Erstes Kennenlernen der Slowakei nach der Wende

Reisezeit: August / September 2000  |  von Manfred Sürig

Erste Eindrücke in der Slowakei: In der Hohen Tatra

Im 5-km-Tempo komme ich ihm näher, meistens kann ich im ersten Gang noch fahren, manchmal aber muß ich absteigen. Die Straße führt über reißende Bäche, die noch ein Vielfaches der Wassermassen aufnehmen könnten , die jetzt zu Tal rauschen, Gebirgslandschaft vom Feinsten, die neugierig macht auf noch größeren Höhen.

Nach 15 km erreiche ich ein riesiges Sporthotel "Permon", auf dessen pompöse Autoauffahrt ich mein Fahrrad schiebe.
Der Essensduft in der Rezeption verführt mich, ausnahmsweise hier zu Mittag zu essen und vom Speisesaal aus die Sicht zu genießen. Europäische Umweltschützer halten hier einen Kongreß ab, sicher in einer vorzeigbaren Gegend.
Nach 2 Stunden geht der Aufstieg weiter; die Straße hat gerade so viel Steigung wie man mit dem Fahrrad noch schaffen kann, ab und zu mal ebene Strecken zum Erholen, dazu herrliche Gebirgsluft, ziemlich kühl allerdings.
Ich komme über eine Zahnradbahnstrecke und über mir aus den Baumwipfeln ragen große Hotelanlagen. Nach einer letzten steilen Abzweigstrecke bin ich in Strbske Pleso angelangt, dem höchstgelegenen Ort der Hohen Tatra auf 1330 m Meereshöhe.
Ich runde auf einem Spazierweg einen kleinen Waldsee mit kristallklarem Wasser und bin anschließend erstaunt, an der Bergstation der Bahn zu stehen,) die aus Poprad hier täglich Hunderte von Touristen herbringt.
Busladungsweise deutsche Rentner, aber auch eine Menge sportlich ausgerüstete Wanderer, die von hier aus zu Hochgebirgstouren starten. Die Außentemperaturen erinnern mich an gestern und an meinen Entschluß, mir heute nur ein Hotel mit Sauna zu suchen.

Mit dem Hotel Patria fmde ich das auch, aber zu einem satten Preis: 1856 Slowakische Kronen, das sind 93 DM, Sauna noch extra. Und drei Tage muß man mindestens mieten. Nur weil am dritten Tag schon wieder ausgebucht ist, komme ich mit zwei Tagen davon.

Man gönnt sich ja sonst nichts, und die Aussicht auf eine warme Sauna schiebt alle Bedenken beiseite. Nachdem ich im Zimmer warm geduscht habe und umgezogen bin, brauchte ich die Sauna eigentlich schon gar nicht mehr, aber nun plane ich sie für heute ein, morgen werde ich dann eine Hochgebirgswanderung machen, soweit wie ich bei dem Wetter kommen kann.
Es ist auch an der Zeit, Positionsmeldungen, sprich Ansichtskarten loszulassen. Ich versuche das in einem Internet-Cafe per Sammel-email zu erledigen. Außer zwei Computerfreaks bin ich der einzige Gast, und die beiden zeigen mir voller Stolz ihre Tatra-homepages, die man mit www.Tatra.sk anklicken kann. So lerne ich die Tatra schon mal vorab kennen, mit allem, was dort feilgeboten wird.

Mir wird dazu ein Gratis-Wodka gereicht, und nun soll ich mal zeigen, was ich aus dem Internet holen kann. Das Ergebnis ist mager, weil ich nämlich feststelle, dass man zwar stundenlang gratis surfen kann, aber keine Mails versenden oder empfangen. So lasse ich mir von der Deutschen Bahn die Abfahrtzeiten der Züge von Kosice nach Prag anzeigen. Die Jungs sind begeistert und ich bekomme noch einen doppelten Wodka. So vorgewärmt, schlafe ich in der folgenden Nacht himmlisch.

Mittwoch, 6.September 2000
das Rad bleibt heute im Skischuppen des Hotels, ich ziehe mir meine "Bergschuhe" an und nach der Schlacht ums Frühstücksbuffet gegen deutsche Rentnerscharen ("Sie sitzen auf meinem Platz!") geht's an die frische Natur.

Und wie frisch die ist.
Die Autos vor dem Hotel sind mit Eis beschlagen und auf einer Pfütze daneben kann man schon Eisblumen zertreten.
Ansonsten aber verspricht es, ein sonniger Herbsttag zu werden. Scharenweise Bergwanderer stürmen die Tatra, dennoch verliert sich der Schwarm auf der Vielzahl von gut bezeichneten Wanderpfaden .
Jetzt beweisen meine Wanderkarten ihren Wert.
Die vielen slowakischen Bezeichnungen kann man nicht im Kopf haben, und so nehme ich an jeder Weggabelung Einblick in meine Karten.

Ein konkretes Ziel habe ich nicht, nur mal richtig weit rauf gehen und
einen Blick ins Tal und auf die südlich "gegenüber" liegende Niedere Tatra werfen will ich.
Bis zu 1000 m Höhenunterschied kann man erwandern, aber bitte immer auf den bezeichneten Wegen bleiben. Abseits kann es Bären und Wölfe geben und verirren kann man sich sehr schnell.

Der Aufstieg ist eine Herausforderung an Kondition und Lunge. Erstaunlich, wieviel ältere Leute auch unterwegs sind. Bis 1700 m geht es noch durch Wald, der allmählich in niedriges Krüppelkiefergehölz übergeht, nur wenig höher wachsen nur noch Flechten und Moose und man muß eine Geröllmoräne nach der anderen überwinden.
Zugefrorene Pfützen gibt es auch hier wieder und ab 2000 m setzt Schneetreiben ein.
Die Hohe Tatra ist das kleinste Hochgebirge der Welt, alle geologischen Formen der Erosion kann man hier auf engstem Raum kennenlernen.

Jede Eiszeit hat einen Gletschersee oder ein Hochmoor hinterlassen, die Wanderkarte ist voller kleiner blauer Punkte, an jedem See steht ein Schild mit Angabe der höchsten Temperatur, die der See im Jahr erreicht und der Zeit, in der er zugefroren ist. So lese ich hier:

Zugefroren vom 4.11. bis 5.7 jeden Jahres, höchste Temperatur 4 Grad.
Oberhalb des Velke Hlncovo-pleso-sees gehe ich noch etwa 200 m weiter, bis mir das Schneetreiben doch zu unangenehm wird. Als ich umkehre, sehe ich unter mir schon wieder einen See und dicht vor mir ein Murmeltier und eine Gemse in der einsamen Bergwildnis.

Auf halber Höhe des Rückweges lege ich meine Picknickpause auf einem großen Stein inmitten eines Wildbaches ein und verzehre mit Behagen mein Käsebrot. Dabei fallt mir auf, dass ich in der gesamten Zeit nicht einmal von Fliegen belästigt worden bin. Ist die Natur noch so intakt, dass selbst Fliegen nicht auf Zivilisationsbrosamen angewiesen sind?
Die Touristen werden überall aufgefordert, keinerlei Abfälle in die Natur zu werfen, vor allem, um die Bären nicht zu Abfallsammlern werden zu lassen. Bisher scheint der Appell gehört zu werden, und das, obwohl nirgends an den Wegen Abfallkörbe aufgestellt sind, denn die wären dann schnell ein beliebtes Ziel für die Bären.

Einen Umweg mache ich noch zum "symbolischen Friedhof'. Hier ist niemand begraben, aber für die Opfer der Berge haben die Angehörigen und Freunde in einem abgelegenen Seitental Gedenksteine und -tafeln aufgestellt und eine kleine Kapelle gebaut.

Auch das kleinste Hochgebirge der Welt fordert zahlreiche Opfer, inwieweit infolge Leichtsinns und inwieweit infolge "höherer Gewalt" kann man den Inschriften nicht ansehen, beindruckend ist die Zahl und die Monate, in denen die Leute umgekommen sind: Es gibt hier keine sichere Jahreszeit.
Nach 9 Stunden Wanderung ist die Schwimmhalle des Hotels Patria gerade der richtige Ausgleich, und in der nagelneuen Sauna erschlägt mich die Hitze vollends. Mit einer Rentnerin aus Potsdam, die mit ihrem Wanderverein hier ist, trinke ich noch ein Bier, dabei bin ich schon so müde, dass ich meinen Pullover an der Theke vergesse.

© Manfred Sürig, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
eigentlich wollte ich nur mal dorthin, wo ich als 7jähriger 1944 mit meinen Eltern in der "Sommerfrische" im Sudetenland war. Doch mit dem Rad macht man ungeahnte Entdeckungen und fährt immer weiter nach Osten...... und heute, 10 Jahre danach, kann man sich einige Abenteuer in diesem Land so gar nicht mehr vorstellen.
Details:
Aufbruch: 28.08.2000
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 21.09.2000
Reiseziele: Tschechische Republik
Slowakei
Ungarn
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.