Unterwegs im südlichen Kalabrien

Reisezeit: Juni 2005  |  von Angelika Gutsche

Die Heilige Serra Bruno

Um sechs Uhr früh werden wir durch ein starkes Gewitter geweckt. Donner und Blitz kreisen zwischen Meer und Bergen. Es gießt in Strömen. Trotzdem brechen wir zu einem Ausflug auf, der uns zur Serra San Bruno und dem dort einstmals vom Hl. Bruno gegründeten Kartäuserkloster führen soll.

Auf unserer Fahrt kommen wir kurz nach Ricadi an einem sehr gut erhaltenen und an einer tiefen Schlucht gelegenen römischen Aquädukt vorbei.

Aquädukt bei Ricadi

Aquädukt bei Ricadi

Nach einer weiteren halben Stunde Fahrtzeit erreichen wir die an den nördlichen Abhängen des Monto Poro gelegene, wolkenverhangene Ortschaft Zungri. Der Regen hat aufgehört, doch der Himmel ist immer noch düster. Enge Gässchen führen an der Kirche vorbei zu einem kleinen Parkplatz, von dem aus wir einem gepflasterten Fußweg nach unten zur ehemaligen Felsenstadt folgen. Das nächtliche Gewitter hat Erdreich den Hang herunter gespült und Bäume geknickt, die jetzt quer über dem Weg liegen. Unverdrossen bahnen wir uns trotz dieser Widrigkeiten den Weg zu der an einer Schlucht gelegenen Höhlenstadt aus byzantinischer Zeit, die bis ins 14. Jahrhundert bewohnt war. Bald stoßen wir auf die ersten in den weichen Sandstein gehauenen Wohnungen, die sich bis heute erhalten haben.

Höhlenwohnung bei Zungri

Höhlenwohnung bei Zungri

Zurück im etwas trist wirkenden modernen Zungri gönnen wir uns auf der Piazza in einer Bar einen Espresso, finster beäugt von den einheimischen Gästen. Doch sobald wir ein Gespräch beginnen, hellen sich die Mienen augenblicklich auf und die Männer antworten freundlich.

Bei der Weiterfahrt begegnen uns Bäuerinnen, die ihre Bündel auf dem Kopf balancieren. Die Vegetation besteht aus Mischwald, Bambus und immer wieder Farne. Über San Gregorio fahren wir Richtung Soriano Calabro. Auffallend sind die vielen aus Ziegel gebauten, unverputzten Häuser, die den Dörfern einen ärmlichen Anstrich geben. Der unfertige Zustand vieler Häuser erklärt sich wohl auch dadurch, dass ein Haus erst nach seiner Fertigstellung besteuert wird.

Von weitem sehen wir schon das steil an eine Bergflanke geschmiegte Städtchen Soriano Calabro. Ein enges, steiles und kurvenreiches Sträßchen führt zur Altstadt hinauf, in deren Zentrum die Ruinen eines Klosters stehen. Die nächste Ortschaft heißt Sorianello, die kleinere Schwester von Soriano. Weiter geht es durch Mischwald in engen Kurven bergauf, bis man endlich freien Blick auf den Monte Crocco (1.274 m) hat. Im Winter braucht man hier oben Schneeketten. Ein Schild weist eine Forellenzucht aus. Je höher wir kommen, desto mehr wird der Laubwald von Nadelhölzern abgelöst. Es gibt einige holzverarbeitende Betriebe.

Soriano Calabro

Soriano Calabro

Im Ort Serra San Bruno angekommen, folgen wir zuerst der Ausschilderung zu der inmitten von Tannenwäldern gelegenen und von einem Wildbach umflossenen Barockkirche Santa Maria del Bosco, die an der Stelle erbaut wurde, an der einstmals eine vom Heiligen Bruno im elften Jahrhundert errichtete Klause stand. Eine breite Treppe führt hinauf zur Kirche, daneben befindet sich das Grabmal des Heiligen Bruno.

Am Fuße der Treppe ist ein Teich angelegt. Am Ufer steht eine Marienfigur; im Wasser des Teiches befindet sich eine Darstellung des Hl. Bruno, wie er mit gefalteten Händen im Wasser kniet. Zu seinen Lebzeiten pflegte der Heilige oft tagelang bis zu den Hüften in eiskaltem Wasser stehend zu beten. An der Stelle, an der sich heute der Teich befindet, wurde Bruno im Jahre 1101 begraben. Als seine Gebeine Jahrhunderte später in die höher gelegene Felsengrotte, die mit einem Grabmal umbaut ist, überführt wurden, soll heilkräftiges Wasser der Erde entsprungen sein, das den Teich noch heute speist. Jedes Jahr findet an Pfingsten eine "Prozession der Besessenen" statt, in deren Verlauf psychisch Kranke in das Wasser getaucht werden, um ihnen das Böse auszutreiben und sie so von ihren Krankheiten zu heilen.

Barockkirche Santa Maria del Bosco

Barockkirche Santa Maria del Bosco

Bruno, ein gebürtiger Kölner, wurde im Jahre 1091 von Papst Urban II. nach Italien geholt. Obwohl in höchste kirchliche Ämter berufen, zog er es vor, sich mit sieben Brüdern auf der Serre in die Einsamkeit einer Kartause zurück zu ziehen. Abgewandt von allem Diesseitigen umgaben sich die asketisch lebenden Mönche mit Totenköpfen und Sensenmännern. Bruno gründete den Kartäuser-Orden, noch heute einer der strengsten Orden der Welt, und erbaute in der Serre die beiden Klöster Santa Maria del Bosco und San Stefano. La Certosa San Stefano, das nahe am Ort liegt, wurde zwar im 18. Jahrhundert durch ein Erdbeben zerstört, dann aber im neugotischen Stil wieder aufgebaut und ist bis heute seiner Bestimmung als Kloster treu geblieben. Das weltabgewandte, im Mittelalter verharrende Leben der Mönche wurde gerade erst in dem eindrucksvollen Film "Die große Stille" (Regie: Philip Gröning) einem breiten Kinopublikum vorgestellt.

Teich mit Marienfigur und einer Figur des Hl. Bruno

Teich mit Marienfigur und einer Figur des Hl. Bruno

Das Kloster San Stefano darf man zwar nicht besuchen, aber in einem wunderbaren, kleinen Museum kann man die nachgestellten Kapellen, Zellen und Arbeitsräume durchwandern, während im Hintergrund gregorianische Choräle erklingen. Ich bin beeindruckt und kaufe im dazugehörigen Devotionalienladen einen "heiligen" Gips-Bruno.

Als wir zum Parkplatz zurückkommen, erwartet uns eine Überraschung: die Beifahrertür unseres Autos steht sperrangelweit offen! Hatten wir vergessen, sie zu schließen? Ist sie aufgebrochen worden? Wie auch immer: nichts ist beschädigt, das Innere ist völlig unberührt, alles ist noch da. War das ein Zeichen, Bruno?

Das Städtchen Serra San Bruno wurde einst von für das Kloster arbeitenden Männern und deren Familien bewohnt. Jetzt am frühen Nachmittag ist es dort sehr ruhig, nur die Pizzeria Le Giare hat geöffnet. Der sehr nette Wirt backt uns eine köstliche Pizza Calabrese, die uns, wenn auch auf sehr diesseitigem Weg, der Seligkeit nahe bringt.

Abends zurückgekehrt nach Coccorino, wird es gleich wieder sehr katholisch. Heute wird das "Fiesta della Madonna Immacolata", das Fest der jungfräulichen Madonna, gefeiert. Eine Statue der Muttergottes wird, begleitet von einer Blaskapelle und unter reger Anteilnahme der Bevölkerung, durch den Ort getragen. Auf der Piazza sind Verkaufsstände für Süßigkeiten und andere Leckereien aufgebaut und den würdigen Abschluss dieses Tages bildet ein buntes Feuerwerk.

In den Fels gehauener Hühnerstall

In den Fels gehauener Hühnerstall

© Angelika Gutsche, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Vor einiger Zeit hatten wir bereits den Norden und die Mitte Kalabriens bereist. Dieses Jahr sollte unsere Reise in den Süden Kalabriens führen, in die wilde Bergwelt des Aspromonte.
Details:
Aufbruch: 03.06.2005
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 20.06.2005
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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