Bootsüberführung von Holland nach Portugal

Reisezeit: Juni / Juli 1996  |  von Manfred Sürig

Flaute bis Lissabon

Wo bleibt der portugiesische Norder ?

Wäre da nicht der -Motor.
Wo verdammt noch mal kommt denn die Luft in die Leitung ? Wir können sie doch nicht extra reinlassen, nur um anschließend zu testen, ob wir in der Lage sind, auch mit Bordmitteln eine solche Situation zu bewältigen. Statt dessen sind wir immer wieder froh, solange das Ding läuft. Vorsorglich kaufen wir in Bayona in einem Autozubehörladen alles auf, was im entferntesten ein Bordhilfsmittel werden könnte, bis hin zum Radikalmittel Epoxidharz.
Mittags (Montag, 1.Juli) laufen wir aus. Ziel: Irgendein Hafen an der portugiesischen Westküste, je nach Wind weiter oder näher. Aber was, wenn gar kein Wind ist ? Natürlich motoren, schließlich erlaubt eine Überführung kein Herumtreiben.

Aber der Motor scheint anderer Meinung zu sein. Genau 40 Sekunden läuft er, dann geht nichts mehr. Wenigstens steht unsere Peilung bis zur nächsten Brandungsstelle am Ufer in einer Meile, also keine Stromversetzung wer weiß wohin.
Was geht nun früher los: Der portugiesische Norder oder eine gelungene Motorreparatur mit Bordmitteln.? Zunächst müssen wir denjenigen ausgucken, der oben am Rohr saugen soll.
Mir fällt gerade noch rechtzeitig ein, daß man ja erst einmal unten reinpusten könne und ein anderer dann an der davorliegenden Leitung sehen oder lauschen könnte, wo es zischt.
Jürgen setzt seine volle Lungenkraft ein, mit durchschlagendem Erfolg: Wie eine reife Frucht fällt das ganze Schauglas-Treibstoffilter vom Gewinde samt Teflonband herunter.
Das Saugen bleibt mir erspart.
Aber wie das jetzt abdichten?
Teflonband wird vom Diesel aufgelöst, ist eine unwiderlegbare These, das Gewinde des Plexi-Schauglases ist im Eimer, ist ebenfalls nicht zu leugnen.

Epoxidharz haftet aber nicht auf öliger Oberfläche.
Und schon gar nicht, wenn es von oben nach unten abfließen kann. Die fachliche Diskussion wird lautstark (..laß mich doch wenigstens mal ausreden...), ändert aber nichts an der Situation.
Epoxid scheint wenigstens einen Versuch wert zu sein. Den unternehmen wir dann auch, wobei Jörn seine Kenntnisse und Fertigkeiten nicht nur verbal einbringt.
Dann banges Warten während des Aushärtens. Um 15.45 Uhr fangen wir mit den ersten Entlüftungshandgriffen an. Voller Freude stellt Jürgen fest, daß ihm Diesel über die Finger läuft.
Statt Luft.
Wer sagt's denn.
Dann ein Anlaßversuch ohne Kompression, die letzten Ventile entlüften. Jetzt mit Kompression anlassen, ohne Gnade für die Batterie, schließlich sind beide Batterien randvoll, da kann man es riskieren.
Hurra: Er läuft und läuft und läuft.

Wir montieren den "Elektronigger" und setzen Kurs 180 Grad ab. Die eingegebenen Wegepunkte werden zu einer Route zusammengestellt, so können wir querab von jedem Hafen entscheiden, ob wir reinfahren oder weiter nach Süden motoren. Die Lektüre des Hafenhandbuchs zeigt, daß Häfen immer an Flußmündungen liegen, mit Barren davor, die man besser bei Hochwasser mit auflaufender Tide passieren sollte, besonders bei hoher Dünung.
Wir wollen kein Risiko eingehen und finden als geeigneten Hafen Nazare, für den die Hochrechnung morgen vormittag als Ankunftszeit ergibt. Bei Nazare endet ein tiefer Seegraben dicht vor der Küste, dort gibt es keine Barre.
Unterwegs muß ich die Hochrechnung dramatisch korrigieren. Nazare liegt 60 Seemeilen weiter südlich. Ich hatte bei der Wegepunkteingabe einen Breitengrad zu wenig eingegeben, die Realität bringt es zutage. Also Ankunft erst 13 Stunden später (60 sm bei 4,6 Knoten), Jungs, da könnt Ihr vorher noch zweimal nachtanken!

Von portugiesischem Norder keine Spur, statt dessen sogar bewölkter Himmel mit ab und zu Sprühregen. Das monotone Motorgeräusch schläfert die Mannschaft langsam ein.
Ich kann es mir nicht verkneifen, zwischendurch mal am Gashebel zu spielen und das Geräusch nachzuahmen, das wir kennen, bevor der Motor verreckt. Sofort ist die Mannschaft hellwach, aber für Scherze ist sie nicht aufgelegt.
Aber eine weitere Fußbodenmahlzeit kommt gut an.

Und Mittwoch abend werden wir in einem ruhigen Hafen liegen, ohne das Schlagen der Kabel im Mast, das uns den Schlaf raubt.
Gegen 23.15 tuckern wir in den Nordhafen von Nazare und finden eine Box beim Clube Naval de Nazare, am Hafen ein Sonnenschirm, unter dem Fisch und Mariscos und portugiesischer Wein ausgeschenkt werden, dort legen wir gleich unser Taschengeld an.

Die Grenzkontrolleure sind auch schon da - stimmt ja, wir haben ja wieder eine neue Gastflagge gesetzt. Man fragt nach dem Eigentumsnachweis fürs Boot, und da muß ich passen.

Daraufhin behält man unsere Pässe ein, bis wir den Nachweis erbringen können. Ich biete an, dem Haupteigner ein Fax zu senden, damit er eine Bestätigung abgibt oder den Bootsschein zufaxt. Das müsse der Chef entscheiden, sagt man uns höflich. Wir sehen das ganz gelassen und genehmigen uns noch zwei weitere Flaschen Rotwein, die dann für die nötige Bettschwere sorgen.

Am nächsten Morgen ist Einkaufen im Ort angesagt, genüßlich schlendern wir durch die Markthalle und packen uns voll mit Gemüse, Obst und Frischfisch. An Bord holt uns die Realität ein: Der Chef der Hafenpolizei erwartet das Fax von uns, erst dann gibt's die Pässe zurück.

Jetzt wird es höchste Zeit, dem Haupteigner ein Ultimatum zu schicken: Eigentumsnachweis per Fax sofort oder die Überführung wird hier enden. Ich finde gleich zwei Stellen, an denen ich ein Fax absenden kann und nutze vorsichtshalber beide Möglichkeiten.
Jetzt bleibt nur Warten. Jörn hat die Zeit inzwischen genutzt und brät die eingekauften Fische auf dem Bootssteg zur Belustigung der Dorfjugend, Jürgen hat ein Sonnendach aus der Fock übers Cockpit gebaut.
Vorbereitungen zum Seßhaftwerden ? Das Essen ist reichlich und gut, der anschließende Siestaschlaf noch besser.
Ich entdecke auf der anderen Hafenseite eine Schiffstankstelle, die gerade eine Yacht betankt, obwohl Mindestabgabemenge 100 Liter ist. Da werden wirs auch versuchen.
Wir motoren rüber, vor uns tankt noch ein Fischkutter, dann werden wir Zeugen portugiesischen Wettbewerbs: der Tankwart rollt die Schläuche vom Fischkutter weg und setzt sich in den Schatten, für heute hat er genug getan. Aber daneben ist die Konkurrenz von BP. Der BP-Tankwart rollt einen Schlauch zu uns und tankt uns mit unendlicher Geduld unsere Reservekanister auf. Von Mindestabgabe keine Rede, 18 Liter reichen aus. Ich trotte inzwischen das unendlich große Hafengelände zum dritten Mal ab.

Der Polizei will ich erklären, daß das Antwortfax noch nicht da ist, da gibt man mir mit freundlicher Geste die Pässe in die Hand! Nichts wie weg! In der Fischhalle bekomme ich noch 4 Liter Eis gestoßen für unser Kühlschapp zur Kühlung von Bier und Gemüse.
Abends rufe ich schnell noch den Haupteigner an und relativiere unser Ultimatum: Er soll den Eigentumsnachweis nicht nach Nazare, sondern in die Marina Lagos senden, wo wir ihn vielleicht benötigen, wenn wir dorthin kommen. Abends bummeln wir noch einmal durch Nazare, fahren mit dem "Elevador" auf eine 400 Meter hohe Anhöhe in die Oberstadt und genießen den Blick hinunter auf kilometerweiten Sandstrand nach Norden - alles menschenleer, weil mit Auto nicht zugänglich. Südlich des Berges dagegen der Kurstrand von Nazare, der in Fußgängerstraßen eingeteilt ist und wo Sonnenzelt an Sonnenzelt so dicht steht, daß man dazwischen nicht durchkäme. Nazare scheint ein mondänes Seebad in vergangenen Zeiten gewesen zu sein, in der Oberstadt gibt es sogar ein Theater, aber ohne Programm.

Jetzt bleibt nur das Spektakel der tosenden Brandung, die man von oben zeitweise nur hört, aber nicht sieht, weil Nieselregenschwaden und Nebelfelder ganz dicht übers Wasser ziehen.Eine weitere Nacht genießen wir die Hafenruhe von Nazare und probieren den Vino verde, damit uns anschließend das Klappern der Kabel im Mast egal ist.

Freitag morgen geht es weiter, das Wetter ist alles andere als portugiesisch: Nieselregenschauer mit Nebelfeldern durchsetzt. Aber wenigstens leichter Westwind, mit dem wir bei halbem Wind den Motor mal ausschalten können. Über mittag macht der Wind Siesta, der Motor muss wieder ran, aber dann reißt der Himmel auf, die Sicht bessert sich und wir haben ihn endlich, den portugiesischen Norder. Zwar nur mit 3 Bft, aber das Prinzip ist wichtig. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Wind morgen durchsteht, so dass wir beschließen, die Nacht vor Anker in Cascais zuzubringen, dafür aber auf den Besuch von Lissabon aus Zeitmangel zu verzichten.

Mir ist dieser Kompromiss ganz lieb, denn nochmal möchte ich ohne Eigentumsnachweis unsere Pässe nicht aus der Hand geben.
Unser Glaube an den Norder ist auch am nächsten Morgen noch nicht gebrochen und, siehe da, man muss nur fest dran glauben, dann kommt er auch.

© Manfred Sürig, 2010
Du bist hier : Startseite Europa Portugal Flaute bis Lissabon
Die Reise
 
Worum geht's?:
Der Eigner Horst möchte einhand über den Atlantik. Aber dazu muß das Boot erst in die richtige Startposition gebracht werden, nämlich nach Gran Canaria, wo er im Januar 1997 starten will. Für uns eine Herausforderung, den ersten Abschnitt mit dem KNURRHAHN, einer ETAP 28, soweit zu segeln, wie wir nach Süden kommen können.
Details:
Aufbruch: 18.06.1996
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 14.07.1996
Reiseziele: Niederlande
Frankreich
Spanien
Portugal
Marokko
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.