STAUNEN IN DER STEPPE

Reisezeit: Juli 2011  |  von Christina L.

Ulytau liegt im Herzen der endlosen Steppen von Kasachstan und ist sowohl landschaftlich als auch historisch eine spannende und sagenumwobene Gegend.

Petroglyphen Terekty-Aulie

Nach dem Verlassen der befestigten Straße hat unser Fahrer mit dem holprigen Steppenweg zu kämpfen - und er gewinnt den Kampf bravurös. Der erste Halt der Reise: Terekty-Aulie - eine Ansammlung von Felszeichnungen (Petroglyphen) im Herzen Kasachstans. Entstanden in der mittleren bis späten Bronzezeit (ca. 1500-1000 v.Chr.), kommt diesem Ort eine zentrale Rolle für die muslimisch-kasachischen Glaubenspraktiken zu. In Terekty-Aulie stößt man auf die in Granit gemeißelten Zeugnisse vergangener nomadischer Gesellschaftsformen. Das Wort "Aulie" stammt von der arabischen Bezeichnung für einen muslimischen Heiligen ("wali") ab und weist auf die besondere Bedeutung dieses Orts für muslimische Pilger hin. In der islamischen Mystik heißt es, dass der Cousin und Schwiegersohn des Propheten Muhammads diesen Ort auf seiner Reise durch Zentralasien mit göttlicher Energie ("barakah") gesegnet habe. Vereinzelte Petroglyphen in Terekty-Aulie zeigen der Sage nach Fußabdrücke des heiligen Alis und seines treuen Pferdes Duldul. Der größte Teil der bisher bekannten Zeichnungen (etwa 90%) konstituiert sich jedoch aus Darstellungen der hiesigen Vorfahren des Wildpferdes (Mongolisches Takhi oder Przewalskipferd). In den meisten indigenen Kulturen Zentralasiens kommt dem Pferd eine enorme religiöse Bedeutung zu. Neben der Nutzung des Pferdes zur Ernährung und Herstellung von Alltags- und Zeremoniegegenständen wurden Pferde in schamanischem Ritus auch geopfert. Es ist bekannt, dass nomadische Stämme aus dem Altaigebirge Pferde opferten, weil sie daran glaubten, dass ihr Geist dem Schamanen den Aufstieg in die höchsten Himmelsebenen ermöglichte. Auf diesem Wege bestand für die Menschen jener Zeit die Möglichkeit, den Schamanen aufzutragen, ihr Schicksal vorherzusehen und mit dem Gott Ulgen über eine eventuelle Abwendung des Unheils zu verhandeln.
Neben der Felsformation erblickt man einen kleinen Friedhof vor der Kulisse der endlosen Weite der Steppe, die einen von der Enge der Stadt und des eigenen Denkens ein Stück weit befreien kann. Die Vorstellung, dass dies so ein heiliger Ort für die Menschen war und immer noch ist, verleiht dem Ort eine besondere Ausstrahlungskraft.
Der benachbarte Friedhof besteht aus später errichteten Mausoleen der kasachischen Bagnaly- und Baltalyklans. Heute noch pilgern Kasachen zu diesen Gräbern, um ihren Ahnen ("Ata-Baba") zu huldigen, welche teilweise auch über die barakah-Gabe verfügten. Der Besuch der Gräber bei Terekty-Aulie gehört bei einigen Pilgern zur ziyarat, der spirituellen Reise zu Orten, die mit Muhammad oder mit dem ihm Anverwandten assoziiert sind. Die Gläubigen verspeisen auch heute noch ein gemeinsames Mahl zu Ehren der Urväter auf dem Friedhof und binden Stofftücher an die Metallzäune der Gräber.

© Christina L., 2011
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 11.07.2011
Dauer: 3 Tage
Heimkehr: 13.07.2011
Reiseziele: Kasachstan
Der Autor
 
Christina L. berichtet seit 13 Jahren auf umdiewelt.