Erstes Kennenlernen der Slowakei nach der Wende

Reisezeit: August / September 2000  |  von Manfred Sürig

Erste Eindrücke in der Slowakei

Sonntag, 3. September 2000
Eigentlich habe ich heute vor, nach Polen zu fahren, nach Istebna, das soll eine landschaftlich schöne Strecke in die Beskiden sein.
Aber gerade, als ich am Bahnhof von Ceske Tesin vorbeikomme, setzt leichter Nieselregen ein. Mein Blick schweift über die Abfahrtstafel der Züge. In 10 Minuten fährt ein Zug nach Cadca in der Slowakei, auch in den Beskiden, und zwar hinter dem Paß. Kurz entschlossen kaufe ich mir eine Fahrkarte dorthin, um die nächsten 2 Stunden trocken und warm zu sitzen.
Das Fahrrad darf ich nicht selbst im Zug befördern, ich muß es als Sperrgut-Reisegepäck aufgeben. Das Ausstellen der Fahrradkarte dauert 5 Minuten, aber die Zeit langt noch, um selbst zum Zug zu kommen und auch für den Transport des Rades durch zwei Amtspersonen. Hinterher rechne ich mit den Preis aus: 4 DM für meine Person, 1,40 DM fürs Fahrrad für 75 km Stecke. Aus dem Zugfenster sehe ich, was mir an Strapazen erspart bleibt: Finsteres Industriegebiet in einem engen Tal, den Aufstieg zum Paß der Beskiden durch halbseitig gesperrte Straßenbaustellen, Umfahrungen von halbfertigen Talbrücken und Matsch und Regen.

Aber um 14 Uhr muß ich in Cadca raus.
Ich bin in einem neuen Staat, der Slowakei, tausche meine Tschechenkronen in slowakische und habe das Portemonnaie noch voller von Papier als vorher. Der Ort Cadca erinnert an alte DDR-Orte: Gewerkschaftshaus, schmuddelige Dienstgebäude irgendwelcher Behörden, ein paar Tante-Emma Läden, am Sonntagmittag alles geschlossen. Zunächst fahre ich bergab bis zur nächsten Straßengabelung Richtung Stara Bystrica, dort, wo eine Straße Richtung Orava-Stausee abzweigt, die aber It. Karte vorher endet. Von Verkehr ist hier fast nichts mehr zu spüren, obwohl die Straße ständig durch lange Straßendörfer fuhrt.

Hier werden die Anblicke auch wieder erfreulicher: Viele neue oder renovierte Häuser, dazu in einer Größe, dass sicher ein paar davon auch Gästezimmer haben dürften. Noch einmal gabelt sich die Straße, die linke Spur führt lt. Wegweiser nur bis zum nächsten Ort am Fuße einer großen Talsperre - Nova Bystrica.
Wenigstens einen Abstecher zu dieser landschaftlichen Perle will ich mir gönnen und danach mich nach einer Unterkunft für die Nacht umsehen, immerhin ist es schon 15.30 Uhr. Ich klettere die Talsperre hinauf und habe oben einen überwältigenden Blick in ungestörte Natur. Nicht einmal eine Andenkenbude oder einen Parkplatz gibt es hier.
Rundum alles "Betreten verboten", Wasserschutzgebiet. Ein Wärter erlaubt mir, ein paar Aufnahmen zu machen, aber dann knurrt mich sein Hund so an, dass ich weiß, wohin ich gehen soll.
Auf meine Frage, wo es hier ein Hotel oder eine Pension gibt, bekomme ich nur Achselzucken.

Nicht verstanden oder gibt es hier nichts? Unten im
Dorf wird die Realität konkreter: ich frage eine Gruppe junger Polen, die mit einem Campingbus dort ist. Nein, hier gibt es keinerlei Unterkünfte, ich müsse die Straße, die auf der Karte eine Sackgasse ist, immer weiter nach Osten fahren, am Ende einfach in den Wald, und nach etwa 30 Kilometern komme ein Ort Oravska Lesna, dort sei im Zentrum eine Karte des Orava-Gebietes, da könne ich sehen, wo es am Oravasee Hotels gebe, zum See sind es von dort noch
weitere 25 km.
In Gegenrichtung sei in Cadca ein Hotel, auch 30 km entfernt. Es ist 17 Uhr, ab und zu tröpfelt es und die Straße führt nur bergauf Der Bach Vychylovka führt reichlich Wasser, ich rechne mir aus, dass ich solange an diesem Bach werde bergauf fahren oder schieben müssen, bis der Bach zum Rinnsal wird, dann kommt ein letzter steiler Aufstieg bis zum Paß und dann geht's drüben runter.

Theoretisch.
Die Praxis übertrifft die Theorie noch. Der Bach führt links in einem schönen Seitental Richtung polnischer Grenze, während die Straße zum Feldweg wird und rechts seitlich steil den Berg heraufführt. Zwischen den Bäumen kann ich über mir gerade mal die nächste oder die nächsten beiden Kehren sehen, zwischendurch ein Stück Hochebene mit einer Museumseisenbahn, die heute sogar fährt, und dann geht
nur noch schieben.
Ein paar Autos kommen mir im Schrittempo entgegen, also muß die Straße ja irgendwohin führen. Die Luft wird immer reiner, was mir bei dem tiefen Durchatmen guttut, aber noch sehnlicher suche ich nach einer Quelle.
Die findet sich dann auch kurz vor der Paßhöhe.
Ich fülle meine Trinkwasservorräte auf und trinke, trinke, trinke. Hinter der nächsten Kurve öffnet sich der Wald und vor mir tut sich eine Hügellandschaft mit Bergwiesen auf, in der Feme weidet eine Schafherde. Aber die Paßhöhe erweist sich als Kammwanderungsgebiet, nur dieses Mal per Fahrrad.
Wegweiser sind unbekannt, nur einmal kreuze ich einen beschilderten Wanderweg, der zu Zielen führt, die mir absolut nichts sagen. Der Temperatur nach zu urteilen, befmde ich mich hier weit über 1000 m ü.M., und wenn es hier Wanderwege gibt, wird es doch auch Unterkünfte geben. Aber die Gegend ist menschenleer, außer einigen Holzhütten auf den Weiden nur Wald und Almen.
Wacker überwinde ich Berg und Tal bis ich tief unten vor mir wieder Häuser sehe. Plötzlich mündet meine Straße auf eine Vorfahrtstraße und ein Wegweiser zurück weist nach Cadca: 58 km. Ich frage einen Jungen, ob ich nach Oravska Lesna rechts oder ungefähr geradeaus fahren muß und er weist mir den Weg geradeaus.
So erwische ich die Abkürzung zu der Straße, die in Kehren am Hang hinunter führt, und lerne 26 % Gefalle kennen. Im Schritttempo mit quietschenden Bremsen taste ich mich den Berg hinunter. Die Kirche des Ortes ist ein markantes Wahrzeichen, dort wird im Zentrum wohl die Tafel mit Angaben zu finden sein, wo es Hotels gibt. Ich fmde aber nicht die Tafel, sondern gleich ein Hotel "Tyrapol". Schon in der Rezeption ist es mollig warm und das Zimmer ist sogar geheizt. Rauchen im ganzen Haus verboten.
Während draußen Dauerregen einsetzt, genieße ich erst die warme Dusche und dann ein gepflegtes Abendessen mit 5 Gängen und einer nicht näher nachvollziehbaren Menge Bier, das Ganze für knappe 12 DM.
Hier läßt es sich aushalten, auch wenn es morgen noch den ganzen Tag regnen sollte. Das ist nicht unwahrscheinlich, im Hotelprospekt steht nämlich, dass Oravska Lesna der nördlichste, kälteste und niederschlagsreichste Ort der Slowakei ist.
Womit gesagt werden soll, dass es sich im Winter um eine absolut schneesichere Gegend handelt.

© Manfred Sürig, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
eigentlich wollte ich nur mal dorthin, wo ich als 7jähriger 1944 mit meinen Eltern in der "Sommerfrische" im Sudetenland war. Doch mit dem Rad macht man ungeahnte Entdeckungen und fährt immer weiter nach Osten...... und heute, 10 Jahre danach, kann man sich einige Abenteuer in diesem Land so gar nicht mehr vorstellen.
Details:
Aufbruch: 28.08.2000
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 21.09.2000
Reiseziele: Tschechische Republik
Slowakei
Ungarn
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.