Sponsorenradfahrt von Herford nach St. Petersburg

Reisezeit: September / Oktober 2006  |  von Erhard Krull

Bei Unfall vor Chocivel großes Glück gehabt

Auszug aus meiner Homepage

Großes Glück gehabt!!
12.09.2006

Abfahrt: 9:20 Uhr
1 km vor dem Ort Chocivel (Freienwalde) bemerkte ich, dass etwas mit meinem Rad nicht stimmte und fuhr an den Straßenrand, um nachzuschauen. Ich setzte gerade die Trinkflasche an den Mund, als hinter mir ein fürchterliches Bremsenquietschen einsetzte. Bei Gegenverkehr wollte das erste Fahrzeug einer Dreierkolonne vor mir abbremsen; es war eine absolute Vollbremsung. Damit hatte der Fahrer im 2. Fahrzeug nicht gerechnet. Er schleuderte mit seinem Auto kreuz und quer über die Straße und letztendlich auf das erste Fahrzeug und mich zu. Das dritte Fahrzeug fuhr in das querstehende 2. Fahrzeug. Da ich vor meinem Fahrrad stand, hätte ich keine Chance gehabt, in den Graben zu springen. In meiner Schrecksekunde, die sicherlich wesentlich länger als 1 Sekunde dauerte, schaute ich auf das auch für mich bedrohliche Schauspiel, welches sich direkt vor meinen Augen wie im Film in Zeitlupe abspielte. Beide beteiligten Fahrzeuge waren erheblich beschädigt. Ich schätze, dass der Sachschaden (mit mittelerop. Maßstäben gemessen) sicherlich weit über 10.000 Euro lag. Zum Glück ist keinem der Beteiligten außer einem gehörigen Schrecken etwas passiert. Und zum Glück hatte der Gegenverkehr gerade passiert, als das mittlere Fahrzeug über die Gegenfahrban schleuderte
Das erste Fahrzeug war ca. 3-4 Meter vor mir zum Stehen gekommen, die verunfallten Fahrzeuge standen direkt dahinter.
Ich hoffe, dass der Schutzengel, den ich heute hatte, mir bei der Fahrt weiter treu bleibt.
So etwas Ähnliches hatte ich vor Jahren schon mal in Südeuropa erlebt. Da hat sich eine Autofahrerin so lange nach dem komischen Radfahrer mit dem vielen Gepäck umgeschaut, dass sie eine Verkehrsinsel überfuhr und von einer Laterne oder einem Straßenschild (weiß nicht mehr genau) gestoppt wurde. Auch damals war der Sachschaden beträchtlich, aber ich war nicht gefährdet wie dieses Mal.

Ich wollte sowieso im nächsten Ort Pause machen und diese hatte ich nach der beschriebenen Situation mehr als nötig, um mich zu beruhigen.
Mein Rad hat eine lose Speiche und somit eine leichte "Acht" im Hinterrad. Das Vorderrad gefällt mir auch nicht, weiß nur nicht warum. Nach dem Unfall ist diese "Kleinigkeit" mehr als harmlos, obwohl ich jetzt (Mittagspause Chocivel) nicht weiß, ob und wie ich die nächsten größeren Orte erreiche. Ich muss jetzt auf jeden Fall die Mittagspause abkürzen. Vielleicht gibt es Möglichkeiten in Lobez (Labes - ca. 35 km), oder erst in Swidwin (Schivelbein - 55km). Ich fürchte, nicht bis Biatogard (Belgard-95 km) zu kommen. Auf jeden Fall muss ich die vorgesehene Mittagspause jetzt stark verkürzen.
Es gibt eine Suppe, einen Salat und 1 L. Cola (7 Euro)
Jetzt wird bezahlt (14:30 Uhr) und dann geht es schnell weiter.
Von wegen schnell weiter. Die "Acht" im Rad wir immer schlimmer. An Fahren ist selbst auf gerader Strecke kaum zu denken - und wenn, dann mit vielleicht 11-14 km/h. Es wird sehr anstrengend. In Lobes geht es nicht mehr. Ich will ja nicht wieder im Dunklen und dann noch mit beschädigtem Rad ein Hotel suchen. Auch hier ist es nicht leicht, was zu finden. Ich lande in einer Art Jugendherberge. Die beiden Mädels am Empfang sind sehr nett. Aber es gibt hier keine Werkstatt. Dann muss ich morgen wohl ganz früh aufstehen und schauen, wie es weiter geht. Jetzt kann ich froh sein, wenn ich überhaupt Freitag ankomme. Aber nach dem Unfall scheint mir das auch nebensächlich. Harald kommt ja eh erst Sonntag und bis dahin werd ich wohl die restlichen gut 300 km schaffen. Jetzt rächt sich das viele Gepäck.

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Ich bin bisher durch die Bundesländer NRW, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und durch Brandenburg geradelt. Seit gestern bin ich überall Ausländer. Das bleibt auch in den folgenden 6 Ländern so.
Meine bisherige Erfahrung in Westpommern: Die meisten Leute sind mir gegenüber freundlich, hilfsbereit und sie behandeln mich respektvoll.
-- eine gute Erfahrung --

Das letzte habe ich vor einer Stunde geschrieben. Jetzt wird es noch besser. Eben klopft eins der Mädel vom Empfang. Ich hatte sie zu Beginn nach einer Reparaturwerkstatt gefragt. Sie sagt, es sei ein Radfahrer gekommen, der mir vielleicht helfen könne, was ich denn für ein Problem mit dem Rad hätte. Ich erklärte, dass es die Speichen seien. Wenige Minuten später kam der Mann. Mittlerweile hatte ich festgestellt, dass 2 Speichen hinüber sind. Er erklärte, dass er vielleicht solche Speichen zu Hause habe. Er müsse nur noch anrufen. Wenn ich morgen früh bis 10 Uhr warten würde, könne er mir vielleicht helfen.
Wäre so etwas bei uns auch in dieser Form möglich, wenn ein Pole in der JH absteigt? Ich wage das zu bezweifeln.
Ich habe bis auf ganz wenige Ausnahmen auf allen Touren die Erfahrung gemacht, dass in allen Ländern Gastfreundschaft mehr gilt als zu Hause. Natürlich gibt es auch bei uns rühmliche Ausnahmen.
Harald, kannst Du Dich erinnern, als in der Toskana kein Zimmer mehr zu bekommen war? Was waren wir froh, dass wir auf der Wiese (für umsonst!) zelten duften. Ein Wasserhahn mit total kaltem Wasser stand mitten auf der Wiese. Für uns war dieser Notbehelf super, denn was soll man ohne Unterkunft machen.

Oder wieder in Italien, als wir keinen Gasthof finden konnten. Der einzige Gasthof war ausgebucht. Wir müssen wohl ziemlich fertig ausgesehen haben, denn uns wurde auch damals angeboten, mit unseren Schlafsäcken und Luftmatratzen auf dem Tanzboden zu schlafen. Toilette und Wasser gab es dort auch.
Als wir am anderen Tag zahlen wollten, war die Übernachtung umsonst - wir sollten nur das Frühstück bezahlen.
In Frankreich bei Lyon fragte ich einen älteren Radler (durchtrainiert auf Rennrad), wie ich am besten durch Lyon käme und auf welcher Seite der Rhone ich am besten weiter fahren könne. Er hat mich bis zur Rhone begleitet, obwohl er danach den ganzen Berg wieder hinauf musste.
Ich könnte noch viele solche Geschichten erzählen.

Ohne diese positiven Erfahrungen hätte ich sicher die ein oder andere Fahrt nicht bis zum Ende geschafft.

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90 km
durchschnittliche Geschwindigkeit: 13,5 km/h
Höchstgeschwindigkeit: 46,2 km/h
Es ist immer noch recht welliges Gelände. Das hatte ich in dieser Form nicht erwartet.
Wetter: ein Spätsommertraum (das lasst das andere leichter ertragen)

Unterwegs eine Schlange gesehen. Weil ich nicht weiß, ob es hier giftige gibt, bin ich lieber ohne Foto weiter gefahren.

Erste Nisthilfe für Störche gesehen. In Polen habe ich noch keinen Storch gesehen. Vielleicht sind sie schon nach Süden aufgebrochen, obwohl das Wetter im Moment noch tadellos ist.

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Am nächsten Morgen (13.9.) gab's in der Kantine ein schönes Frühstück. Weil dort allerdings sonst niemand Kaffee trank, war es mit dem Kochen ein Problem:
Kaffeemehl in die Tasse und aufgegossen ohne Filtertüte. Das war dann leider für mich nicht genießbar.
Mit Händen und Füßen haben wir uns verständigt, was ich auf's Brötchen haben möchte. Alle sind hier sehr nett und zuvorkommend - zumindest was die Leute angeht, die das 20. Lebensjahr überschritten haben.
Für weniger als 3 Euro habe ich ein super Frühstück erhalten.

Draußen scheint die Sonne und ich habe jetzt 2 Stunden Zeit, um auf den netten Radfahrer zu warten, der zu Hause möglicherweise Ersatzteile für das Rad hat. Ich kann mich ärgern, dass ich selber keine Speichen mitgenommen habe, sondern diese erst mit Harald nach Danzig einfliegen. Ich bin davon ausgegangen, dass ich hier zumindest in den größeren Städten eine Reparaturwerkstatt finde, die entsprechend ausgerüstet ist.
Bisher werde ich durch diese Reparatur fast einen Tag verlieren (gestern habe ich ja auch 60 km weniger gemacht, als geplant). Durch den spontanen Umweg über Oranienburg habe ich einen weiteren halben Tag "verloren". Somit bin ich frühestens am Freitag, später Abend, in Danzig. Aber ich habe immer noch 2 Tage Luft, bis Harald kommt.
Euer
Regenbogenjimmy

Was man nicht alles so findet!?

Was man nicht alles so findet!?

© Erhard Krull, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Im Frühherbst habe ich eine Fahrradtour über 3000 km von Herford (OWL) bis St.Petersburg (Leningrad) durchgeführt. Gesammelt wurde während der sehr interessanten Tour für Geistigbehinderte in Herford.
Details:
Aufbruch: 06.09.2006
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 06.10.2006
Reiseziele: Deutschland
Polen
Lettland
Estland
Der Autor
 
Erhard Krull berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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