Zwischen Heimweh und Fernsucht

Reisezeit: Februar 2009  |  von Mel Meyer

frostiger Start

Tiefes Loch

16. Februar 2009

  • 18.30 Uhr

Mein erster Tag allein auf Reisen. Ein merkliches Zögern verlangsamte meine morgendlichen Aktivitäten, so dass die Reise erst gegen 14.00 Uhr begann. Tristes Wetter und Niederschläge begleiteten mich, während das Realitätsempfinden weiter auf sich warten ließ. Auch jedes andere Gefühl schien für den Moment abhanden gekommen zu sein. Ich versuchte irgendeiner Empfindung nach zu spüren, meinte in der Sächsischen Schweiz in verschneiten Bergen bei einem kleinen Spaziergang etwas Ähnliches wie Freude zu empfinden. Sicher war ich mir aber nicht - es kann auch Hunger gewesen sein.
Tapfer ignorierte ich den stärker werdenden Schneefall und versuchte weiterhin die Vorfreude auf bevorstehende Abenteuer heraufzubeschwören, musste mich aufgrund sich überschlagender Ereignisse jedoch bald einsehen, dass dieser Part wohl erst später kommen würde. Ich landete in Tschechien, geriet in einen Schneesturm, musste zweimal um die Kontrolle über mein Fahrzeug kämpfen, wurde von freundlichen winkenden Huren eingeladen, blieb im Schnee stecken, wurde von zwei netten Tschechen befreit, konnte wegen der einbrechenden Dunkelheit nicht weiter und sitze jetzt in einer abgeschiedenen Pension wenige Kilometer hinter der Grenze. Ganz allein mit dem Inhaber und exakt die 20 Euro in der Tasche, die er mir für die Übernachtung zu berechnen gedenkt. Ich weine und wünschte ich wäre nicht immer so extrem. Sicherheit war mir zu langweilig, jetzt würde ich dafür morden. Meine Mutter versucht von Ferne zu trösten, während ich meinen Freund "leider ungünstig" bei einer sehr guten Freundin erwischte. Wenigstens er genießt die Freuden vertrauter Umgebung und wohlgesonnener Mitmenschen. Ich gönne es ihm! Er hatte in letzter Zeit einiges wegzustecken, das ich unter "Versuch der Selbstfindung" verbuchen möchte. Ich glaube eine leichte Zufriedenheit herauszuhören, als ich ihm mein Leid klage und kann ihn verstehen. Wenigstens Pepper sitzt auf meinem Schoß, die Pfoten auf dem Notebook und staunt, wie ich mich meinen Emotionen hingebe. Mit seinen Ängsten konfrontiert zu werden ist kein Spaß, aber ein echter Erfolg, wenn man hindurch ist. Ich gebe mich meinem Selbstmitleid hin, während ein kleiner Teil von mir schon jetzt milde lächelnd zusieht. Kind, das wird schon wieder. Nimm dich selbst nicht so ernst!

  • 19.30 Uhr

Inzwischen steht mein zweites Bier vor mir, zu dem mich der Wirt eingeladen hat - nein, nicht wegen meiner langen blonden Haare, sondern wegen der zuckersüßen Pepper, die die Herzen der Menschen im Sturm erobert. Der frisch gekaufte Gummiball liegt zerfetzt auf dem Teppich doch auch das verübelt ihr niemand. Mein Versuch das Chaos zu beseitigen wird abgewunken. Schade, dass hier niemand Deutsch spricht, sonst hätte ich meiner Einsamkeit entgegen wirken können. So vertreibe ich Zeit und Gedanken durch das Schreiben meines Reiseblogs, der mich zumindest mental mit Verwandten, Bekannten und Freunden in der Heimat verbindet. Langsam allerdings ruft der wohlverdiente Schlaf und ich ziehe mich voller Zuversicht zurück, dass die nächsten Tage besser werden!

back to good old germany
17. Februar 2009

  • 12.00 Uhr

Die Nacht verlief angenehmer als erwartet. Die zwei Bierchen beendeten meine ängstlichen Gedanken und von Pepper wurde ich zum Zwangskuscheln unter der gemeinsamen Decke verdonnert. Ich glaube diesen Teil der Erziehung verschiebe ich noch um ein paar Tage. Ich bin zwar alle vier Stunden aufgewacht, hatte damit aber genau Peppers natürlichen Rhythmus, um das Prädikat "stubenrein" zu erhalten.

Heute Morgen gab es kostenlosen Kaffee und freundliche Unterstützung beim Ausgraben meines schneebedeckten Wagens. Es hatte die ganze Nacht geschneit und so nahm ich die ungewohnte Gastfreundschaft gern an. Sogar zur Bank wurde ich begleitet, wo ich 1000 tschechische Kronen abhob. Die entgegenkommende Helferin, die sogar ein wenig Deutsch sprach, bot sich an, das Geld am Kiosk wechseln zu gehen. Danke gern! Meine Freude erfuhr allerdings eine leichte Trübung, als sie mir großzügig 400 Kronen entgegen hielt und meinte, dies wäre mein Anteil. Der Rest sei für den überwachten Parkplatz meines Fahrzeuges, das hätte der Chef ganz vergessen zu erwähnen... Muss er wohl! Bei einem Umrechnungskurs von 1 Euro = 30 Tschechische Kronen habe ich die Nacht nun doppelt bezahlt und wenig Lust auf weitere gastfreundliche Gesten dieser Art.

So schnell wie möglich möchte ich wieder nach Deutschland, wo ich wenigstens im Kopf ausrechnen kann, um wie viel Geld ich betrogen werde und verabschiede mich zu diesem Zweck gedanklich von Prag und Wien. Meine "freundliche Helferin" hatte mir leider auch die Hoffnung genommen einfach den kürzesten Weg einschlagen zu können, da Meldungen über den Äther gingen, die Grenze sei hoffnungslos eingeschneit. Also setzte ich mein Navigationsgerät auf Konstanz an, lernte aber bald die nette Frauenstimme zu ignorieren, die mich mit Vorliebe in die Schneewehen schicken wollte.
Auch ein Atlas muss schließlich zu etwas gut sein, auch wenn er von 1989 ist und noch die DDR ausweist! Selbst ist die Frau und nach drei Stunden Fahrt sehe ich nicht nur die erlösende Grenze zu Deutschland, sondern auch die ersten Sonnenstrahlen. Also zumindest sehe ich die wenigen Sonnenstrahlen, die sich den Weg durch die Salzkruste auf meiner Windschutzscheibe bahnen. Die Schicht zu entfernen kommt leider schon seit 15 Minuten nicht mehr in Frage, da die Düse für das Reinigungswasser verstopft zu sein scheint...

  • 22.00 Uhr

Dank einer unglaublich langen Tagesroute von fast zehn Stunden sind wir endlich in Konstanz! Direkt an der Grenze zur Schweiz (die nachts leider geschlossen ist) fülle ich meinen leeren Magen mit den besten Käse-Spätzle, die ich seit langem gegessen habe. Pepper straft mich mit Missachtung und dreht mir den Rücken zu, weil sie ausschließlich den Geruch genießen darf - ein wenig Erziehung muss schließlich sein, da hilft auch kein Welpenblick.

Dank der Tatsache, dass ich mich auf deutschem Boden befinde, kann ich heute wieder ungeniert einen Blog mit der mitgeführten UMTS-Karte veröffentlichen. Wie ich vor wenigen Stunden erfuhr, wird mich meine gestrige Veröffentlichung 85 Euro Roaming-Gebühren kosten. Da sag noch mal einer Tschechien sei billig und schön!

© Mel Meyer, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Die Krise ist da - eine Reise muss her. Geld mal wieder Mangelware... Zum Glück gibts Eltern und Freunde! Mütterliches Auto, väterliches Navigationssystem, dazu freundschaftliche Reiseutensilien und gutgemeinte Ratschläge. Eine Prise Spontanität, ein Hang zu Italien und zum Extremen, ein Leihwelpe und los geht die Fahrt! Das Ziel: In Berlin losgehen und bei mir ankommen...
Details:
Aufbruch: 16.02.2009
Dauer: 11 Tage
Heimkehr: 26.02.2009
Reiseziele: Deutschland
Tschechische Republik
Schweiz
Italien
Der Autor
 
Mel Meyer berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.
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