf Nebenstraßen, die wir im Dunklen kaum gefunden hätten und auf denen wir noch vorsichtiger hätten fahren müssen. Immerhin gibt mir der Fahrstil einiger Polen, die uns überholen, Mut zu flotterem Fahren, zu Edzards Leidwesen.

Edzard hat in Karpacz nicht nur eine Adresse für unsere nächste Unterkunft, sondern träumt schon seit Jahren davon, das Riesengebirge kennenzulernen und am besten die Schneekoppe zu besteigen. Leszek, der Sohn von Danuta, unserer Wirtin, bringt uns zur Talstation des Sessellifts und stärkt Edzards Optimismus: Heute soll die Sonne noch herauskommen und oben ist das Wetter sowieso besser. Zunächst aber lernen wir im Sessellift, dass mit je 100 Meter mehr Höhe die Luft um 1 Grad kälter wird, gelegentliche heftige seitliche Böen unterstreichen das noch. An der Bergstation auf 1275 m ü.M. ziehe ich mir schleunigst alle warmen Sachen an, die ich mit habe, und während Edzard bei einem Andenkenstand wahre Schätze an Bergkristall und Mineralien entdeckt, drücke ich mich eng an die Hauswand und starre hinaus in den Nebel. Nur Bewegung kann uns jetzt noch warm halten, doch von unserem Ziel, der 1602 m hohen Schneekoppe ist nichts zu sehen. Zunächst führt ein breiter von Touristenscharen ausgetretener Weg mäßig bergan, 50 Minuten Fußweg gab der Wegweiser auf die Koppe an. Als die ersten 25 Minuten davon abspaziert sind, beginnt der Härtetest, ein steiler Pfad mit Geländer aus verrosteten Ketten und gelegentlichen Abstechern zu herausragenden Felsplateaus. Da ist tiefes Durchatmen angesagt und immer häufigere Pausen. Edzard meint sogar, dass er das Bergsteigen wohl aufgeben müsse, aber erst, wenn er die Schneekoppe bezwungen habe. Nur an Hand der bereits verstrichenen Zeit errechnen wir, dass der Gipfel nicht mehr weit sein kann und tatsächlich, wir erreichen den Gipfel exakt nach 55 Minuten. Der Wind und die Kälte halten sich in Grenzen, aber von Sicht kann auch nicht die Rede sein. So inspizieren wir zunächst die Grenzsteine, um uns dann einen Imbiß in der polnischen Baude zu gönnen und anschließend, da die Sicht noch nicht besser ist, das tschechische Bier in der tschechischen Baude zu kosten. Ich verknipse ein paar Bilder im Nebel, während Edzard so lange behauptet, das Wetter würde noch besser, bis es wirklich heller wird und wir immer häufiger durch Wolkenlücken zu benachbarten Hügeln oder Abgründen sehen können. Das Warten hat sich gelohnt. Am Ende können wir rundum alle Berge sehen, einen weiten Blick ins niederschlesische Flachland und einen gewagten Blick hinunter in eine Schlucht auf der tschechischen Seite werfen.

Zurück suchen wir uns einen flacheren Abstieg aus, der führt auf der gepflasterten Versorgungsstraße der Baude in großen Windungen bis Karpacz hinab. Leider gibt es rechts und links keinen Fußweg, so machen die Schritte von Pflasterstein zu Pflasterstein bergab unseren Füßen zu schaffen, die Einkehr zu einem Glas Wasser auf der "Akademiska Baude" gegen 17 Uhr ist dringend nötig, nachdem wir uns einmal dazu entschlossen haben, auf dem Rückweg auf den Lift zu verzichten. Der weitere Rückweg geht dann steil bergab, aber wenigstens nicht mehr auf gepflastertem Untergrund. Hier gehen wir streckenweise durch total zerstörte Wälder. Saurer Regen hat keinen einzigen Baum am Leben gelassen, die Baumruinen ragen gespenstisch in den Himmel. Aber neues Unterholz sprießt schon auf, und das sieht- zumindest bis jetzt- gesund aus. Die letzten Kilometer in der beginnenden Dämmerung führen durch echten Rübezahlwald, rechts und links rauschen Bäche zu Tal und an einem überdachten Rastplatz findet man alle Informationen zu Natur und Umwelt - auf polnisch ausschließlich. Wir kommen an der Talstation des Sessellifts an und sind uns einig, dass wir uns nun ein Bier verdient haben. Leszek hatte uns ein Restaurant empfohlen, das von außen schon sehr schön aussah, das innere überrascht uns noch mehr. Hier wird Rübezahl in einem tollen Ambiente vermarktet, dazu mit fabelhaftem Essen und Bitburger Pils. Wir bevorzugen Stettiner Bier vom Faß, dazu Pilze nach Art des Hauses und Edzard läßt sich eine gekochte Forelle servieren. Karpacz gefällt uns. Den weiten Weg bergab bis zu unserer Pension unterbrechen wir noch mit einem weiteren Bier, und schon um 21.30 Uhr liegen wir im Bett und legen die Füße hoch.

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 29.09.2001
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 06.10.2001
Reiseziele: Polen
Tschechische Republik
Slowakei
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.