Mit dem Motorrad über den nahen Osten in den hohen Norden

Reisezeit: Juni / Juli 2012  |  von Dirk Wöhrmann

Polnische Highways

Eigentlich hatte ich gestern ja angekündigt, dass ich mir heute ein noch dunkleres Kapitel deutscher Geschichte anschauen werde - Auschwitz!
Aber irgendwie passt es nicht in meinen Zeitplan, ich bin nämlich eigentlich schon seit meinem ersten Tag zu spät dran auf meiner Reise .
Wie kann das sein?
Ganz einfach, ich hatte mir vor Reisebeginn nur einen ganz groben Zeitplan ausgedacht.
An meinem ersten Abend in Prag ist mir nach der Lektüre eines Reiseführers über Skandinavien dann erstmal so richtig bewusst geworden, wieviel Zeit ich eigentlich zum Nordkap brauchen werde und vor allem, wie lange die Rückreise über Norwegen dauen wird.
Von Helsinki zum Nordkap sollte man ungefähr mit 10 Tagen rechnen (man kann es auch in weniger schaffen, aber dann sitzt man nur auf dem Bock) und die Route über Norwegen und die Lofoten zurück wird ungefähr 25 Tage in Anspruch nehmen, macht zusammen schon mal ca. 35 Tage.
Dann bin ich aber erstmal am obersten Zipfel von Dänemark, brauche also noch einmal ca. 4 Tage bis nach Oberaudorf.
Insgesamt habe ich 45 Tage Zeit, somit würden mir 6 Tage bis Helsinki bleiben.
Und nach 4 Tagen habe ich noch keine "Höhenmeter" gemacht und hocke noch in Krakau.
Ganz banal gesagt, bin ich bis jetzt erst 950 km nach links gefahren.
Da es heute auch anscheinend das Wetter gut mit mir meint, habe ich halt beschlossen, den Tag zu nutzen und "Meter zu machen"
Und zwar nach "oben"...
Aber zuerst wird noch einmal das tolle Frühstück mit dem World-class Cappuccino genossen.
Eine Frau ungefähr in meinem Alter sitzt ebenfalls alleine auf dem Deck und fragt mich nach einiger Zeit, ob ich Englisch spreche.
Natürlich spreche ich Englisch...und wie, immerhin habe ich ja mal in einem amerikanischen Unternehmen gearbeitet (Insiderwitz!)
Sie jedenfalls spricht sehr gut Englisch, sie kommt nämlich aus Schottland!
Sie ist mit Ihrer Freundin da, findet das Boot grauenvoll (wurde von Ihrer Tochter als Überraschung gebucht, findet die Matraze viel zu hart und muss insgesamt 7 Tage dort ausharren. Terrible!
Hmm, fand ich nicht, aber vielleicht steigt sie ja sonst in 5- Sterne Hotels ab.
Das Gespräch ist schnell beendet, ich packe mein Möppi und fahre um 10.30 Uhr mal wieder viel zu spät los.

Wusstet Ihr eigentlich, dass Mike Tyson jetzt Werbung für einen Energydrink macht?
Er hält in weissem Anzug vor schwarzen Hintergrund das Gesöff namens "Black Power" hoch und grinst.
Genialer und origineller Marketingstreich, oder?
So etwas fällt einem auf, wenn man im Stop and Go im Stau steht und sich Meter für Meter aus Krakau quält.
Jetzt mal ehrlich, so groß war die Stadt doch gar nicht, ich bin doch gestern noch alles zu Fuß gelaufen...Die Sonne brennt, mir ist warm, ich schwitze...und ich will Kilometer und keine Zentimeter machen!
Black Power werde ich mir jedenfalls nicht kaufen, vielleicht beisse ich dann in solchen Situationen noch Einem das Ohr ab ...
Endlich geht es vorwärts.
Nach einigen Kilometern dann ein Unfall.
Erst dachte ich, ein Motorradfahrer wäre darin verwickelt, aber es hat wohl einen Füßgänger erwischt. Ein älterer Mann hockt verzweifet am Strassenrand, wahrscheinlich der Fahrer des Wagens. Die Sanitäter sind wohl gerade eingetroffen und haben es nicht besonders eilig, der Füßgänger liegt vor dem Auto. Sieht wohl nicht so gut aus. Ich fahre im Schrittempo vorbei, schaue aber nicht hin, solche Szenen bekommt man zu schlecht wieder aus seinem Kopf heraus...
Polen ist ausserhalb der Städte langweilig und hat landschaftlich nicht viel zu bieten, ähnlich wie Niedersachsen.
Es gibt keine Kurven, nur kleine Dörfer und endlos lange Straßen..immer geradeaus!

Am Anfang meiner Tour habe ich noch gedacht, ich fahre über kleine, kurvige Nebenstraßen, sogenannte Ölstraßen wirklich nur in Ausnahmefällen.
Doch ich habe ganz schnell meine Meinung geändert.
Über kleine Nebensträßchen würde ich das Nordkap nie erreichen, zumindest nicht in der mir zur Verfügung stehenden Zeit.
Genau solche endlos langen Strassen brauche ich, um voran zu kommen.
Eine Nordkap- Tour hat halt andere Dimensionen, und zu viele Kurven sind da eher hinderlich.
Ausserdem werde ich in Norwegen noch genug davon haben, blöderweise ist mein Reifen bis dahin aber wohl eckig gefahren .
Drei Stunden später stehe ich vor den Toren Warschaus.
Ja, ich STEHE mal wieder! Auf drei Spuren ist mal wieder Stop and Go angesagt.
Mittlerweile hat es 30 Grad! Das T-Shirt ist schnell durchgeschwitzt ohne Fahrtwind, die Klamotten kleben am Körper, ich habe Durst, mir ist heiss, ich komme nicht weiter. Mit anderen Worten:
Ich habe keinen Bock mehr!
Wo wollen die vielen Autos um die Uhrzeit nur alle hin?
Mist, heute spielt Polen gegen Tschechien, wahscheinlich in Warschau, bei dem Verkehr...
Aber so ein Stau hat auch etwas Positives. Leute aus anderen Autos sprechen mich an, zwei süße Polinnen flirten mit mir. Zumindest bis zum nächsten Ampelstop, da stehen sie dann wieder zwei Autos hinter mir...
Irgendwann bin ich durch den Molloch durch, mal sehen, wie weit ich heute noch komme...
Es ist 20.30 Uhr, mein Tagesziel habe ich erreicht, die Grenze zu Litauen ist nur noch ein paar Kilometer entfernt und ich nehme mir noch auf der polnischen Seite ein Hotel.
Beim Einchecken (das Zimmer kostet 120 Slotis), ich zücke gerade mein Portemonaie, macht mich eine nette Dame darauf aufmerksam, dass ich gerade 50 Slotis verloren hätte . Ich hebe die 50 Slotis auf und bedanke mich. Ich hatte nur keinen 50er Sloti mehr in meiner Geldbörse.
Bei soviel Glück wird morgen bestimmt auch das Wetter wieder schön sein!
Gute Nacht Deutschland!

© Dirk Wöhrmann, 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mit dem Motorrad ans Nordkap über Tschechien, Polen, Russland, Litauen, Lettland, Estland, Russland, Finnland, Norwegen, Lofoten, Schweden, Dänemark
Details:
Aufbruch: 12.06.2012
Dauer: 7 Wochen
Heimkehr: 28.07.2012
Reiseziele: Deutschland
Tschechische Republik
Polen
Litauen
Lettland
Estland
Finnland
Norwegen
Der Autor
 
Dirk Wöhrmann berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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